Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 15.01.2014, Az. 10 AZR 243/13

10. Senat | REWIS RS 2014, 8712

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Gegenstand

Wettbewerbsverbot - Entschädigung nach Ermessen


Leitsatz

Wird bei einem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot die Höhe der Entschädigung in das Ermessen des Arbeitgebers gestellt, ohne dass eine Mindesthöhe iSv. § 74 Abs. 2 HGB vereinbart wird, ist das Wettbewerbsverbot für den Arbeitnehmer unverbindlich.

Tenor

1. Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 9. Januar 2013 - 16 [X.] - wird zurückgewiesen.

2. [X.] trägt die Kosten der Streithilfe. Der Beklagte hat die übrigen Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Zahlung einer Karenzentschädigung für die Monate September und Oktober 2010.

2

Der Beklagte produziert und vertreibt Futter- und Pflegemittel für Pferde. Der Kläger war bei ihm seit dem 1. Jan[X.]r 2008 als Exportvertriebsmitarbeiter angestellt. Er bezog ein Monatsgehalt von 7.500,00 Euro brutto; die private Pkw-Nutzung wurde iHv. 1.089,20 Euro brutto als geldwerter Vorteil bewertet.

3

Der Arbeitsvertrag vom 24. September 2007 enthält [X.]. folgende Regelung:

        

§ 15 [X.]          

        

(1) Der Mitarbeiter verpflichtet sich, nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses für die Dauer von 2 Jahren für kein Konkurrenzunternehmen selbstständig oder unselbstständig tätig zu werden.

        

(2) Die Firma verpflichtet sich, dem Mitarbeiter für die Dauer des [X.] eine Entschädigung zu zahlen, die in ihr Ermessen gestellt wird. Die Karenzentschädigung ist fällig am Ende eines jeden Monats.

        

(3) Auf die Karenzentschädigung wird alles angerechnet, was der Mitarbeiter durch anderweitige Verwertung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt.

        

(4) Der Mitarbeiter ist verpflichtet, während der Dauer des [X.] auf Verlangen Auskunft über die Höhe seiner Bezüge zu geben und die Anschriften seines jeweiligen Arbeitgebers mitzuteilen. Am Schluss eines Kalenderjahres ist er verpflichtet, seine Lohnsteuerbescheinigung vorzulegen.“

                 

4

Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis ordentlich „aus betriebswirtschaftlichen Gründen“ zum 31. August 2010. Der Kläger erklärte mit Schreiben vom 31. August 2010, er werde sich an das vertragliche Wettbewerbsverbot halten und erwarte bis zum 15. September 2010 eine Bestätigung, in welcher Höhe der Beklagte die monatliche Karenzentschädigung zahlen werde, mindestens sei sie jedoch in der gesetzlichen Höhe zu leisten.

5

Der Beklagte focht daraufhin mit Schreiben vom 8. September 2010 den Arbeitsvertrag an. Zur Begründung führte er aus, dass er von dem Kläger über die von ihm erzielbaren Umsätze arglistig getäuscht worden sei. Das Wettbewerbsverbot sei unbestimmt und nichtig. In jedem Fall sei es für ihn unverbindlich. Nur hilfsweise nehme er eine Ermessensausübung vor. Wegen der geringen Umsätze des [X.] sei eine Karenzentschädigung von allenfalls 20 % des letzten Entgelts angemessen.

6

Der Kläger bezog vom 1. September bis 7. November 2010 Arbeitslosengeld iHv. 74,75 Euro täglich. Den entsprechenden Leistungsbescheid hat er dem Beklagten ebenso übermittelt wie eine Lohnsteuerbescheinigung seines neuen Arbeitgebers für den Zeitraum von 8. November bis 31. Dezember 2010.

7

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, das zwischen den Parteien schriftlich vereinbarte Wettbewerbsverbot enthalte eine Entschädigungsregelung und sei deshalb nicht nichtig. Sei die Höhe der Karenzentschädigung zu niedrig, sei das Wettbewerbsverbot lediglich unverbindlich; er habe sich für dessen Einhaltung entschieden. Bei der zu treffenden Ermessensentscheidung sei der Beklagte nicht völlig frei, sondern müsse sich an die gesetzliche Mindesthöhe halten. Ein Recht auf Lossagung vom Wettbewerbsverbot in entsprechender Anwendung des § 75 Abs. 1 HGB habe dem Beklagten nicht zugestanden. Jedenfalls habe er ein solches Recht nicht wirksam ausgeübt, da ein Anfechtungsgrund nicht bestehe und die Monatsfrist des § 75 Abs. 1 HGB nicht gewahrt sei.

8

Der Kläger hat beantragt,

        

den Beklagten zu verurteilen, an ihn als Karenzentschädigung 4.294,50 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6. Oktober 2010 und weitere 4.294,50 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. November 2010 zu zahlen.

9

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, das Wettbewerbsverbot sei nichtig. Eine Karenzentschädigung, die in das Ermessen des Arbeitgebers gestellt werde, genüge dem Schriftformerfordernis des § 74 Abs. 1 HGB nicht, da sie nicht hinreichend bestimmt sei. Auf das Gesetz verweise das Verbot gerade nicht. Eine ergänzende Auslegung, die zu einer Entschädigung in gesetzlicher Höhe führe, finde nicht statt. Aus diesem Grund verbiete sich auch im Rahmen der Ermessensausübung nach § 315 BGB ein Rückgriff auf die Wertung des § 74 Abs. 2 HGB. Die vorsorglich getroffene Ermessensausübung sei rechtsfehlerfrei; aufgrund der schlechten Leistung des [X.] sei eine Karenzentschädigung in Höhe von 20 % des bisherigen Verdienstes angemessen. Im Übrigen habe sich der Beklagte wirksam von dem Wettbewerbsverbot losgesagt; die Gesamtumstände der Anfechtung des Arbeitsvertrags seien ihm erstmals durch das Schreiben des [X.] vom 31. August 2010 bekannt geworden. Letztlich stehe ihm ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB iVm. § 74c HGB zu. Der Kläger habe weder seinen aktuellen Arbeitsvertrag noch eine Steuerbescheinigung am Schluss des Vierteljahres vorgelegt.

Arbeitsgericht und [X.] haben der Klage stattgegeben. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision begehrt der Beklagte weiterhin deren Abweisung. Der Streithelfer ist dem Rechtsstreit auf Seiten des Beklagten beigetreten.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des Beklagten ist unbegründet. Der Kläger hat aus § 15 Abs. 2 Satz 1 des Arbeitsvertrags vom 24. September 2007 iVm. § 315 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 BGB einen Anspruch auf die begehrte Karenzentschädigung iHv. je 4.294,50 Euro brutto für die Monate September und Oktober 2010 nebst Zinsen.

I. § 15 des Arbeitsvertrags enthält ein wirksames, aber für den Kläger unverbindliches [X.]verbot iSd. § 74 ff. HGB, für dessen Einhaltung er sich entschieden hat.

1. Das [X.]verbot sieht in § 15 Abs. 2 des Arbeitsvertrags eine Entschädigung vor (§ 74 Abs. 2 HGB) und ist deshalb nicht nichtig; das gesetzliche Schriftformerfordernis (§ 74 Abs. 1 HGB) ist eingehalten.

a) [X.]verbote, die entgegen § 74 Abs. 2 HGB keine Karenzentschädigung vorsehen, sind nichtig (st. Rspr., zuletzt zB [X.] 28. Juni 2006 - 10 [X.] - Rn. 11 [X.]). Weder der Arbeitnehmer noch der Arbeitgeber können aus einer solchen Abrede Rechte herleiten. Zwar sieht § 74 Abs. 2 HGB vor, das [X.]verbot sei ohne eine der Höhe nach ausreichende Entschädigungszusage „unverbindlich“. Wird überhaupt keine Karenzentschädigung vereinbart, sind Unverbindlichkeit und Nichtigkeit aber identisch, weil der Arbeitnehmer auch dann, wenn er das [X.]verbot einhalten würde, keine Zahlungsansprüche daraus herleiten könnte ([X.] 13. September 1969 - 3 [X.] - Teil I: III 3 der Gründe, [X.]E 22, 125).

b) Die [X.]en haben einen Anspruch des [X.] auf eine Entschädigung vereinbart. Dass ihre Höhe in das Ermessen des Beklagten gestellt wurde, bedeutet nicht, dass keine Entschädigung zugesagt wurde. Dies ergibt eine Auslegung von § 15 Abs. 2 des Arbeitsvertrags.

aa) Bei der Regelung in § 15 Abs. 2 des Arbeitsvertrags handelt es sich um eine typische Vertragsregelung, deren Auslegung durch das Revisionsgericht uneingeschränkt kontrollierbar ist (vgl. dazu zuletzt zB [X.] 13. Juni 2012 - 10 [X.] - Rn. 24 [X.]).

bb) Durch § 15 Abs. 2 Satz 1 des Arbeitsvertrags hat sich der Beklagte - wie schon der eindeutige Wortlaut ergibt - verpflichtet, dem Kläger für die Dauer des [X.]verbots eine Entschädigung zu zahlen. Damit wird ein Anspruch des [X.] begründet, wenn er seine Verpflichtungen aus dem [X.]verbot einhält. Daran ändert sich durch den Relativsatz, wonach die Entschädigung in das Ermessen der Firma gestellt wird, nichts. Diese Formulierung betrifft die Höhe des [X.], nicht den Anspruch selbst. Einen übereinstimmenden anderslautenden [X.]en beider Vertragsparteien oder sonstige Umstände, die darauf hindeuten würden, dass die [X.]en entgegen § 74 Abs. 2 HGB ein entschädigungsloses [X.]verbot vereinbaren wollten (vgl. dazu auch [X.] 28. Juni 2006 - 10 [X.] - Rn. 14), behauptet auch der Beklagte nicht. Entgegen dessen Annahme ergibt sich eine Nichtigkeit der Vereinbarung auch nicht daraus, dass er - wie er meint - die Karenzentschädigung auf „Null“ festsetzen könnte. Eine solche Festsetzung wäre schon wegen § 74 Abs. 2 HGB unbillig iSv. § 315 Abs. 1 und Abs. 3 BGB, sodass durch Urteil ein angemessener Entschädigungsanspruch zu bestimmen wäre, der auf § 15 Abs. 2 des Arbeitsvertrags beruht (vgl. im Einzelnen unten zu III). Dem Kläger wird daher in jedem Fall - im Rahmen des § 74c HGB - eine Karenzentschädigung gewährt, wenn er seine aus dem [X.]verbot folgenden Verpflichtungen einhält.

c) Die [X.]en haben das gesetzliche Schriftformerfordernis (§ 74 Abs. 1 HGB) eingehalten.

aa) Das nachvertragliche [X.]verbot bedarf der Schriftform (§ 74 Abs. 1 HGB iVm. § 126 Abs. 2 BGB). Das Schriftformerfordernis hat neben der [X.] vor allem eine Warnfunktion. Es sollen nicht nur Streitigkeiten darüber vermieden werden, ob und mit welchem Inhalt eine [X.] geschlossen wurde. Vielmehr soll der Arbeitnehmer vor übereilten Entschlüssen im Hinblick auf sein künftiges berufliches Fortkommen möglichst bewahrt werden ([X.] 14. Juli 2010 - 10 [X.] - Rn. 29, [X.]E 135, 116; 24. Oktober 1972 - 3 [X.] - zu I 3 der Gründe). Ein unter Verstoß gegen die gesetzliche Schriftform vereinbartes [X.]verbot ist gemäß § 125 BGB nichtig ([X.] 14. Juli 2010 - 10 [X.] - Rn. 28 [X.], aaO). Auf eine nichtige Vereinbarung können sich beide Vertragsparteien nicht berufen.

bb) Ist durch Gesetz Schriftform vorgeschrieben, muss die Urkunde eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet werden (§ 126 Abs. 1 BGB). Bei einem Vertrag muss die Unterzeichnung der [X.]en auf derselben Urkunde erfolgen (§ 126 Abs. 2 Satz 1 BGB). Nach § 126 Abs. 2 Satz 2 BGB genügt es, dass jede [X.] die für die andere [X.] bestimmte Urkunde unterzeichnet, wenn über den Vertrag mehrere gleichlautende Urkunden aufgenommen werden.

cc) Der von beiden [X.]en unterzeichnete Arbeitsvertrag vom 24. September 2007 erfüllt die genannten Voraussetzungen. Er enthält in seinem § 15 die vollständige [X.] einschließlich des Anspruchs des [X.] auf eine Karenzentschädigung. Entgegen der Auffassung des Beklagten verlangt das [X.] nicht, dass die Karenzentschädigung der Höhe nach bereits festgelegt wäre ([X.] 28. Juni 2006 - 10 [X.] - Rn. 16; 14. August 1975 - 3 [X.] - zu 1 d der Gründe). Entscheidend ist vielmehr, dass der wesentliche Inhalt des der Schriftform unterliegenden Rechtsgeschäfts sich aus der Urkunde ergibt ([X.] 14. Juli 2010 - 10 [X.] - Rn. 33, [X.]E 135, 116 [zu einer zusammengesetzten Urkunde]). Dies ist der Fall.

2. Das vereinbarte [X.]verbot war für den Kläger unverbindlich, da aus ihm nicht klar erkennbar war, dass die Höhe der Entschädigung nach § 74 Abs. 2 HGB erreicht wird.

a) Ist in einem [X.]verbot eine gegenüber der Vorgabe des § 74 Abs. 2 HGB zu niedrige Karenzentschädigung vereinbart, ist dieses nicht nichtig, sondern lediglich unverbindlich. In der Konsequenz kann sich der Arbeitnehmer entscheiden, ob er sich an das [X.]verbot hält (st. Rspr., zB [X.] 18. Januar 2000 - 9 [X.] - zu II a der Gründe; 13. September 1969 - 3 [X.] - zu Teil I: III 3 der Gründe, [X.]E 22, 125; vgl. auch für den Fall des unzulässig bedingten [X.]verbots oder des unverbindlichen Vorvertrags: 14. Juli 2010 - 10 [X.] - Rn. 18 ff. [X.], [X.]E 135, 116). Über den Fall einer konkret zu niedrigen Karenzentschädigung hinaus tritt die Unverbindlichkeit aber auch ein, wenn aus dem [X.]verbot selbst unklar bleibt, ob die gesetzliche Entschädigungshöhe erreicht wird ([X.]/[X.] [X.]verbote 6. Aufl. Rn. 454 [„angemessene Entschädigung“]; [X.]/[X.]. § 74 Rn. 27; vgl. zur Gefahr der Unklarheit bei der Zusage fester Entschädigungssummen: Preis/[X.] [X.]. II W 10 Rn. 59). In diesem Fall kann der Arbeitnehmer nämlich nicht bereits bei Abschluss des [X.]verbots beurteilen, ob ihm eine Karenzentschädigung in der gesetzlich vorgesehenen Höhe zugesagt ist ([X.] 14. Juli 1981 - 3 [X.] - zu I 1 b der Gründe) und er sich des [X.] zwingend enthalten muss (vgl. zu diesem Gedanken [X.] 14. Juli 2010 - 10 [X.] - Rn. 14, aaO).

b) Ein solcher Fall der Ungewissheit über die Höhe der Entschädigung liegt hier vor. § 15 Abs. 2 Satz 1 des Arbeitsvertrags sieht zwar einen Anspruch auf Entschädigung vor. Weder wird jedoch in der Vereinbarung eine konkrete Summe genannt, noch wird durch eine Verweisung auf die gesetzlichen Vorschriften (vgl. zu einer solchen Fallgestaltung: [X.] 28. Juni 2006 - 10 [X.] -; 14. August 1975 - 3 [X.] -) für den Arbeitnehmer hinreichend deutlich gemacht, dass eine Karenzentschädigung mindestens in der gesetzlich geforderten Höhe geschuldet wird.

3. Der Anspruch auf Karenzentschädigung aus einem unverbindlichen [X.]verbot setzt voraus, dass der Arbeitnehmer sich zu Beginn der Karenzzeit für die Einhaltung des [X.]verbots entscheidet. Mit Schreiben vom 31. August 2010 hat der Kläger ausdrücklich gegenüber dem Beklagten erklärt, sich an das [X.]verbot halten zu wollen, und damit sein Wahlrecht ausgeübt. Mit der [X.]enthaltung entsteht der Anspruch auf Entschädigung ([X.] 14. Juli 2010 - 10 [X.] - Rn. 22, [X.]E 135, 116).

II. Der Beklagte hat sich nicht wirksam in entsprechender Anwendung des § 75 Abs. 1 HGB vom [X.]verbot losgesagt.

1. Der Arbeitgeber kann sich nach § 75 Abs. 1 HGB analog binnen eines Monats von dem [X.]verbot lossagen, wenn er das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund gekündigt hat ([X.] 23. November 2004 - 9 [X.] [X.] 3 der Gründe, [X.]E 112, 376; 19. Mai 1998 - 9 [X.] -) oder die [X.]en aus gleichem Grund das Arbeitsverhältnis einvernehmlich aufgelöst haben ([X.] 26. Januar 1973 - 3 [X.] -). Gleiches gilt, wenn zwar nur eine ordentliche Kündigung erklärt wurde, aber für den Arbeitnehmer erkennbar ist, dass diese nur das mildere Mittel gegenüber der außerordentlichen Kündigung darstellt ([X.] 18. November 1967 - 3 [X.] - [X.]E 20, 162). Eine Erklärung nach § 75 Abs. 1 HGB verfolgt das Ziel, dass alle beiderseitigen Rechte und Pflichten aus einer [X.] wegfallen sollen. [X.] sich ein Arbeitgeber in dieser Weise von der vereinbarten [X.] lossagen, muss er klar zum Ausdruck bringen, dass er nicht nur selbst keine Karenzentschädigung zahlen, sondern auch den Arbeitnehmer von dessen Unterlassungspflicht entbinden will ([X.] 13. April 1978 - 3 [X.] 822/76 - zu II 2 der Gründe). Die [X.] muss eindeutig erfolgen ([X.]/[X.] 14. Aufl. § 75 HGB Rn. 5).

2. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Eine Kündigung aus wichtigem Grund hat der Beklagte mit Schreiben vom 30. Juli 2010 nicht ausgesprochen, sondern eine ordentliche Kündigung aus „betriebswirtschaftlichen Gründen“. Im Übrigen ist im Hinblick auf diese Kündigung innerhalb der Monatsfrist des § 75 Abs. 1 HGB keine Erklärung zum [X.]verbot abgegeben worden.

Ob eine erfolgreiche Anfechtung des Arbeitsvertrags nach § 123 BGB den Beklagten in entsprechender Anwendung des § 75 Abs. 1 HGB ebenfalls zur [X.] berechtigt hätte (so [X.] 19. Dezember 2007 - 11 [X.]/07 -; zustimmend [X.]/[X.] Rn. 653), kann dahinstehen. Das [X.] hat rechtskräftig festgestellt, dass der Arbeitsvertrag durch den Beklagten mangels Anfechtungsgrund nicht wirksam angefochten wurde. Im Übrigen dürfte das Schreiben vom 8. September 2010 nicht die Anforderungen an eine [X.]serklärung erfüllen; im Wesentlichen hat der Beklagte sich dort nur auf die vermeintliche Nichtigkeit des [X.]verbots berufen.

III. Der Kläger hat aus § 15 Abs. 2 Satz 1 des Arbeitsvertrags iVm. § 74 Abs. 2 HGB, § 315 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 2 BGB einen Anspruch auf eine Karenzentschädigung iHv. 50 % seiner zuletzt bezogenen vertragsmäßigen Leistungen. Für die streitgegenständlichen Monate ergibt dies den von ihm beanspruchten Betrag von jeweils 4.294,50 Euro brutto.

1. Entschließt sich der Arbeitnehmer zur Einhaltung eines für ihn unverbindlichen [X.]verbots, hat er Anspruch auf die vertraglich vereinbarte Entschädigung, nicht hingegen auf die Mindestentschädigung nach § 74 Abs. 2 HGB (vgl. [X.] 14. Juli 2010 - 10 [X.] - Rn. 38, [X.]E 135, 116; 18. Januar 2000 - 9 [X.] - zu II a der Gründe).

2. Vertraglich vereinbart haben die [X.]en eine Entschädigung, deren Höhe in das Ermessen des Beklagten gestellt wurde. Stellen die [X.]en eine Leistung in das Ermessen einer Vertragspartei, hat die Leistungsbestimmung mangels abweichender Anhaltspunkte gemäß § 315 Abs. 1 BGB nach billigem Ermessen zu erfolgen ([X.] 12. Oktober 2011 - 10 [X.] 746/10 - Rn. 25, [X.]E 139, 283 [zur Höhe eines Bonus]).

a) Eine Leistungsbestimmung entspricht billigem Ermessen, wenn die wesentlichen Umstände des Falls abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind. Die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen verlangt eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit. In die Abwägung sind alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen. Welche Umstände dies im Einzelnen sind, hängt auch von der Art der Leistungsbestimmung ab, die der Berechtigte zu treffen hat ([X.] 10. Juli 2013 - 10 [X.] 915/12 - Rn. 28). Maßgeblich ist der Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber die Ermessensentscheidung zu treffen hat. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Leistungsbestimmung der Billigkeit entspricht, hat der Bestimmungsberechtigte zu tragen. Dem Inhaber des Bestimmungsrechts nach § 315 Abs. 1 BGB verbleibt für die rechtsgestaltende Leistungsbestimmung ein nach billigem Ermessen auszufüllender Spielraum. Innerhalb des Spielraums können dem [X.] mehrere Entscheidungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen (st. Rspr., zuletzt zB [X.] 15. Mai 2013 - 10 [X.] 679/12 - Rn. 34 [X.]).

b) Ob die Entscheidung der Billigkeit entspricht, unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle, § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB (vgl. [X.] 23. Januar 2007 - 9 [X.] 624/06 - Rn. 29). Diese Sachentscheidung ist wegen der zu berücksichtigenden Umstände des Einzelfalls vorrangig den [X.] vorbehalten ([X.] 15. Mai 2013 - 10 [X.] 679/12 - Rn. 35 [X.]). Welche Folgen hieraus für die Reichweite der Überprüfung durch das Revisionsgericht zu ziehen sind, kann dahinstehen (vgl. dazu [X.] 14. Juli 2010 - 10 [X.] 182/09 - Rn. 92 [X.], [X.]E 135, 128). Die landesarbeitsgerichtliche Entscheidung hält auch einer uneingeschränkten Überprüfung stand.

3. Die durch den Beklagten mit Schreiben vom 8. September 2010 getroffene Bestimmung der Karenzentschädigung auf 20 % der vom Kläger zuletzt bezogenen Entgelte entspricht nicht billigem Ermessen iSd. § 315 Abs. 1 BGB.

a) Durch die Karenzentschädigung sollen die Nachteile ausgeglichen werden, die dem Arbeitnehmer durch die Einschränkung seines Erwerbslebens infolge der Karenz entstehen ([X.] 14. September 2011 - 10 [X.] 198/10 - Rn. 11; 22. Oktober 2008 - 10 [X.] 360/08 - Rn. 14). Umgekehrt soll das [X.]verbot den Arbeitgeber davor schützen, dass Betriebsgeheimnisse bekannt werden oder der Arbeitnehmer sein Wissen um betriebliche Abläufe und Geschäftsverbindungen für eine Konkurrenztätigkeit ausnutzt (vgl. [X.] 26. Mai 1992 - 9 [X.] 27/91 - zu 3 der Gründe; 19. Mai 1983 - 2 [X.] 171/81 - zu [X.] 2 der Gründe) und in den Kunden- und Lieferantenkreis des Arbeitgebers einbricht ([X.] 21. April 2010 - 10 [X.] 288/09 - Rn. 15, [X.]E 134, 147). Dementsprechend können grundsätzlich alle Umstände Berücksichtigung finden, die mit dem Schutz berechtigter geschäftlicher Interessen des Arbeitgebers einerseits und der Erschwerung des beruflichen Fortkommens des Arbeitnehmers andererseits in Zusammenhang stehen.

b) Darüber hinaus ist aber die gesetzgeberische Entscheidung des § 74 Abs. 2 HGB zu beachten, wonach die Entschädigung mindestens die Hälfte der zuletzt bezogenen vertragsgemäßen Leistungen erreichen muss. Der Gesetzgeber hat den dort bestimmten Mindestbetrag als angemessen angesehen, um die gegenseitigen Interessen im Regelfall in Einklang zu bringen. Dieses Mindestmaß an Entschädigung muss gewahrt bleiben, auch wenn die [X.]beschränkung nur ein geringes Maß erreicht ([X.] 18. November 1967 - 3 [X.] - zu III der Gründe, [X.]E 20, 162; MünchKommHGB/von [X.] 3. Aufl. § 74 Rn. 43). In Fällen, in denen das berufliche Fortkommen besonders stark beeinträchtigt wird, kann eine höhere Karenzentschädigung erforderlich sein, damit das [X.]verbot nicht als unverbindlich iSv. § 74a Abs. 1 Satz 2 HGB anzusehen ist (vgl. zum Verhältnis von § 74a Abs. 1 Satz 1 zu Satz 2 und zu den Rechtsfolgen: [X.] 21. April 2010 - 10 [X.] 288/09 - [X.]E 134, 147; [X.]/[X.] Rn. 346). Die Festlegung einer geringeren Entschädigung scheidet hingegen aus. Anders als die Revision annimmt, bedeutet dies nicht, dass im Fall eines unverbindlichen [X.]verbots eine Karenzentschädigung, die unterhalb der von § 74 Abs. 2 HGB vorgeschriebenen Höhe liegt, stets auf diesen Betrag zu erhöhen wäre. Der Arbeitnehmer weiß in diesem Fall, welche Entschädigung ihm zusteht, wenn er sein Wahlrecht zugunsten einer Einhaltung des für ihn unverbindlichen [X.]verbots ausübt und ist dadurch geschützt. Ist aber eine Ermessensentscheidung nach § 315 BGB zu treffen, kann diese nicht ohne Beachtung des vom Gesetzgeber festgelegten Mindestwertes erfolgen.

c) Danach ist die vom Beklagten vorgenommene Leistungsbestimmung schon deshalb unbillig, weil sie den in § 74 Abs. 2 HGB festgelegten Wert unterschreitet.

4. Die von den Vorinstanzen vorgenommene Bestimmung der Höhe der Karenzentschädigung gemäß § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB auf die Hälfte der zuletzt bezogenen Vergütung ist danach nicht zu beanstanden. Sie berücksichtigt die Vorgabe des § 74 Abs. 2 HGB. Eine höhere Entschädigung begehrt der Kläger nicht, sodass dahinstehen kann, welche berechtigten Interessen beider [X.]en darüber hinaus Berücksichtigung finden müssten.

5. Die Karenzentschädigung ist auch der Höhe nach zutreffend berechnet. Der Kläger erhielt ein Festgehalt von 7.500,00 Euro brutto monatlich; die private Nutzung des ihm überlassenen Kfz wurde als geldwerter Vorteil iHv. 1.089,20 Euro brutto angesetzt (zur Berücksichtigung dieses Sachbezugs bei der Ermittlung der Karenzentschädigung: [X.] 17. Juni 1997 - 9 [X.] 801/95 - zu II 2 der Gründe). Hieraus folgt grundsätzlich ein Anspruch auf eine Karenzentschädigung iHv. 4.294,60 Euro brutto.

Ob eine Anrechnung von Arbeitslosengeld auf die Karenzentschädigung im Wege der Auslegung oder analogen Anwendung des § 74c Abs. 1 Satz 1 HGB überhaupt in Betracht kommt, kann dahinstehen (kritisch [X.] 14. September 2011 - 10 [X.] 198/10 - Rn. 20 f.). Selbst wenn man zugunsten des Beklagten eine Anrechnungsmöglichkeit unterstellt, kann nur der tatsächliche Auszahlungsbetrag, nicht jedoch ein fiktiv aus dem Arbeitslosengeld hochgerechneter Bruttobetrag angerechnet werden ([X.] 14. September 2011 - 10 [X.] 198/10 - Rn. 22 ff. [X.]). Das Arbeitslosengeld iHv. 2.242,50 Euro monatlich überschreitet zusammen mit der Karenzentschädigung iHv. 4.294,60 Euro die in den streitgegenständlichen Monaten relevante Grenze von 110 % des vorhergehenden Bruttoentgelts nicht.

Gemäß § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO ergibt sich für die Monate September und Oktober 2010 jeweils ein Anspruch in Höhe von 4.294,50 Euro brutto. Der Zinsanspruch folgt aus § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB iVm. § 74b Abs. 1 HGB.

IV. Dem Beklagten steht kein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB iVm. § 74c Abs. 2 HGB zu (vgl. dazu [X.] 23. November 2004 - 9 [X.] [X.]I der Gründe, [X.]E 112, 376; 12. Januar 1978 - 3 [X.] 57/76 -). Der Kläger hat dessen Auskunftsanspruch durch Vorlage der Lohnsteuerbescheinigung für das [X.] und des Leistungsbescheids der [X.] erfüllt. Aus diesen Unterlagen ergeben sich alle erforderlichen Angaben zur Berechnung der Höhe der Karenzentschädigung im Streitzeitraum. Die vom Beklagten behauptete Verpflichtung zur Vorlage einer Lohnsteuerbescheinigung am Schluss eines jeden Kalendervierteljahres ergibt sich weder aus § 15 des Arbeitsvertrags noch aus § 74c HGB. Im Übrigen sah § 41b Abs. 1 EStG in der im Streitzeitraum anwendbaren Fassung eine solche Bescheinigung nicht vor.

V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1, § 101 Abs. 1 ZPO.

        

    Mikosch     

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    W. Reinfelder    

        

        

        

    D. Kiel    

        

    [X.]    

                 

Meta

10 AZR 243/13

15.01.2014

Bundesarbeitsgericht 10. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Oldenburg (Oldenburg), 20. März 2012, Az: 1 Ca 531/10, Teilurteil

§ 75 Abs 1 HGB, § 74 Abs 1 HGB, § 74 Abs 2 HGB, § 74a Abs 1 HGB, § 74c HGB, § 74b Abs 1 HGB, § 273 Abs 1 BGB, § 315 Abs 1 BGB, § 315 Abs 3 S 2 BGB, § 125 S 1 BGB, § 126 Abs 2 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 15.01.2014, Az. 10 AZR 243/13 (REWIS RS 2014, 8712)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 8712

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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10 AZR 288/09 (Bundesarbeitsgericht)

Karenzentschädigung - überschießendes Wettbewerbsverbot


Referenzen
Wird zitiert von

15 Sa 1642/15

14 Sa 1473/15

10 Sa 1194/15

4 Sa 424/15

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