Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.06.2017, Az. AK 30/17

3. Strafsenat | REWIS RS 2017, 8821

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Gegenstand

Geheimdienstliche Tätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland: Ausforschen von Ausländerorganisationen


Tenor

Die Untersuchungshaft hat [X.].

Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den [X.] findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem [X.] übertragen.

Gründe

I.

1

Der Angeschuldigte wurde auf Grund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des [X.] vom 15. Dezember 2016 am selben Tag festgenommen und befindet sich seit dem 16. Dezember 2016 ununterbrochen in Untersuchungshaft. Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe in [X.] und andernorts zwischen dem 19. Oktober 2015 und dem 29. Oktober 2016 für den [X.] Geheimdienst eine geheimdienstliche Tätigkeit gegen die [X.] ausgeübt, die auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet gewesen sei, strafbar gemäß § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Unter dem 7. Juni 2017 hat der [X.] wegen dieses Vorwurfs, erweitert auf den Zeitraum von September 2015 bis zum 15. Dezember 2016, Anklage zum [X.] erhoben.

II.

2

Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

3

1. Gegenstand des [X.] ist der Haftbefehl des Ermittlungsrichters des [X.] vom 15. Dezember 2016. Über den vom [X.] mit Erhebung der Anklage gestellten Antrag, diesen Haftbefehl gegen einen neuen Haftbefehl nach Maßgabe der Anklageschrift zu ersetzen, ist noch nicht entschieden.

4

Die Haftprüfung bezieht sich somit allein auf den in dem vollzogenen Haftbefehl gegen den Angeschuldigten erhobenen Tatvorwurf (vgl. Senatsbeschluss vom 11. Januar 2017 - AK 67/16, juris Rn. 22), zu dessen Anpassung oder Erweiterung nunmehr nur das gemäß § 126 Abs. 2 Satz 1 StPO zuständige [X.] befugt ist. Der [X.] hat indes im [X.]rn diesen Vorwurf übernommen, so dass der Haftbefehl weiterhin seiner Funktion gerecht wird, in tatsächlicher Hinsicht verlässlich Auskunft über den Grund der Untersuchungshaft zu geben.

5

2. Der Angeschuldigte ist der ihm im Haftbefehl vom 15. Dezember 2016 vorgeworfenen Tat dringend verdächtig.

6

a) Im Sinne eines dringenden Tatverdachts ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:

7

Der Angeschuldigte, ein [X.] Staatsangehöriger, der der kurdischen Volksgruppe angehört, ist seit dem [X.] für den [X.] nationalen Nachrichtendienst ([X.] İstihbarat [X.] - [X.]) tätig.

8

Nach dem 19. Oktober 2015 reiste der Angeschuldigte (erneut) in die [X.] ein. Zumindest bis zu seiner (zwischenzeitlichen) Ausreise am 29. Oktober 2016 verschaffte er sich im Auftrag des [X.] unter der Legende, ein Sprachstudium zu betreiben, verdeckt Informationen über den in [X.]    wohnhaften kurdischen Politiker [X.]  und weitere Personen aus dem Umfeld des in [X.]     ansässigen Vereins "[X.].   e.V.". Der Angeschuldigte gewann seine Erkenntnisse - unter Geheimhaltung seines Ziels und seiner Funktion - über das [X.] und durch persönliche Gespräche. Die Informationen waren zur Weitergabe an den [X.] bestimmt. Zu diesem Zweck fertigte der Angeschuldigte Aufzeichnungen über Aufenthaltsorte, Aktivitäten und Kontakte der betreffenden Zielpersonen, namentlich [X.] , an. Der Angeschuldigte erhielt für seine Ausforschungstätigkeit in [X.] (zumindest) monatlich ca. 1.500 € zuzüglich der Kosten eines Sprachkurses.

9

[X.]  war (von Mitte Juni 2016 an) einer der beiden Vorsitzenden des [X.] (Kongreya Civakên Demokratîk â [X.] - KCDK-E). Er war zwar Sympathisant der [X.] (Partiya [X.] - [X.]), jedoch weder ihr Mitglied noch ihr Unterstützer. Der Verein "[X.].  e.V." war im Vereinsregister eingetragen und legal tätig.

b) Der dringende Tatverdacht ergibt sich insbesondere aus den Angaben des Angeschuldigten bei seiner Anhörung durch das [X.] am 12. Dezember 2016 und bei seiner ermittlungsrichterlichen Einvernahme am 16. Dezember 2016, aus den Aussagen der Zeugin     E.  vor dem [X.] am 9. Januar 2017 und vor dem Ermittlungsrichter des [X.] am 4. und 10. April 2017, aus den handschriftlichen Aufzeichnungen des Angeschuldigten sowie aus seiner durch Auswertung des elektronischen Kommunikationsverkehrs erlangten selbstbezichtigenden Twitter-Nachricht unbekannten Datums. Die späteren Einlassungen des Angeschuldigten ab dem 6. Februar 2017, er sei auf Geheiß der sog. "[X.]" tätig geworden, sind schon für sich gesehen wenig plausibel. Nachfolgende Ermittlungen haben keine Hinweise auf eine Verbindung des Angeschuldigten zu dieser Organisation erbracht. Wegen der Einzelheiten nimmt der Senat Bezug auf das in der Anklageschrift des [X.]s dargelegte wesentliche Ergebnis der bisherigen Ermittlungen, insbesondere die dort wiedergegebenen Einlassungen des Angeschuldigten und die im Einzelnen gewürdigten Beweismittel.

Darüber hinaus ist nach Anklageerhebung das Protokoll über die am 31. Mai 2017 in [X.] durchgeführte polizeiliche Vernehmung des Zeugen     [X.].  - nach Übersetzung in die [X.] - zu den Akten gelangt; der Zeuge hat entgegen der Behauptung des Angeschuldigten nicht bestätigt, dass dieser Angehöriger der "[X.]" sei.

3. Nach alledem besteht die hohe Wahrscheinlichkeit, dass sich der Angeschuldigte wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit gegen die [X.] strafbar gemacht hat, indem er für den [X.] Geheimdienst in einer die Arbeit von Agenten und anderen Hilfspersonen solcher Dienste kennzeichnenden, auf Mitteilung und Lieferung von Tatsachen oder Erkenntnissen gerichteten Vorgehensweise tätig war. Sein Handeln war insbesondere auch gegen die Interessen der [X.] gerichtet, weil von seinen Ausforschungen Personen, namentlich [X.]  , betroffen waren, die sich im [X.] unter dem Schutz des Art. 5 [X.] in legaler Weise politisch betätigten, ohne Mitglied oder Unterstützer einer - von der [X.] gelisteten - ausländischen terroristischen Vereinigung zu sein (s. hierzu [X.], Beschlüsse vom 20. Januar 2015 - 3 StR 551/14, [X.]St 60, 158, 160; vom 31. August 2016 - AK 46/16, [X.], 153, 154).

4. Bei dem Angeschuldigten besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Die zu erwartende Strafe begründet einen erheblichen Fluchtanreiz. Diesem stehen keine hinreichenden fluchthindernden Umstände gegenüber. Der Angeschuldigte hat im Inland keine gefestigten [X.] [X.]ndungen. In der [X.] hat er indes Ehefrau und drei Kinder. Seine hiesige Wohnung in [X.]    räumte er am 14. Oktober 2016. Vor seiner Inhaftierung in dieser Sache war er zuletzt in einer Flüchtlingsunterkunft in [X.] untergebracht. Einer geregelten legalen Erwerbstätigkeit ging er nicht nach. Unter den obwaltenden Umständen und mit Blick auf die Anbindung des Angeschuldigten an den [X.] Geheimdienst ist zu erwarten, dass er, in Freiheit belassen, sich dem Verfahren entziehen und ins Ausland absetzen wird.

Weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 Abs. 1 StPO kommen nicht in Betracht.

5. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Die besondere Schwierigkeit und der besondere Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Untersuchungshaft.

Die [X.] haben einen Umfang von 20 [X.]. Die Änderung des [X.] des Angeschuldigten war Anlass für weitere umfangreiche Ermittlungen. Er ist am 6., 7., 15. und 16. Februar 2017 polizeilich einvernommen worden; zudem hat er sich am 6. und 15. Februar 2017 schriftlich geäußert. Dies hat - neben den nochmaligen Vernehmungen der Zeugin     [X.](vom 4. und 10. April 2017 [nach ihrer Einvernahme am 9. und 10. Januar 2017]) und des Zeugen [X.]  (vom 16. Mai 2017 [nach seiner Einvernahme am 27. September 2016]) sowie den erstmaligen Vernehmungen der Zeugen S.    und [X.]  (am 17. und 18. Mai 2017) - insbesondere die im Wege der Rechtshilfe mit [X.] veranlasste Vernehmung des dort wohnhaften Zeugen      [X.].  vom 31. Mai 2017 erforderlich gemacht.

Ferner haben die vielen sichergestellten Asservate, vor allem die elek-tronischen Datenträger des Angeschuldigten, auf ihre Relevanz untersucht werden müssen; hinsichtlich der Einzelheiten verweist der Senat auf die Zuschrift des [X.]s vom 8. Juni 2017. Um den Anspruch des Angeschuldigten auf ein Urteil innerhalb angemessener Frist zu gewährleisten, hat der [X.] bereits vor Abschluss der Auswertung - als damit zu rechnen war, dass die weiteren Ermittlungen den dringenden Tatverdacht nicht mehr grundsätzlich in Frage stellen können - Anklage erhoben.

6. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

Becker               [X.]

Meta

AK 30/17

29.06.2017

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: False

§ 99 Abs 1 Nr 1 StGB, Art 5 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.06.2017, Az. AK 30/17 (REWIS RS 2017, 8821)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 8821

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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3 StR 551/14

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