Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 22.06.2012, Az. 8 BN 1/12

8. Senat | REWIS RS 2012, 5333

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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

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Gegenstand

Anforderungen an die Verlautbarungsfunktion


Gründe

1

Der 1961 geborene Antragsteller ist als angestellter Rechtsanwalt Mitglied des Antragsgegners. Er wendet sich gegen die in der Satzung des Antragsgegners mit Wirkung vom 1. Januar 2010 enthaltene stufenweise Erhöhung des Renteneintrittsalters. Danach wird die Altersgrenze, mit der der Anspruch auf ungekürzte lebenslange Altersrente entsteht, für die ab dem 1. Januar 1949 Geborenen pro Jahrgang in 1-Monatsschritten von 65 Jahren auf 67 Jahre angehoben. Das Oberverwaltungsgericht lehnte den Normenkontrollantrag, mit dem der Antragsteller die Unwirksamerklärung der geänderten Fassung des § 10 Abs. 1 der Satzung des Antragsgegners vom 10. Oktober 2011 begehrte, ab.

2

Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen [X.]edeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und des Verfahrensfehlers (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte [X.]eschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg.

3

1. Grundsätzliche [X.]edeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die bislang höchstrichterlich nicht oder nicht hinlänglich geklärt ist und die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf (st[X.]pr; vgl. z.[X.]. [X.]eschlüsse vom 17. August 2009 - [X.]VerwG 6 [X.] - NVwZ 2009, 1569 = [X.] Hochschulrecht Nr. 166 und vom 9. September 2011 - [X.]VerwG 8 [X.] 15.11 - [X.] 2011, 226). Daran fehlt es hier.

4

Die vom Antragsteller aufgeworfene Frage,

ob es mit dem sich aus dem verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsgrundsatz nach Art. 20 Abs. 3 GG ergebenden Gebot des zumutbaren und transparenten Zugangs zu den Rechtsquellen vereinbar ist anzunehmen, dass durch eine über längeren Zeitraum praktizierte [X.] eine ungeschriebene normative Anpassung der [X.] herbeigeführt werden kann,

bezeichnet keine die Auslegung revisiblen Verfassungsrechts betreffende Rechtsfrage, sondern will die konkrete Subsumtion des [X.] am verfassungsrechtlichen Maßstab überprüfen lassen. Welche Anforderungen das bundesverfassungsrechtliche Rechtsstaatsprinzip an die Verkündung von Rechtsnormen stellt, ist in der Rechtsprechung des [X.] und des [X.] geklärt. Danach enthält das Rechtsstaatsprinzip keine in allen Einzelheiten eindeutig bestimmten Gebote und Verbote. Es bedarf der Konkretisierung je nach den sachlichen Gegebenheiten; dabei müssen allerdings fundamentale Elemente des Rechtsstaates und die Rechtsstaatlichkeit im Ganzen gewahrt bleiben ([X.], [X.]eschluss vom 22. November 1983 - 2 [X.]vL 25/81 - [X.]E 65, 283 <290> m.w.N.). Grundsätzlich ist es Sache des Gesetzgebers, dem Rechtsstaatsprinzip bei der Normsetzung Rechnung zu tragen. Erst wenn sich bei [X.]erücksichtigung aller Umstände - und nicht zuletzt der im Rechtsstaatsprinzip selbst angelegten Gegenläufigkeit - unzweideutig ergibt, dass rechtsstaatlich unverzichtbare Erfordernisse nicht mehr gewahrt sind, kann eine Regelung als rechtsstaatswidrig beanstandet werden ([X.], [X.]eschluss vom 22. November 1983 a.a.[X.]).

5

Das Rechtsstaatsprinzip gebietet, dass förmlich gesetzte Rechtsnormen verkündet werden. Verkündung bedeutet regelmäßig, die Rechtsnormen der Öffentlichkeit in einer Weise förmlich zugänglich zu machen, dass die [X.]etroffenen sich verlässlich Kenntnis von ihrem Inhalt verschaffen können. Diese Möglichkeit darf nicht in unzumutbarer Weise erschwert sein. Konkrete weitere Gebote für die Ausgestaltung des [X.] im Einzelnen ergeben sich aus dem Rechtsstaatsprinzip unmittelbar nicht. Es obliegt vielmehr dem zuständigen Normgeber, das Verkündungsverfahren so auszugestalten, dass es seine rechtsstaatliche Funktion erfüllt, der Öffentlichkeit die verlässliche Kenntnisnahme vom geltenden Recht zu ermöglichen ([X.], [X.]eschluss vom 22. November 1983 a.a.[X.]; [X.]VerwG, Urteil vom 11. Oktober 2006 - [X.]VerwG 10 CN 2.05 - [X.]VerwGE 126, 388 <392> Rn. 17 = [X.] 11 Art. 20 GG Nr. 185). Die Aufgabe der Konkretisierung obliegt dem [X.]gesetzgeber, soweit die Regelung eines Normsetzungsverfahrens - wie hier - in seine Zuständigkeit fällt. Insoweit bleibt es grundsätzlich dem Gericht des [X.] vorbehalten, Streitigkeiten über den Inhalt der konkretisierenden landesrechtlichen [X.]estimmungen durch deren Auslegung verbindlich zu entscheiden (vgl. [X.]eschluss vom 11. September 2003 - [X.]VerwG 4 CN 3.03 - DV[X.]l 2004, 379 f.; Urteil vom 11. Oktober 2006 - [X.]VerwG 10 CN 2.05 - a.a.[X.] m.w.N.). Die Auslegung der [X.] des § 35 der Satzung des Antragsgegners durch das Oberverwaltungsgericht unterliegt somit nicht revisionsgerichtlicher Überprüfung.

6

Allerdings folgen aus dem Rechtsstaatsprinzip Mindestanforderungen, denen eine [X.]ekanntmachung unabhängig von ihrer gesetzlichen Konkretisierung genügen muss (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 22. November 1983 a.a.[X.] S. 290; [X.]VerwG, Urteil vom 11. Oktober 2006 a.a.[X.] m.w.N.). Dazu gehört als zwingendes [X.] die Möglichkeit einer verlässlichen Kenntnisnahme vom geltenden Recht (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 22. November 1983 a.a.[X.]; [X.]VerwG, Urteil vom 11. Oktober 2006 a.a.[X.] Rn. 18 m.w.N.). Um der Verlautbarungsfunktion, die der [X.]ekanntmachung als letztem Akt des Rechtsetzungsverfahrens zukommt, gerecht zu werden, muss die [X.]ekanntmachung einerseits zum Ausdruck bringen, dass Gegenstand der Publikation eine Rechtsnorm ist, und andererseits muss sie im Gegensatz zu einer bloß nachrichtlichen Information als amtliche Verlautbarung im Sinne eines zum Rechtsetzungsverfahren gehörigen Formalakts erkennbar sein. Weitergehende Anforderungen lassen sich aus der Funktion der Rechtsnormverkündung, den [X.]ürgern ohne Schwierigkeit die Kenntnisnahme vom Erlass der Rechtsnorm zu ermöglichen, nicht ableiten (Urteil vom 11. Oktober 2006 a.a.[X.] Rn. 19 m.w.N.). Diese Voraussetzung ist bei der [X.] der Satzungsänderung im Staatsanzeiger ersichtlich gegeben, da es die Aufgabe des [X.] ist, amtliche Verlautbarungen bekannt zu machen.

7

Auch die Forderung des Rechtsstaatsprinzips, dass bestehende Vorschriften über [X.]ekanntmachungsformen eingehalten werden müssen (vgl. Urteil vom 11. Oktober 2006 a.a.[X.] Rn. 20), ist gewahrt, da nach der nichtrevisiblen Auslegung des [X.]rechts durch das Oberverwaltungsgericht § 35 der Satzung des Antragsgegners sich nicht auf die [X.]ekanntgabe von Satzungen und Satzungsänderungen, sondern lediglich auf sonstige [X.]ekanntmachungen bezieht und es damit für die [X.]ekanntmachung von Satzungsänderungen bei der Regelung des § 4 des [X.] verbleibt, der eine [X.] im Staatsanzeiger für Rheinland-Pfalz vorschreibt.

8

Den vom Antragsteller in diesem Zusammenhang in [X.]ezug genommenen Art. 6 und Art. 10 [X.] sowie der [X.] lassen sich weitergehende Anforderungen nicht entnehmen.

9

2. Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

a) Die Rüge des Antragstellers, das Oberverwaltungsgericht habe die Garantie des gesetzlichen Richters verletzt, weil es kein Vorabentscheidungsverfahren beim [X.] durchgeführt habe, greift nicht durch. Zwar kann in einem Verstoß gegen die durch Art. 267 AEUV begründete Pflicht zur Vorlage einer Frage über die Auslegung der Verträge oder über die Gültigkeit und die Auslegung von Rechtsakten der Stellen der [X.] eine Verletzung der Garantie des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) liegen (st[X.]pr; vgl. [X.], [X.]eschluss vom 31. Mai 1990 - 2 [X.]vL 12/88 u.a. - [X.]E 82, 159 <192 ff.>; Kammerbeschluss vom 24. Oktober 2011 - 1 [X.]vR 1103/11 - NVwZ 2012, 297). Eine Pflicht zur Vorlage bestand für das Oberverwaltungsgericht jedoch nicht. Eine solche hätte nur bestanden, wenn es die Gültigkeit eines Rechtsakts der Stellen der [X.] in Zweifel gezogen hätte ([X.], Urteil vom 22. Oktober 1987 - [X.]. [X.], Foto [X.] - Slg. 1987, 4199 = NJW 1988, 1451); das ist nicht ersichtlich und wird vom Antragsteller auch nicht behauptet. [X.]ei Fragen zur Auslegung des sekundären Gemeinschaftsrechts sind hingegen nur einzelstaatliche Gerichte, deren Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, zur Anrufung des [X.]s verpflichtet. Das Oberverwaltungsgericht hat jedoch nicht in diesem Sinne als letztinstanzliches Gericht entschieden.

Im Übrigen wäre das Oberverwaltungsgericht auch als letztinstanzliches Gericht nicht zur Anrufung des [X.]s verpflichtet gewesen. Es unterliegt keinem vernünftigen Zweifel, dass die vom Antragsteller angegriffene Regelung keine nach der Richtlinie 2000/78/[X.] für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in [X.]eschäftigung und [X.]eruf vom 27. November 2000 ([X.] Nr. L 303 S. 16) verbotene Altersdiskriminierung darstellt. Die Richtlinie ist für das Versorgungswerk des Antragsgegners nicht einschlägig, weil dieses ein staatliches System der [X.] Sicherheit ist, auf die die Richtlinie nach ihrem Art. 3 Abs. 3, präzisiert durch den Erwägungsgrund 13, nicht anwendbar ist. Danach findet die Richtlinie keine Anwendung auf Sozialversicherungs- und Sozialschutzsysteme, deren Leistungen nicht einem Arbeitsentgelt in dem Sinne gleichgestellt werden, der diesem [X.]egriff für die Anwendung des Art. 141 des [X.] (jetzt Art. 157 AEUV) gegeben wurde. Die [X.]eiträge des Versorgungswerks werden ausschließlich von den Mitgliedern erbracht; Arbeitgeberbeiträge sind nicht vorgesehen. Deshalb sind die Leistungen des Versorgungswerks kein nachgezogenes Entgelt für die Arbeit (vgl. zum ärztlichen Versorgungswerk Urteil vom 25. Juli 2007 - [X.]VerwG 6 C 27.06 - [X.]VerwGE 129, 129 Rn. 38, 42 = [X.] 430.4 [X.] Nr. 48).

Selbst wenn die Richtlinie anwendbar wäre, führte das nicht zu einer Vorlagepflicht. Gemäß Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass bei den betrieblichen Systemen der [X.] Sicherheit die Festsetzung von Altersgrenzen als Voraussetzung für den [X.]ezug von Altersrente die Verwendung von Alterskriterien für versicherungsmathematische [X.]erechnungen keine Diskriminierung wegen des Alters darstellt, solange dies nicht zu Diskriminierungen wegen des Geschlechts führt. Letzteres ist hier ausgeschlossen, da die Verschiebung der Altersgrenze geschlechtsunabhängig erfolgt. Der Antragsteller wendet sich auch nicht gegen die Altersgrenze als solche, sondern nur gegen die Verschiebung und stufenweise Anpassung von 65 auf 67 Jahre. Dass dieser die Richtlinie 2000/78/[X.] nicht entgegensteht, unterliegt keinem vernünftigen Zweifel, der die vom Antragsteller geforderte Vorlage an den [X.] gebieten könnte.

b) Dass das Oberverwaltungsgericht schon vor Ablauf der [X.] über die ([X.] entschieden hat, begründet keinen Verfahrensfehler, der nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zur Zulassung der Revision führen könnte. Das angefochtene Urteil kann hierauf nicht beruhen (vgl. [X.]eschluss vom 17. März 1994 - [X.]VerwG 3 [X.] 12.94 - [X.] 316 § 26 VwVfG Nr. 1). Im Übrigen hat das Oberverwaltungsgericht nicht gegen Verfahrensrecht verstoßen. Es hat zwar den Ablauf der [X.] nicht abgewartet. Hierzu bestand aber kein Anlass, nachdem die [X.]eschwerdebegründung bereits eingegangen war und nichts darauf hindeutete, dass diese nicht abschließend sein sollte, vielmehr eine Ergänzung beabsichtigt gewesen wäre.

3. Soweit sich der Antragsteller darüber hinaus mit seiner [X.]eschwerde weitgehend in Form einer [X.]erufungsbegründung gegen die Richtigkeit des Urteils des [X.] wendet, kann dies ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision führen.

Von einer weiteren Darlegung der Gründe wird gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO abgesehen.

Meta

8 BN 1/12

22.06.2012

Bundesverwaltungsgericht 8. Senat

Beschluss

Sachgebiet: BN

vorgehend Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, 14. Dezember 2011, Az: 6 C 11098/11, Urteil

Art 20 Abs 3 GG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 22.06.2012, Az. 8 BN 1/12 (REWIS RS 2012, 5333)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 5333

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1 BvR 1103/11

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