Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 27.09.2017, Az. 2 BvR 1691/17

2. Senat 1. Kammer | REWIS RS 2017, 4653

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nachträgliche Auferlegung einer Missbrauchsgebühr - hier: unrichtige Angaben über Inhalt einer im fachgerichtlichen Verfahren als Beweismittel entscheidungserheblichen Polizeivideoaufzeichnung über unfriedlichen Verlauf einer Demonstration im Umfeld des G20-Gipfels


Tenor

Der Bevollmächtigten des Beschwerdeführers wird eine Missbrauchsgebühr in Höhe von 600 Euro (in Worten: sechshundert Euro) auferlegt.

Gründe

1

1. Im Zusammenhang mit den Ausschreitungen anlässlich des "[X.]" in [X.] hat das zuständige Amtsgericht mit Haftbefehl vom 8. Juli 2017 gegen den Beschwerdeführer die Untersuchungshaft wegen des dringenden Tatverdachts des mittäterschaftlich begangenen Landfriedensbruchs angeordnet. Die mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundene Verfassungsbeschwerde, die sich gegen diesen Haftbefehl und die daraufhin im Beschwerdeverfahren ergangenen Entscheidungen des Landgerichts [X.] und des [X.] gerichtet hat, hat die Bevollmächtigte des Beschwerdeführers im Wesentlichen damit begründet, das [X.] sei zu Unrecht davon ausgegangen, Polizeibeamte seien aus dem "schwarzen Block" "massiv und gezielt mit Steinen, Glasflaschen, Böllern, Pyrotechnik und '[X.]' beworfen [worden], um die Polizeikette zu 'sprengen' und den Weg in die [X.] ungehindert fortsetzen zu können". Diese Behauptung sei falsch; auf vorhandenem Videomaterial, das das [X.] zum Nachteil des Beschwerdeführers nicht berücksichtigt habe, seien "lediglich" Würfe aus der Menschenmenge mit "[X.]" zu sehen. Zur behaupteten Grundrechtsverletzung hat die Verfassungsbeschwerde vorgetragen:

Im vorliegenden Fall liegt eine schwer wiegende Grundrechtsverletzung vor. Trotz einer in Bezug auf den Beschwerdeführer inhaltsleeren Akte, trotz eines vorhandenen [X.], das zeigt, dass von wenigen Personen im Demonstrationszug [X.] und zwei Böller, aber keine Steine und Flaschen geworfen worden sind, hat die Staatsanwaltschaft das wesentliche Beweismittel "Video" nicht zeitnah vorgelegt. Der Mangel an Tatsachen hat bei den Gerichten zu immer tolleren Phantasien darüber geführt, was der Beschwerdeführer vor und während der Demonstration gemacht haben könnte. Den Abgleich dieser Phantasien mit real vorhandenen Beweismitteln haben die befassten Gerichte unterlassen. Ihre Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG.

2

2. Das [X.] hat mit Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 23. August 2017 die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, da sie den aus §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 [X.] folgenden Substantiierungsanforderungen nicht genügt hat. Nach dieser Entscheidung ist der Kammer das polizeiliche Video, auf das die Verfassungsbeschwerde vielfach Bezug genommen, das sie aber nicht vorgelegt hat, bekannt geworden. Dieses Video (Gesamtlänge 12:28 Minuten) lässt deutlich erkennen, dass aus der schwarz gekleideten Menschenmenge auch mehrere Steine in Richtung der eingesetzten Polizeibeamten geworfen worden sind und keineswegs nur, wie die Verfassungsbeschwerde behauptet hat, "[X.] und zwei Böller". Der Vortrag der Bevollmächtigten zum Inhalt des [X.], mit dem zugleich der Eindruck erweckt wird, das Video in Augenschein genommen zu haben, erweist sich mithin in einem wesentlichen Aspekt als unrichtig.

3

3. Nach § 34 Abs. 2 [X.] kann das [X.] eine Gebühr bis zu 2.600 Euro auferlegen, wenn die Einlegung der Verfassungsbeschwerde einen Missbrauch darstellt. Das [X.] muss es nicht hinnehmen, an der Erfüllung seiner Aufgaben durch erkennbar substanzlose Verfassungsbeschwerden gehindert zu werden, mit der Folge, dass anderen Bürgern der ihnen zukommende Grundrechtsschutz nur verzögert gewährt werden kann (vgl. [X.], 219 <219>; 10, 94 <97>).

4

a) Eine [X.] kann etwa dann verhängt werden, wenn die Verfassungsbeschwerde den Versuch unternimmt, dem [X.] die Kenntnis von für die Entscheidung offensichtlich bedeutsamen Tatsachen vorzuenthalten (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 15. Februar 2017 - 2 BvR 2190/16 -, juris, Rn. 8 m.w.N.), oder wenn gegenüber dem [X.] falsche Angaben über entscheidungserhebliche Umstände gemacht werden (vgl. [X.]K 14, 468 <470 f.> m.w.N.). Dabei genügt es, wenn die Falschangabe unter grobem Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten erfolgt, ein vorsätzliches Verhalten oder gar eine absichtliche Täuschung ist nicht erforderlich ([X.]K 14, 468 <471> m.w.N.).

5

b) Angesichts der gegebenen Sachlage hält die Kammer die Auferlegung einer [X.] in Höhe von 600 Euro für angemessen, aber auch erforderlich, um die Bevollmächtigte des Beschwerdeführers nachdrücklich zur sorgfältigen Prüfung der Richtigkeit ihres Beschwerdevortrags anzuhalten. Die [X.] kann dem Bevollmächtigten des Beschwerdeführers auferlegt werden, wenn die Missbräuchlichkeit diesem zuzurechnen ist (vgl. [X.], 219 <220>; 14, 468 <471>). Dies ist hier der Fall.

6

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (vgl. [X.]E 133, 163 <167 Rn. 10>).

Meta

2 BvR 1691/17

27.09.2017

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 1. Kammer

Kammerbeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, 4. August 2017, Az: 1 Ws 73/17, Beschluss

§ 32 Abs 1 BVerfGG, § 34 Abs 2 BVerfGG

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 27.09.2017, Az. 2 BvR 1691/17 (REWIS RS 2017, 4653)

Papier­fundstellen: NJW 2017, 3364 REWIS RS 2017, 4653

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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