Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.08.2010, Az. 8 AZR 370/09

8. Senat | REWIS RS 2010, 3916

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Entschädigungsanspruch eines schwerbehinderten Bewerbers - Bewerbung nach erfolgter Stellenbesetzung


Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] - Kammern [X.] - vom 26. März 2009 - 11 [X.]/08 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um einen Entschädigungsanspruch des schwerbehinderten [X.], der sich bei der [X.] um die Stelle eines Entwicklungsingenieurs beworben hatte.

2

Im Dezember 2007 schrieb die Beklagte auf ihrer Homepage die Stelle eines Entwicklungsingenieurs Digitale Elektroniken (m/w) aus. Arbeitsort sollte [X.] bei F sein, Arbeitsbeginn „ab sofort“. [X.]efordert wurde ein abgeschlossenes (Fach-)Hochschulstudium, Erfahrung mit der Entwicklung digitaler Schaltungen, Versiertheit im Umgang mit DSP, [X.], FP[X.]A und Kenntnisse in Echtzeitanwendungen, [X.] und DSP-Assemblerprogrammierung.

3

Die Beklagte prüfte nicht, ob die ausgeschriebene Stelle mit einem schwerbehinderten Menschen, insbesondere mit einem bei der [X.] arbeitslos oder arbeitsuchend gemeldeten schwerbehinderten Menschen besetzt werden kann. Auch hatte die Beklagte keinen Kontakt mit der [X.] aufgenommen und die Schwerbehindertenvertretung nicht beteiligt. Die Verpflichtung zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen nach § 71 S[X.]B IX erfüllt die Beklagte nicht.

4

Mitte Dezember 2007 bewarb sich der Zeuge P für die ausgeschriebene Stelle. In seinem am 17. Dezember 2007 mit der [X.] abgeschlossenen Arbeitsvertrag ist seine Arbeitsaufnahme für den 1. April 2008 vorgesehen. Danach unterließ es die Beklagte, die Stellenausschreibung von ihrer Homepage im [X.] zu löschen.

5

Am 29. Dezember 2007 nahm der Kläger die Stellenausschreibung wahr und bewarb sich noch am selben Tage per E-Mail bei der [X.]. In seinem Bewerbungsschreiben heißt es auszugsweise:

        

„Meine Berufserfahrung als Entwicklungsingenieur umfaßt mehrere Jahre, in denen ich sowohl Hardware digitaler Elektroniken als auch die zugehörige Firmware zum Betrieb der eingesetzten Mikrocontroller entwickelte. Zur Software-Entwicklung benutzte ich die [X.], oder programmierte in Assembler. Die umfassende Projektbearbeitung inklusive Lastenhefterstellung und Produktionsübergabe ist [X.] geläufig.

        

Die Schwerbehinderung, die bei [X.] gemäß Schwerbehindertengesetz anerkannt wurde, hat bei Ausübung berufsüblicher Tätigkeiten keinen Einfluss darauf.“

6

Darauf teilte die Beklagte dem Kläger unter dem 8. Januar 2008 ua. mit:

        

„Mit Bedauern müssen wir Ihnen mitteilen, dass nun die ausgeschriebene Position anderweitig vergeben wurde.“

7

Mit Schreiben vom 27. Februar 2008 äußerte der Kläger gegenüber der [X.] die Vermutung, er sei wegen seiner Schwerbehinderung im Bewerbungsverfahren diskriminiert worden und machte Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche geltend. Diese verfolgt er mit seiner am 27. Mai 2008 beim Arbeitsgericht eingegangenen und am 3. Juni 2008 der [X.] zugestellten Klage weiter.

8

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, es bestehe die Vermutung einer Diskriminierung wegen seiner Schwerbehinderung nach § 22 A[X.][X.]. Diese Vermutung ergebe sich sowohl daraus, dass die Beklagte nicht geprüft habe, ob die zu besetzende Stelle mit einem schwerbehinderten Menschen, insbesondere mit einem bei der [X.] arbeitslos oder arbeitsuchend gemeldeten schwerbehinderten Menschen besetzt werden könne, als auch daraus, dass die Beklagte entgegen § 81 Abs. 1 Satz 2 S[X.]B IX nicht frühzeitig Verbindung mit der [X.] aufgenommen habe. Der Kläger meint, hätte die Beklagte die [X.] frühzeitig über die freie Stelle informiert, so hätte er sich vor der zwischenzeitlich erfolgten Stellenbesetzung um die zu diesem Zeitpunkt noch freie Stelle bewerben können und er wäre eingestellt worden; zumindest hätte aber seine Bewerbung nicht mit dem Hinweis abgelehnt werden können, die Stelle sei bereits besetzt.

9

Weiterhin vertritt der Kläger die Auffassung, für die Vermutung seiner Diskriminierung sprächen auch eine nicht ordnungsgemäße Begründung der Einstellungsentscheidung gemäß § 81 Abs. 1 Satz 9 S[X.]B IX sowie die Nichterfüllung der Verpflichtung zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen nach § 71 S[X.]B IX durch die Beklagte.

Schließlich ist der Kläger der Ansicht, die Vermutung resultiere ebenfalls daraus, dass die Schwerbehindertenvertretung im Bewerbungsverfahren nicht beteiligt worden sei. Daher schulde ihm die Beklagte wegen Diskriminierung eine Entschädigung, die mit mindestens drei Monatsgehältern zu jeweils 4.000,00 Euro angemessen sei.

Der Kläger hat beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine in das Ermessen des [X.]erichts gestellte Entschädigung zu zahlen nebst Zinsen hieraus iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 8. Januar 2008.

Die Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt und dazu die Auffassung vertreten, die Besetzung der ausgeschriebenen Stelle vor dem Bewerbungseingang des [X.] schließe seine Diskriminierung aus. Die fehlende Beteiligung der [X.] könne daher von vornherein keine Indizwirkung entfalten. Außerdem sei die Bewerbung des [X.] nicht ernst gemeint gewesen, da es ihm - wie in anderen Verfahren auch - lediglich um den Entschädigungsanspruch gehe.

Das Arbeitsgericht hat die Klage nach Vernehmung des Zeugen P abgewiesen. Das [X.] hat die Berufung des [X.] zurückgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Zahlungsbegehren weiter, während die Beklagte die Zurückweisung der Revision beantragt.

Entscheidungsgründe

Die Revision des [X.] ist nicht begründet. Ihm steht der geltend gemachte Entschädigungsanspruch nicht zu.

A. Das [X.] hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Es sei bereits fraglich, ob der Kläger überhaupt als Beschäftigter iSv. § 6 AGG angesehen werden könne, da im Zeitpunkt seiner Bewerbung am 29. Dezember 2007 wegen der am 17. Dezember 2007 erfolgten [X.] an den [X.] keine verfügbare Stelle mehr existiert habe. Nach Eingang der Bewerbung des [X.] habe die Beklagte keine Einstellungsentscheidung mehr zu treffen gehabt. Die Bewerbung des [X.] habe sie nicht mit anderen Bewerbungen zu vergleichen, habe niemand gegenüber dem Kläger zu bevorzugen oder den Kläger wegen seiner Behinderung zu benachteiligen gehabt. Mangels einer zu diesem Zeitpunkt vorliegenden eigenen Bewerbung sei der Kläger bei der Einstellung des [X.] am 17. Dezember 2007 nicht benachteiligt worden. Die nach § 81 Abs. 1 Satz 1 [X.] vorgesehene, jedoch von der [X.] unterlassene Einschaltung der [X.] begründe auch nicht in Ansehung des dem § 15 Abs. 2 AGG innewohnenden Präventionscharakters die Vermutung, gerade der Kläger sei diskriminiert worden. Die unterlassene Anfrage bei der [X.] vor der Ausschreibung oder Besetzung einer Stelle wirke nicht über die konkrete Stellenbesetzung hinaus, habe insbesondere keinerlei Außenwirkung gegenüber potentiellen Bewerbern um künftig zu besetzende Stellen. Insofern unterscheide sich die Sachlage von einer angekündigten, in die Zukunft wirkenden Diskriminierung des Arbeitgebers, die schon Gegenstand der Rechtsprechung des [X.] gewesen sei.

B. Die Entscheidung des [X.]s hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Der Kläger hat keinen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG iVm. § 81 Abs. 2 Satz 2 [X.].

I. Streitgegenstand ist der Anspruch des [X.] auf Zahlung einer Entschädigung wegen eines immateriellen Schadens.

1. Einen auf die Erstattung eines Vermögensschadens gerichteten Schadensersatzanspruch macht der Kläger nicht geltend. Schon der Klagebegründung kann nicht entnommen werden, dass er einen konkreten Verdienstausfall für einen bestimmten Zeitraum wegen der unterbliebenen Einstellung begehrt. Dies wäre aber für die hinreichende Bestimmtheit einer Schadensersatzklage erforderlich iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die von ihm geschätzte monatliche Vergütung iHv. 4.000,00 Euro führt der Kläger ersichtlich nur an, um eine Größenordnung für die Höhe der in das Ermessen des Gerichts gestellten Entschädigung vorzugeben.

2. Der auf Zahlung einer Entschädigung gerichtete Klageantrag ist zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger die Höhe der von ihm begehrten Entschädigung in das Ermessen des Gerichts gestellt hat. Diese Möglichkeit eröffnet bereits der Wortlaut des § 15 Abs. 2 AGG. Den Gerichten wird damit hinsichtlich der Höhe der Entschädigung ein Beurteilungsspielraum eingeräumt (BT-Drucks. 16/1780 S. 38). Hängt die Bestimmung eines Betrages vom billigen Ermessen des Gerichts ab, ist ein unbezifferter [X.] zulässig. Der Kläger hat auch Tatsachen benannt, die das Gericht bei der Bestimmung des Betrages heranziehen soll und die Größenordnung der geltend gemachten Forderung angegeben ([X.] 28. Mai 2009 - 8 [X.] - Rn. 17 f., [X.] § 8 Nr. 1 = EzA AGG § 8 Nr. 1; 16. September 2008 - 9 [X.] 791/07 - Rn. 18, [X.]E 127, 367 = [X.] § 81 Nr. 15 = EzA SGB IX § 81 Nr. 17; 24. April 2008 - 8 [X.] 257/07 - Rn. 17, [X.] § 33 Nr. 2 = EzA BGB 2002 § 611a Nr. 6).

II. Der Kläger hat jedoch keinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung aus § 15 Abs. 2 AGG, § 81 Abs. 2 Satz 2 [X.].

1. Nach § 81 Abs. 2 Satz 1 [X.] in der ab 18. August 2006 geltenden Fassung dürfen Arbeitgeber schwerbehinderte Beschäftigte nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen. Nach § 81 Abs. 2 Satz 2 [X.] gelten hierzu die Regelungen des ebenfalls am 18. August 2006 in [X.] getretenen AGG. Ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot begründet nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG iVm. § 81 Abs. 2 Satz 2 [X.] einen Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung in Geld wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist.

2. Es ist bereits zweifelhaft, ob der Kläger als „Beschäftigter“ iSd. AGG unter den persönlichen Anwendungsbereich des Gesetzes fällt.

Nach § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG gelten als Beschäftigte auch Bewerberinnen und Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis. Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 AGG ist Arbeitgeber im Sinne des Gesetzes, wer „Personen nach Abs. 1“ des § 6 AGG „beschäftigt“. Arbeitgeber ist also jedenfalls derjenige, der um Bewerbungen für ein von ihm angestrebtes Beschäftigungsverhältnis bittet.

a) Die Ernsthaftigkeit der Bewerbung des [X.] steht nicht in Frage. Eine offensichtliche Über- oder [X.] liegt ebenso wenig vor, wie aus der Tatsache, dass der Kläger [X.] ist und bei gescheiterten Bewerbungen auch schon mehrmals Prozesse geführt hat, geschlossen werden kann, dass der Kläger in Wirklichkeit nur eine Entschädigung anstrebte (vgl. [X.] 21. Juli 2009 - 9 [X.] 431/08 - Rn. 49 [X.], [X.] § 82 Nr. 1 = EzA [X.] § 82 Nr. 1). Im Übrigen kommt es für den Status als Bewerber nicht darauf an, ob der Kläger für die von der [X.] ausgeschriebene Tätigkeit objektiv geeignet war, sofern nicht ein krasses Missverhältnis zwischen Anforderungsprofil der zu vergebenden Stelle und Qualifikation des Bewerbers die Ernsthaftigkeit seiner Bewerbung in Frage stehen lässt. Die objektive Geeignetheit eines abgelehnten Bewerbers ist vielmehr für die Frage von Bedeutung, ob er eine weniger günstige Behandlung als eine andere Person „in einer vergleichbaren Situation“ erfahren hat, § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG ([X.] 18. März 2010 - 8 [X.] 1044/08 - Rn. 23, [X.], 1129; - 8 [X.] 77/09 - Rn. 16, [X.] § 8 Nr. 2 = EzA AGG § 8 Nr. 2).

b) Fraglich ist jedoch, ob der Kläger aufgrund seiner Bewerbung vom 29. Dezember 2007 in Anbetracht der schon am 17. Dezember 2007 erfolgten Stellenbesetzung noch als Bewerber „für ein Beschäftigungsverhältnis“ gelten kann. Nach der erfolgten Stellenbesetzung suchte die Beklagte keine weiteren Bewerber, sie versäumte lediglich, die Stellenausschreibung von ihrer Homepage zu löschen. Der [X.] kann aber die Frage, ob Bewerber iSd. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG auch derjenige ist, der sich für ein versehentlich (noch) ausgeschriebenes Beschäftigungsverhältnis bewirbt, dahinstehen lassen. Denn selbst wenn der Kläger aufgrund seiner Bewerbung vom 29. Dezember 2007 als Bewerber unter den persönlichen Anwendungsbereich des § 6 Abs. 1 AGG fällt, hat die Klage keinen Erfolg.

3. Der Kläger hat allerdings den Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG innerhalb der Frist des § 15 Abs. 4 AGG schriftlich geltend gemacht und die Klagefrist des § 61b Abs. 1 ArbGG eingehalten.

a) Die Ablehnung seiner Bewerbung erhielt der Kläger durch die E-Mail vom 8. Januar 2008. Mit Anwaltsschreiben vom 27. Februar 2008 ließ er Ansprüche nach § 15 Abs. 1 und Abs. 2 AGG geltend machen. Damit hatte er die Zweimonatsfrist für die schriftliche Geltendmachung nach § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG gewahrt. Einen bezifferten [X.] musste er nicht geltend machen ([X.] 18. November 2008 - 9 [X.] 643/07 - Rn. 43, [X.] § 81 Nr. 16 = EzA [X.] § 81 Nr. 19; 15. Februar 2005 - 9 [X.] 635/03 - [X.]E 113, 361 = [X.] § 81 Nr. 7 = EzA SGB IX § 81 Nr. 6).

b) Die am 27. Mai 2008 durch Fax beim Arbeitsgericht eingegangene Klage, die der [X.] am 3. Juni 2008 zugestellt wurde, wahrte die Dreimonatsfrist des § 61b Abs. 1 ArbGG (§ 253 Abs. 1 ZPO).

4. Die Voraussetzungen für einen Anspruch nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG iVm. § 81 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 SGB IX auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung liegen indes nicht vor. Ein solcher Anspruch setzte einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot voraus ([X.] 22. Januar 2009 - 8 [X.] 906/07 - Rn. 28, [X.]E 129, 181 = [X.] § 15 Nr. 1 = EzA AGG § 15 Nr. 1). Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG iVm. § 81 Abs. 2 Satz 1 [X.] läge eine unmittelbare Benachteiligung des [X.] vor, wenn er als schwerbehinderter Bewerber („Beschäftigter“) wegen seiner Behinderung eine weniger günstige Behandlung erfahren hätte als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation.

a) Der Kläger hat bei der Bewerbung um die ausgeschriebene Stelle eines Entwicklungsingenieurs keine weniger günstige Behandlung erfahren als der Bewerber [X.] ist zwar eingestellt worden, der Kläger nicht. Gleichwohl war beider Situation nicht vergleichbar iSd. § 3 Abs. 1 AGG. Der Zeuge P hatte sich auf eine ausgeschriebene, noch offene Stelle beworben. Der Kläger hatte sich auf eine noch ausgeschriebene, aber nicht mehr offene, sondern bereits besetzte Stelle beworben. Selbst wenn man also dem Kläger aufgrund der im [X.] belassenen Stellenausschreibung Bewerber- und damit [X.] zubilligen will, hat die Beklagte den Kläger deswegen nicht in die Auswahl bei der Stellenbesetzung einbezogen, weil sie ihn in Ermangelung einer im Zeitpunkt der Besetzung vorliegenden Bewerbung weder einbeziehen konnte noch einbeziehen musste. Dies hat das [X.] rechtsfehlerfrei erkannt. Es liegt auch kein Fall vor, dass eine bereits vor Eingang einer Bewerbung erfolgte Stellenbesetzung gleichwohl zu einer Benachteiligung des nicht berücksichtigten Bewerbers führt. Anhaltspunkte für eine diskriminierende Gestaltung des Bewerbungsverfahrens sind weder den Feststellungen der Vorinstanzen noch dem Akteninhalt zu entnehmen. Die Beklagte hat die Stelle zum Beispiel nicht vor Ablauf einer von ihr selbst gesetzten Bewerbungsfrist mit dem Bewerber P besetzt (vgl. dazu [X.] 17. August 2010 - 9 [X.] 839/08 - Rn. 27 ff.).

b) Die Beklagte ist ihren gesetzlichen Verpflichtungen bei der Förderung schwerbehinderter Menschen (§ 5 AGG) nicht nachgekommen. Vor oder bei der Einleitung des Besetzungsverfahrens hat sie die [X.] nicht eingeschaltet, wie es nach § 81 Abs. 1 Satz 2 [X.] geschehen soll. Auch hat sie nichts dafür vorgetragen, dass sie ihrer Verpflichtung nachgekommen ist, zu prüfen, ob der freie Arbeitsplatz mit schwerbehinderten Menschen, insbesondere mit bei der [X.] arbeitslos oder arbeitsuchend gemeldeten schwerbehinderten Menschen besetzt werden kann (§ 81 Abs. 1 Satz 1 [X.]). Als die Beklagte jedoch ihre diesbezüglichen Pflichten verletzte, also bis einschl. 17. Dezember 2007, als sie den [X.] einstellte, fiel der Kläger noch nicht unter den persönlichen Anwendungsbereich des AGG, weil er zu diesem Zeitpunkt noch nicht Beschäftigter iSv. § 6 Abs. 1 AGG war; er hat sich erst am 29. Dezember 2007 beworben. Mit anderen Worten: Als der Kläger als schwerbehinderter Mensch von der [X.] benachteiligt wurde, weil sie ihren Pflichten nach dem [X.] nicht nachkam, war er noch nicht Beschäftigter. Nachdem er aufgrund seiner Bewerbung [X.] erlangt haben mag, fand eine Benachteiligung nicht (mehr) statt. Damit fehlt es nach § 15 Abs. 2 AGG an der Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch. Als Beschäftigter hat der Kläger mangels einer Besetzungsentscheidung keine Benachteiligung erfahren.

5. Auch unter dem Gesichtspunkt des Schutzes vor Diskriminierung ohne konkrete eigene Benachteiligung steht dem Kläger ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG nicht zu.

a) Die [X.] Richtlinien zur Durchsetzung der Gleichbehandlung, die in [X.] durch das AGG umgesetzt wurden, verlangen, dass in den Mitgliedstaaten alle Personen, die sich durch Ungleichbehandlung aufgrund eines verpönten Merkmals für in ihren Rechten verletzt halten, den Gerichtsweg beschreiten können (Art. 7 Abs. 1 RL 2000/43/[X.] und Art. 9 Abs. 1 RL 2000/78/[X.]). Die Richtlinien verlangen darüber hinaus, dass Verbände, Organisationen oder andere juristische Personen, die nach nationalem Recht für die Einhaltung der Bestimmungen der Richtlinien zu sorgen haben, sich entweder im Namen der beschwerten Person oder zu deren Unterstützung am Gerichtsverfahren beteiligen können. Diese Mindestanforderungen (Art. 6 Abs. 1 RL 2000/43/[X.] und Art. 8 Abs. 1 RL 2000/78/[X.]) erfüllt das nationale Recht in [X.]. Zwar ist bei den durch Gesetz vorgeschriebenen institutionellen Vorkehrungen zur Unterstützung der Integration behinderter Menschen (Schwerbehindertenvertretung, Integrationsamt, [X.], vgl. [X.]. 5 bis 7 [X.]) ein allgemeines Klagerecht nicht vorgesehen, jedoch können Antidiskriminierungsverbände nach § 23 Abs. 2 AGG im gerichtlichen Verfahren als Beistände Benachteiligter auftreten. Die [X.] einzelner Betroffener ist dem [X.] Recht dagegen grundsätzlich fremd.

b) Mit Urteil vom 10. Juli 2008 (- [X.]/07 - [[X.]] Slg. 2008, [X.]) hat der [X.] von einer individualisierbaren Person, die konkret benachteiligt wird oder sich benachteiligt fühlt, gelöst und bereits die abstrakte Diskriminierung durch eine öffentliche Äußerung als [X.] qualifiziert (vgl. [X.], 45, 46). Aus dem Fehlen einer identifizierbaren beschwerten Person könne nicht auf das Fehlen einer unmittelbaren Diskriminierung geschlossen werden ([X.] 10. Juli 2008 - [X.]/07 - [[X.]] Rn. 22, aaO), denn das Ziel der Richtlinie, günstigere Bedingungen für die Entstehung eines Arbeitsmarkts zu schaffen, der die [X.] Integration fördere, würde schwerlich erreicht, wenn der Anwendungsbereich der Richtlinie auf Fälle beschränkt wäre, in denen sich ein konkreter Bewerber diskriminiert fühle. Derartige öffentliche Äußerungen eines Arbeitgebers könnten bestimmte Bewerber ernsthaft davon abhalten, ihre Bewerbung einzureichen ([X.] 10. Juli 2008 - [X.]/07 - [[X.]] Rn. 25, 28, aaO; vgl. den 8. Erwägungsgrund der RL 2000/43/[X.]). Der [X.] hat weiter klargestellt, dass auch dann, wenn es kein identifizierbares Opfer gibt, die Sanktionen, die bei einem Verstoß gegen die einzelstaatlichen Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie zu verhängen sind, wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen ([X.] 10. Juli 2008 - [X.]/07 - [[X.]] Rn. 40, aaO). Die vom [X.] in Bezug auf den Sachverhalt seines Ausgangsverfahrens erwogenen Sanktionen (10. Juli 2008 - [X.]/07 - [[X.]] Rn. 39, aaO) sehen jedoch zur Verhinderung abstrakter Benachteiligungen keine Entschädigung für konkrete Personen vor. Bei identifizierbaren beschwerten Personen wird dagegen ein effektiver Schutz durch die Regelung der Beweislastumkehr, wie sie die Richtlinien vorsehen, gewährleistet.

c) Auch unter dem Gesichtspunkt der Generalprävention ergibt sich daher kein Entschädigungsanspruch des [X.].

Es kann offenbleiben, ob Regelungen wie die des § 81 [X.], die vorliegend die Beklagte nicht eingehalten hat, überhaupt durch das [X.] Recht geboten sind oder ob sie nicht nationale Rechtsverstärkungen darstellen, die über die [X.] Mindestanforderungen hinausgehen, um den Grundsatz der Gleichbehandlung behinderter Menschen günstiger zu gestalten als es das [X.] Recht vorschreibt. Denn selbst wenn § 81 [X.] die Umsetzung von Vorgaben [X.]r Richtlinien darstellte, ist seine Nichteinhaltung nicht sanktionslos ausgestaltet. Die fehlende Benachteiligung der Schwerbehindertenvertretung ist nach [X.] Recht eine Ordnungswidrigkeit, § 156 Abs. 1 Nr. 7 und Nr. 8 [X.]. Nach § 27 Abs. 3 AGG ist die [X.] berufen, auch unabhängig von einer konkreten Benachteiligung, Maßnahmen zur Verhinderung von Benachteiligungen aus den in § 1 AGG genannten Gründen zu ergreifen. Liegt, anders als im Falle des [X.], eine konkrete Benachteiligung bei einer Einstellungsentscheidung vor, so stellte die Nichtbeteiligung der [X.] ein Indiz iSd. § 22 AGG dar, die zu einer Beweislastumkehr führte. Der nicht durch eine Besetzungsentscheidung beschwerte Kläger kann dagegen weder nach nationalem noch nach [X.]m Recht eine Entschädigungszahlung für sich beanspruchen ([X.] 10. Juli 2008 - [X.]/07 - [[X.]] Rn. 28, aaO).

C. Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Hauck    

        

    Böck    

        

    Breinlinger    

        

        

        

    Brückmann    

        

    E. Schulz    

                 

Meta

8 AZR 370/09

19.08.2010

Bundesarbeitsgericht 8. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Lörrach, 16. September 2008, Az: 1 Ca 161/08, Urteil

§ 1 AGG, § 3 Abs 1 S 1 AGG, § 5 AGG, § 6 Abs 1 S 2 AGG, § 6 Abs 2 S 1 AGG, § 15 Abs 2 AGG, § 15 Abs 4 AGG, § 23 Abs 2 AGG, § 81 Abs 2 S 1 SGB 9, § 81 Abs 2 S 2 SGB 9, § 61b Abs 1 ArbGG, Art 6 Abs 1 EGRL 43/2000, Art 7 Abs 1 EGRL 43/2000, Art 8 Abs 1 EGRL 78/2000, Art 9 Abs 1 EGRL 78/2000

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.08.2010, Az. 8 AZR 370/09 (REWIS RS 2010, 3916)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 3916

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

9 AZR 839/08 (Bundesarbeitsgericht)

Entschädigungsanspruch - schwerbehinderter Bewerber - Benachteiligung


8 AZR 608/10 (Bundesarbeitsgericht)

Bewerber - Benachteiligung - Behinderung


8 AZR 563/12 (Bundesarbeitsgericht)

Entschädigungsanspruch - schwerbehinderter Bewerber - Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch


8 AZR 679/09 (Bundesarbeitsgericht)

Entschädigungsanspruch eines schwerbehinderten Bewerbers


8 AZR 180/12 (Bundesarbeitsgericht)

Entschädigungsanspruch - abgelehnter Bewerber - Benachteiligung wegen Behinderung


Referenzen
Wird zitiert von

17 Sa 1302/17

4 Sa 796/10

13 Ca 4560/20

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.