Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.09.2016, Az. IX ZB 84/15

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 5042

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:220916BIXZB84.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX [X.]/15
vom

22. September 2016

in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
ZPO §§ 233 [X.], 234 Abs. 2 B, § 114 Abs. 1 Satz 1
Hat die [X.] Prozesskostenhilfe für die Einlegung und Begründung einer Berufung beantragt, wird die [X.] nicht dadurch in Gang gesetzt, dass das Gericht auf Bedenken hinsichtlich der Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsver-folgung hinweist und dem Antragsteller Gelegenheit zur Stellungnahme gibt.
[X.], Beschluss vom 22. September 2016 -
IX [X.]/15 -
OLG [X.]

[X.]

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2

-

Der IX.
Zivilsenat des [X.] hat durch [X.] [X.], [X.] Dr. Gehrlein, [X.], die Richterin [X.] und [X.] Schoppmeyer

am
22. September 2016
beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde des [X.] wird der Beschluss des 1.
Zivilsenats des [X.] vom 13. August 2015 im Kostenpunkt sowie insoweit aufgehoben, als der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt und die
Be-rufung des [X.] als unzulässig verworfen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Entschei-dung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

[X.].

Gründe:

I.

Der Kläger verlangt im Wege der Insolvenzanfechtung Rückgewähr von Gesellschaftsanteilen zur Masse des Verbraucherinsolvenzverfahrens über das Vermögen der G.

M.

. Mit Urteil vom 4. September 2014 hat das 1
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Landgericht die Beklagten zur Rückgewähr von Gesellschaftsanteilen verurteilt und die weitergehende Klage abgewiesen. Das Urteil ist dem Kläger zu Händen seiner Prozessbevollmächtigten am 30. Oktober 2014 zugestellt worden. Am 1.
Dezember 2014, einem Montag,
hat der Kläger Prozesskostenhilfe für eine Berufung beantragt, mit welcher er im wesentlichen einen in erster Instanz nicht beschiedenen Hilfsantrag, bestehend aus einem Zahlungs-
und
einem
Feststel-lungsantrag,
verfolgen wollte.

Mit Beschluss vom 2. April 2015 hat das Berufungsgericht den Kläger darauf hingewiesen, dass "nach derzeitigem Streitstand"
beabsichtigt sei, den Antrag auf Prozesskostenhilfe zurückzuweisen, weil der Senat "der vorläufigen Auffassung"
sei, die beabsichtigte Berufung habe keine hinreichende Aussicht auf Erfolg; der Kläger erhalte Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zweier Wochen nach Zustellung des Beschlusses.
Der Kläger hat mit Schriftsatz
vom 29. April 2015 Stellung genommen.

Mit Beschluss vom 28. Mai 2015 hat das Berufungsgericht den Antrag auf Prozesskostenhilfe zurückgewiesen.
Dieser Beschluss ist dem Kläger zu Händen seiner Prozessbevollmächtigten nicht vor dem 5. Juni 2015 zugestellt worden.
Mit Schriftsatz vom
19. Juni 2015, bei Gericht eingegangen am selben Tage, hat der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt, Beru-fung gegen das landgerichtliche Urteil eingelegt und die Berufung begründet.

Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung in den vori-gen Stand wegen Nichteinhaltung der [X.] des § 234 ZPO abgelehnt und die Berufung des [X.] als unzulässig verworfen.
Gegen die-sen Beschluss richtet sich die Rechtsbeschwerde des [X.], mit welcher die-ser die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Wiedereinsetzung 2
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in die versäumten Fristen zur Einlegung und Begründung der Berufung errei-chen will.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist nach § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
ZPO
statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig (§
574 Abs. 2 ZPO); denn der angefochtene Beschluss erschwert dem Kläger den Zugang zur Berufungsinstanz
unter Verstoß gegen die [X.] auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG)
in unzumutbarer, aus [X.] nicht zu rechtfertigender Weise. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, soweit er den Kläger beschwert. Das Berufungsgericht hätte die Wiedereinsetzung nicht wegen Versäumung der [X.] des § 234 ZPO ablehnen dürfen.

1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Der Kläger habe schon durch den am 24. April 2015 zugestellten Hinweisbeschluss
Kenntnis davon erhalten, dass er nicht mit einer Bewilligung von Prozesskostenhilfe rechnen konnte. Nach einer Überlegungsfrist von längstens vier Tagen habe die Wiedereinset-zungsfrist des § 234 Abs. 1 ZPO begonnen. Darauf, dass über den Antrag auf Prozesskostenhilfe noch nicht entschieden worden sei, komme es nicht an. Bei Eingang des [X.] sei die Frist längst abgelaufen gewe-sen.

2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

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a) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist gemäß § 233 Abs. 1 ZPO zu gewähren, wenn eine [X.] ohne ihr Verschulden verhindert war, eine Not-frist oder eine Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulas-sungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs.
1 ZPO einzuhalten. Die Wiedereinsetzung muss gemäß § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Gemäß § 234 Abs.
2 ZPO beginnt die Frist mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.

b) Eine mittellose [X.] ist regelmäßig
schon wegen ihrer Armut
an der
Beauftragung eines Rechtsanwalts und damit an der
rechtzeitigen Einlegung und Begründung eines Rechtsmittels gehindert. Hat sie
beim zuständigen Ge-richt
fristgerecht einen vollständigen Antrag auf Prozesskostenhilfe eingereicht, kann sie zunächst darauf vertrauen, alles ihr Zumutbare zur Behebung des Hindernisses unternommen zu haben
(vgl. [X.], Beschluss
vom 12. Juni 2001
-
XI ZR 161/01, [X.]Z 148, 66, 69;
vom 8. Januar 2016 -
I
ZB 41/15, NJW-RR 2016, 507 Rn. 9). Das in den fehlenden Mitteln
liegende Hindernis wird durch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe behoben. Wird der Antrag wegen feh-lender Bedürftigkeit oder mangels Erfolgsaussicht abgelehnt, kann die [X.] während eines auf drei bis vier Tage zu bemessenden Überlegungszeitraums entscheiden, ob sie das Rechtsmittel auf eigene Kosten einlegen und durchfüh-ren will. Die [X.] beginnt nach Ablauf dieser Frist.

c) Kenntnis von den fehlenden Voraussetzungen für eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe erhält die [X.] regelmäßig durch den Gerichtsbeschluss, mit welchem Prozesskostenhilfe versagt wird. Dies gilt jedoch nicht ausnahms-los. Kann die [X.] nach den gegebenen Umständen -
etwa deshalb, weil sie ihrem Antrag die in § 117 Abs. 2 und 3 ZPO vorgeschriebene Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht beigefügt hat
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nicht 8
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mit einer Bewilligung von Prozesskostenhilfe rechnen, kommt eine Wiederein-setzung von vornherein nicht in Betracht. Muss die [X.] aufgrund eines [X.] mit der Ablehnung seines Prozesskostenhilfegesuchs rechnen, beginnt die [X.] mit dem Zugang des Hinweises ([X.], Beschluss
vom 19. November 2008 -
XII [X.], [X.], 854 Rn. 11 f; vom 13. Januar 2010 -
XII [X.], NJW-RR 2010, 424 Rn.
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f; vom 13. Januar 2015 -
VI [X.], NJW-RR 2015, 703 Rn. 8). Wird der [X.] dagegen eine Frist zur Vervollständigung ihrer Angaben gesetzt, kann sie auf eine Bewil-ligung vertrauen, wenn sie der Auflage nachkommt; andernfalls endet ihr recht-lich geschütztes Vertrauen mit dem ergebnislosen
Ablauf der gesetzten Frist ([X.], Beschluss vom 13. Februar 2008 -
XII [X.], NJW-RR 2008, 942 Rn. 12).
Die [X.] muss nicht schon dann mit einer Ablehnung ihres Antrags rechnen, wenn das Berufungsgericht im Rahmen der sofortigen Beschwerde gegen die erstinstanzliche Ablehnung von Prozesskostenhilfe einen für sie nachteiligen Rechtsstandpunkt vertreten hat (Kazele/[X.], ZPO, 8. Aufl., § 234 Rn. 6).

d) Im vorliegenden Fall ging es um die Erfolgsaussicht des Rechtsmittels, nicht um die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Das Berufungsge-richt hat mit Beschluss vom 2. April 2015 ausführlich dargelegt, aus welchen Gründen die beabsichtigte Rechtsverfolgung -
die Berufung gegen das landge-richtliche Urteil
-
keine Aussicht auf Erfolg versprach. Es hat aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese Einschätzung sich auf den "derzeitigen"
[X.] bezog und der Beschluss nur die
"vorläufige"
Auffassung
des Senats
wiedergab. Zudem hat es dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb
von zwei Wochen ab Zustellung des Beschlusses gegeben. Wäre die im ange-griffenen Beschluss vertretene Auffassung des Berufungsgerichts richtig, hätte der Kläger
nunmehr
Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand
beantragen und 11
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Berufung einlegen müssen. Mit Hilfe der Fristsetzung hätte das Berufungsge-richt ihn
zu einer für ihn sinnlosen Handlung -
der ergänzenden Stellungnah-me
-
veranlasst und ihn dadurch von der zur Wahrnehmung seiner Interessen gebotenen Handlung -
dem Wiedereinsetzungsantrag nebst Berufung
-
abge-halten.
Das kann nicht sein.
Die [X.], die einen gerichtlichen Hinweis erhält, darf darauf vertrauen, dass dieser Hinweis das Verfahren fördert. Die Hinweis-pflicht des § 139 ZPO dient nicht dazu, die [X.] in die Irre zu führen und ihr zu schaden. Dementsprechend führt das Befolgen eines gerichtlichen
Hinweises nicht dazu, dass die
[X.] nicht mehr gutzumachende Rechtsnachteile erleidet. Der Kläger konnte den Hinweis
wie jede vernünftige [X.]
dahingehend [X.],
dass er Gelegenheit zur Stellungnahme hatte und
dass die Sache nach fristgerechtem Eingang seiner Stellungnahme
nochmals beraten werden würde. Nachdem er Stellung genommen hatte, konnte er die endgültige Entschließung des Gerichts abwarten, ohne einen [X.] fürchten zu müssen.

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III.

Der angefochtene Beschluss kann damit keinen Bestand haben, soweit zum Nachteil des [X.] entschieden worden ist. Er wird aufgehoben; die Sa-che wird zur erneuten Entscheidung über die Wiedereinsetzung und die Beru-fung an das Berufungsgericht zurückverwiesen (§ 577 Abs. 4 ZPO).

Kayser
Gehrlein
[X.]

[X.]
Schoppmeyer

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 23.10.2014 -
12 [X.]/09 -

OLG [X.], Entscheidung vom 13.08.2015 -
1 [X.] -

12

Meta

IX ZB 84/15

22.09.2016

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.09.2016, Az. IX ZB 84/15 (REWIS RS 2016, 5042)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 5042

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IX ZB 84/15

XII ZB 108/09

VI ZB 61/14

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