Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 22.03.2018, Az. 1 BvR 399/18

1. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2018, 11741

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Nichtannahmebeschluss: Keine Verletzung des väterlichen Elternrechts (Art 6 Abs 2 GG) durch Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf die Mutter bei mangelnder Konsensfähigkeit der getrennt lebenden Eltern sowie Konformität der Sorgerechtsregelung mit dem Willen der betroffenen, 15 bzw 17 Jahren alten Jugendlichen


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge für seine beiden 15- beziehungsweise 17-jährigen Söhne.

2

1. a) Der Beschwerdeführer ist Vater zweier Söhne, die seit der Trennung ihrer Eltern im September 2014 bei der Mutter leben und jeglichen Kontakt mit ihrem Vater strikt ablehnen. Zwischen den Eltern waren diverse Verfahren anhängig.

3

b) Mit nicht angegriffenem Beschluss vom 23. Juni 2017 wies das Amtsgericht den Antrag der Mutter auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge für die beiden Kinder ab. Aufgrund der Anhörung der Eltern sei davon auszugehen, dass eine Kommunikation zwischen ihnen möglich sei. Die Eltern seien verpflichtet, sich im Interesse ihrer Kinder zu einigen.

4

c) Nach Anhörung der Eltern, der [X.], des [X.] und der beiden [X.] änderte das [X.] den Beschluss des Amtsgerichts mit angegriffenem Beschluss vom 21. Dezember 2017 dahingehend ab, dass es der Mutter die elterliche Sorge für beide Jungen - im Hinblick auf den jüngeren [X.] allerdings mit Ausnahme des Aufenthaltsbestimmungsrechts - allein übertrug. Dies entspreche dem Kindeswohl am besten (§ 1671 Abs. 1 Satz 2 BGB).

5

Unverzichtbare Voraussetzung für die Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge sei, dass zwischen den Eltern objektiv Kooperationsfähigkeit und subjektiv Kooperationsbereitschaft bestehe. Vorliegend finde zwischen den Eltern unstreitig seit mehr als einem Jahr überhaupt keine Kommunikation mehr statt. Eine Einigung über das [X.] habe nur unter fachlicher Anleitung in der mündlichen Verhandlung in der Scheidungssache erzielt werden können. Aufgrund des bisherigen [X.] und des Verhaltens der Eltern in der mündlichen Verhandlung sei nicht zu erwarten, dass sie in der näheren Zukunft in der Lage sein würden, ihren Konflikt beizulegen, zeitnah erforderliche Entscheidungen für ihre Kinder zu treffen und ihre Konflikte nicht auf dem Rücken ihrer Kinder auszutragen. Bei einer solchen Sachlage sei die erzwungene Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge dem Kindeswohl nicht zuträglich.

6

Obwohl Konsens bezüglich des Aufenthalts der Kinder bei der Mutter bestehe, müsse für den älteren [X.] auch das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf die Mutter übertragen werden. Denn er beabsichtige, noch während seiner Minderjährigkeit ein Studium aufzunehmen und den Wohnort zu wechseln. Wie er bei seiner Anhörung mitgeteilt habe, fürchte er - wie auch die [X.] - aufgrund des früheren Verhaltens des Beschwerdeführers, dass dieser einem Wechsel des Wohnortes nicht zustimmen werde.

7

2. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seines Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 GG.

8

Die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge und die Begründung des alleinigen Sorgerechts der Mutter (mit Ausnahme des Aufenthaltsbestimmungsrechts für den jüngeren [X.]) stellten einen unverhältnismäßigen Eingriff in sein Elternrecht und das Persönlichkeitsrecht der Kinder dar. Das [X.] habe den verfassungsrechtlichen Vorrang der gemeinsamen elterlichen Sorge vor der alleinigen Sorge mit entsprechenden Auswirkungen auf die Kindeswohlprüfung verkannt. Das [X.] habe ferner verkannt, dass allein das konkret festgestellte Kindeswohl maßgeblich für die Entscheidung über das Sorgerecht sei. Zur Begründung einer alleinigen Sorge reiche es nicht aus, dass die Eltern tief zerstritten seien, weil dies nichts über deren Unfähigkeit besage, in Angelegenheiten ihres Kindes zur gemeinsamen kindeswohlverträglichen Lösung zu gelangen. Das [X.] habe unter Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine unzulässige Vorratsentscheidung getroffen.

9

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Sie hat weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten angezeigt (§ 93a Abs. 2 [X.]). Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg, weil nicht erkennbar ist, dass der Beschwerdeführer durch ein verfassungswidriges Gesetz oder durch verfassungswidrige Rechtsanwendung in seinen Grundrechten verletzt sein könnte.

1. Die Entscheidung des [X.]s ist mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG vereinbar.

a) Der Schutz des Elternrechts nach Art. 6 Abs. 2 GG, der dem Vater wie der Mutter des Kindes gleichermaßen zukommt, erstreckt sich auf die wesentlichen Elemente des Sorgerechts (vgl. [X.] 84, 168 <180>; 107, 150 <173>). Für den Fall, dass die Voraussetzungen für eine gemeinsame Wahrnehmung der Sorge fehlen, bedarf das Elternrecht der gesetzlichen Ausgestaltung (vgl. [X.] 92, 158 <178 f.>; 107, 150 <169, 173>). Dabei hat der Staat aufgrund seines ihm durch Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG auferlegten [X.] sicherzustellen, dass sich die Wahrnehmung des Elternrechts am Kindeswohl ausrichtet (grundlegend [X.] 55, 171 <178 f.>; vgl. [X.] 127, 132 <146>; stRspr). Weil die gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung eine tragfähige [X.] Beziehung zwischen den Eltern voraussetzt und ein Mindestmaß an Übereinstimmung zwischen ihnen erfordert, darf der Gesetzgeber einem Elternteil die Hauptverantwortung für das Kind für den Fall zuordnen, dass die Voraussetzungen für eine gemeinsame Wahrnehmung der Elternverantwortung fehlen (vgl. [X.] 107, 150 <169>; 127, 132 <146 f.>). Die Gerichte setzen dies im Einzelfall unter Berücksichtigung der widerstreitenden Grundrechte durch die konkrete Regelung des Sorgerechts um (zuletzt [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 7. Dezember 2017 - 1 BvR 1914/17 -, juris, Rn. 26 m.w.[X.]). Dabei ist es - entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers - von Verfassungs wegen nicht geboten, der gemeinsamen Sorge gegenüber der alleinigen Sorge einen Vorrang einzuräumen (vgl. [X.]K 2, 185<188>).

Die Aufhebung der gemeinsamen Sorge muss am Wohl des Kindes ausgerichtet sein (vgl. [X.] 55, 171 <179>). Die Übertragung der alleinigen Sorge auf einen Elternteil setzt keine Kindeswohlgefährdung voraus, wie sie nach ständiger Rechtsprechung bei einer Trennung des Kindes von seinen Eltern nach Art. 6 Abs. 3 GG bestehen muss (vgl. [X.] 136, 382 <391 Rn. 28> sowie zuletzt näher [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 7. Dezember 2017 - 1 BvR 1914/17 -, juris, Rn. 27 m.w.[X.]). Das Wohl des Kindes ist aber auch bei Aufhebung der gemeinsamen Sorge und der Übertragung des Sorgerechts auf nur einen Elternteil oberste Richtschnur. Das Kind ist als ein Wesen mit eigener Menschenwürde und dem eigenen Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit unter den besonderen Schutz des Staates gestellt. Jede gerichtliche Lösung eines Konflikts zwischen Eltern, die sich auf die Zukunft des Kindes auswirkt, muss daher das Kind in seiner Individualität als Grundrechtsträger berücksichtigen (grundlegend [X.] 55, 171 <179>; stRspr; zuletzt näher [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 7. Dezember 2017 - 1 BvR 1914/17 -, juris, Rn. 27 m.w.[X.]).

Sorgerechtsentscheidungen müssen danach den Willen des Kindes einbeziehen. Die Grundrechte des Kindes gebieten, bei der gerichtlichen Sorgerechtsregelung den Willen des Kindes zu berücksichtigen, soweit das mit seinem Wohl vereinbar ist (grundlegend [X.] 55, 171 <182>; vgl. zuletzt [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 7. Dezember 2017 - 1 BvR 1914/17 -, juris, Rn. 28 m.w.[X.]). Mit der Kundgabe seines Willens macht das Kind von seinem Recht zur Selbstbestimmung Gebrauch. Hat der Kindeswille bei einem Kleinkind noch eher geringes Gewicht, so kommt ihm im zunehmenden Alter des Kindes vermehrt Bedeutung zu. Nur wenn die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigem verantwortungsvollem Handeln berücksichtigt werden, kann das Ziel erreicht werden, das Kind darin zu unterstützen, zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu werden (vgl. zuletzt [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 7. Dezember 2017 - 1 BvR 1914/17 -, juris, Rn. 28 m.w.[X.]).

b) Wenn die Familiengerichte nach der Trennung der Eltern auf Antrag eines Elternteils über die künftige Wahrnehmung der elterlichen Sorge zu entscheiden haben, bleibt es in erster Linie ihnen vorbehalten, zu beurteilen, inwieweit die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf einen Elternteil dem Wohl des Kindes entsprechen. Die Aufgabe des [X.] beschränkt sich hier grundsätzlich darauf, zu prüfen, ob die Fachgerichte eine auf das Wohl des Kindes ausgerichtete Entscheidung getroffen und dabei die Tragweite der Grundrechte aller Beteiligten nicht grundlegend verkannt haben (vgl. [X.] 55, 171 <180 f.>; 72, 122 <138> sowie zuletzt [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 7. Dezember 2017 - 1 BvR 1914/17 -, juris, Rn. 29 m.w.[X.]; anderes bei der Überprüfung von Entscheidungen, die das Sorgerecht zum Zweck der Trennung des Kindes von den Eltern entziehen <Art. 6 Abs. 3 GG>; vgl. [X.] 72, 122 <138 f.>; 136, 382 <391 Rn. 28 f.> m.w.[X.]; stRspr).

2. Gemessen hieran ist ein Verfassungsverstoß nicht ersichtlich.

Das [X.] hat geprüft, ob zwischen den Eltern die notwendige Konsensfähigkeit besteht, diese jedoch - gestützt auf die eigenen Wahrnehmungen, die zuletzt getroffene Empfehlung der [X.] und die Angaben der beiden [X.] - aufgrund des bestehenden konfliktbehafteten Verhältnisses der Eltern und des unstreitigen Kommunikationsstillstandes zwischen ihnen seit mehr als einem Jahr vertretbar verneint. Da auch zwischen Vater und Söhnen keinerlei Kontakt mehr besteht, können gemeinsame Entscheidungen im Interesse der Jungen nur über Anwälte oder gar erst - wie im Hinblick auf die Kontoeröffnung des ältesten [X.]es und die ihm zu erteilende Erlaubnis, mit 17 Jahren den Führerschein zu erwerben - in gerichtlichen Verfahren herbeigeführt werden, was neues Konfliktpotential zwischen den Eltern schafft. Darüber hinaus hat das [X.] konkret ausgeführt, dass im Hinblick auf den ältesten [X.] die Entscheidung über die Aufnahme eines Studiums und des Wechsels seines Wohnortes anstehe.

Die angegriffene Entscheidung begegnet auch deshalb keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, weil sie dem Willen der Söhne entspricht, dem angesichts ihres fortgeschrittenen Alters von 15 beziehungsweise 17 Jahren vorliegend eine höhere Bedeutung zukommt. Beide Söhne haben sich gegenüber dem [X.] mit nachvollziehbaren Gründen gegen die Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge ausgesprochen.

3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 399/18

22.03.2018

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 2. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend OLG Karlsruhe, 21. Dezember 2017, Az: 20 UF 114/17, Beschluss

Art 6 Abs 2 S 1 GG, Art 6 Abs 2 S 2 GG, § 1671 Abs 1 S 2 Nr 2 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 22.03.2018, Az. 1 BvR 399/18 (REWIS RS 2018, 11741)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 11741

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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