Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.05.2016, Az. AK 25/16

3. Strafsenat | REWIS RS 2016, 11218

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:180516BAK25.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS

AK 25/16
vom
18. Mai 2016
in dem Strafverfahren
gegen

wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit

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[X.]er 3. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] sowie des Angeschuldigten und seiner Verteidiger am 18. Mai 2016 gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:

[X.]ie Untersuchungshaft hat [X.].

Eine etwa weiter erforderliche Haftprüfung durch den Bundesge-richtshof findet in drei Monaten statt.

Bis zu diesem [X.]punkt wird die Haftprüfung dem [X.] übertragen.

Gründe:
[X.]er Angeschuldigte wurde aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrich-ters des [X.] vom 23. Oktober 2015 (1 [X.]) am 28.
Oktober 2015 festgenommen und befindet sich seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft.

Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe sich von [X.]ezember 2013 bis Oktober 2015 in [X.] und an anderen Orten in der [X.] als Quelle des [X.] Nachrichtendienstes "Ministry
of [X.] ([X.])" Informationen über Mitglieder und Aktivitäten der [X.] Exil-Oppositionsbewegungen "[X.] ([X.])" und "[X.] ([X.])" in [X.], [X.], [X.] und anderen [X.] der [X.] verschafft und diese gegen monatliches Entgelt an seine Auftraggeber weiter-gegeben (Ausübung einer geheimdienstlichen Tätigkeit gegen die Bundesre-1
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publik [X.] für den Geheimdienst einer fremden Macht, gerichtet auf die Mitteilung von Tatsachen und Erkenntnissen; Vergehen nach § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB, auch in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Nr. 4 [X.]).

Wegen dieses Sachverhalts hat der [X.] gegen den Angeschuldigten unter dem 18. März 2016 Anklage zum St[X.]tsschutzsenat des Kammergerichts erhoben.

[X.]ie Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.

1. [X.]er Angeschuldigte ist des ihm im Haftbefehl vorgeworfenen [X.] jedenfalls im wesentlichen Umfang dringend verdächtig.

a) Nach gegenwärtigem Erkenntnisstand ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:

[X.]) [X.]as seit 1984 bestehende "Ministry of [X.] ([X.])" ist wesentlicher Teil des Machtapparats der [X.]. Ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt auf der Ausforschung und der Bekämp-fung Oppositioneller im In-
und Ausland. [X.]ie Auslandstätigkeit des [X.]ienstes richtet sich insbesondere gegen die von [X.] aus agierende Exil-Oppositonsgruppen "[X.] ([X.])" und "[X.] Widerstandsrat [X.] ([X.])", zu deren Ausspähung, Infiltrierung, Steuerung und [X.]iskreditierung er erhebliche Anstrengungen unternimmt. Zuständig für die nachrichtendienstlichen Aktivitäten gegen "[X.]" und "[X.]" ist in erster Linie der unter diplomatischer Abdeckung an der [X.] Botschaft in [X.]/[X.] 3
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tätige hauptamtliche Mitarbeiter der Verwaltung Sicherheit des "[X.]"

M.

alias "S.

".

Bei der 1965 gegründeten "[X.]" handelte es sich ursprünglich um eine militante Organisation, die aber von zunächst verübten Anschlägen auf Ziele im [X.] und auf Repräsentanten des [X.] im Ausland seit Mai 2002 Abstand nimmt. Auf der Liste der Organisationen gemäß Verordnung ([X.]) Nr.
2580/2001 vom 27. [X.]ezember 2001 wird die "[X.]" seit dem Beschluss des Rates der [X.] vom 26. Januar 2009 (2009/62/[X.]) nicht mehr geführt. Ihre Mitglieder rekrutierte die "[X.]" in der Vergangenheit vornehmlich unter [X.] Exilanten in dem nahe [X.]/[X.] gelegenen Lager "[X.]". Als politischer Arm und Sprachrohr der "[X.]" konstituierte sich 1981 der zu keinem [X.]punkt gelistete "[X.]". In [X.] ist die "[X.]" als sol-che nicht vertreten; ihre bundesweit etwa 900 Anhänger agieren als Mitglieder des "[X.]". Mitglied der von einem Lager in [X.] aus agierenden Lei-tungsebene der "[X.]" ist unter anderem die anderweitig verfolgte

[X.].

. Als Angehörige des Führungszirkels verfügt sie über wesentliche Informationen zur Person der Mitglieder, die sich
bereits in [X.] und in anderen St[X.]-ten der [X.] aufhalten oder die aus "[X.]" dorthin [X.], gleichermaßen über die Strukturen der Organisation und die dort vor-handenen politischen Strömungen.

[X.]) [X.]er Angeschuldigte, ehemaliger Angehöriger des "Propagandabe-reichs" der "[X.]", hält sich seit [X.]ezember 2012 als anerkannter Flüchtling in der [X.] auf. Spätestens im Januar 2013 erklärte er sich bereit, für das "[X.]" gegen laufende Bezahlung Informationen über das "[X.]" und den "[X.]" zu sammeln und diese an den als sein Führungsoffizier fungierenden "S.

weiterzuleiten. Für eine geheimdienstliche Schulung ließ 8
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dieser ihn vom
15. April bis 9. Mai 2014 verdeckt von [X.] über [X.] nach [X.] und zurück schleusen. Auch die anderweitig verfolgte

[X.].

er-klärte sich spätestens im Juni 2013 zur Zusammenarbeit mit dem "[X.]" be-reit. [X.] versorgte sie den Angeschuldigten in der Folge nahezu täglich über Kommunikationsdienste mit Interna von "[X.]" und "[X.]"; der Angeschuldigte gab die so erlangten Informationen sogleich auf entsprechen-dem Wege an "S.

" weiter. Zu den vom Angeschuldigten so (beschränkt auf die [X.] vom 8. Juni bis 3. Oktober 2015) an "S.

" übermittelten Informatio-nen, die neben Oppositionellen in [X.] auch solche in [X.], [X.], [X.], [X.], [X.]änemark, [X.] und [X.] be-trafen, kann auf die ins Einzelne gehende [X.]arstellung im Haftbefehl verwiesen werden.

Nicht Gegenstand des Haftbefehls ist der in der Anklageschrift weiter er-hobene Vorwurf, der Angeschuldigte habe von August 2014 bis Oktober 2015 im Zusammenwirken mit dem Mitangeschuldigten R.

auch von diesem erlangte Informationen über Oppositionelle an "S.

" weitergegeben.

b) Zur Begründung des dringenden Tatverdachts nimmt der Senat Bezug auf die ausführliche [X.]arstellung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlun-gen in der Anklageschrift vom 18. März 2016.

c) [X.]anach ist der Angeschuldigte jedenfalls dringend verdächtig, sich der geheimdienstlichen Agententätigkeit dadurch schuldig gemacht zu haben, dass er Informationen über Mitglieder der [X.] Exilopposition in [X.] und in den hier Truppen stationierenden NATO-Vertragsst[X.]ten [X.] und [X.] an den [X.] Geheimdienst weitergegeben habe (§ 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Nr. 4 [X.]). Zutreffend geht 10
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der Ermittlungsrichter des [X.] davon aus, dass die [X.] von Exilanten oder deren Organisationen, die sich unter dem Schutz des Art. 5 in [X.] in legaler Weise politisch betätigen, regelmäßig den Tatbestand des § 99 Abs. 1 StGB erfüllt, denn sie sind dazu geeignet, bei den Betroffenen Angst vor Repressionen auszulösen und so den ihnen zustehen-den Freiraum für politisches und gesellschaftliches Engagement einzuengen. [X.]ies läuft den Interessen der [X.] zuwider, die gehal-ten ist, den hier unter dem Schutz des Grundgesetzes lebenden und sich betä-tigenden Ausländern diesen Schutz auch zu gewähren
([X.], Beschluss vom 20. Januar 2015 -
3 [X.], [X.]St 60, 158, 160). Entsprechendes
gilt für die vergleichbaren Verfassungsgrundsätzen verpflichteten NATO-Vertragsst[X.]ten [X.] und [X.]. § 1 Abs. 1 Nr. 4 [X.] setzt auch nicht voraus, dass sich die -
im Inland ausgeübte -
Agententätigkeit auf hier stationierte Truppen oder deren Einrichtungen bezieht (vgl. [X.], [X.] vom 11. Mai 2012 -
AK 10 und 11/12). Schließlich spricht alles dafür, dass die "[X.] ([X.])" nicht als terroristische Vereinigung einzustufen ist (vgl. zur Ausforschung von Mitgliedern und [X.] einer solchen Vereinigung [X.], Beschluss vom 20. Januar 2015
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3 [X.], [X.]St 60, 158).

[X.]a bereits dies die Fortdauer der Untersuchungshaft trägt, lässt der
Senat offen, ob -
wie der Haftbefehl und die Anklageschrift annehmen -

§ 99 Abs.
1 StGB auch Fallgestaltungen erfasst, in denen sich die Tathandlung gegen einen anderen Mitgliedst[X.]t der [X.] richtet (vgl. [X.], Beschluss vom 11. Mai 2012 -
AK 10 und 11/12; hier: [X.], [X.], [X.]äne-mark, [X.] und [X.]). [X.]er in der Anklage erhobene Vorwurf, die Tat habe sich auch auf Oppositionelle in weiteren NATO-Stationierungsst[X.]ten ([X.] und [X.]) bezogen, ist nicht Gegenstand des Haftbefehls.
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2. Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). [X.]er Angeschuldigte hat wegen des ihm vorgeworfenen Tatgeschehens mit nicht unerheblichem Freiheitsentzug zu
rechnen. Tragfähige [X.] Bindungen an die [X.], die den hiervon ausgehenden Fluchtanrei-zen verlässlich entgegenwirken könnten, werden auch aus seinen eigenen An-gaben bei der polizeilichen Vernehmung am 28. Oktober 2015 und vor dem
Ermittlungsrichter des [X.] am 29. Oktober 2015 nicht ersicht-lich. [X.]er ledige und kinderlose Angeschuldigte geht in [X.] keiner [X.] nach. Über nennenswertes Vermögen verfügt er lediglich in Form von Bankguthaben im [X.]. Familiäre Kontakte unterhält er lediglich zu seinen ebenso wie seine Verlobte im [X.] lebenden Eltern und Geschwistern. Hinzu kommt, dass der Angeschuldigte bei der Verwirklichung etwaiger Fluchtpläne mit der Unterstützung aus Kreisen des [X.] Geheimdienstes rechnen könnte, der ihn -
wie oben ausgeführt -
bereits 2014 verdeckt in den [X.] und zurück nach [X.] geschleust hatte und der an einem öffentlichen Straf-verfahren gegen einen ehemaligen Mitarbeiter kein Interesse haben kann.

[X.]anach ist der Zweck der Untersuchungshaft auch nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen als deren Vollzug zu erreichen (§ 116 Abs. 1 StPO).

3. [X.]ie besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Unter-suchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. [X.]ie besondere Schwierigkeit und der Umfang des Verfahrens haben ein Urteil bis-lang noch nicht zugelassen.

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[X.]er Abschluss der Ermittlungen erforderte zunächst die Auswertung der Ergebnisse aus 19 Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung, insbe-sondere des an insgesamt 250 Tagen vornehmlich in [X.] geführten Chatver-kehrs des Angeschuldigten und des Mitangeschuldigten R.

mit

[X.].

und mit

M.

. Allein die Überwachung der [X.] der beiden Angeschuldigten führte zur Aufzeichnung von 8.500 Telefonverbindun-gen und 2.500 [X.]. [X.]ie unter dem 18. März 2016 erstellte Anklageschrift des [X.]s ist am 22. März 2016 beim St[X.]tsschutzsenat des [X.] eingegangen. [X.]essen Vorsitzender
hat am 23. März 2016 die Zustellung verfügt und eine Erklärungsfrist von vier Wochen bestimmt. [X.]ie gleichzeitig veranlasste Übersetzung der Anklageschrift in die [X.] wurde dem Angeschuldigten am 19. April 2016 übersandt. Für den Fall der Eröffnung des Hauptverfahrens ist ein Beginn der Hauptverhandlung am 2. Juni 2016 in Aussicht genommen.

[X.]as Verfahren ist danach mit der in Haftsachen gebotenen Beschleuni-gung geführt worden.

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4. [X.]er weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht auch nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Falle einer Verurteilung zu [X.] Strafe.

[X.] Tiemann

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Meta

AK 25/16

18.05.2016

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: False

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 18.05.2016, Az. AK 25/16 (REWIS RS 2016, 11218)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 11218

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