Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 05.07.2016, Az. 4 B 21/16

4. Senat | REWIS RS 2016, 8816

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Gegenstand

Wirksamkeit des Verzichts auf mündliche Verhandlung bei Änderung der Prozesslage


Gründe

1

Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte [X.]eschwerde hat keinen Erfolg.

2

1. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Die [X.]eklagte legt nicht dar, dass die Rechtssache grundsätzliche [X.]edeutung hat.

3

Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer [X.]edeutung über den der [X.]eschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der [X.]eschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des [X.]undesrechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, [X.], [X.]eschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 [X.] 78.61 - [X.]E 13, 90 <91> und vom 9. April 2014 - 4 [X.] 3.14 - [X.] 2014, 479 Rn. 2). Diesen Anforderungen entspricht die [X.]eschwerde nicht. Die [X.]eklagte formuliert zwar vier Rechtsfragen zu § 34 Abs. 1 [X.]auG[X.], zeigt aber nicht auf, dass die Fragen in einem Revisionsverfahren klärungsbedürftig und klärungsfähig sind.

4

2. Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen. Die [X.]eklagte legt nicht dar, dass das Oberverwaltungsgericht von den von ihr in [X.]ezug genommenen Entscheidungen des [X.] abgewichen ist.

5

Der Revisionszulassungsgrund der Abweichung liegt nur vor, wenn die Vorinstanz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem ihre Entscheidung tragenden Rechtssatz einem ebensolchen Rechtssatz des [X.] widerspricht (stRspr; vgl. [X.], [X.]eschluss vom 20. Dezember 1995 - 6 [X.] 35.95 - NVwZ-RR 1996, 712 <713>). § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt, dass der Tatbestand der Divergenz nicht nur durch die Angabe der höchstrichterlichen Entscheidung, von der abgewichen worden sein soll, sondern auch durch Gegenüberstellung der miteinander unvereinbaren Rechtssätze dargelegt wird. An Letzterem lässt es die [X.]eklagte fehlen. Sie arbeitet keine Rechtssätze aus dem [X.]erufungsurteil heraus, die mit Rechtssätzen des [X.] kollidieren, sondern hält dem Oberverwaltungsgericht vor, von ihm nicht in Frage gestellte höchstrichterliche Rechtssätze falsch angewandt zu haben. Darauf kann die [X.] nicht gestützt werden (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 19. August 1997 - 7 [X.] 261.97 - NJW 1997, 3328).

6

3. Die Revision ist schließlich nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen eines Verfahrensfehlers zuzulassen.

7

a) Das Oberverwaltungsgericht hat nicht gegen § 101 Abs. 1 VwGO verstoßen, wonach das Gericht aufgrund mündlicher Verhandlung entscheidet, soweit nicht gesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Da die [X.]eteiligten im [X.] an den Augenscheintermin am 6. Oktober 2015 auf eine weitere mündliche Verhandlung verzichtet hatten, durfte das Oberverwaltungsgericht gemäß § 101 Abs. 2 VwGO im schriftlichen Verfahren entscheiden.

8

Die [X.]eklagte macht geltend, dass sich am 29. Dezember 2015 die Prozesslage mit der Folge eines Verbrauchs der Verzichtserklärung wesentlich verändert habe. Aus den an diesem Tag im Nachgang eingereichten [X.]auunterlagen habe sich ergeben, dass der Kläger ein anderes als das ursprünglich beabsichtigte [X.]auvorhaben zur Genehmigung gestellt habe. Er wolle das [X.] nicht sanieren und teilweise zu Wohnzwecken umnutzen, sondern an dessen Stelle ein neues Wohngebäude errichten.

9

Entgegen der Ansicht der [X.]eklagten führt eine Änderung der Prozesslage nicht von selbst zu einer Unwirksamkeit eines einmal erklärten Verzichts auf eine mündliche Verhandlung (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 1. März 2006 - 7 [X.] 90.05 - juris Rn. 16 mit [X.]erkung [X.], jurisPR-[X.] 11/206 [X.]. 6). Verbraucht wird eine Verzichtserklärung durch die nächste Entscheidung des Gerichts, weil sich die Verzichtserklärung nur auf diese bezieht. Nach der Rechtsprechung des [X.] ist der Verzicht auf eine mündliche Verhandlung nach § 101 Abs. 2 VwGO deshalb dann nicht mehr wirksam, wenn nach diesem Verzicht ein [X.]eweisbeschluss ergeht, den [X.]eteiligten durch einen Auflagenbeschluss eine Stellungnahme abgefordert wird oder Akten zu [X.]eweiszwecken beigezogen oder sonst neue [X.] in den Prozess eingeführt werden ([X.], [X.]eschlüsse vom 29. Dezember 1995 - 9 [X.] - [X.] 310 § 101 VwGO Nr. 21 S. 3 und vom 17. September 1998 - 8 [X.] 105.98 - [X.] 310 § 101 VwGO Nr. 24 S. 6). Eine derartige den Verzicht verbrauchende Zwischenentscheidung des [X.] ist hier nicht ergangen.

Es steht jedoch im Ermessen des Gerichts, ob es trotz wirksamen Verzichts ohne mündliche Verhandlung entscheidet. Das Gericht hat in diesem Zusammenhang dafür einzustehen, dass trotz der unterbleibenden mündlichen Verhandlung das rechtliche Gehör der [X.]eteiligten nicht verletzt wird ([X.], [X.]eschluss vom 27. August 2003 - 6 [X.] 32.03 - NVwZ-RR 2004, 77 <78>). Eine Gehörsverletzung war hier aber nicht zu besorgen. Das Vorbringen zu der Änderung des [X.]auvorhabens stammt aus dem Schriftsatz der [X.]eklagten vom 2. Dezember 2015. Das Oberverwaltungsgericht hat es zur Kenntnis genommen ([X.] Rn. 11). Dass es der [X.]eklagten die Gelegenheit vorenthalten hat, ihren schriftsätzlichen Vortrag in einer mündlichen Verhandlung zu wiederholen, ist nicht ermessensfehlerhaft.

b) Die [X.], das Oberverwaltungsgericht habe seine Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO verletzt, indem es den Zeitpunkt der Aufgabe der gewerblichen Nutzung des [X.]s trotz [X.]estreitens auf das [X.] datiert habe, genügt nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.

Eine Aufklärungsrüge kann nur Erfolg haben, wenn substantiiert dargetan wird, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in [X.]etracht gekommen wären, welche tatsächlichen Feststellungen bei der Durchführung der vermissten Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern das unterstellte Ergebnis zu einer dem Kläger günstigeren Entscheidung hätte führen können. Weiterhin muss dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem [X.], insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr beanstandet wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (stRspr; vgl. [X.], [X.]eschluss vom 19. August 1987 - 7 [X.] 261.97 - NJW 1997, 3328). Denn die Aufklärungsrüge dient nicht dazu, Versäumnisse eines anwaltlich vertretenen Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz zu kompensieren und insbesondere [X.]eweisanträge zu ersetzen, die ein [X.]eteiligter in zumutbarer Weise hätte stellen können, jedoch zu stellen unterlassen hat (stRspr, vgl. [X.], [X.]eschluss vom 25. August 2015 - 1 [X.] 40.15 - [X.] 402.25 § 3 AsylVfG Nr. 19 Rn. 16). Für [X.]ehörden gilt insofern nichts Abweichendes, wenn diese durch einen eigenen [X.]ediensteten mit der [X.]efähigung zum Richteramt in der [X.]erufungsinstanz vertreten werden ([X.], [X.]eschlüsse vom 20. Juni 2001 - 4 [X.] 41.01 - NVwZ-RR 2001, 713 <714> und vom 13. Oktober 2015 - 4 [X.] 24.15 - juris Rn. 4; Urteil vom 23. November 2006 - 3 C 30.05 - [X.] 418.9 TierSchG Nr. 15 Rn. 14).

Das [X.]eschwerdevorbringen bleibt hinter diesen Anforderungen zurück. Die [X.]eklagte zeigt weder auf, welche Aufklärungsmaßnahmen das Oberverwaltungsgericht ihrer Ansicht nach hätte ergreifen müssen, noch behauptet sie und weist nach, dass sie, die in der [X.]erufungsinstanz durch eigene [X.]edienstete mit der [X.]efähigung zum Richteramt vertreten war, vor dem Oberverwaltungsgericht auf Aufklärungsmaßnahmen gedrungen hätte, deren Unterlassung sie nunmehr vermisst. Sie legt auch nicht dar, dass die Aussage im [X.]erufungsurteil, die Aufgabe der gewerblichen Nutzung im [X.] und die nachfolgende Nutzung durch die [X.]ewohner des Haupt- und des [X.] als Ab- und Einstellraum u.a. für Fahrräder hätten dazu geführt, dass es sich bei dem [X.] um eine Nebenanlage in funktioneller Hinsicht handele ([X.] Rn. 27), anders ausgefallen wäre, wenn die gewerbliche Nutzung, wie von ihr behauptet, nur bis zum [X.] gedauert hätte, und dass die [X.]erufung des [X.] dann hätte zurückgewiesen werden müssen. Der Vortrag der [X.]eklagten, die unzutreffende Datierung der Aufgabe der gewerblichen Nutzung des [X.]s auf das [X.] habe dazu geführt, dass das Oberverwaltungsgericht dieser Nutzung eine prägende Wirkung beigemessen habe, findet im [X.]erufungsurteil keine Stütze.

c) Die ebenfalls an § 86 Abs. 1 VwGO anknüpfende [X.], das Oberverwaltungsgericht hätte bei der Frage, ob sich das Vorhaben des [X.] nach dem Maß der baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung einfüge, auf den Standort des Vorhabens im Sinne des § 23 [X.]auNVO abstellen und vor diesem Hintergrund weitere Aufklärungsmaßnahmen ergreifen müssen, verfehlt den rechtlichen Maßstab. Da der [X.]ereich der Tatsachenfeststellung vom materiell-rechtlichen Standpunkt der Vorinstanz aus zu beurteilen ist, auch wenn dieser Standpunkt rechtlich verfehlt sein sollte (stRspr; vgl. [X.], Urteil vom 25. März 1987 - 6 C 10.84 - [X.] 310 § 108 VwGO Nr. 183 S. 4), kann mit der Aufklärungsrüge nicht geltend gemacht werden, dass die Vorinstanz Feststellungen nicht getroffen hat, die sie (nur) bei Zugrundelegung der vom [X.]eschwerdeführer vertretenen Rechtsauffassung hätten treffen müssen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Meta

4 B 21/16

05.07.2016

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Sächsisches Oberverwaltungsgericht, 29. Februar 2016, Az: 1 A 277/14, Urteil

§ 101 Abs 1 VwGO, § 101 Abs 2 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 05.07.2016, Az. 4 B 21/16 (REWIS RS 2016, 8816)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 8816

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

9 ZB 16.1276

9 ZB 16.1068

9 ZB 17.2005

9 ZB 16.321

9 ZB 15.2694

9 ZB 14.2808

9 ZB 15.376

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