Bundesfinanzhof, Beschluss vom 22.06.2022, Az. XI R 32/21 (XI R 6/19)

11. Senat | REWIS RS 2022, 6815

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Gegenstand

Umsatzsteuerfreiheit von Supervisionsleistungen


Leitsatz

1. Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL erfasst auch Unterrichtseinheiten, die sich auf Ausbildung, Fortbildung oder berufliche Umschulung beziehen. Die Anforderungen, die der EuGH an die Steuerfreiheit des Schul- und Hochschulunterrichts stellt, gelten hierfür nicht.

2. Umsätze einer Supervisorin können nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL steuerfrei sein.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 12.03.2019 - 15 K 1768/17 U wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) erbrachte im [X.] (Streitjahr) Supervisionsleistungen für verschiedene Auftraggeber, die diese Leistungen für die bei ihnen beschäftigten Arbeitnehmer in Anspruch nahmen.

2

Vor Durchführung der Supervisionen legte die Klägerin mit ihren Auftraggebern den Umfang der durchzuführenden Supervisionssitzungen für die Arbeitnehmer der Auftraggeber fest. Niederschriften über die erbrachten Supervisionsleistungen wurden dem Auftraggeber nicht übergeben, um zu gewährleisten, dass die jeweiligen Sitzungen innerhalb eines geschützten Rahmens ohne zu befürchtende Sanktionen des Auftraggebers stattfanden. Die Klägerin protokollierte die durchgeführten Sitzungen mit ihren wesentlichen Inhalten.

3

Die Umsätze aus ihrer Tätigkeit als Supervisorin erklärte die Klägerin in ihrer Umsatzsteuererklärung für das [X.] --wie auch in den [X.] in voller Höhe als nach § 4 Nr. 14 des Umsatzsteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (UStG) steuerfrei.

4

Der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt --[X.]--) führte eine Außenprüfung bei der Klägerin u.a. für das Streitjahr durch. Nach den Feststellungen der Außenprüfung erbrachte die Klägerin Supervisionsleistungen, die in Höhe von 14.117,80 € (2012), 26.170,30 € (2013) und [X.] (2014) vergütet wurden. Daneben vereinnahmte die Klägerin aus ihrer Lehrtätigkeit an einer Hochschule Honorare in Höhe von 2.540 € (2012), 2.928 € (2013) und 4.920 € (2014).

5

Das [X.] vertrat im Umsatzsteuerbescheid für das Streitjahr vom 16.11.2016 die Auffassung, dass die Supervisionsleistungen weder nach nationalem Recht noch nach Unionsrecht steuerfrei seien. Die für das [X.] geltende Umsatzgrenze von 17.500 € (§ 19 Abs. 1 Satz 1 UStG) sei im [X.] überschritten worden. Daher sei für das [X.] Umsatzsteuer festzusetzen. Der Einspruch blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 15.05.2017).

6

Das Finanzgericht ([X.]) gab mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2019, 936 veröffentlichten Urteil der Klage statt. Das [X.] war der Ansicht, dass für die Umsätze der Klägerin im Streitjahr nach § 19 UStG Umsatzsteuer nicht zu erheben sei. Die Klägerin habe die [X.] des § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG nicht überschritten und auf die Anwendung der Kleinunternehmerregelung nicht verzichtet. Die Supervisionsleistungen der Klägerin hätten weder im Streitjahr noch im Vorjahr den Gesamtumsatz erhöht; denn die Supervisionsleistungen seien nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j der Richtlinie 2006/112/[X.] über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) steuerfrei. Insbesondere erbringe die Klägerin mit diesen Leistungen Unterrichtstätigkeiten im Rahmen von Schul- und Hochschulunterricht. Die Klägerin habe ihre Tätigkeit auch als Privatlehrerin i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL ausgeübt.

7

Mit der Revision rügt das [X.] die Verletzung materiellen Rechts. Der [X.] ([X.]) lege auch nach seinem Urteil [X.] vom 21.10.2021 - [X.]/19 ([X.]:C:2021:873) weiterhin den Unterrichtsbegriff eng aus. Es handele sich bei den Supervisionsleistungen der Klägerin um einen spezialisierten, punktuell erteilten Unterricht, der nach der [X.]-Rechtsprechung die Voraussetzungen für einen Schul- und Hochschulunterricht nicht erfülle. Der Bereich der Fortbildung werde nicht von Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL erfasst.

8

Die Steuerbefreiung für öffentlich-rechtliche und gleichgestellte Einrichtungen (Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL) gehe dagegen darüber hinaus. Sie umfasse auch die Aus- und Fortbildung sowie berufliche Umschulung.

9

Das [X.] beantragt sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung ([X.]O). Der [X.] hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten unter Hinweis auf die hierfür maßgeblichen Gründe Gelegenheit zur Stellungnahme.

Das [X.] hat zu Recht entschieden, dass die Voraussetzungen für die Kleinunternehmerregelung des § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG im Streitjahr erfüllt sind, da die Supervisionsleistungen der Klägerin von der Umsatzsteuer befreit sind und daher nicht zum Gesamtumsatz (§ 19 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 UStG) zählen, wobei auch eine unionsrechtlich begründete Steuerfreiheit zu beachten ist [X.] in [X.]/[X.], [X.], § 19 UStG Rz 121, und Stadie in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 19 Rz 110).

1. Zwischen den Beteiligten ist zu Recht unstreitig, dass eine Steuerfreiheit nach nationalem Recht nicht in Betracht kommt, da eine Anwendung von § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. [X.] UStG am dort genannten Bescheinigungserfordernis und eine Anwendung von § 4 Nr. 22 Buchst. a UStG an den dort aufgeführten unternehmerbezogenen Voraussetzungen scheitert. Ebenso kommt eine Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 14 UStG nicht in Betracht. Die Supervisionsleistungen sind keine Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, da es hierfür nicht ausreicht, wenn bei Supervisionen auch bei Heilbehandlungen eingesetzte Methoden angewandt werden und diese auch der gesundheitlichen Prophylaxe dienen können (vgl. Urteil des [X.] --[X.]-- vom 30.06.2005 - V R 1/02, [X.], 188, [X.] 2005, 675).

2. Die Unterrichtsleistungen der Klägerin sind aber gemäß Art. 132 Abs. 1 Buchst. [X.] steuerfrei. Diese Bestimmung befreit den von Privatlehrern erteilten Schul- und Hochschulunterricht und weist damit eine leistungs- und eine unternehmerbezogene Voraussetzung auf.

a) Die Klägerin erfüllt die leistungsbezogenen Voraussetzungen dieses Tatbestandes.

aa) Aufgrund von Unterschieden in den verschiedenen Sprachfassungen der Bestimmung erfasst die Steuerfreiheit nach der [X.]-Rechtsprechung "Unterrichtseinheiten, die von Unterrichtenden ... erteilt werden und sich auf Schul- und Hochschulunterricht beziehen", wobei diese Unterrichtseinheiten "die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten durch den Unterrichtenden an Schüler oder Studierende im Rahmen einer Ausbildung im Hinblick auf die Ausübung einer Berufstätigkeit einschließen" ([X.]-Urteil [X.] vom 28.01.2010 - [X.]/08, [X.]:[X.], Rz 21 ff., 33). Unerheblich ist dabei, dass Buchst. j anders als Buchst. i des Art. 132 MwStSystRL neben dem Schul- und Hochschulunterricht nicht ausdrücklich die Aus- und Fortbildung erwähnt ([X.]-Urteil [X.], [X.]:[X.], Rz 34). Es besteht zudem keine Beschränkung auf Unterricht, der zu einer Abschlussprüfung oder zur Erlangung einer Qualifikation führt oder der eine Ausbildung im Hinblick auf die Ausübung einer Berufstätigkeit vermittelt; vielmehr kann der Unterricht auch andere Tätigkeiten einschließen (vgl. [X.]-Urteil [X.], [X.]:[X.], Rz 29; [X.]-Urteile vom 28.05.2013 - XI R 35/11, [X.], 250, [X.] 2013, 879, Rz 42, m.w.N.). Dementsprechend hat der [X.] bereits ausdrücklich entschieden, dass Art. 132 Abs. 1 Buchst. [X.] auch Unterrichtseinheiten erfasst, die sich auf Ausbildung, Fortbildung oder berufliche Umschulung beziehen, so dass danach auch Supervisionsleistungen steuerfrei sein können ([X.]-Urteile vom 20.03.2014 - V R 3/13, [X.]E 245, 391, Rz 19 f., und vom 24.01.2019 - V R 66/17, [X.]/NV 2019, 593, Rz 10).

[X.]) Danach liegen die leistungsbezogenen Voraussetzungen für die Steuerfreiheit im Streitfall vor. Nach den Feststellungen der Vorinstanz, die revisionsrechtlich nicht zu beanstanden sind (§ 118 Abs. 2 [X.]O), hat die Klägerin Sozialarbeiter, Sozialpädagogen sowie andere in der Pflege tätige Arbeitnehmer im Auftrag deren Arbeitgeber in ihrer eigenen Handlungskompetenz insbesondere gegenüber den jeweiligen Klienten geschult und weiterentwickelt. Dabei war der Gegenstand der Supervisionseinheiten die Vermittlung im beruflichen Alltag erforderlicher Kompetenzen, nicht die Lösung persönlicher Probleme der Teilnehmer im Sinne einer Therapie. Ziel der Tätigkeit der Klägerin war nach den Feststellungen des [X.] an erster Stelle das gemeinsame Erarbeiten von Lösungen und Handlungsmustern, die dazu befähigen sollten, künftig im beruflichen Umfeld auftretende Schwierigkeiten selbst oder gegenseitig kollegial zu überwinden. Damit war nicht die Beratung für die Bewältigung von konkreten Einzelfällen der Gegenstand der Tätigkeit der Klägerin, sondern die Vermittlung unterschiedlicher, für den beruflichen Alltag der Teilnehmer erforderlicher Kompetenzen durch Reflektion bisheriger Erfahrungen der teilnehmenden Personen. Die Leistungen der Klägerin bezogen sich nach den tatsächlichen Feststellungen des [X.] auch nicht auf Veranstaltungen mit bloßem Freizeitcharakter. Dafür spricht auch die Tatsache, dass die Auftraggeber der Klägerin nicht die Teilnehmer der durch sie durchgeführten Veranstaltungen selbst, sondern vielmehr deren Arbeitgeber waren.

cc) Auf die Anforderungen, die der [X.] an die Steuerfreiheit des Schul- und [X.]. 132 Abs. 1 Buchst. i und [X.] stellt ([X.]-Urteil [X.], [X.]:C:2021:873), kommt es im Streitfall entgegen der Auffassung des [X.] nicht an, da sich die Voraussetzungen nicht auf den gesondert zu betrachtenden Bereich der Aus- und Fortbildung beziehen (zutreffend Alvermann/[X.] in [X.], UStG, 2. Aufl., § 4 Nr. 21 Rz 43).

b) Der Unterricht wird zudem unternehmerbezogen von einem Privatlehrer im Sinne dieser Bestimmung erteilt, wenn der Lehrer Träger der Bildungseinrichtung ist und für eigene Rechnung und in eigener Verantwortung handelt (vgl. [X.]-Urteile [X.] vom 14.06.2007 - [X.]/05, [X.]:[X.], Rz 30; [X.], [X.]:[X.], Rz 52 ff.; [X.]-Urteile vom 27.09.2007 - V R 75/03, [X.]E 219, 250, [X.] 2008, 323, Rz 40; vom 15.12.2021 - XI R 3/20, [X.]/NV 2022, 1010, Rz 39, m.w.N.). Steuerfreie Unterrichtseinheiten können auch mehreren Personen gleichzeitig erteilt werden (vgl. [X.]-Urteil [X.], [X.]:[X.], Rz 31).

Danach war die Klägerin auch als "Privatlehrerin" i.S. des Art. 132 Abs. 1 Buchst. [X.] tätig, da sie für eigene Rechnung und in eigener Verantwortung handelte. Sie war auch Trägerin der Bildungseinrichtung, da es den Auftraggebern der Klägerin um die Aus- und Fortbildung des eigenen Personals ging (vgl. [X.]-Urteil in [X.]E 245, 391, Rz 24). Sie haben die Leistungen der Klägerin nicht bezogen, um ihrerseits entgeltliche Unterrichtsleistungen an ihre Arbeitnehmer zu erbringen, sondern um als Arbeitgeber ihre Arbeitnehmer fortzubilden. Träger der Bildungseinrichtung, an der die Fortbildungsmaßnahmen erbracht wurden, war daher die Klägerin. Ohne Bedeutung ist daher im Streitfall, dass der [X.] die [X.] grundsätzlich versagt, wenn der Auftraggeber des Unterrichtenden die Leistung dazu verwendet, als eigenständige Bildungseinrichtung entgeltliche Unterrichtsleistungen zu erbringen (vgl. [X.]-Urteil [X.], [X.]:[X.], Rz 52 ff.).

3. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

XI R 32/21 (XI R 6/19)

22.06.2022

Bundesfinanzhof 11. Senat

Beschluss

vorgehend FG Münster, 12. März 2019, Az: 15 K 1768/17 U, Urteil

§ 4 Nr 14 UStG 2005, § 4 Nr 21 Buchst a DBuchst bb UStG 2005, § 4 Nr 22 Buchst a UStG 2005, Art 132 Abs 1 Buchst i EGRL 112/2006, Art 132 Abs 1 Buchst j EGRL 112/2006, UStG VZ 2014

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 22.06.2022, Az. XI R 32/21 (XI R 6/19) (REWIS RS 2022, 6815)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 6815

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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