Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.04.2010, Az. 8 AZR 871/07

8. Senat | REWIS RS 2010, 7330

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Gegenstand

Betriebsübergang - Verwirkung des Widerspruchsrechts


Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Teilurteil des [X.] vom 19. September 2007 - 7 [X.] - aufgehoben.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 23. Januar 2007 - [X.] - wird zurückgewiesen, soweit sie sich gegen die Abweisung des [X.] richtet.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz darüber, ob zwischen ihnen über den 1. November 2004 hinaus ein Arbeitsverhältnis fortbesteht.

2

Die Klägerin war seit 1968 bei der [X.], zuletzt im Geschäftsbereich [X.]([X.]), beschäftigt.

3

Dieser Geschäftsbereich verzeichnete seit mehreren Jahren Umsatzrückgänge, welche die Beklagte zu [X.] veranlassten. Am 14. Oktober 2004 vereinbarte die Beklagte mit ihrem Betriebsrat einen Interessenausgleich. Dieser regelte ua., dass Mitarbeiter, die von dem geplanten Personalabbau betroffen sein würden, Abfindungszahlungen erhalten sollten. Diesem Interessenausgleich sollte eine Namensliste der betroffenen Mitarbeiter beigefügt werden. Die Klägerin war zur Aufnahme in diese [X.]iste vorgesehen.

4

Mit Schreiben vom 22. Oktober 2004 informierte die Beklagte die Klägerin über die beabsichtigte Übertragung des Geschäftsbereichs [X.] auf die [X.] In diesem Schreiben heißt es ua.:

        

„...

        

die [X.] plant, den Geschäftsbereich [X.] ([X.]) mit Wirkung zum 1. November 2004 auf die [X.] zu übertragen.

        

Für die Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter, die dem Geschäftsbereich [X.] zugeordnet sind, führt diese Übertragung zu einem automatischen Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse. Dies ist in § 613 a BGB geregelt, dessen Bestimmungen auf den Übergang zwingend anwendbar sind. § 613 a Absatz 5 BGB sieht eine schriftliche Information des von einem solchen Übergang betroffenen Arbeitnehmers vor, der nach § 613 a Absatz 6 BGB dem Übergang auch widersprechen kann.

        

Diese Bestimmungen lauten:

                 

‚Der bisherige Arbeitgeber oder der neue Inhaber hat die von einem Übergang betroffenen Arbeitnehmer vor dem Übergang in Textform zu unterrichten über:

                 

1.   

den [X.]punkt oder den geplanten [X.]punkt des Übergangs,

                 

2.   

den Grund für den Übergang,

                 

3.   

die rechtlichen, wirtschaftlichen und [X.] Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer und

                 

4.   

die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen.

        

Der Arbeitnehmer kann dem Übergang des Arbeitsverhältnisses innerhalb eines Monats nach Zugang der Unterrichtung nach Absatz 5 schriftlich widersprechen. Der Widerspruch kann gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber oder dem neuen Inhaber erklärt werden.’

        

Ihr Arbeitsverhältnis ist dem Geschäftsbereich [X.] zugeordnet und würde deshalb mit dem 1. November 2004 auf [X.] übergehen.

        

...

        

1.   

Zum geplanten [X.]punkt des Übergangs:

                 

Das Datum des geplanten Übergangs ist der 1. November 2004.

        

2.   

Zum Grund für den Übergang:

                 

Grund des Übergangs ist die rechtliche Verselbständigung des Geschäftsbereichs [X.] in der [X.] und deren anschließende Veräußerung an N GmbH.

                 

[X.] mit Sitz in [X.] umfasst das gesamte bisherige [X.]-Geschäft der [X.], also die Geschäftsfelder Film, Finishing und [X.]aborgeräte. [X.] übernimmt das Vermögen von [X.]. Hierzu gehören insbesondere Produktionsanlagen, Markenzeichen, Patente und technologisches Know-how, Vorräte und Forderungen.

                 

...

                 

Das Unternehmen wird mit einem guten Eigenkapital ausgestattet und verfügt über hohe [X.]iquidität, um unerwartet auftretende Risiken bewältigen, in neue Geschäfte investieren und Marktchancen besser nutzen zu können.

        

3.   

Zu den rechtlichen, wirtschaftlichen und [X.] Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer:

                 

Mit dem Übergang des Geschäftsbereichs [X.] tritt [X.] in die bestehenden, unveränderten Arbeitsverhältnisse ein. Zur Klärung und Regelung der Einzelheiten haben [X.], [X.], Gesamtbetriebsrat der [X.] sowie die örtlichen Betriebsräte am 24. September 2004 eine Überleitungsvereinbarung ‚zur Klärung der rechtlichen Auswirkungen auf die Arbeitsverhältnisse betroffener Arbeitnehmer, auf die kollektiv-rechtlichen Regelungen sowie auf die betriebsverfassungsrechtlichen Strukturen’ abgeschlossen, die davon geprägt ist, so weit wie möglich Kontinuität zu wahren:

                 

-       

Die bei der [X.] verbrachten und/ oder von ihr anerkannten Dienstjahre werden als Dienstzeit bei [X.] anerkannt.

                 

-       

Die Zugehörigkeit zu den Arbeitgeberverbänden der Chemischen Industrie wird auch bei [X.] bestehen, d.h. es bleibt bei den [X.].

                 

...

        

5.   

Zu Ihrer persönlichen Situation:

                 

Ihr Arbeitsverhältnis wird nach unserer Planung von dem geplanten Personalabbau gemäß Ziffer 4 betroffen sein. Die Zustimmung des Betriebsrats zu Ihrer Aufnahme in die Namensliste liegt derzeit noch nicht vor. Insofern sind Verhandlungen mit dem Betriebsrat noch nicht abgeschlossen. Sie müssen jedoch damit rechnen, nach Abschluss dieser Verhandlungen mit oder ohne Ihre Aufnahme in die Namensliste der zur Kündigung vorgesehenen Mitarbeiter eine Kündigung zu erhalten.

                 

Zur Milderung wirtschaftlicher Nachteile stehen Ihnen dann die in unserem Sozialplan vorgesehenen [X.]eistungen zu.

                 

Die geplante Kündigung wirkt sich auf den Übergang Ihres Arbeitsverhältnisses nicht aus.

                 

Ihr Arbeitsverhältnis geht trotzdem über und Sie sind verpflichtet, Ihre Tätigkeit bei [X.] fortzuführen. Die nachfolgend dargestellten Konsequenzen eines eventuellen Widerspruchs treffen auch in Ihrem Falle zu.

        

6.   

Zum Widerspruchsrecht:

                 

Sie haben das Recht, dem Übergang Ihres Arbeitsverhältnisses auf die [X.] binnen einer Frist von einem Monat ab Zugang dieses Schreibens schriftlich zu widersprechen. Die Erklärung kann nicht einseitig zurückgenommen oder widerrufen werden. Sie kann auch nicht an eventuelle Bedingungen geknüpft werden.

                 

Sollten Sie dem Übergang Ihres Arbeitsverhältnisses widersprechen wollen, müsste das schriftlich mit einer von Ihnen unterschriebenen Erklärung innerhalb dieser Frist erfolgen. Eventuelle [X.] richten Sie bitte ausschließlich an:

                 

...

        

7.   

Zu den Folgen eines Widerspruchs:

                 

Im Falle eines fristgerechten Widerspruchs bleibt Ihr Arbeitsverhältnis bei der [X.] und geht nicht auf die [X.] über.

                 

Da nach dem Übergang des vollständigen Geschäftsbereichs [X.] auf [X.] Ihr bisheriger Arbeitsplatz bei [X.] nicht mehr vorhanden sein wird und eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nicht besteht, müssen Sie daher im Falle der Ausübung Ihres Widerspruchsrechts mit der Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses durch [X.] rechnen.

                 

Wir weisen Sie ausdrücklich darauf hin, dass nach der eindeutigen Regelung in der mit dem Gesamtbetriebsrat der [X.] und den örtlichen Betriebsräten vereinbarten Überleitungsvereinbarung in diesem Fall kein Anspruch auf eine Abfindung besteht, weder gegenüber der [X.], noch gegenüber [X.] Im Falle eines Widerspruchs müssen Sie deshalb damit rechnen, Ihren Arbeitsplatz ohne jede finanzielle [X.]eistung zu verlieren. Außerdem sind bei einer eventuellen Arbeitslosigkeit nach einem Widerspruch Ihre Ansprüche auf [X.]eistungen der Agentur für Arbeit in Frage gestellt.

                 

Wir empfehlen Ihnen daher dringend, von einem Widerspruch abzusehen.

                 

...“

5

Mit Wirkung zum 1. November 2004 wurde der Geschäftsbereich [X.] ausgegliedert und auf die neu gegründete [X.] übertragen. Die Klägerin widersprach dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf diese GmbH zunächst nicht.

6

Die [X.] kündigte der Klägerin mit Schreiben vom 1. Dezember 2004 zum 30. Juni 2005. Gegen diese Kündigung erhob die Klägerin keine Kündigungsschutzklage.

7

Unter dem Datum des 1. Dezember 2004 teilte die [X.] der Klägerin schriftlich mit, dass diese zum Ausgleich der ausgesprochenen Kündigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung von voraussichtlich 62.971,00 Euro erhalten werde.

8

Im Mai 2005 stellte die [X.] Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, welches am 1. August 2005 eröffnet wurde.

9

Die Klägerin widersprach mit Schreiben vom 6. Februar 2006 gegenüber der [X.] dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf die [X.] wegen nicht ordnungsgemäßer Unterrichtung über den Betriebsübergang. Gleichzeitig forderte sie die Beklagte auf, das Arbeitsverhältnis für die [X.] seit dem 1. November 2004 „ordnungsgemäß abzurechnen“. Mit Schreiben vom 14. März 2006 forderte sie die Beklagte auf, rückständiges Gehalt iHv. [X.] Euro abzüglich des erhaltenen Insolvenz- und Arbeitslosengeldes zu zahlen.

Die Klägerin meint, sie habe dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf die [X.] noch im Februar 2006 wirksam widersprechen können, weil sie bis dahin nicht ordnungsgemäß iSd. § 613a Abs. 5 BGB über den Betriebsübergang unterrichtet worden sei. So rügt sie insbesondere eine falsche Information über die wirtschaftliche Situation der [X.] und über die Haftungsverteilung zwischen der [X.] und der [X.]

Die Klägerin hat - soweit der Rechtsstreit in die Revisionsinstanz gelangt ist - beantragt

        

festzustellen, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis besteht.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Sie beruft sich darauf, ihr Informationsschreiben vom 22. Oktober 2004 habe den Erfordernissen des § 613a Abs. 5 BGB genügt. Der Widerspruch der Klägerin sei verspätet, da er nicht innerhalb der einmonatigen Widerspruchsfrist nach Zugang des Unterrichtungsschreibens(§ 613a Abs. 6 Satz 1 BGB) erhoben worden sei. Zumindest sei das Widerspruchsrecht der Klägerin jedoch verwirkt.

Das Arbeitsgericht hat die Feststellungsklage und die auf Zahlung von Arbeitsentgelt gerichtete [X.]eistungsklage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das [X.]andesarbeitsgericht der Klage auf Feststellung des Bestandes eines Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien durch Teilurteil stattgegeben und die Revision zugelassen. Mit dieser verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter, während die Klägerin die Zurückweisung der Revision beantragt.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Das [X.] hat der Feststellungsklage zu Unrecht stattgegeben.

A. Das [X.] hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Das Schreiben der Beklagten vom 22. Oktober 2004, mit dem sie die Klägerin über den [X.] unterrichtet habe, genüge nicht den Anforderungen des § 613a [X.]. So gebe der Hinweis auf den „Übergang des Arbeitsverhältnisses“ lediglich die in § 613a [X.] getroffene Regelung wieder und erschöpfe sich letztlich in der Wiederholung des gesetzlich vorgegebenen Begriffs „Übergang“. Außerdem fehle es an der Darstellung der haftungsrechtlichen Folgen des [X.]s. Letztlich enthalte das Unterrichtungsschreiben auch keine Informationen zu den kündigungsrechtlichen Folgen des Betriebsübergangs nach § 613a Abs. 4 [X.]. Wegen der fehlerhaften Unterrichtung der Klägerin habe für diese die einmonatige Widerspruchsfrist des § 613a Abs. 6 Satz 1 [X.] nicht zu laufen begonnen. Deren Widerspruchsrecht sei auch nicht verwirkt. Es fehle bereits am Vorliegen des für die Annahme einer Verwirkung erforderlichen so genannten [X.]s. Dieses habe frühestens ab Kenntnis der Klägerin von der Unvollständigkeit der Unterrichtung zu laufen begonnen, dh. mit deren Kenntnis vom Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der [X.] Der Zeitraum zwischen der - möglichen - Kenntnisnahme vom Bestehen eines Widerspruchsrechts und dessen Ausübung durch die Klägerin sei nicht ausreichend, um von einer Erfüllung des [X.]s auszugehen. Selbst wenn man ein solches annähme, fehlte es für eine Verwirkung am Vorliegen des [X.]. Allein die tatsächliche Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit der [X.] reiche dafür nicht aus. Durch die Nichterhebung einer Klage gegen die von der [X.] am 1. Dezember 2004 ausgesprochene ordentliche Kündigung habe die Klägerin ebenfalls kein im Rahmen der Verwirkung zu berücksichtigendes Umstandsmoment gesetzt, weil der Beklagten die Nichterhebung einer Kündigungsschutzklage zunächst nicht bekannt gewesen sei. Selbst wenn dies aber der Fall gewesen wäre, hätte sie sich wegen der objektiv festgestellten falschen Unterrichtung nicht darauf verlassen dürfen, die Klägerin werde ihr Widerspruchsrecht nicht mehr ausüben. Ein solches Vertrauen der Beklagten sei wegen ihres pflichtwidrigen Verhaltens im Zusammenhang mit der Unterrichtung der Klägerin über den Betriebsübergang nicht schutzwürdig.

B. Die Ausführungen des [X.]s halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

I. Die Klage auf Feststellung, dass zwischen der Klägerin und der Beklagten über den 1. November 2004 hinaus ein Arbeitsverhältnis besteht, ist zulässig.

Der Bestand eines Arbeitsverhältnisses ist ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis iSd. § 256 Abs. 1 ZPO. Das nach dieser Norm erforderliche Interesse an alsbaldiger Feststellung ist gegeben. Das Feststellungsinteresse ist eine Sachurteilsvoraussetzung und als solche in jeder Lage des Verfahrens, auch noch in der Revisionsinstanz, von Amts wegen zu prüfen. [X.] Zeitpunkt für das Bestehen des Feststellungsinteresses ist der Schluss der Revisionsverhandlung.

Da die Beklagte bestreitet, über den 1. November 2004 hinaus Arbeitgeberin der Klägerin gewesen zu sein, ist ein Feststellungsurteil über den Bestand des Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien geeignet klarzustellen, wer die Verpflichtungen aus diesem Arbeitsverhältnis künftig zu erfüllen hat.

II. Die Feststellungsklage ist nicht begründet.

Zwischen den Parteien hat über den 1. November 2004 hinaus, den Zeitpunkt des Übergangs des Geschäftsbereichs CI auf die [X.] im Wege eines [X.]s(§ 613a [X.]), ein Arbeitsverhältnis nicht mehr bestanden, weil die Klägerin dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf die [X.] nicht wirksam widersprochen hat.

1. Die Unterrichtung der Klägerin durch die Beklagte mit Schreiben vom 22. Oktober 2004 über den am 1. November 2004 erfolgenden [X.] entsprach nicht den gesetzlichen Anforderungen des § 613a Abs. 5 [X.](vgl. Senat 27. November 2008 - 8 [X.] - AP [X.] § 613a Nr. 363 = EzA [X.] 2002 § 613a Nr. 106 und 12. November 2009 - 8 [X.] - NJW 2010, 1302 zu im Wesentlichen gleich gelagerten Unterrichtungen). Daher war deren Widerspruch im Februar 2006 nicht verspätet, weil die einmonatige Widerspruchsfrist des § 613a Abs. 6 Satz 1 [X.] nicht mit Zugang der Unterrichtung zu laufen begonnen hatte (st. Rspr., vgl. Senat 27. November 2008 - 8 [X.] - aaO und 12. November 2009 - 8 [X.] - aaO).

2. Die Klägerin hatte ihr Widerspruchsrecht allerdings verwirkt.

Der Begründung des [X.]s, mit welcher dieses eine Verwirkung des Widerspruchsrechts verneint hat, ist nicht zu folgen.

a) Die Verwirkung ist ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung(§ 242 [X.]). Mit der Verwirkung wird die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten ausgeschlossen. Sie dient dem Vertrauensschutz und verfolgt nicht den Zweck, den Schuldner stets dann von seiner Verpflichtung zu befreien, wenn dessen Gläubiger längere Zeit seine Rechte nicht geltend gemacht hat ([X.]). Der Berechtigte muss vielmehr unter Umständen untätig geblieben sein, die den Eindruck erweckten, dass er sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, so dass der Verpflichtete sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (Umstandsmoment). Hierbei muss das Erfordernis des Vertrauensschutzes auf Seiten des Verpflichteten das Interesse des Berechtigten derart überwiegen, dass ihm die Erfüllung des Anspruchs nicht mehr zuzumuten ist.

b) Schon nach der Rechtsprechung des [X.] vor dem Inkrafttreten des § 613a Abs. 5 und 6 [X.] konnte das Widerspruchsrecht wegen Verwirkung ausgeschlossen sein. An dieser Rechtsprechung hat der Senat im Einklang mit der herrschenden Auffassung im Schrifttum auch nach der neuen Rechtslage festgehalten. Die Tatsache, dass der Gesetzgeber eine Widerspruchsfrist eingeführt hat, schließt eine Anwendung der allgemeinen Verwirkungsgrundsätze nicht aus, weil jedes Recht nur unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben ausgeübt werden kann(Senat 15. Februar 2007 - 8 [X.] - mwN, [X.], 289 = AP [X.] § 613a Nr. 320 = EzA [X.] 2002 § 613a Nr. 64).

c) Angesichts der gesetzlichen Regelung kann hinsichtlich des [X.]s jedoch nicht auf eine feststehende Monatsfrist, beispielsweise von sechs Monaten abgestellt werden. Im Gesetzgebungsverfahren sind nämlich Vorschläge auf Aufnahme einer generellen Höchstfrist von drei([X.]. 831/1/01 S. 2) bzw. sechs Monaten (BT-Drucks. 14/8128 S. 4) nicht aufgegriffen worden. Abzustellen ist vielmehr auf die konkreten Umstände des Einzelfalles. Dabei ist, wie der Senat bereits zur Verwirkung der Geltendmachung eines Betriebsübergangs (27. Januar 2000 - 8 [X.] -) ausgeführt hat, davon auszugehen, dass bei schwierigen Sachverhalten die Rechte des Arbeitnehmers erst nach längerer Untätigkeit verwirken können. Zutreffend ist es weiterhin auch, die Länge des Zeitablaufes in Wechselwirkung zu dem ebenfalls erforderlichen Umstandsmoment zu setzen. Je stärker das gesetzte Vertrauen oder die Umstände, die eine Geltendmachung für den Anspruchsgegner unzumutbar machen, sind, desto schneller kann ein Anspruch verwirken. Es müssen besondere Verhaltensweisen sowohl des Berechtigten als auch des Verpflichteten vorliegen, die es rechtfertigen, die späte Geltendmachung des Rechts als mit Treu und Glauben unvereinbar und für den Verpflichteten als unzumutbar anzusehen (Senat 24. Juli 2008 - 8 [X.]/07 - AP [X.] § 613a Nr. 347).

d) Diese Voraussetzungen für die Annahme der Verwirkung liegen im [X.] vor, weil sich die Klägerin gegen die ihr von der [X.] ausgesprochene Kündigung nicht zur Wehr gesetzt hat.

aa) Zwischen der Unterrichtung der Klägerin mit Schreiben vom 22. Oktober 2004 über den bevorstehenden [X.] und ihrem Widerspruch mit Schreiben vom 6. Februar 2006 liegt ein Zeitraum von über 15 Monaten. Damit ist regelmäßig das so genannte [X.] erfüllt(vgl. Senat 2. April 2009 - 8 [X.]). Entgegen der Ansicht des [X.]s beginnt die Frist für das für die Verwirkung maßgebliche [X.] nicht erst ab einem bestimmten Zeitpunkt zu laufen, insbesondere nicht erst mit der umfassenden Unterrichtung oder Kenntnis des Arbeitnehmers über den Betriebsübergang und dessen Folgen. Bei dem [X.] handelt es sich nicht um eine gesetzliche, gerichtliche oder vertraglich vorgegebene Frist, für welche bestimmte Anfangs- und Endzeitpunkte gelten, die in den §§ 186 ff. [X.] geregelt sind. Vielmehr hat bei der Prüfung, ob ein Recht verwirkt ist, immer eine Gesamtbetrachtung stattzufinden, bei welcher das Zeit- und das Umstandsmoment zu berücksichtigen und in Relation zu setzen sind. Wie der Senat am 15. Februar 2007 (- 8 [X.] - [X.], 289 = AP [X.] § 613a Nr. 320 = EzA [X.] 2002 § 613a Nr. 64) entschieden hat, ist die Länge des Zeitablaufes in Wechselwirkung zu dem ebenfalls erforderlichen Umstandsmoment zu setzen, was zur Folge hat, dass bei schwierigen Sachverhalten die Rechte des Arbeitnehmers möglicherweise erst nach einer längeren Untätigkeit verwirken können. Erfolgt die Prüfung der Verwirkung nach diesen Grundsätzen, so ist es nicht geboten, ähnlich wie bei gesetzlichen, gerichtlichen oder vertraglichen Fristen für das so genannte [X.] einen bestimmten Fristbeginn, wie etwa die Kenntnis des Berechtigten von bestimmten Tatsachen festzulegen. Vielmehr ist immer darauf abzustellen, ob der Verpflichtete aufgrund des Zeitablaufes, in dem der Berechtigte sein Recht nicht ausgeübt hat, und den Umständen des Einzelfalles, zu denen auch die [X.] des Berechtigten von den für die Geltendmachung seines Rechts bedeutsamen Tatsachen gehört, darauf vertrauen durfte, der Berechtigte werde sein Recht nicht mehr geltend machen (Senat 24. Juli 2008 - 8 [X.]/07 - AP [X.] § 613a Nr. 347).

bb) Dem [X.] ist auch nicht darin zu folgen, dass die Voraussetzungen für das Umstandsmoment nicht vorliegen.

Die Beurteilung der Frage, ob ein Recht verwirkt ist, unterliegt nach der Rechtsprechung des [X.] grundsätzlich den Tatsachengerichten, die den ihnen zur Begründung des [X.] vorgetragenen Sachverhalt eigenverantwortlich zu würdigen haben. Allerdings unterliegt der revisionsrechtlichen Überprüfung, ob das Gericht der Tatsacheninstanz alle erheblichen Gesichtspunkte berücksichtigt hat und die Bewertung dieser Gesichtspunkte von den getroffenen tatsächlichen Feststellungen getragen wird(17. Januar 2007 - 7 [X.] -). Der [X.] des [X.] ist in seiner Entscheidung vom 20. Mai 1988 (- 2 [X.] - AP [X.] § 242 Prozessverwirkung Nr. 5 = EzA [X.] § 242 Prozessverwirkung Nr. 1) allerdings darüber hinausgegangen und hat festgestellt, dass die Rechtsfrage, ob die verspätete gerichtliche Geltendmachung der Unwirksamkeit einer Kündigung das für eine Verwirkung erforderliche [X.] erfüllt, freier revisionsgerichtlicher Überprüfung unterliegt. In dieser Entscheidung hat der [X.] auch bei der Prüfung, ob das Umstandsmoment vorliegt, die Entscheidung des Berufungsgerichts einer uneingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung unterzogen.

Letztlich braucht der Umfang der revisionsrechtlichen Überprüfbarkeit der Tatsachenwürdigung des [X.]s im [X.] jedoch nicht abschließend entschieden zu werden, weil diesem ein Rechtsfehler unterlaufen ist. Es hat das Vorliegen des [X.] mit der Begründung verneint, die Nichterhebung der Kündigungsschutzklage durch die Klägerin sei der Beklagten „zunächst“ nicht bekannt gewesen und außerdem sei ihr Vertrauen wegen der nicht ordnungsgemäßen Unterrichtung der Klägerin iSd. § 613a Abs. 5 [X.] nicht schutzwürdig.

cc) Zutreffend nimmt das [X.] zunächst an, dass allein die widerspruchslose Weiterarbeit der Klägerin bei der [X.] noch keine Verwirkung des Widerspruchsrechts des nicht ordnungsgemäß nach § 613a Abs. 5 [X.] unterrichteten Arbeitnehmers begründet(vgl. Senat 24. Juli 2008 - 8 [X.]/07 - AP [X.] § 613a Nr. 347).

dd) Entgegen der Ansicht des [X.]s liegt aber ein ausschlaggebender Umstand für die Annahme der Verwirkung des Widerspruchsrechts deshalb vor, weil die Klägerin die von der [X.] am 1. Dezember 2004 ausgesprochene Kündigung widerspruchslos hingenommen hatte. Als ein Umstand, der das Vertrauen des bisherigen Arbeitgebers in die Nichtausübung des Widerspruchsrechts nach § 613a Abs. 6 [X.] rechtfertigen kann, ist es nämlich anzusehen, wenn der Arbeitnehmer über die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses dadurch disponiert hat, dass er einen Aufhebungsvertrag mit dem [X.] geschlossen oder eine von diesem nach dem Betriebsübergang erklärte Kündigung hingenommen hat(vgl. Senat 20. März 2008 - 8 [X.], 1354 und 27. November 2008 - 8 [X.]/07 -).

ee) Die Annahme der Verwirkung des Widerspruchsrechts ist nicht ausgeschlossen, wenn nur der [X.], nicht aber der Beklagten alle von der Klägerin verwirklichten [X.] bekannt geworden sind. Bei der Verwirkung des Widerspruchsrechts im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang genügt es, dass einer der Verpflichteten von den vertrauensbildenden Umständen Kenntnis hat. Jedenfalls im unmittelbaren Verhältnis zwischen [X.] und [X.] sieht das Gesetz grundsätzlich eine gemeinsame Verpflichtung und Berechtigung beider aus dem Arbeitsverhältnis vor. Daraus folgt, dass immer dann, wenn sich der [X.] als neuer Arbeitgeber auf [X.] berufen könnte, diese auch der [X.] als früherer Arbeitgeber für sich in Anspruch nehmen kann.

Die Unterrichtungspflicht nach § 613a Abs. 5 [X.] trifft als Gesamtschuldner sowohl den bisherigen Arbeitgeber als auch den neuen Inhaber. Der von einem Betriebsübergang betroffene Arbeitnehmer erlangt die Fortdauer seines Widerspruchsrechts sowohl durch Informationsfehler des einen wie des anderen. Wenn das Gesetz in der Frage der Informationspflicht zum Betriebsübergang den alten und neuen Arbeitgeber als Einheit sieht, legt dies nahe, [X.] und [X.] auch hinsichtlich des [X.] zum Arbeitnehmerverhalten einheitlich zu begreifen. Auch Art. 3 Abs. 2 der [X.] 2001/23/[X.] fingiert einen gleichen Informationsstand von Veräußerer und Erwerber über die Rechte und Pflichten der übergegangenen Arbeitsverhältnisse. Entscheidend kommt hinzu, dass nach § 613a Abs. 6 Satz 2 [X.] der Arbeitnehmer den Widerspruch sowohl gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber([X.]) als auch gegenüber dem neuen Inhaber ([X.]) erklären darf. Der Widerspruch kann aber nicht gegenüber dem neuen Arbeitgeber verwirkt sein, weil dieser die eingetretenen „Umstände“ subjektiv kennt, gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber wegen dessen Unkenntnis jedoch nicht. Für das Schuldverhältnis von [X.] und [X.] als Gesamtschuldner gegenüber dem Arbeitnehmer als Berechtigtem ist in § 613a [X.], insbesondere in dessen Abs. 6 „ein anderes“ normiert (§ 425 Abs. 1 [X.]). Neuer und alter Arbeitgeber können sich wechselseitig auf die Kenntnis des anderen vom Arbeitnehmerverhalten berufen, eine nachgewiesene subjektive Kenntnis des in Anspruch genommenen Verpflichteten von einem bestimmten Arbeitnehmerverhalten ist nicht erforderlich, wenn feststeht, dass dieses Verhalten wenigstens dem anderen Verpflichteten bekannt geworden ist (Senat 27. November 2008 - 8 [X.] - AP [X.] § 613a Nr. 363 = EzA [X.] 2002 § 613a Nr. 106).

ff) [X.] ist auch die Annahme des [X.]s, die Beklagte habe sich wegen der nicht ordnungsgemäßen Unterrichtung der Klägerin über den [X.] nicht darauf verlassen dürfen, sie werde ihr Widerspruchsrecht nicht mehr ausüben. Würde man dieser Überlegung des [X.]s folgen, führte das zu einem widersinnigen Ergebnis. Einerseits behielte der Arbeitnehmer sein Widerspruchsrecht deshalb länger als in § 613a Abs. 6 Satz 1 [X.] normiert(einen Monat ab Zugang der Unterrichtung), weil die Unterrichtung nicht ordnungsgemäß war. Andererseits könnte das Widerspruchsrecht nicht verwirken, weil der Arbeitnehmer nicht entsprechend den Vorgaben des § 613a Abs. 5 [X.] unterrichtet worden war. Dies hätte zur Folge, dass - entgegen der Rechtsprechung - die Verwirkung des Rechts zum Widerspruch im Falle einer fehlerhaften Unterrichtung durch den alten Arbeitgeber idR nicht eintreten könnte. Dies widerspräche dem Grundsatz, dass jedes Recht verwirken kann.

C. Die Kostenentscheidung - auch über die Kosten der Revision - war wegen des Erfordernisses der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung der Schlussentscheidung vorzubehalten.

        

    Hauck    

        

    Böck    

        

    Breinlinger    

        

        

        

    [X.]    

        

    Pauli    

                 

Meta

8 AZR 871/07

22.04.2010

Bundesarbeitsgericht 8. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Solingen, 23. Januar 2007, Az: 5 Ca 918/06 lev, Urteil

§ 613a Abs 1 BGB, § 613a Abs 2 BGB, § 613a Abs 5 BGB, § 613a Abs 6 S 1 BGB, § 242 BGB, § 425 Abs 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.04.2010, Az. 8 AZR 871/07 (REWIS RS 2010, 7330)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 7330

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Referenzen
Wird zitiert von

3 Ca 762/11

8 Sa 1154/15

8 Sa 538/16

8 Sa 539/16

8 Sa 540/16

5 Sa 638/11

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