Bundessozialgericht, Beschluss vom 10.05.2017, Az. B 6 KA 75/16 B

6. Senat | REWIS RS 2017, 11227

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Gegenstand

(Wirtschaftlichkeitsprüfung - Arzneikostenregress - Anwendung der Ausnahmeregelungen der §§ 106 Abs 5 S 8 SGB 5 aF bzw 106c Abs 3 S 6 SGB 5 nF - Verordnungsfähigkeit - fiktive Zulassung von Arzneimitteln (hier: LeukoNorm))


Tenor

Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 24. August 2016 wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. bis 7.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 10 928 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I. Die früher als Partner einer Berufsausübungsgemeinschaft zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Kläger wenden sich gegen [X.] wegen der Verordnung des Präparates "[X.]" für zwei bei einer Innungskrankenkasse versicherte Patientinnen in den [X.] und II/2005. [X.]", das in der [X.] entwickelt worden war und nach dem [X.] zunächst auch im früheren [X.] als verkehrsfähig galt, ist seit Jahren umstritten. Die Kläger haben nach ihren eigenen Angaben das Mittel bei Patientinnen zur Verhinderung von vorzeitigen Schwangerschaftsbeendigungen eingesetzt und nach ihrer Einschätzung damit in den beiden Behandlungsfällen Erfolg gehabt.

2

Die beklagte Prüfungsstelle hat auf Antrag der Krankenkasse der beiden Versicherten gegen die Kläger einen Regress in Höhe von insgesamt 10 928 Euro festgesetzt, weil mit den Verordnungen von "[X.]" gegen [X.] iVm [X.] 20.2f der [X.] ([X.]) in der 2005 geltenden Fassung verstoßen worden sei. Das Arzneimittel sei ein [X.] (Immunstimulanz), das grundsätzlich nicht zu Lasten der Krankenversicherung verordnungsfähig sei. Zu den Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Verordnungsfähigkeit hätten die Kläger nicht hinreichend substantiiert vorgetragen.

3

Das [X.] hat die Berufung gegen den klageabweisenden Gerichtsbescheid des [X.] zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, die Anrufung des [X.] sei gemäß § 106 Abs 5 Satz 8 [X.]B V (in der bis 31.12.2016 geltenden Fassung, heute § 106c Abs 3 Satz 6) hier nicht erforderlich gewesen, weil es um die Festsetzung einer Ausgleichspflicht für den Mehraufwand bei Leistungen gehe, die durch das Gesetz oder durch die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses ([X.]) nach § 92 [X.]B V ausgeschlossen sind. Ein solcher Fall liege hier vor. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten seien im Übrigen rechtmäßig, weil "[X.]" generell im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung im Jahre 2005 nicht hätte verordnet werden dürfen (Urteil vom 24.8.2016).

4

Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision machen die Kläger geltend, im Rechtsstreit seien Fragen von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 [X.] [X.]G).

5

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Den von den Klägern aufgeworfenen Rechtsfragen kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu.

6

Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 [X.] [X.]G liegt nur vor, wenn in dem von der Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren Rechtsfragen zu entscheiden wären, deren Bedeutung über den Einzelfall hinaus geht. Die Klärungsbedürftigkeit entfällt, wenn sich die Antwort auf die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen unmittelbar aus dem Gesetz, aus der bereits vorliegenden höchstrichterlichen Rechtsprechung oder aus untergesetzlichen Rechtsvorschriften so eindeutig ergibt, dass kein weiterer Klärungsbedarf für ein Revisionsverfahren besteht (vgl zuletzt B[X.] Beschluss vom [X.] [X.] 17/16 B - Juris Rd[X.] 4 f). Diese Voraussetzungen sind für die beiden von der Beschwerde aufgeworfenen Rechtsfragen erfüllt.

7

1. Soweit die Kläger Klärungsbedarf hinsichtlich des Eingreifens der Ausnahmeregelung des § 106 Abs 5 Satz 8 [X.]B V aufwerfen und der Auffassung sind, im Fall von [X.]n wegen der Verordnung eines ehemals fiktiv zugelassenen Arzneimittels müsse ein Vorverfahren vor dem fachkundig besetzten Beschwerdeausschuss stattfinden, trifft das nach der zu § 106 Abs 5 Satz 8 [X.]B V ergangenen Rechtsprechung des [X.]s nicht zu. Der erneuten Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf es insoweit nicht.

8

Die Ausnahmeregelung des § 106 Abs 5 Satz 8 [X.]B V greift nach der Rechtsprechung des [X.]s ein, wenn sich die Unzulässigkeit einer vertragsärztlichen Verordnung unmittelbar und eindeutig aus dem Gesetz selbst oder aus den Richtlinien des [X.] ergibt (Urteil vom [X.] - [X.] 4-2500 § 106 [X.]). Dabei muss sich der Ausschluss aus spezifischen Regelungen des [X.] ergeben. Die Kläger selbst stellen nicht in Frage, dass im Hinblick auf die lediglich fiktive Zulassung von "[X.]", das über keine eigene Zulassung nach dem [X.] ([X.]) verfügt hat, dieses Mittel zumindest nach der Rechtsprechung aller damit befassten [X.]e des B[X.] jedenfalls regelhaft nicht im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung eingesetzt werden durfte. Diese klare, aus der fehlenden Zulassung nach dem [X.] und einer darauf Bezug nehmenden Regelung in den [X.] beruhende Rechtsfolge reicht für die Anwendung des § 106 Abs 5 Satz 8 [X.]B V aus. Dass nach der Rechtsprechung des [X.] und des B[X.] in besonders gelagerten Einzelfällen eine vertragsärztliche Verordnung auch eines nicht für die jeweilige Indikation oder nur eingeschränkt arzneimittelrechtlich zugelassenen Arzneimittels in Betracht kam, wenn dem Versicherten zur fraglichen Zeit ein entsprechender Versorgungsanspruch zugestanden hat, lässt die Anwendbarkeit der Grundregel dieser Vorschrift nicht entfallen. Der [X.] hat bereits klargestellt, dass über das Eingreifen der Ausschlussregelung des Vorverfahrens spätestens mit dem Erlass des Bescheides der Prüfungsstelle Klarheit bestehen muss. Deshalb kann es für die Frage, ob gegen einen Regressbescheid der Beschwerdeausschuss angerufen werden muss oder unmittelbar Klage erhoben werden kann, nicht darauf ankommen, wie der Arzt seinen Rechtsbehelf begründet, insbesondere ob er einen Ausnahmefall geltend macht, ob er diesen ausreichend begründet und ob ein Ausnahmefall sich aufdrängt oder auch nur möglich erscheint ([X.]surteil vom [X.] - [X.] 4-2500 § 106 [X.] Rd[X.]9 ff). Dass von diesem Grundsatz für den Sonderfall einer fiktiven Zulassung eines Arzneimittels auf der Grundlage des Rechts der früheren [X.] eine Ausnahme zu machen sei, ist nicht erkennbar und wird von der Beschwerde auch nicht hinreichend deutlich dargelegt.

9

2. Revisionsrechtlicher Klärungsbedarf besteht auch nicht, soweit die Kläger die Frage aufwerfen, ob ein Arzneimittel mit einer ehemals fiktiven Zulassung wie "[X.]" in medizinisch begründeten Ausnahmefällen zu Lasten der Krankenkasse verordnet werden konnte. Der [X.] hat sich in Urteilen und eingehend begründeten Entscheidungen über Nichtzulassungsbeschwerden in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des für das Leistungsrecht der Krankenversicherung zuständigen 1. [X.]s des B[X.] mit der Verordnungsfähigkeit von "[X.]" befasst und diese regelmäßig verneint. Mit Beschluss vom [X.] [X.] 27/13 B - Juris - hat der [X.] eine Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen, in der die Verordnungsfähigkeit von "[X.]" im Jahre 2005, also vor der endgültigen Ablehnung der Weiterzulassung durch das zuständige [X.], betroffen war. Auch in diesen Verfahren ging es - wie in dem hier zu beurteilenden - um den Einsatz von "[X.]" zur Fertilitätsbehandlung. Der [X.] hat sich in dem zitierten Beschluss vom [X.] umfassend mit den Einwendungen gegen den generellen Ausschluss der Verordnungsfähigkeit von [X.] auseinandergesetzt. An diese Grundsätze hat der [X.] zuletzt in den Beschlüssen vom [X.] [X.] 18/15 B und [X.] [X.] 19/15 B - Juris - angeknüpft. Auch in diesen Verfahren ging es um vertragsärztliche Verordnungen aus dem Jahre 2005. Der [X.] hat in diesen Beschlüssen erneut auf seine eigene Rechtsprechung sowie die Rechtsprechung des 1. [X.]s Bezug genommen und darauf hingewiesen, dass die lediglich fiktive Zulassung von "[X.]" gerade nicht zur Folge hatte, dass Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit des Einsatzes dieses Arzneimittels in dem nach dem [X.] vorgesehenen Verfahren geprüft worden sind, sodass im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung der Einsatz entsprechender Arzneimittel grundsätzlich nicht in Frage kommt. Die lediglich auf übergangsrechtlichen Vorschriften beruhende Verkehrsfähigkeit von Arzneimitteln, die keine Prüfung auf den Maßstäben des [X.] durchlaufen haben, führt nicht ohne Weiteres zur Verordnungsfähigkeit zu Lasten der Krankenkassen. Nur wenn im Verfahren der Zulassung des Arzneimittels eine Überprüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit erfolgt ist, ist die Arzneimittelzulassung als ausreichend auch für die Verordnungsfähigkeit im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung zu akzeptieren (Beschluss vom [X.] [X.] 18/15 B - Rd[X.] 5 unter Hinweis auf B[X.]E 95, 132 = [X.] 4-2500 § 31 [X.]; B[X.] [X.] 4-2500 § 106 [X.] 21). Da mithin durch aktuelle Rechtsprechung des [X.]s die maßgeblichen Grundsätze hinsichtlich der fehlenden Verordnungsfähigkeit von "[X.]" geklärt sind, bedarf es mehr als zwölf Jahren nach den hier streitigen vertragsärztlichen Verordnungen und elf Jahre nach endgültiger Klärung der fehlenden arzneimittelrechtlichen Zulassung von "[X.]" keiner erneuten revisionsgerichtlichen Entscheidung. Ob und ggf unter welchen Voraussetzungen in ganz besonders gelagerten Einzelfällen, insbesondere im Hinblick auf lebensbedrohliche Gesundheitszustände, im Jahre 2005 entsprechende Verordnungen zulässig gewesen sein können, hat - im Hinblick auf die zahlreichen inzwischen vorliegenden Entscheidungen zu "[X.]" - keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung mehr.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 [X.]G iVm § 154 Abs 2 VwGO.

Hinsichtlich des Streitwertes folgt der [X.] den von den Beteiligten nicht in Frage gestellten Festsetzungen der vorinstanzlichen Gerichte.

Meta

B 6 KA 75/16 B

10.05.2017

Bundessozialgericht 6. Senat

Beschluss

Sachgebiet: KA

vorgehend SG Hannover, 25. August 2011, Az: S 24 KA 193/09, Gerichtsbescheid

§ 106 Abs 5 S 8 SGB 5 vom 26.03.2007, § 106c Abs 3 S 6 SGB 5 vom 16.07.2015, § 73 Abs 2 S 1 Nr 7 SGB 5, § 21 AMG 1976, §§ 21ff AMG 1976

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 10.05.2017, Az. B 6 KA 75/16 B (REWIS RS 2017, 11227)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 11227

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