Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.08.2011, Az. KRB 2/10

Kartellsenat | REWIS RS 2011, 4104

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Gegenstand

Bußgeldverhängung für Kartellrechtsverstoß: Rechtsanwendung in Übergangsfällen; Verhängung gegen Rechtsnachfolger


Tenor

Die Rechtsbeschwerden der [X.]n zu 4 und 5 gegen das Urteil des 2. Kartellsenats des [X.] vom 30. März 2009 werden nach § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen; sie tragen die Kosten ihrer Rechtsmittel.

Auf die Rechtsbeschwerde der [X.]n zu 6 wird das vorgenannte Urteil gemäß § 79 Abs. 5 Satz 1 OWiG aufgehoben, soweit es diese [X.] betrifft; die [X.] zu 6 wird auf Kosten der Staatskasse freigesprochen.

Gründe

1

Das [X.] hat die [X.]n zu 4, 5 und 6 wegen Verstoßes gegen das Verbot des § 1 [X.] (§ 38 Abs. 1 Nr. 1 [X.] a.F. bzw. § 81 Abs. 1 Nr. 1 [X.] 1998) zu Geldbußen zwischen 30.000 € und 100.000 € verurteilt. Während die Rechtsbeschwerden der [X.]n zu 4 und 5 im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO offensichtlich unbegründet und nach dieser Vorschrift [X.] mit § 79 Abs. 3 OWiG zu verwerfen sind, führt die Rechtsbeschwerde der [X.]n zu 6 zu deren Freispruch.

I.

2

Nach den Feststellungen des [X.]s waren die [X.]n zu 4 und 5 an Preisabsprachen auf dem Markt für Transportbeton im Raum [X.]/[X.] beteiligt. Die [X.], eine einhundertprozentige Tochtergesellschaft der [X.]n zu 6, wirkte über ihren Geschäftsführer an einem solchen Kartell im Bereich [X.] mit. Die [X.] zu 6 ist die Holding-Gesellschaft und zugleich die Rechtsnachfolgerin der [X.]. Diese hat mittlerweile ihren Geschäftsbetrieb eingestellt und das verbliebene operative Geschäft sowie Betriebsanlagen auf die [X.] & Co. KG mit Sitz in [X.] übertragen, die gleichfalls eine einhundertprozentige Tochtergesellschaft der [X.]n zu 6 ist. Der Wert der von der [X.] an die [X.] & Co. KG übertragenen Vermögenswerte belief sich nach der steuerlichen Ergänzungsbilanz auf etwa 610.000 €. Mit [X.] wurde die [X.] auf die [X.] zu 6 verschmolzen.

3

Das [X.] hat gegen die [X.] zu 6 als Rechtsnachfolgerin der [X.] ein Bußgeld verhängt. Es ist der Auffassung, dass zwar die [X.] & Co. KG den wesentlichen Teil des Vermögens der [X.] übernommen habe. Da diese jedoch eine einhundertprozentige Tochtergesellschaft der [X.]n zu 6 sei, könne dieses Vermögen bei wirtschaftlicher Betrachtung der Konzernmutter zugerechnet werden.

II.

4

Die Rechtsbeschwerde der [X.]n zu 6 ist begründet, die Rechtsbeschwerden der [X.]n zu 4 und 5 bleiben ohne Erfolg.

5

1. Das Beschwerdegericht hat zu Unrecht eine bußgeldrechtliche Haftung der [X.]n zu 6 angenommen.

6

a) Die bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen für Taten ihrer Mitarbeiter bestimmt sich nach § 30 Abs. 1 OWiG. Nach dieser Vorschrift kann gegen eine juristische Person oder Personenvereinigung ein Bußgeld festgesetzt werden, wenn ein Organ (Nr. 1) oder leitender Mitarbeiter (Nr. 4, 5) unter Verletzung der dieser obliegenden Pflichten eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen hat oder diese bereichert worden ist oder werden sollte (sogenannte Verbandsgeldbuße).

7

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Die Ordnungswidrigkeit, wegen der die [X.] zu 6 im vorliegenden Fall mit einer Verbandsgeldbuße belegt wurde, ist nicht von einem ihrer Organe oder leitenden Mitarbeiter begangen worden. Täter ist vielmehr der Geschäftsführer der früheren [X.], welche nach Übertragung ihrer wesentlichen Vermögensgegenstände auf eine Schwestergesellschaft auf die [X.] zu 6, die Muttergesellschaft des Konzerns, verschmolzen wurde und dadurch erloschen ist (§ 20 Abs. 1 Nr. 2 [X.]).

8

b) Eine Erstreckung der bußgeldrechtlichen Haftung auf den Gesamtrechtsnachfolger der Person, für die der Täter gehandelt hat, kann nur in dem schon bisher in der Rechtsprechung des [X.] anerkannten – hier nicht gegebenen – Ausnahmefall angenommen werden, in dem zwischen der früheren und der neuen Vermögensverbindung nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise Identität oder nahezu Identität besteht. Eine darüber hinausgehende Erstreckung der bußgeldrechtlichen Haftung auf Gesamtrechtsnachfolger, wie sie die Rechtsbeschwerde anstrebt, scheidet aus. Eine solche Ausdehnung der Haftung würde mit dem Wortlaut des § 30 OWiG nicht mehr in Einklang zu bringen sein und deshalb die durch Art. 103 Abs. 2 GG gezogene Grenze richterlicher Auslegung überschreiten. Eine bußgeldrechtliche Sanktion gegen die [X.] zu 6 ist damit ausgeschlossen.

9

aa) Nach dem Wortlaut des § 30 OWiG kann nur diejenige juristische Person oder Personenvereinigung („diese“) mit einem Bußgeld belegt werden, deren in Leitungsfunktion handelnde Mitarbeiter eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen haben. Einer Erstreckung der bußgeldrechtlichen Verantwortlichkeit auf den Gesamtrechtsnachfolger dieser juristischen Person sind durch diesen Wortlaut enge Grenzen gesetzt.

(1) Wie sich aus § 3 OWiG in Übereinstimmung mit der auch für das Ordnungswidrigkeitenrecht geltenden ([X.] 71, 108, 114; 87, 363, 391) Verfassungsnorm des Art. 103 Abs. 2 GG ergibt, kann eine Handlung als Ordnungswidrigkeit nur geahndet werden, wenn die Möglichkeit der Ahndung gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde. Daraus folgt zum einen das Verbot einer die Ahndung begründenden Analogie, welches jede Rechtsanwendung ausschließt, die tatbestandsausweitend über den Inhalt der gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht, wobei der mögliche Wortsinn die äußerte Grenze zulässiger richterlicher Interpretation bildet ([X.] 71, 108, 115; 82, 236, 269; 92, 1, 12; NJW 2010, 3209 Rn. 77). Diesem Gesetzlichkeitsprinzip unterliegt zum anderen aber auch die in § 30 Abs. 1 OWiG getroffene Bestimmung, die die Grundlage dafür schafft, eine Organtat durch Verhängung einer Verbandsgeldbuße zu ahnden. Eine Erweiterung dieser [X.] ist nur innerhalb des durch Art. 103 Abs. 2 GG eröffneten [X.] statthaft (vgl. [X.] in [X.], OWiG, 15. Aufl., § 3 Rn. 4; [X.] in [X.] Kommentar zum OWiG, 3. Aufl., § 3 Rn. 62; für Vorschriften des allgemeinen Teils des Strafrechts ferner [X.] in [X.] Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 1 Rn. 82 ff.).

(2) Nach § 30 OWiG trifft die bußgeldrechtliche Sanktion für Organtaten im Ausgangspunkt die juristische Person oder Personenvereinigung, die das Unternehmen betreibt. Diese gesetzgeberische Entscheidung für das Rechtsträgerprinzip lässt eine Auslegung, die das Vermögen des von dem Rechtsträger zum Tatzeitpunkt geführten Unternehmens - i. S. einer gewerblich tätigen Einheit - in die bußgeldrechtliche Haftung nehmen und hiervon ausgehend eine Sanktionierbarkeit der Tat auch gegenüber dem Rechtsnachfolger annehmen wollte, wenn dieser das Vermögen des Unternehmens oder wesentliche Teile hiervon übernommen hat, in dieser Allgemeinheit nicht zu. Mit einer solchen Umdeutung in Richtung auf eine Unternehmensgeldbuße wäre die durch den Wortlaut der Norm gezogene Grenze überschritten. Die Möglichkeit, die von einem Organ oder leitenden Mitarbeiter begangene Tat durch eine Verbandsgeldbuße zu ahnden, steht und fällt daher grundsätzlich mit dem Fortbestand des Rechtsträgers, für den das Organ oder der leitende Mitarbeiter zum Tatzeitpunkt gehandelt hat.

(3) Hieraus folgt indessen nicht, dass eine Ahndung der Tat nach dem Erlöschen des Rechtsträgers unter allen Umständen ausgeschlossen wäre. Vielmehr erstreckt sich die bußgeldrechtliche Haftung für eine Organtat nach der gefestigten Rechtsprechung des [X.] unter zwei Voraussetzungen auf eine andere juristische Person als diejenige, für die der Täter gehandelt hat. Die Verhängung eines [X.] bleibt möglich, wenn die betreffende juristische Person - etwa im Wege der Umwandlung - Gesamtrechtsnachfolgerin der Organisation geworden ist, deren Organ die Tat begangen hat, und wenn zwischen der früheren und der neuen Vermögensverbindung nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise nahezu Identität besteht. Eine solche wirtschaftliche Identität ist gegeben, wenn das „haftende Vermögen“ weiterhin vom Vermögen des gemäß § 30 OWiG Verantwortlichen getrennt, in gleicher oder in ähnlicher Weise wie bisher eingesetzt wird und in der neuen juristischen Person einen wesentlichen Teil des Gesamtvermögens ausmacht ([X.], Beschluss vom 11. März 1986 - [X.], [X.]/[X.] - Bußgeldhaftung; Beschluss vom 23. November 2004 - [X.], NJW 2005, 1381, 1383 - nicht verlesener Handelsregisterauszug; Beschluss vom 4. Oktober 2007 - [X.], [X.]St 52, 58, Rn. 7 - Akteneinsichtsgesuch). Diese Rechtsprechung hat in der Entscheidungspraxis der [X.]e (vgl. KG [X.]/[X.] 3837 - Altölpreise; [X.], 395, 396) und der Literatur ([X.] in [X.], OWiG, 15. Aufl., § 30 Rn. 38a ff.; [X.] in KK, OWiG, 3. Aufl., § 30 Rn. 30 ff.; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], OWiG, 7. Aufl. § 30 Rn. 50) Gefolgschaft gefunden.

Die Voraussetzung, dass das Vermögen der ursprünglich haftenden juristischen Person einen wesentlichen Teil des Gesamtvermögens der neuen juristischen Person ausmacht, ist unverzichtbar, um die Ahndung auch in den Fällen von Rechtsnachfolge - wie nach dem Wortlaut des § 30 OWiG erforderlich - auf diejenige juristische Person zu begrenzen („diese“), für die der Täter gehandelt hat. An dieser Funktion, die Identität oder [X.] der in die bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit genommenen Verbände sicherzustellen, hat sich das Verständnis dessen zu orientieren, wann in diesem Sinne ein „wesentlicher Teil“ des Gesamtvermögens vorliegt. Auch wenn eine Festlegung auf bestimmte Schwellenwerte oder Verhältniszahlen angesichts der Vielzahl und der Verschiedenartigkeit der möglicherweise relevanten Umstände ausscheidet, muss die Annahme einer wirtschaftlichen Identität danach auf Fälle beschränkt bleiben, in denen das Unternehmen unverändert oder doch nahezu unverändert von einem neuen Rechtsträger fortgeführt wird, dessen sonstige Vermögenswerte demgegenüber weitgehend in den Hintergrund treten. Nur dann kann - in einem bußgeldrechtlichen Sinn - davon gesprochen werden, dass aus der gesellschaftsrechtlichen Umgestaltung wieder dieselbe juristische Person hervorgegangen ist.

Solche Fälle unterscheiden sich zwar in ihrer gesellschaftsrechtlichen Gestaltung, nicht aber in ihren Ergebnissen und Wirkungen von einem bloßen Wechsel der Firma oder der Rechtsform des das Unternehmen führenden Rechtsträgers und weisen damit Bezüge zu gesellschaftsrechtlichen Vorgängen auf, die die bußgeldrechtliche Sanktionsmöglichkeit nach § 30 OWiG unberührt lassen. Es liegt in der Konsequenz des Rechtsträgerprinzips, dass eine bloße Änderung der Firma oder der Wechsel der Rechtsform auf die Verantwortlichkeit nach § 30 OWiG ohne Einfluss sind, weil sie, was für den [X.] in § 202 Abs. 1 Nr. 1 [X.] ausdrücklich bestimmt ist, die Identität des Rechtsträgers nicht berühren. Mit Blick auf diese Konstellationen ist es sachgerecht und auch mit dem Wortlaut des § 30 OWiG vereinbar, in Fällen, die dem gleich zu achten sind, eine Kontinuität der bußgeldrechtlichen Verantwortlichkeit anzunehmen.

(4) Demgegenüber fehlt es an einer wirtschaftlichen Identität, wenn Unternehmen mit annähernd gleicher Größe und fast identischen Marktanteilen fusioniert und deren Geschäftsbereiche zusammengeführt werden. Im Fall einer solchen Fusion, die, zumal wenn mit ihr größere konzerninterne Umstrukturierungsmaßnahmen verbunden sind, in ihren Ergebnissen und Wirkungen einem bloßen Wechsel der Firma oder der Rechtsform des das Unternehmen führenden Rechtsträgers nicht annähernd vergleichbar ist, können der übernehmende und der übertragende Rechtsträger auch bei wirtschaftlicher Betrachtung nicht als dieselbe juristische Person angesehen werden.

Mit einer Zurechnung von Vermögensgegenständen konzernverbundener Unternehmen kann eine wirtschaftliche Identität ebenfalls nicht begründet werden. Für die Annahme einer bußgeldrechtlichen „Konzernhaftung“ lässt das geltende Recht keinen Raum. Die einzelnen konzernabhängigen Schwestergesellschaften sind im Verhältnis zueinander ebenso selbständige juristische Personen wie in ihrem Verhältnis zur Muttergesellschaft. Eine die bußgeldrechtliche Haftung begründende Zurechnung von Vermögen könnte daher nur auf der Grundlage einer ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung erfolgen. An einer solchen fehlt es.

(5) An der Beschränkung der bußgeldrechtlichen Haftung auf in diesem Sinne wirtschaftlich identische Rechtsnachfolger vermag auch der schon bei der Einführung der Verbandsgeldbuße in § 26 OWiG 1968 in den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. V/1269, [X.]) genannte, in der Rechtsprechung des [X.] wiederholt betonte (vgl. Beschluss vom 14. Februar 2007 - 5 [X.], [X.], 13 mwN) und neuerdings in § 81 Abs. 5 [X.] 2005 für bestimmte Kartellbußgeldtatbestände gesetzlich besonders hervorgehobene Zweck der Geldbuße, der u. a. in der Vorteilsabschöpfung bestehen kann, nichts zu ändern. Angesichts des eindeutig entgegenstehenden Wortlauts des § 30 OWiG, in dem diese Erwägungen keinen Niederschlag gefunden haben, fehlt es an einer ausreichenden Grundlage dafür, die aus der Tat erwachsenen Vorteile im [X.] unter erleichterten Voraussetzungen bei dem Rechtsnachfolger des Unternehmensträgers abzuschöpfen. Auch aus der - hier in zeitlicher Hinsicht noch nicht anwendbaren - Vorschrift des § 81 Abs. 4 Satz 2 [X.] 2005, die sich mit der Höhe der „gegen ein Unternehmen oder eine Unternehmensvereinigung“ zu verhängenden Geldbuße befasst, ergibt sich nichts anderes. Diese Norm hat nur die Bußgeldbemessung zum Gegenstand; die in § 30 OWiG vorgesehene Begrenzung der Ahndung einer Organtat gegenüber derjenigen („dieser“) juristischen Person, deren Organ die Tat begangen hat, vermag sie nicht aufzuheben.

bb) Nach diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen für eine Haftung der [X.]n zu 6 für die von dem Geschäftsführer der früheren [X.] begangenen Ordnungswidrigkeiten nicht vor.

Zwar ist die [X.] zu 6 infolge Verschmelzung Gesamtrechtsnachfolgerin der [X.] geworden. Die weitere Voraussetzung, wonach bei wirtschaftlicher Betrachtung zwischen der früheren und der neuen Vermögensverbindung nahezu Identität bestehen muss, ist hier jedoch nicht erfüllt, weil die wesentlichen Vermögensgegenstände der [X.] vor der Verschmelzung auf eine Schwestergesellschaft, die [X.] & Co. KG mit Sitz in [X.], übertragen worden waren.

Unter diesen Umständen käme die Annahme einer wirtschaftlichen Identität zwischen der früheren [X.] und der [X.]n zu 6 nur in Betracht, wenn dieser das Vermögen ihrer Tochtergesellschaft [X.] & Co. KG bußgeldrechtlich zugerechnet werden könnte. Dafür fehlt es jedoch - wie dargelegt - an einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage.

Da die [X.] zu 6 nach allem bußgeldrechtlich nicht haftet, war sie freizusprechen.

2. Dagegen sind die Rechtsbeschwerden der [X.]n zu 4 und 5 im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.

Der näheren Erörterung bedarf lediglich das Folgende:

a) Das [X.] hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die Taten erst im Mai 1999 beendet worden sind, und ausgehend davon den [X.] in Anwendung von § 81 Abs. 2 [X.] 1998 als des im Zeitpunkt der Beendigung geltenden Gesetzes (vgl. § 4 Abs. 2 OWiG) bestimmt.

Dies beanstandet die Rechtsbeschwerde der [X.]n zu 4. Sie ist der Auffassung, es müsse § 81 Abs. 4 Satz 2 [X.] 2005 als milderes Gesetz (§ 4 Abs. 3 OWiG) angewandt werden; nach dieser Vorschrift dürfe das Bußgeld 10 % des im vorangegangenen Geschäftsjahr erzielten Jahresumsatzes nicht überschreiten; dementsprechend betrage die Bußgeldgrenze in ihrer Sache 16.800 €.

Diese Beanstandung bleibt ohne Erfolg. Das [X.] hat § 81 Abs. 4 Satz 2 [X.] 2005 zu Recht nicht angewandt. Die Vorschrift ist im Vergleich zu § 81 Abs. 2 [X.] 1998 kein milderes Gesetz.

Nach der - bis zum 21. Dezember 2007 geltenden - Fassung des § 81 Abs. 4 Satz 2 [X.] 2005 darf die Geldbuße für jedes an der Zuwiderhandlung beteiligte Unternehmen „über Satz 1 hinaus“ 10 % des im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes nicht übersteigen. Diese Regelung (des Satzes 2) stellt gegenüber dem angewandten § 81 Abs. 2 [X.] 1998 kein milderes Recht dar, denn sie begrenzt nicht den durch § 81 Abs. 4 Satz 1 [X.] 2005 eröffneten umsatzunabhängigen [X.], sondern erweitert diesen für Unternehmen, gegen die nach § 30 OWiG ein Bußgeld verhängt wird, über den Rahmen des Satzes 1 hinaus für bestimmte Bußgeldtatbestände auf eine umsatzabhängige Höchstgrenze.

Dies kommt schon im Wortlaut des § 81 Abs. 4 Satz 2 [X.] 2005 zum Ausdruck, wonach eine Geldbuße, wenn sie gegen ein Unternehmen verhängt wird, „über Satz 1 hinaus“ 10 % seines jeweiligen im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes nicht übersteigen darf. Schon die Wortwahl „über Satz 1 hinaus“ legt das Verständnis nahe, dass durch die Vorschrift über die Obergrenze des durch Satz 1 eröffneten [X.]s hinausgehend die Verhängung einer umsatzabhängigen höheren Geldbuße für Unternehmen ermöglicht werden soll, ohne dass damit zugleich der [X.] des Satzes 1 für den Fall entsprechender [X.] abgesenkt werden soll.

Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift spricht ebenfalls für diese Auslegung. Durch die Einführung von § 81 Abs. 4 Satz 2 [X.] 2005 sollte in Übereinstimmung mit dem Gemeinschaftsrecht insbesondere für finanzstarke Unternehmen bei den enumerativ bestimmten schwerwiegenden Kartellordnungswidrigkeiten ein höherer [X.] eröffnet werden als die nach Abs. 4 Satz 1 auch für natürliche Personen geltende Bußgeldobergrenze (vgl. Danneker in [X.]/Mestmäcker, [X.], 4. Aufl., § 81 Rn. 333). Dass die Umsatzabhängigkeit den [X.] nach Abs. 4 Satz 1 nicht zugleich nach unten begrenzen soll, wird schon aus dem Vergleich zu den natürlichen Personen deutlich, die ausschließlich unter die Regelung des Satzes 1 fallen. Ebenso wie bei natürlichen Personen wird auch bei Unternehmen eine geringere finanzielle oder wirtschaftliche Leistungskraft innerhalb des allgemeinen [X.]s berücksichtigt. Daher würde es keinen Sinn ergeben, innerhalb des Rahmens des Absatzes 4 Satz 1 natürliche und juristische Personen unterschiedlich zu behandeln. Dies stünde dem Grundsatz des § 30 Abs. 2 Satz 2 OWiG entgegen, der für die Geldbuße gegen die juristische Person denselben [X.] vorsieht, der für den Täter der Ordnungswidrigkeit gilt.

Nur durch eine solche Auslegung werden zudem [X.] zu den geringer gewichtigen Kartellordnungswidrigkeiten nach § 81 Abs. 4 Satz 3 [X.] 2005 vermieden. Für diese ist einheitlich - ohne die Möglichkeit einer höheren, umsatzabhängigen Geldbuße - eine Obergrenze von 100.000 € vorgesehen. Es wäre nicht nachvollziehbar, warum bei diesen Ordnungswidrigkeiten der Höchstbetrag des zu verhängenden [X.] für umsatzschwache Unternehmen nicht gleichfalls abzusenken wäre.

Diese Auslegung wird durch die Änderung bestätigt, die die Vorschrift durch die [X.] vom 16. Dezember 2007 ([X.]) erfahren hat. Seither ist in § 81 Abs. 4 Satz 2 [X.] ausdrücklich bestimmt, dass „über Satz 1 hinaus eine höhere Geldbuße“ verhängt werden darf. Mit dieser Neufassung wollte der Gesetzgeber aber insoweit keine Änderung der Rechtslage, sondern lediglich eine weitere Klarstellung herbeiführen (BT-Drucks. 16/7156, [X.]). Diese Einschätzung trifft nach dem Gesagten zu und belegt, dass nach dem Willen des Gesetzgebers schon die Formulierung der Vorgängerfassung (§ 81 Abs. 4 Satz 2 [X.] 2005) ausschließlich eine Erhöhung des [X.]s nach Satz 1 anordnen sollte (vgl. auch Bericht des Wirtschaftsausschusses [X.]-Sonderheft 2005, 274).

b) Die Einwendungen der [X.]n zu 4 und 5 bezüglich der Höhe des festgesetzten [X.] haben gleichfalls keinen Erfolg. Soweit sich die Rechtsbeschwerden hierfür auf die Erläuterungen des [X.] in der Hauptverhandlung beziehen, sind diese Ausführungen urteils-fremd; eine Verfahrensrüge diesbezüglich haben sie nicht erhoben. Im Übrigen hat das Beschwerdegericht die wirtschaftliche Situation dieser [X.]n in den Urteilsgründen hinreichend dargestellt.

[X.]                                      Raum                                      Strohn

                         Grüneberg                                  [X.]

Meta

KRB 2/10

10.08.2011

Bundesgerichtshof Kartellsenat

Beschluss

Sachgebiet: False

vorgehend OLG Düsseldorf, 30. März 2009, Az: VI-2 Kart 10/08 OWi, Urteil

§ 81 Abs 2 GWB vom 26.08.1998, § 81 Abs 4 S 1 GWB vom 15.07.2005, § 81 Abs 4 S 2 GWB vom 15.07.2005, § 4 Abs 3 OWiG, § 30 OWiG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.08.2011, Az. KRB 2/10 (REWIS RS 2011, 4104)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 4104

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