Bundespatentgericht, Urteil vom 12.05.2010, Az. 4 Ni 21/09 (EU)

4. Senat | REWIS RS 2010, 6717

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Gegenstand

Patentnichtigkeitsklageverfahren – "Fahrzeugsteuer" – zur Unzulässigkeit einer gegen ein europäisches Patent gerichteten Nichtigkeitsklage: europäisches Einspruchsverfahren noch nicht abgeschlossen – Nichtigkeit wird auf nachveröffentlichte nationale Anmeldung gestützt, die mit angegriffenem europäischem Patent nicht identisch ist – keine Aussetzung des Verfahrens


Leitsatz

Fahrzeugsteuer

Eine gegen ein europäisches Patent gerichtete Nichtigkeitsklage ist vor Abschluss des europäischen Einspruchsverfahrens entsprechend § 81 Abs. 2 Satz 1 PatG auch dann unzulässig, wenn sie auf eine i. S. d. § 3 Abs. 2 Nr. 1 PatG nachveröffentlichte nationale Anmeldung gestützt wird, die im europäischen Einspruchsverfahren nicht zu berücksichtigen ist, sofern die ältere nationale Anmeldung und die dem angegriffenen Patent zu Grunde liegende Anmeldung nicht identisch sind (Abgrenzung zu BPatGE 45, 190 - Schlauchbeutel).

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das europäische Patent 0 824 731

hat der 4. Senat (Nichtigkeitssenat) des [X.] auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 12. Mai 2010 durch…

für Recht erkannt:

[X.] Die Klage wird abgewiesen.

I[X.] Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

II[X.] [X.] ist im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Beklagte ist im Register eingetragene Inhaberin des auch mit Wirkung für die [X.] erteilten [X.] Patents 0 824 731 (Streitpatent), das am 22. April 1996 unter Inanspruchnahme einer [X.] vom 9. Mai 1995 angemeldet wurde und in [X.] ist. Das Patent betrifft ein Verfahren und Gerät zum Bestimmen der Fahrzeugsteuer und umfasst 25 Ansprüche, von denen die Ansprüche 9, 11, 12 und 16 angegriffen sind. Wegen des Wortlauts dieser Ansprüche wird auf die [X.] verwiesen.

2

Die Erteilung des [X.] wurde am 15. November 2006 veröffentlicht. Gegen das Patent wurden mehrere Einsprüche eingelegt; die Klägerin, die von der Beklagten vor dem [X.] wegen behaupteter Verletzung der Ansprüche 9, 11, 12 und 16 des [X.] verklagt wurde, ist dem Einspruchsverfahren beigetreten. Das Einspruchsverfahren ist in erster Instanz vor dem [X.] anhängig.

3

Die Klägerin macht geltend, der Gegenstand der angegriffenen Patentansprüche sei nicht patentfähig, nämlich nicht neu gegenüber dem Gegenstand der [X.] [X.] DE 44 27 392 A1. Anmeldetag der dieser [X.] zu Grunde liegenden Patentanmeldung ist der 3. August 1994, [X.] ist der 8. Februar 1996.

4

Die Klägerin ist der Ansicht, die Nichtigkeitsklage sei trotz des anhängigen [X.] zulässig, weil die vorgenannte [X.], auf die sie den [X.] der fehlenden Neuheit stützt, im [X.] Verfahren kein relevanter Stand der Technik gem. Art. 54 Abs. 3 EPÜ sei und folglich im Einspruchsverfahren vor dem [X.] nicht herangezogen werden könne. Die Nichtigkeitsklage könne deshalb trotz des laufenden [X.] ungeachtet der Vorschrift des § 81 Abs. 2 S. 1 [X.] zulässig erhoben werden. Die Klägerin beruft sich insoweit auf die Entscheidung "Schlauchbeutel" des [X.] (GRUR 2002, 1045 f.).

5

Hilfsweise komme die Aussetzung des [X.] bis zum Abschluss des [X.] [X.] in Betracht, wie dies der [X.] in seiner Entscheidung "Strahlungssteuerung" ([X.], 967 ff.) angeregt habe.

6

Die Klägerin beantragt,

7

das [X.] Patent 0 824 731 mit Wirkung für [X.] im Umfang der Ansprüche 9, 11, 12 und 16 für nichtig zu erklären,

8

hilfsweise, das Verfahren bis zum Abschluss des [X.] [X.] auszusetzen.

9

Die Beklagte beantragt,

 die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass die Klage wegen des derzeit anhängigen [X.] unzulässig sei, und trägt vor, es werde voraussichtlich noch mehrere Jahre dauern, bis das Einspruchsverfahren abgeschlossen sei. Ausnahmen vom in § 81 Abs. 2 S. 1 [X.] normierten Subsidiaritätsprinzip seien nach dem Gesetz nicht vorgesehen; darüber hinaus könne auch eine Auslegung dieser Vorschrift nach Sinn und Zweck nicht zur Zulässigkeit der vorliegenden Nichtigkeitsklage führen. Denn die Subsidiarität des [X.] gegenüber dem Einspruchsverfahren solle sich widersprechende Entscheidungen vermeiden. Es sei noch nicht bekannt, ob und mit welchem Inhalt das Streitpatent im Einspruchsverfahren aufrecht erhalten bleibe; die Durchführung eines [X.] in einer solchen Schwebesituation solle gerade vermieden werden. Dies habe das [X.] auch in seiner Entscheidung "[X.]" ([X.], 261 ff.) bestätigt. Die von der Klägerin zitierte Entscheidung "Schlauchbeutel" des [X.] (a. a. O.) betreffe einen hier nicht gegebenen Sonderfall.

Entscheidungsgründe

[X.] war abzuweisen, weil sie wegen des anhängigen [X.] [X.] gemäß § 81 Abs. 2 S. 1 [X.] derzeit unzulässig ist.

1. Nach § 81 Abs. 2 S. 1 [X.] kann Nichtigkeitsklage nicht erhoben werden, solange ein Einspruchsverfahren anhängig ist. Das Streitpatent ist Gegenstand eines derzeit vor dem [X.] anhängigen [X.].

[X.] [X.] ist grundsätzlich auf das [X.] Einspruchsverfahren anzuwenden, vgl. [X.], 967 f. - Strahlungssteuerung. Abgesehen davon, dass § 81 Abs. 2 S. 1 [X.] nicht zwischen Einspruchsverfahren vor dem [X.] und dem [X.] differenziert, ist auch die Interessenlage dieselbe: es sollen einander widersprechende Entscheidungen vermieden werden. Vor Abschluss des [X.] - gleich ob dieses vor dem [X.] oder vor dem [X.] geführt wird - steht nicht fest, mit welchem Inhalt das Patent letztlich Bestand haben wird. Es ist insbesondere nicht auszuschließen, dass ein Patent im Einspruchsverfahren einen Inhalt erhält, dem der in einem parallelen [X.] geltend gemachte Stand der Technik nicht entgegensteht, obwohl er in einem vor Abschluss des [X.] durchgeführten [X.] zur Nichtigerklärung des Patents in seiner ursprünglich erteilten Fassung führen könnte ([X.] - [X.]). Dies gilt auch im vorliegenden Verfahren: erst nach Abschluss des [X.] [X.] wird feststehen, welchen Inhalt die angegriffenen Ansprüche des Streitpatents haben werden und ob ihnen dann die [X.] 27 392 [X.] neuheitsschädlich entgegen steht.

Es kann dahinstehen, ob in Ausnahmefällen ein Abweichen von § 81 Abs. 2 S. 1 [X.] zugelassen werden kann (vgl. hierzu [X.], [X.], 10. Auflage, RdNr. 21 zu § 81 [X.], m. w. N.; [X.], Patentnichtigkeitsverfahren 3. Auflage, RdNr. 64). Abweichend von § 81 Abs. 2 S. 1 [X.] hat das [X.] in der von der Klägerin zitierten Entscheidung "Schlauchbeutel" ([X.], 1045 f.) die Nichtigkeitsklage trotz vor dem [X.] anhängigen [X.] in einem Fall für zulässig erachtet, in dem die Nichtigkeit - wie vorliegend - mit einer neuheitsschädlichen nachveröffentlichten nationalen Anmeldung begründet wurde, die im [X.] Einspruchsverfahren nicht als Stand der Technik geltend gemacht werden kann. Anders als im vorliegenden Fall waren jedoch zudem die jüngere [X.] und die ältere nationale Anmeldung identisch (B[X.] Schlauchbeutel, a. a. [X.]), so dass die dem angegriffenen [X.] Patent zugrunde liegende Anmeldung keinen im Vergleich zur älteren nationalen Anmeldung zusätzlichen Offenbarungsgehalt aufwies, mit dem ein angegriffener Anspruch hätte beschränkt werden können, ohne dass dieser Inhalt auch in der älteren nationalen Schrift neuheitsschädlich offenbart gewesen wäre. Mit anderen Worten: bei identischen Anmeldungen hat der Patentinhaber keine Möglichkeit, durch eine Beschränkung seines Patents mit zusätzlichen in der Patentschrift offenbarten Merkmalen die fehlende Neuheit gegenüber der identischen - und damit die identischen Merkmale offenbarenden - älteren Anmeldung zu "reparieren".

Unabhängig davon, ob man dieser Entscheidung folgt (sie wurde durchaus kontrovers diskutiert, vgl. [X.], a. a. [X.]), ist der ihr zugrunde liegende Sonderfall, dass die nachveröffentlichte, aber prioritätsältere nationale Anmeldung identisch mit der des Streitpatents ist, im vorliegenden [X.] nicht gegeben, denn ganz offensichtlich sind die Streitpatentschrift (bzw. die zugehörige Anmeldung) und die [X.] 27 392 [X.] nicht identisch, und auch der Offenbarungsgehalt des Streitpatents einerseits ist mit dem der [X.] 27 392 [X.] andererseits nicht identisch. Mithin hat es die [X.] in der Hand, ggf. das Patent im Einspruchsverfahren beschränkt zu verteidigen und sich hierbei - falls erforderlich - von der [X.] 27 392 [X.] abzugrenzen. Es steht somit heute noch nicht fest, welchen Inhalt das Streitpatent am Ende des [X.] haben wird. Dementsprechend ist auch nicht auszuschließen, dass die angegriffenen Patentansprüche im Einspruchsverfahren einen Inhalt erhalten, dem der nunmehr geltend gemachte Stand der Technik nicht entgegensteht, selbst wenn - was offen ist und worauf es vorliegend auch nicht ankommt - der Vortrag der Klägerin zutreffen sollte und die [X.] 27 392 [X.] die angegriffenen Ansprüche in ihrer erteilten Fassung vorweg nimmt. § 81 Abs. 2 S. 1 [X.] soll gerade ausschließen, dass in einer solchen Situation der Patentinhaber sein Patent oder Teile davon verliert.

Folge ist, dass die Nichtigkeitsklage als (derzeit) unzulässig abzuweisen war, weil die Zulässigkeitsvoraussetzung der Nichtanhängigkeit eines [X.] bei Schluss der mündlichen Verhandlung nicht vorgelegen hat.

2. Das Verfahren war auch nicht auszusetzen.

Ob eine Aussetzung des Verfahrens gem. § 99 Abs. 1 [X.] i. V. m. § 148 ZPO im Anwendungsbereich des § 81 Abs. 2 S. 1 [X.] überhaupt möglich ist, kann zweifelhaft sein. Denn man kann durchaus § 81 Abs. 2 [X.] als lex specialis gegenüber § 148 ZPO ansehen. So führt der [X.] in der Entscheidung "Strahlungssteuerung" (a. a. [X.], S. 967, 968) aus, dass § 81 Abs. 2 [X.] das [X.] gegenüber dem Einspruchsverfahren subsidiär ausgestaltet und eine Aussetzung des [X.]s bis zum Abschluss des [X.] kraft Gesetzes bewirkt, gleichzeitig parallele Verfahren über den Rechtsbestand eines Patents vermeidet und das [X.] von [X.] entlastet. Dagegen schließt [X.] (a. a. [X.]) eine Aussetzung nach § 148 ZPO bei unmittelbar bevorstehendem Abschluss des [X.] nicht grundsätzlich aus, sondern weist darauf hin, dass nicht geklärt sei, ob ein Zuwarten oder u. U. eine Aussetzung in einem solchen Fall möglich ist.

Vorliegend konnte letztendlich dahinstehen, ob eine Aussetzung nach § 148 ZPO in einem Patentnichtigkeitsverfahren bei noch anhängigem Einspruchsverfahren im Einzelfall - insbesondere unter den von [X.] angegebenen Voraussetzungen - möglich ist. Denn der Senat hält unter den Voraussetzungen des vorliegenden Falles eine Aussetzung jedenfalls nicht für geboten.

Die Anordnung einer Aussetzung nach § 148 ZPO ist eine Ermessensentscheidung. Der Senat hat bei seiner Entscheidung, von einer Aussetzung abzusehen, insbesondere die Wertung des Gesetzgebers berücksichtigt, nach der die gesetzlich vorgesehene Folge der Erhebung einer Nichtigkeitsklage während des noch laufenden [X.] die Unzulässigkeit dieser Klage ist; ferner, dass im Streitfall nicht in absehbarer Zeit und erst recht nicht unmittelbar bevorstehend mit der Beendigung des [X.] (einschließlich eines möglichen Beschwerdeverfahrens) zu rechnen ist.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 99 Abs. 1 [X.], § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO analog, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 [X.], § 709 S. 1 und 2 ZPO analog.

Meta

4 Ni 21/09 (EU)

12.05.2010

Bundespatentgericht 4. Senat

Urteil

Sachgebiet: Ni

§ 148 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Urteil vom 12.05.2010, Az. 4 Ni 21/09 (EU) (REWIS RS 2010, 6717)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 6717


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 4 Ni 21/09 (EU)

Bundespatentgericht, 4 Ni 21/09 (EU), 12.05.2010.


Az. X ZR 124/10

Bundesgerichtshof, X ZR 124/10, 19.04.2011.


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