Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 17.09.2018, Az. 1 B 45/18

1. Senat | REWIS RS 2018, 3754

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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

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Gegenstand

Zum Verfolgungsgrund der bestimmten sozialen Gruppe im Sinne des § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylGjuris: AsylVfG 1992


Gründe

1

Die auf die [X.]ulassungsgründe der grundsätzlichen [X.]edeutung der Rechtssache (1.) und eines [X.] (2.) gestützte [X.]eschwerde hat keinen Erfolg.

2

1. Der [X.]ulassungsgrund der grundsätzlichen [X.]edeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) wird mit der [X.]eschwerde schon nicht hinreichend dargelegt.

3

1.1 Grundsätzliche [X.]edeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung entscheidungserhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende [X.]edeutung besteht. Die [X.]eschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (stRspr, vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 19. August 1997 - 7 [X.] 261.97 - [X.] 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14). Die [X.]egründungspflicht verlangt, dass sich die [X.]eschwerde mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils, auf die sich die aufgeworfene Frage von angeblich grundsätzlicher [X.]edeutung bezieht, substantiiert auseinandersetzt und im Einzelnen aufzeigt, aus welchen Gründen die Rechtsauffassung, die der Frage zugrunde liegt, zu folgen ist (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 8. Juni 2006 - 6 [X.] - [X.] 442.066 § 78 TKG Nr. 1 S. 1 f. und vom 10. August 2015 - 5 [X.] - juris Rn. 3 m.w.N.). Die Darlegung muss sich auch auf die Entscheidungserheblichkeit des jeweils geltend gemachten [X.] erstrecken.

4

Soll die grundsätzliche [X.]edeutung aus der Klärungsbedürftigkeit von Unionsrecht und der Notwendigkeit, eine Vorabentscheidung des [X.] einzuholen, hergeleitet werden, ist darzulegen, dass in dem erstrebten Revisionsverfahren zur Auslegung einer entscheidungsrelevanten unionsrechtlichen Regelung voraussichtlich eine Vorabentscheidung des [X.] einzuholen sein wird und keine hinreichenden Gründe vorliegen, die die Einholung einer Vorabentscheidung entbehrlich erscheinen lassen ([X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 22. Oktober 1986 - 3 [X.] - [X.] 310 § 132 VwGO Nr. 243 und vom 10. Oktober 1997 - 6 [X.] - [X.] 422.2 Rundfunkrecht Nr. 29 S. 17). Die bloße [X.]ehauptung unionsrechtlicher [X.]weifelsfragen ohne Auseinandersetzung mit der themenrelevanten Rechtsprechung reicht hierfür nicht aus.

5

Diesen Anforderungen genügt die [X.]eschwerde nicht.

6

1.2 Die von der [X.]eschwerde als rechtsgrundsätzlicher Klärung bedürftig erachtete Fragen,

"ob den Wehrdienst verweigernde oder dem Dienst entfliehende Wehrpflichtige in einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt im Rahmen des § 3a Abs. 2 Nr. 5 [X.] eine [X.] Gruppe iSv. Art. 10 Abs. 1 lit d der [X.] 2011/95/[X.] darstellen"

und

"ob die Anwendung der Vorschrift eine gezielte und für die Flucht kausale Gewissensentscheidung verlangt",

legen einen [X.]ulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht dar.

7

a) Die Fragen bezeichnen schon keine grundsätzlicher Klärung bedürftige abstrakte Rechtsfragen zu Art. 10 Abs. 1 lit d Richtlinie 2011/95/[X.] oder zu § 3b Abs. 1 Nr. 4 [X.], sondern betreffen die fallbezogene Anwendung dieser Normen auf Personen, welche in einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt den Wehrdienst verweigern oder sich diesem entziehen. Derartige Fragen der Subsumtion eines bestimmten Sachverhalts sind grundsätzlich nicht geeignet, eine Rechtsfrage von "grundsätzlicher [X.]edeutung" zu kennzeichnen, weil sie - allzumal in der Situation des [X.] in [X.] - auf das Ergebnis einer komplexen Feststellung und Würdigung des Sachverhaltes zielen.

8

b) Selbst wenn eine derart unspezifisch formulierte Frage als im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO klärungsfähige Frage unterstellt wird, legt die [X.]eschwerde nicht dar, in [X.]ezug auf welche von der bloßen Ergebniskontrolle gelöste Rechtsfrage(n) eine Revisionszulassung oder eine Vorlage an den [X.] in [X.]etracht kommen könnten; namentlich setzt sie sich nicht hinreichend mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] zu Art. 10 Abs. 1 [X.]uchst. d Richtlinie 2011/95/[X.] und des [X.] zu § 3b Abs. 1 Nr. 4 [X.] auseinander und zeigt weder neuerlichen noch weitergehenden Klärungsbedarf auf.

9

In der Rechtsprechung des [X.] ist geklärt, dass eine Gruppe gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 4 [X.] insbesondere als eine bestimmte [X.] Gruppe gilt, wenn a) die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der [X.]etreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und b) die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Im Einklang mit Art. 10 Abs. 1 [X.]uchst. d Richtlinie 2011/95/[X.] und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] ([X.], Urteile vom 7. November 2013 - [X.]/12, [X.]/12, [X.]/12 [[X.]:[X.]:[X.]], [X.]/X und [X.] sowie [X.]/[X.] - NVw[X.] 2014, 132 Rn. 45 und vom 25. Januar 2018 - [X.]/16 [[X.]:[X.]:[X.]], F/[X.]evándorlási és Állampolgársági Hivatal - Rn. 30) müssen die mit den [X.]uchstaben a und b gekennzeichneten Voraussetzungen des § 3b Abs. 1 Nr. 4 Halbs. 1 [X.] kumulativ erfüllt sein. Art. 10 Abs. 1 [X.]uchst. d Richtlinie 2011/95/[X.] ist in Verbindung mit der vorstehend bezeichneten Rechtsprechung des Gerichtshofs hinreichend eindeutig zu entnehmen, dass eine bestimmte [X.] Gruppe in diesem Sinne nicht vorliegt, wenn die betroffene Gruppe nicht in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat beziehungsweise nicht von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird ([X.]VerwG, Urteil vom 19. April 2018 - 1 C 29.17 - juris Rn. 29 und 31).

Das selbständige Erfordernis der "deutlich abgegrenzten Identität" schließt jedenfalls ohne weitergehenden Klärungsbedarf eine Auslegung aus, nach der eine "[X.] Gruppe" im Sinne des § 3b Abs. 1 Nr. 4 [X.]/Art. 10 Abs. 1 [X.]uchst. d Richtlinie 2011/95/[X.] allein dadurch begründet wird, dass eine Mehr- oder Vielzahl von Personen in vergleichbarer Weise von etwa als Verfolgungshandlung im Sinne des § 3a Abs. 1 oder 2 [X.]/Art. 9 Abs. 1 oder 2 Richtlinie 2011/95/[X.] zu qualifizierenden Maßnahmen betroffen wird; nach seinem insoweit eindeutigen Wortlaut greift auch § 3b Abs. 2 [X.]/Art. 10 Abs. 2 Richtlinie 2011/95/[X.] erst bei der zugeschriebenen [X.]ugehörigkeit zu einem der im jeweiligen Absatz 1 genannten Verfolgungsgründe, nicht für die Konstitution der "[X.]n Gruppe" selbst. Die von der [X.]eschwerde herangezogene Entscheidung des [X.] ([X.] and [X.]) vom 20. Mai 2008 ([X.]: C5/2007/1310) [2008] [X.] weist schon deswegen nicht auf einen Klärungsbedarf, weil sie sich nicht zu den Voraussetzungen des Art. 10 Abs. 1 [X.]uchst. d Richtlinie 2011/95/[X.] (bzw. dessen Vorgängerregelung in Art. 10 Abs. 1 [X.]uchst. d Richtlinie 2004/83/[X.]) verhält, sondern eine Verfolgung aus Gründen des Art. 10 Abs. 1 [X.]uchst. e Richtlinie 2004/83/[X.] prüft.

Es kommt hinzu, dass das [X.]erufungsgericht keine tatsächlichen Feststellungen zu der Frage getroffen hat, ob diese Voraussetzungen einer "[X.]n Gruppe" in [X.]ezug auf die Arabische Republik [X.] im maßgeblichen [X.]eurteilungszeitpunkt erfüllt waren, ohne dass insoweit zulässige oder begründete Verfahrensrügen erhoben worden wären. Das Vorbringen der [X.]eschwerde, [X.] hätten eine deutlich abgegrenzte Identität, weil sie "- einfach und deutlich zu erkennen - junge, gesunde Männer, die keine Armeeuniform tragen", seien, findet jedenfalls in den tatrichterlichen Feststellungen des [X.]erufungsgerichts kein Stütze.

c) [X.]ei dieser Sachlage ist nicht zu vertiefen, ob sich aus den speziell für die Situationen der Wehrdienstentziehung geschaffenen Sonderregelungen des § 3a Abs. 2 Nr. 5 [X.]/Art. 9 Abs. 2 [X.]uchst. e Richtlinie 2011/95/[X.] zusätzliche Anforderungen in [X.]ezug auf § 3b Abs. 2 [X.]/Art. 10 Abs. 2 Richtlinie 2011/95/[X.] ergeben können, die klärungsbedürftige Rechtsfragen ergeben.

1.3 [X.]ei den weiterhin aufgeworfenen Fragen, denen die [X.]eschwerde rechtsgrundsätzliche [X.]edeutung beimisst, nämlich

"ob ‚Kriegsverbrechen‘ iSd. § 3a Abs. 2 Nr. 5 [X.] bzw. iSd. Art. 9 Abs. 2 lit e iVm Art. 12 Abs. 2 der [X.] 2011/95/[X.] nur solche Verbrechen sind, die in der kämpfenden Truppe an der Front oder sonst im Gebiet des [X.] begangen werden können"

und

"ob die Anwendung der Vorschrift [des § 3a Abs. 2 Nr. 5 [X.]] eine gezielte und für die Flucht kausale Gewissensentscheidung verlangt",

fehlt es bereits an der gebotenen Darlegung der Entscheidungserheblichkeit. Denn das [X.]erufungsgericht hat seine Entscheidung, dem Kläger stehe wegen an seine Wehrdienstentziehung anknüpfender Maßnahmen Flüchtlingsschutz nicht zu, selbständig tragend auch darauf gestützt, dass es "selbst wenn hier eine hinreichend unmittelbare [X.]eteiligung an den inkriminierten Handlungen und eine Wehrdienstverweigerung in Rede stünden" ([X.]), an der erforderlichen Verknüpfung einer dann drohenden Strafverfolgung oder [X.]estrafung mit einem [X.] nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 [X.] fehlt, und insoweit seine Entscheidung auf mehrere selbständig tragende [X.]egründungen gestützt. Die hinreichende Darlegung von [X.]ulassungsgründen setzt dann aber voraus, dass hinsichtlich jedes dieser Gründe ein Revisionszulassungsgrund geltend gemacht wird (stRspr, vgl. [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 17. September 2013 - 5 [X.] 60.13 - juris Rn. 2 m.w.N. und vom 26. Juni 2014 - 1 [X.] 5.14 - [X.] 402.242 § 81 AufenthG Nr. 3). Daran fehlt es hier aber, weil die [X.]eschwerde selbst zugesteht, dass die Feststellung des [X.]erufungsgerichts, "dass diese [X.]estrafung nicht an eine (unterstellte) oppositionelle Gesinnung anknüpfe", nicht "klärungsfähig" sei (Schriftsatz vom 16. Juli 2018 S. 2), und die an das [X.]estehen einer "[X.]n Gruppe" anknüpfende [X.]eschwerde nicht durchgreift (s.o. 1.2).

2. Ein Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist mit der Rüge, das [X.]erufungsgericht habe entgegen Art. 267 Abs. 3 A[X.]V hinsichtlich verschiedener vom Kläger aufgeworfener Fragen nicht den [X.] angerufen, schon nicht dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).

Ein Vorlagepflicht besteht nur, wenn die Entscheidung selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden kann (Art. 267 Abs. 3 A[X.]V). Das [X.]erufungsurteil kann aber mit der - hier auch eingelegten - [X.]eschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision angefochten werden, die nach der gefestigten Rechtsprechung des [X.] ([X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 22. Dezember 2004 - 10 [X.] 21.04 - [X.] 401.65 Hundesteuer Nr. 8 S. 21 und vom 12. Oktober 2010 - 7 [X.] 22.10 - juris Rn. 9) ein "innerstaatliches Rechtsmittel" im Sinne des Art. 267 Abs. 3 A[X.]V bildet.

3. Der Senat sieht von einer weiteren [X.]egründung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

4. [X.] beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § [X.] [X.] nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.

Meta

1 B 45/18

17.09.2018

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 9. Mai 2018, Az: 14 A 720/17.A, Beschluss

§ 3b Abs 1 Nr 4 AsylVfG 1992, Art 10 Abs 1 Buchst d EURL 95/2011, § 132 Abs 2 Nr 1 VwGO, § 133 Abs 3 S 3 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 17.09.2018, Az. 1 B 45/18 (REWIS RS 2018, 3754)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 3754

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