Bundessozialgericht, Beschluss vom 29.09.2021, Az. B 9 SB 40/21 B

9. Senat | REWIS RS 2021, 2264

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensfehler - Schwerbehindertenrecht - Beurteilung einer Sprachentwicklungsstörung - keine persönliche Anhörung des behinderten Menschen vor Gericht - Amtsermittlungspflicht - Aufrechterhaltung eines ordnungsgemäßen Beweisantrags - Parteivernehmung kein zulässiges Beweismittel - Darlegungsanforderungen


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 18. Mai 2021 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. In dem der Beschwerde zugrundeliegenden Rechtsstreit wurde vor dem [X.] noch über die [X.]rage gestritten, ob aufgrund einer in der Kindheit erworbenen Taubheit/an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit mit Sprachstörungen bei dem Kläger ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 festzustellen war. Das [X.] hat die Beklagte hierzu verurteilt (Urteil vom 15.5.2020). Auf die Berufung der Beklagten hat das [X.] das Urteil des [X.] geändert und die Beklagte verurteilt, bei dem Kläger einen GdB von 80 sowie mehrere Merkzeichen zuzuerkennen (Urteil vom 18.5.2021).

2

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde beim B[X.] eingelegt, die er mit einer mangelhaften Sachaufklärung begründet hat.

3

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] ist unzulässig. Die Beschwerdebegründung genügt nicht der nach § 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G gebotenen [X.]orm. Der Kläger hat den von ihm geltend gemachten Zulassungsgrund nicht in der danach vorgeschriebenen Weise bezeichnet.

4

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 [X.] [X.]G vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für die Bezeichnung des [X.] (§ 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des [X.] ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 [X.] Halbsatz 2 [X.]G kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 [X.]G und auf eine Verletzung des § 103 [X.]G nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das [X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diese Darlegungsanforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.

5

Als Verfahrensmangel rügt der Kläger ausschließlich eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 [X.]G durch das [X.]. Weder in den Berichten der ihn behandelnden Logopädin noch im Gutachten des [X.] fänden sich Angaben zu der notwendigen medizinischen Beurteilung des Schweregrads der bei ihm vorliegenden Sprachentwicklungsstörung. Zudem habe es das [X.] versäumt, die weitere Entwicklung dieser Störung nach dem letzten Gutachten vom August 2019 aufzuklären. Die Einholung ergänzender Stellungnahmen der Logopädin, des Gutachters und der [X.] schule hätte ergeben, dass bei ihm eine schwere Störung des Spracherwerbs iS von Teil B [X.] 5.1 der Anlage 1 zu § 2 der [X.] vorgelegen habe und weiterhin vorliege. Zudem habe das [X.] nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, ihn persönlich anzuhören und sich so einen Eindruck von seiner Sprachstörung zu verschaffen.

6

Den Anforderungen an die Bezeichnung einer Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 [X.]G) genügt die Beschwerdebegründung des [X.] schon deshalb nicht, weil er entgegen § 160 Abs 2 [X.] Halbsatz 2 [X.]G keinen Beweisantrag benennt, dem das [X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Zwar erwähnt er das Anerbieten seiner Sorgeberechtigten, an der weiteren Sachaufklärung mitzuwirken, welches diese in einer persönlichen Stellungnahme vom [X.] abgegeben haben. Damit hat der Kläger jedoch nicht dargelegt, einen ordnungsgemäßen Beweisantrag iS des § 118 Abs 1 Satz 1 [X.]G und den danach anwendbaren Regelungen der ZPO gestellt zu haben, wie dies bei einem in der Berufungsinstanz rechtsanwaltlich vertretenen Beteiligten erforderlich ist. Ein solcher Antrag muss grundsätzlich in prozessordnungsgerechter Weise formuliert sein, sich regelmäßig auf ein Beweismittel der ZPO beziehen, das Beweisthema möglichst konkret angeben und insoweit wenigstens umreißen, was die Beweisaufnahme ergeben soll (B[X.] Beschluss vom [X.] - [X.] SB 31/20 B - juris Rd[X.] 6 mwN).

7

Schon dass ein solcher Beweisantrag im Berufungsverfahren gestellt worden ist, wird mit der Beschwerdebegründung nicht geltend gemacht. Allenfalls ist dem Hinweis auf das Anerbieten der Sorgeberechtigten eine Anregung zur weiteren Sachaufklärung, ggf durch persönliche Anhörung des [X.] zu entnehmen. Aber selbst wenn hiermit vorgetragen werden sollte, dass ein Beweisantrag gestellt worden sei, wäre dieser nicht auf ein zulässiges Beweismittel gerichtet gewesen. Denn im sozialgerichtlichen Verfahren kommt eine Parteivernehmung zulässigerweise weder auf Antrag noch von Amts wegen in Betracht (stRspr; vgl zB B[X.] Beschluss vom [X.] - [X.] V 63/20 B - juris Rd[X.] 7; B[X.] Beschluss vom 24.11.1990 - 1 BA 45/90 - [X.] 3-1500 § 160a [X.] 2 S 2 = juris Rd[X.]), da § 118 Abs 1 Satz 1 [X.]G nicht auf die §§ 445 ff ZPO verweist. In eng begrenzten Ausnahmefällen mag zwar eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht iS des § 103 [X.]G durch Verzicht auf eine solche Anhörung angenommen werden können. Dies hätte vom Kläger aber unter Beachtung der Darlegungserfordernisse einer ordnungsgemäßen Sachaufklärungsrüge (s hierzu allgemein B[X.] Beschluss vom 21.12.2017 - [X.] SB 70/17 B - juris Rd[X.]) vorgetragen werden müssen. In der Beschwerdebegründung wird nicht aufgezeigt, dass hier ein derartiger (Ausnahme-)Sachverhalt vorliegt.

8

Zudem kann ein - wie hier - vor dem [X.] rechtsanwaltlich vertretener Beteiligter nur dann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags gehört werden, wenn er diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten hat oder das Gericht den Beweisantrag in seiner Entscheidung wiedergibt (stRspr; vgl zB B[X.] Beschluss vom [X.] - [X.]a [X.]/06 B - [X.] 4-1500 § 160 [X.] 13 Rd[X.] 11 mwN). Wird ein Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung entschieden, tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt der Zustimmung zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 [X.]G (B[X.] Beschluss vom 20.2.2018 - [X.] LW 3/17 B - juris Rd[X.] 7; B[X.] Beschluss vom 1.9.1999 - [X.] V 42/99 B - [X.] 3-1500 § 124 [X.] S 4 f = juris Rd[X.] 5). Auch wenn mit dem Anerbieten der Sorgeberechtigten des [X.] nicht eine bloße Beweisanregung, sondern ein formgerechter Beweisantrag dargetan wäre, wird ein solches Aufrechterhalten vom Kläger mit der Beschwerdebegründung nicht einmal behauptet. Anders als hierzu erforderlich wird aus dieser nicht einmal erkennbar, wann die Zustimmung zu einer Entscheidung ohne (weitere) mündliche Verhandlung erteilt worden ist.

9

Soweit der Kläger vorträgt, das [X.] hätte ergänzende Stellungnahmen der Logopädin, des Gutachters und der [X.] schule einholen müssen, gelten die vorstehenden Ausführungen entsprechend. Auch hier hat er in seiner Beschwerdebegründung nicht aufgezeigt, dass er diesbezüglich ordnungsgemäße und bis zuletzt im Berufungsverfahren aufrechterhaltene Beweisanträge gestellt hat.

Ebenfalls nicht formgerecht begründet ist die Beschwerde, soweit der Kläger zumindest sinngemäß eine fehlerhafte Beweis- bzw Sachverhaltswürdigung durch das [X.] rügt, weil das Gutachten des [X.] eine Abweichung von einer altersgerechten Sprachentwicklung in mindestens zwei Bereichen beschreibe. Auf eine solche Rüge der Verletzung der Grundsätze über die freie Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 [X.]G) kann die Beschwerde nach § 160 Abs 2 [X.] Halbsatz 2 [X.]G - wie oben bereits ausgeführt - von vornherein nicht gestützt werden.

Dass der Kläger das Berufungsurteil inhaltlich für unrichtig hält, kann als solches nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB B[X.] Beschluss vom 28.10.2020 - [X.] EG 1/20 BH - juris Rd[X.] 11; B[X.] Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - [X.] 4-1500 § 160 [X.] 22 Rd[X.] 4).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]G).

Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 [X.]G durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 [X.]G.

Meta

B 9 SB 40/21 B

29.09.2021

Bundessozialgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SB

vorgehend SG Leipzig, 15. Mai 2020, Az: S 25 SB 32/18, Urteil

§ 2 VersMedV, Anlage Teil B Nr 5.1 VersMedV, § 103 SGG, § 118 Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 447 ZPO, § 1629 BGB

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 29.09.2021, Az. B 9 SB 40/21 B (REWIS RS 2021, 2264)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 2264

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