Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.11.2019, Az. 3 StR 233/19

3. Strafsenat | REWIS RS 2019, 1143

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Gegenstand

Anabolika als bedenkliche Arzneimittel


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird

a) der Vorwurf des Herstellens und Inverkehrbringens von minderwertigen Arzneimitteln und Wirkstoffen von der Strafverfolgung ausgenommen und das Verfahren auf die übrigen Gesetzesverletzungen beschränkt,

b) das Urteil des [X.] vom 30. Oktober 2018 im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des Inverkehrbringens von Arzneimitteln zu Dopingzwecken im Sport in Tateinheit mit Inverkehrbringen von bedenklichen Arzneimitteln und mit Handeltreiben mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln außerhalb von Apotheken schuldig ist.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen Inverkehrbringens von bedenklichen [X.] in Tateinheit mit vorsätzlichem Inverkehrbringen von [X.] zu [X.]zwecken im Sport, mit vorsätzlichem Herstellen und Inverkehrbringen von minderwertigen [X.] und Wirkstoffen sowie mit vorsätzlichem Handeltreiben mit verschreibungspflichtigen [X.] außerhalb von Apotheken zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Es hat angeordnet, dass sieben Monate der Strafe zur Entschädigung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung als vollstreckt gelten und [X.] von 8.700 € sowie der Wert von [X.]n in Höhe von 133.300 € eingezogen werden. Hiergegen wendet sich die Revision des Angeklagten, die sich auf die Sachrüge stützt. Sein Rechtsmittel führt zu einer Verfolgungsbeschränkung und einer entsprechenden Änderung des Schuldspruchs, hat im Übrigen aber keinen Erfolg.

I.

2

Das [X.] hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

3

Der Angeklagte entschloss sich spätestens Mitte 2011, Anabolika in großen Mengen herzustellen und an [X.]sportler zu verkaufen, um sich eine dauernde Einnahmequelle von einigem Umfang zu schaffen. Ihm war bewusst, dass es sich um verschreibungs- und apothekenpflichtige Medikamente handelte, deren Herstellung und Vertrieb ihm nicht erlaubt waren, dass er technisch nicht in der Lage war, die Qualität der Ausgangsstoffe umfassend zu kontrollieren und die vorgeschriebenen sterilen Herstellungsbedingungen einzuhalten, und dass die von ihm vertriebenen Anabolika generell geeignet waren, den menschlichen Organismus zu schädigen. Er stellte mit in [X.] bestellten Grundstoffen unter anderem Testosteron Enantat, Testosteron Propionat, Metandienon, Sustanon, [X.] Acetat, [X.] Enantat, Oxymetholon, [X.] und Clomifen her. Seine Vorräte füllte er regelmäßig durch neue Bestellungen auf, so dass sie nie vollständig aufgebraucht waren. Von Mitte 2011 bis Dezember 2012 versandte er wenigstens 711 Pakete mit [X.] zu [X.]zwecken an seine Kunden und ließ sich seine Lieferungen auf verschiedene Weisen bezahlen. Insgesamt erzielte er mindestens 142.000 €. Es wurden elf Geldpakete mit 8.700 €, die Kunden an von ihm angegebene Packstationen gesendet hatten, und am 13. Dezember 2012 vorhandene Anabolikazubereitungen sowie diverse Utensilien sichergestellt. Nach einer Auswertung des [X.] Landeskriminalamtes überschritten die aufgefundenen [X.]mittel die nicht geringe Menge im Sinne der Verordnung zur Bestimmung von [X.]mitteln und zur Festlegung der nicht geringen Menge um mehr als das 34.000-Fache.

II.

4

Das Rechtsmittel des Angeklagten hat weitgehend keinen Erfolg.

5

1. Der [X.] hat den Tatbestand des [X.] und Inverkehrbringens von minderwertigen [X.] und Wirkstoffen (§ 95 Abs. 1 Nr. 3a, § 8 Abs. 1 Nr. 1 [X.]) von der Verfolgung ausgenommen und diese insofern gemäß § 154a Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO mit Zustimmung des [X.] aus den in dessen Antragsschrift genannten Gründen beschränkt. Die Beschränkung hat eine entsprechende Änderung des Schuldspruchs zur Folge.

6

2. Die Feststellungen sind vom [X.] rechtsfehlerfrei getroffen worden und werden, wie in der Antragsschrift des [X.] zutreffend ausgeführt, durch die Beweiswürdigung belegt.

7

3. Die Feststellungen tragen den nach der Verfolgungsbeschränkung verbleibenden Schuldspruch.

8

a) Bei den Produkten, die der Angeklagte herstellte und vertrieb, handelt es sich um Arzneimittel im Sinne des § 2 [X.].

9

Es besteht kein Grund, in Bezug auf das für alle [X.] maßgebliche Tatbestandsmerkmal des Arzneimittels nach §§ 2, 95 [X.] entsprechend der in der Revisionsbegründung formulierten Anregung das Verfahren auszusetzen und dem [X.] gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV zur Beantwortung bestimmter Fragen zum Arzneimittelbegriff vorzulegen. Die Auslegung des Arzneimittelbegriffs im unionsrechtlichen Sinne ist durch die Rechtsprechung des [X.]s bereits in einer Weise geklärt, die keinen vernünftigen Zweifel offenlässt ("acte éclairé", vgl. allgemein etwa [X.], Beschluss vom 19. Dezember 2017 - 2 BvR 424/17, [X.]E 147, 364, 381 f.). Der [X.] beabsichtigt nicht, von dieser Rechtsprechung abzuweichen.

aa) Der [X.] Gesetzgeber hat in § 2 [X.] die Definition des Arzneimittels nach der Richtlinie 2001/83/[X.] zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in [X.]s Recht überführt und dabei insbesondere für "Funktionsarzneimittel" in § 2 Abs. 1 Nr. 1 [X.] den Wortlaut von Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie übernommen (s. BT-Drucks. 16/12256 S. 41).

Der [X.] geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Entscheidung, ob ein Erzeugnis unter die Definition des "Arzneimittels" im Sinne der Richtlinie 2001/83/[X.] fällt, von Fall zu Fall zu treffen sei und dabei alle Merkmale des Erzeugnisses zu berücksichtigen seien, insbesondere seine Zusammensetzung, seine pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Eigenschaften, wie sie sich beim jeweiligen Stand der Wissenschaft feststellen lassen, die Modalitäten des Gebrauchs, der Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern und die Risiken, die seine Verwendung mit sich bringen (s. [X.], Urteil vom 10. Juli 2014 - [X.]/13, [X.], 461, 463 mwN; vgl. auch [X.], [X.] im [X.]n, [X.] und [X.] Recht, 2016, [X.] ff.). In weiterer Konkretisierung dieser Grundsätze hat er entschieden, dass der Arzneimittelbegriff keine Stoffe umfasse, deren Wirkungen sich auf eine schlichte Beeinflussung der physiologischen Funktionen beschränken, ohne dass sie geeignet wären, der menschlichen Gesundheit unmittelbar oder mittelbar zuträglich zu sein ([X.] aaO; s. auch Urteil vom 15. Januar 2009 - [X.]/07 - Hecht-Pharma, [X.] Slg. 2009 - I - 72, 88). Bereits in vorangegangenen Urteilen hatte der [X.] ausgeführt, dass zur Beurteilung der physiologischen Auswirkungen auf den normalen Gebrauch des fraglichen Erzeugnisses - etwa unter Berücksichtigung des Beipackzettels - abzustellen, die in einer Gebrauchsanweisung mitgeteilte Modalität des Gebrauchs aber nicht an sich ausschlaggebend sei ([X.], Urteile vom 30. April 2009 - [X.]/08 - BIOS Naturprodukte, NVwZ 2009, 967, 968; vom 9. Juni 2005 - [X.]/03 - [X.], [X.] Slg. 2005 - I - 5186, 5212).

bb) In Anwendung der aufgezeigten Grundsätze ist die Einordnung der vom Angeklagten hergestellten und vertriebenen Produkte als Arzneimittel ohne weiteres möglich, wie sich auch aus der bisherigen Rechtsprechung des [X.] ergibt (vgl. [X.], Beschlüsse vom 7. August 2018 - 3 StR 345/17, NStZ-RR 2019, 86; vom 14. Februar 2019 - 4 StR 283/18, [X.], 248 Rn. 2 ff.; Urteile vom 18. September 2013 - 2 StR 535/12, [X.]St 59, 16 Rn. 10; vom 19. September 2017 - 1 [X.], NStZ-RR 2018, 50, 51; vom 11. Juli 2002 - [X.], [X.]Z 151, 286, 291 ff.). Es bestehen keine grundsätzlichen Rechtsfragen, die bislang durch den [X.] nicht entschieden und für die Beurteilung maßgeblich sind. Vielmehr geht es um eine Rechtsanwendung auf den Einzelfall.

Nach den Urteilsgründen dienten die produzierten und vertriebenen Anabolika dazu, im Zusammenhang mit [X.]sport einen Zugewinn an Muskelmasse zu fördern, mithin die physiologischen Funktionen zu beeinflussen (vgl. auch BT-Drucks. 16/5526 [X.]; zudem - mit gewissen Zweifeln im Einzelfall - [X.]/[X.], [X.], 135. [X.]. 2019, § 2 A 1.0 Nr. 76). Diese Beeinflussung wurde jedenfalls von den Verbrauchern, aber grundsätzlich - von den damit einhergehenden Nebenwirkungen abgesehen - auch darüber hinaus als positiv bewertet (vgl. zur Zulassung von [X.] mit der Indikation "Leistungssteigerung" etwa BT-Drucks. 13/9996 [X.]). Die Stoffe sind danach geeignet, der menschlichen Gesundheit zuträglich zu sein. Dass mit vorteilhaften Auswirkungen Nebenwirkungen einhergehen, die im Ergebnis einen positiven Gesamtnutzen in Frage stellen können, ist für Arzneimittel typisch und kein Grund, die [X.] zu verneinen (s. etwa zu Nebenwirkungen Art. 1 Nr. 11 Richtlinie 2001/83/[X.], § 4 Abs. 13 [X.]; zum Nutzen-Risiko-Verhältnis § 4 Abs. 28 [X.]).

Die weiter einzubeziehenden Gesichtspunkte wie die Gebrauchsmodalitäten, die näheren Umstände der Abgabe an die Verbraucher und das Schädigungspotential von Anabolika stehen einer Einordnung als Arzneimittel ebenfalls nicht entgegen, sondern lassen sich dafür anführen. Im Übrigen spricht für eine solche Einordnung, dass der Angeklagte die Produkte "wie bei [X.] üblich mit Angaben zu Inhaltsstoffen und Wirkstoffgehalten versah", vorbedruckte Injektionsfläschchen ("Vials") samt Hologramm-Aufklebern verwendete und seine Produkte unter anderem unter der auf eine medizinische Verwendung hinweisenden Bezeichnung "[X.]" bewarb.

b) Der Angeklagte hat sich nach den getroffenen Feststellungen wegen Inverkehrbringens von [X.] zu [X.]zwecken im Sport nach § 95 Abs. 1 Nr. 2a, § 6a Abs. 1 [X.] in der Fassung des [X.] zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 19. Oktober 2012 ([X.]. 2012 I S. 2192, 2194) strafbar gemacht.

aa) Gemäß § 2 Abs. 2 StGB ist diese zum Zeitpunkt der [X.] geltende Gesetzesfassung anzuwenden, da der Angeklagte die - im Wege der Bewertungseinheit als einheitlich beurteilte - Tat von Mitte 2011 bis zum 12. Dezember 2012 beging.

Das [X.] hat mit zutreffender Begründung nach § 2 Abs. 3 StGB die Vorschriften des [X.] und nicht des nachfolgend in [X.] getretenen AntiDopG herangezogen, da sich das [X.] im konkreten Fall als das mildere Gesetz darstellt (vgl. näher [X.], Beschluss vom 20. Juni 2017 - 1 StR 458/16, NJW 2017, 2847 Rn. 5 ff.).

bb) Der [X.] ist trotz geäußerter Bedenken (s. [X.], Beschluss vom 7. August 2018 - 3 StR 345/17, NStZ-RR 2019, 86) in Bezug auf den hier entscheidenden Zeitraum nicht von der Verfassungswidrigkeit des § 6a Abs. 2 Satz 1 [X.] (in Verbindung mit § 95 Abs. 1 Nr. 2a, § 6a Abs. 1 [X.] in der damals geltenden Fassung) überzeugt und hat daher keine Entscheidung des [X.] nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG eingeholt (im Ergebnis ebenso [X.], Beschluss vom 14. Februar 2019 - 4 StR 283/18, [X.], 248; zu den allgemeinen Anforderungen [X.], Beschlüsse vom 6. März 2018 - 1 BvL 1/16, [X.], 1021, 1022; vom 18. Dezember 1984 - 2 BvL 22/82, [X.]E 68, 337, 343 f.).

(1) § 6a Abs. 2 Satz 1 [X.] wurde durch das [X.] und anderer Vorschriften mit Wirkung zum 26. Oktober 2012 - neben einer Einschränkung auf das [X.] bei Menschen - dahin geändert, dass seitdem dynamisch ausdrücklich auf die jeweils geltende Fassung des Anhangs des Übereinkommens gegen [X.] (Gesetz vom 2. März 1994 zu dem Übereinkommen vom 16. November 1989 gegen [X.], [X.]. [X.]) Bezug genommen wurde. Insoweit stehen die zuvor vom [X.] ausgeführten Zweifel, ob die frühere Gesetzesfassung eine statische oder eine dynamische Verweisung enthielt und die Vorschrift mit Blick darauf verfassungsmäßig sei ([X.], Beschluss vom 7. August 2018 - 3 StR 345/17, NStZ-RR 2019, 86; näher dazu auch Parzeller/[X.], [X.] 2009, 101 ff., 119 ff.), nicht in Rede.

(2) Die dynamische Verweisung betreffende Bedenken, ob die Rechtsetzungshoheit des Gesetzgebers gewahrt ist, sind zumindest für den zu beurteilenden Zeitraum nicht von solchem Gewicht, dass sie zur Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift führen.

(a) Art. 103 Abs. 2 GG enthält - gemäß der Rechtsprechung des [X.] - die Verpflichtung, wesentliche Fragen der Strafwürdigkeit oder Straffreiheit im demokratisch-parlamentarischen Willensbildungsprozess zu klären und die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen (s. [X.], Beschluss vom 21. September 2016 - 2 BvL 1/15, [X.]E 143, 38 Rn. 38 mwN). Dabei muss der Gesetzgeber den Tatbestand nicht stets vollständig im förmlichen Gesetz umschreiben, sondern darf auf andere Vorschriften, auch anderer Normgeber, verweisen. Verweist ein Gesetzgeber dabei auf andere Vorschriften in ihrer jeweils geltenden Fassung (dynamische Verweisung), kann dies dazu führen, dass er den Inhalt seiner Vorschriften nicht mehr in eigener Verantwortung bestimmt und damit der Entscheidung Dritter überlässt. Damit sind dynamische Verweisungen zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, aber nur in dem Rahmen zulässig, den die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, der Demokratie und der Bundesstaatlichkeit ziehen; grundrechtliche Gesetzesvorbehalte können diesen Rahmen zusätzlich einengen ([X.] aaO S. 55 f.).

Eine allgemeine Aussage, welchen Grad an gesetzlicher Bestimmtheit der einzelne Straftatbestand haben muss, lässt sich nicht treffen. Vielmehr ist im Wege einer wertenden Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung möglicher Regelungsalternativen zu entscheiden, ob der Gesetzgeber seinen Verpflichtungen aus Art. 103 Abs. 2 GG im Einzelfall nachgekommen ist. Zu prüfen sind die Besonderheiten des jeweiligen Straftatbestands einschließlich der Umstände, die zu der gesetzlichen Regelung führen, wobei der Gesetzgeber die Strafbarkeitsvoraussetzungen umso genauer festlegen und präziser bestimmen muss, je schwerer die von ihm angedrohte Strafe ist. Auch der Kreis der Normadressaten ist von Bedeutung ([X.], Beschluss vom 23. Juni 2010 - 2 BvR 2559/08 u.a., [X.]E 126, 170, 196 mwN).

(b) Nach diesen Maßstäben ist eine Verfassungswidrigkeit des § 6a Abs. 2 Satz 1 [X.] und der damit in Zusammenhang stehenden § 95 Abs. 1 Nr. 2a, § 6a Abs. 1 [X.] in dem maßgeblichen Zeitraum nicht anzunehmen.

Der Gesetzgeber hat in § 95 Abs. 1 Nr. 2a [X.] die Strafbarkeit und die Rechtsfolgen für den Fall selbst geregelt, dass jemand entgegen § 6a Abs. 1 [X.] Arzneimittel zu [X.]zwecken im Sport in den Verkehr bringt, verschreibt oder bei anderen anwendet. Die Verweisung auf die Verbotsvorschrift in § 6a Abs. 1 desselben Gesetzes ist gesetzestechnisch unproblematisch. Durch diese Norm hat der Gesetzgeber selbst grundlegend bestimmt, dass es verboten ist, Arzneimittel nach Abs. 2 Satz 1 zu [X.]zwecken im Sport in den Verkehr zu bringen, zu verschreiben oder bei anderen anzuwenden, sofern ein [X.] bei Menschen erfolgt oder erfolgen soll. Damit hat er aufgezeigt, was strafbar sein soll, und Art und Maß der Freiheitsstrafe festgelegt (vgl. [X.], Beschluss vom 14. Februar 2019 - 4 StR 283/18, [X.], 248; [X.]/[X.]/[X.]/Nickel, [X.], 2. Aufl., § 6a Rn. 19). Aufgrund des Gesetzes lassen sich mithin die möglichen Fälle der Strafbarkeit prinzipiell voraussehen. So verweist der Gesetzgeber, der als entscheidend für das Verbot den konkreten [X.], d. h. die Verwendung zu [X.]zwecken, angesehen hat (s. BT-Drucks. 13/9996 [X.]), in § 95 Abs. 1 Nr. 2a [X.] lediglich auf § 6a Abs. 1 [X.].

Die Bezugnahme in § 6a Abs. 2 Satz 1 [X.] auf den Anhang des Übereinkommens gegen [X.] führt demgegenüber letztlich zu einer einschränkenden Konkretisierung der Verbotsnorm des Absatzes 1. Das Verbot und eine entsprechende Strafbarkeit greifen nur dann ein, wenn neben den dort genannten Tatbestandsmerkmalen das Arzneimittel Stoffe der in der jeweils geltenden Fassung des Anhangs des Übereinkommens gegen [X.] aufgeführten Gruppen von verbotenen Wirkstoffen oder Stoffe enthält, die zur Verwendung bei den dort aufgeführten verbotenen Methoden bestimmt sind. Die Verweisung auf die [X.] ermöglicht eine regelmäßige Anpassung an den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse (vgl. BT-Drucks. 16/5526 [X.] [X.]. 1; [X.]/[X.]/[X.]/Nickel, [X.], 2. Aufl., § 6a Rn. 19; zur Unumgänglichkeit wechselnder Einzelregelungen bei ständigem Wandel allgemein [X.], Beschluss vom 25. Oktober 1991 - 2 BvR 374/90, [X.], 2624).

Ähnlich wie in einem Fall, in welchem dem nationalen Verordnungsgeber die Konkretisierung des Straftatbestandes eingeräumt wird, kann auch auf das Unionsrecht verwiesen werden ([X.], Beschluss vom 21. September 2016 - 2 BvL 1/15, [X.]E 143, 38 Rn. 47 mwN). Dass es sich abweichend davon bei der jeweils aktualisierten Liste nicht um nationale oder unionsrechtliche Normsetzung handelt, sondern um den Anhang eines völkerrechtlichen Übereinkommens, führt nicht ohne Weiteres zur Unzulässigkeit der Verweisung. Abgesehen davon, dass das Grundgesetz "völkerrechtsfreundlich" angelegt ist (vgl. [X.], Beschluss vom 29. Januar 2019 - 2 BvC 62/14, NJW 2019, 1201, 1206 mwN), ist eine Verweisung auf Regelungen außerstaatlicher Stellen nicht vollständig ausgeschlossen (vgl. etwa [X.], Beschluss vom 14. Juni 1983 - 2 BvR 488/80, [X.]E 64, 208, 214 f.; [X.], Urteil vom 18. September 2013 - 2 [X.], [X.]St 59, 11, 15 f.). Wenn deren Inhalt im Wesentlichen feststeht, liegt kein unzulässiger Verzicht des Gesetzgebers auf seine Rechtsetzungsbefugnis vor und ist den sich aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaat- sowie dem Demokratieprinzip ergebenden Anforderungen Genüge getan (vgl. [X.], Beschluss vom 25. Februar 1988 - 2 BvL 26/84, [X.]E 78, 32, 36).

Insofern enthält das Übereinkommen gegen [X.] verfahrensrechtliche Vorgaben für die Aufstellung der Liste und umreißt diese zugleich inhaltlich nach seinem Regelungsgefüge. Hinzu kommt, dass hier der Zeitraum unmittelbar nach Inkrafttreten der damals neuen Gesetzesfassung des § 6a [X.] zu beurteilen ist. Zu diesem Zeitpunkt galt die bereits am 10. Februar 2012 veröffentlichte ([X.]. [X.] ff.) Neufassung des Anhangs zu dem Übereinkommen. Diese Fassung war mithin schon im Gesetzgebungsverfahren zum [X.] zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften bekannt. Daher steht außer Frage, dass der Gesetzgeber jedenfalls den zum damaligen Zeitpunkt geltenden Anhang als Konkretisierung der Verbots- und Strafnorm legitimiert hat und diese Fassung zudem aufgrund der Veröffentlichung den Normadressaten zugänglich war (vgl. entsprechend [X.], Urteil vom 18. September 2013 - 2 [X.], [X.]St 59, 11 Rn. 14 zu einer früheren Gesetzesänderung des § 6a Abs. 2 [X.]).

Überdies war nach dem - auch in § 143 Abs. 2 Satz 1 [X.] aF zum Ausdruck kommenden - Willen des Gesetzgebers die Bekanntmachung des jeweils geänderten Anhangs zu dem Übereinkommen im [X.] vorgesehen (s. BT-Drucks. 17/9341 [X.]), so dass ungeachtet etwaiger anderer Veröffentlichungen der jeweiligen Listen diese dadurch dem Normadressaten zugänglich gemacht wurden und der Grundsatz der Publizität bedacht wurde (s. dazu allgemein [X.], Beschluss vom 29. April 2010 - 2 BvR 871/04, [X.]K 17, 273, 287). Für jemanden, der Arzneimittel zu [X.]zwecken im Sport in den Verkehr bringt, ist es zumutbar, sich über den jeweiligen Fassungsstand zu informieren.

Danach ist ferner nicht entscheidend, dass in dem seinerzeit aktuellen Anhang des Übereinkommens gegen [X.] - wie bereits schon in den Vorjahren - nicht mehr der im Gesetz genutzte Begriff der "Gruppen von verbotenen Wirkstoffen" verwendet wird, sondern Stoffe unter bestimmten "Klassen" zusammengefasst sind. Wie auch die Regelungssystematik nahelegt, ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass die Gruppen bestimmter Stoffe nunmehr unter den Überschriften der Klassen (etwa als "[X.]", "[X.]") ausgewiesen sind (vgl. BT-Drucks. 16/5526 [X.]). Im Übrigen war in den englisch- und französischsprachigen Fassungen des Übereinkommens gegen [X.] sowie in den folgenden Änderungen stets von "classes" die Rede.

Schließlich hat der Gesetzgeber zwar in dem § 6a [X.] ersetzenden § 2 AntiDopG vom 10. Dezember 2015 ([X.]. 2015 I S. 2210) eine andere Regelungstechnik gewählt, die nunmehr auf einen in der Anlage I des [X.] vom 19. Oktober 2005 gegen [X.] im Sport ([X.]. [X.], 355) in der vom [X.] jeweils im [X.] [X.] bekannt gemachten Fassung (Internationales Übereinkommen gegen [X.]) aufgeführten Stoff abstellt. Insofern können die näheren Ausführungen in der Gesetzesbegründung zu dem speziellen Gesetzesvorbehalt und dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG (BT-Drucks. 18/4898 S. 24 f.) als Reaktion auf Bedenken an der vorangegangenen Gesetzeslage (vgl. etwa [X.], Urteil vom 18. September 2013 - 2 [X.], [X.]St 59, 11 Rn. 14 mwN) verstanden werden. Aus einem etwaigen Anliegen im Rahmen der ohnehin vorgenommenen Neuordnung durch die Schaffung des Gesetzes gegen [X.] im Sport, Vorschriften klarer und bestimmter zu fassen, folgt aber nicht der Schluss, die vorangegangene Rechtslage sei verfassungswidrig gewesen oder der Gesetzgeber sei zumindest von einer Verfassungswidrigkeit ausgegangen.

Bei einer Gesamtwürdigung der erörterten Gesichtspunkte führen die an der Regelungssystematik fortbestehenden Bedenken letztlich nicht zu der Überzeugung des [X.]s von der Verfassungswidrigkeit des Normengefüges.

cc) Der Angeklagte brachte entgegen § 6a Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 [X.] Arzneimittel, die Stoffe der in der damals geltenden Fassung des Anhangs des Übereinkommens gegen [X.] aufgeführten Gruppen von verbotenen Wirkstoffen enthielten, zu [X.]zwecken im Sport in den Verkehr.

Die von der [X.] im einzelnen aufgezählten Produkte beinhalteten verbotene anabole Stoffe (Metandienon, Oxymetholon, Stanozolol ["[X.]"], Testosteron) sowie Hormone oder Stoffwechsel-Modulatoren (Clomifen). Unter einem Inverkehrbringen im Sinne des § 6a Abs. 1 [X.] ist nach § 4 Abs. 17 [X.] das Vorrätighalten zum Verkauf oder zu sonstiger Abgabe, das Feilhalten, das Feilbieten und die Abgabe an andere zu verstehen. Der Angeklagte hielt die von ihm produzierten Mittel jedenfalls zum Verkauf vorrätig und gab sie in einer Vielzahl von Fällen an andere ab.

dd) Eine vom [X.] beantragte Beschränkung der Verfolgung nach § 154a Abs. 2 StPO hinsichtlich dieses Straftatbestandes hält der [X.] unter den gegebenen Umständen des Einzelfalles nicht für zweckmäßig.

c) Der Angeklagte brachte zugleich bedenkliche Arzneimittel in Verkehr (§ 95 Abs. 1 Nr. 1, § 5 Abs. 1 [X.]).

Bei den zum Verkauf vorrätig gehaltenen und abgegebenen Mitteln bestand im Sinne des § 5 Abs. 2 [X.] nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse der begründete Verdacht, dass sie bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen haben, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen. Der bestimmungsgemäße Gebrauch richtet sich bei für [X.]zwecke im Sport hergestellten Präparaten nach dem üblichen Gebrauch der Konsumenten und nicht, soweit Präparate mit zugelassenen [X.] chemisch artverwandt oder wirkstoffidentisch sind, nach der für das verwandte Erzeugnis maßgeblichen Zwecksetzung (s. [X.], Urteile vom 19. September 2017 - 1 [X.], NStZ-RR 2018, 50, 51; vom 10. Juni 1998 - 5 [X.], [X.]R [X.] § 95 Abs. 1 Nr. 1 Arzneimittel 2; [X.]/[X.]/[X.]/Raum, [X.], 2. Aufl., § 95 Rn. 15).

Die schädlichen Wirkungen der vertriebenen Anabolika auf den menschlichen Körper hat das [X.] festgestellt. Hierzu und zur Überschreitung des wissenschaftlich vertretbaren Maßes bedurfte es mit Blick auf die konkreten, ohne medizinische Indikation zur Leistungssteigerung in Verkehr gebrachten Stoffe keiner weitergehenden Ausführungen (vgl. zu anabolen Steroiden [X.], Urteil vom 19. September 2017 - 1 [X.], NStZ-RR 2018, 50, 51; s. auch BT-Drucks. 16/5937 S. 16). Dass der Angeklagte die tatsächlichen Umstände kannte, die für die Abwägung des Verhältnisses zwischen dem bekannten Risiko und dem Nutzen von Relevanz sind (vgl. [X.], Urteil vom 23. Juli 2019 - 1 [X.], NJW 2019, 3392 Rn. 31), ist den Urteilsgründen ebenfalls zu entnehmen.

d) Zudem verwirklichte der Angeklagte den Tatbestand des Handeltreibens mit [X.], die nur auf Verschreibung an Verbraucher abgegeben werden dürfen, außerhalb von Apotheken (§ 95 Abs. 1 Nr. 5, § 43 Abs. 1 Satz 2 [X.]).

Mit Ausnahme von [X.] handelte es sich jeweils um den Apotheken vorbehaltene Arzneimittel, die gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 [X.], § 1 Nr. 1, Anlage 1 [X.] nur auf Verschreibung an Verbraucher abgegeben werden dürfen. Dass [X.] nicht erfasst ist, ist in Bezug auf die anderen Stoffe für den Schuldspruch unerheblich.

e) Da die Staatsanwaltschaft [X.] die Verfolgung mit Anklageerhebung auf die in der Anklageschrift genannten Gesetzesverletzungen gemäß § 154a Abs. 1 StPO beschränkt hat, hat das [X.] eine Verurteilung des Angeklagten wegen Besitzes von [X.] und Grundstoffen in nicht geringer Menge zu [X.]zwecken im Sport (§ 95 Abs. 1 Nr. 2b, § 6 Abs. 2a Satz 1 [X.] aF) nicht näher zu prüfen gehabt. Im Übrigen ist der Angeklagte durch einen insoweit unterbliebenen Schuldspruch nicht beschwert.

f) Die konkurrenzrechtliche Bewertung des [X.]s, dass der Angeklagte wegen einer einzigen Tat zu verurteilen ist, ist ohne einen diesen belastenden Rechtsfehler getroffen (s. [X.], Beschluss vom 25. Juli 2019 - 1 [X.], juris Rn. 7 ff. mwN).

Die im Schuldspruch genannten [X.] des § 95 Abs. 1 [X.] stehen hier in Tateinheit zueinander, da bei der Annahme von Gesetzeseinheit der Unrechtsgehalt nicht vollständig erfasst würde [X.], BtMG, 5. Aufl., § 95 [X.] Rn. 21; im Ergebnis ebenso [X.], Beschlüsse vom 14. März 2016 - 5 [X.], juris; vom 14. Februar 2019 - 4 StR 283/18, [X.], 248; Urteil vom 19. September 2017 - 1 [X.], NStZ-RR 2018, 50, 51).

4. Die Überprüfung des Urteils hat hinsichtlich der Rechtsfolgen ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

Die in der Revisionsbegründung gegen den Strafausspruch vorgebrachten Beanstandungen greifen aus den vom [X.] in seiner Antragsschrift ausgeführten Gründen nicht durch.

Der Strafausspruch wird durch die Änderung des Schuldspruchs nicht berührt. Es ist auszuschließen, dass das Tatgericht ohne den nunmehr fortgefallenen Schuldspruch wegen [X.] und Inverkehrbringens von minderwertigen [X.] und Wirkstoffen eine niedrigere Freiheitsstrafe verhängt hätte. Der anzuwendende Strafrahmen hat sich nicht geändert. Der vom [X.] neben diversen anderen Gesichtspunkten strafschärfend herangezogene Umstand, dass der Angeklagte tateinheitlich mehrere Varianten des § 95 Abs. 1 [X.] verwirklichte, trifft nach der Verfolgungsbeschränkung weiterhin zu.

5. In der Beschränkung der Strafverfolgung und der damit einhergehenden Änderung des Schuldspruchs liegt kein solcher Erfolg des Rechtsmittels, der es unbillig erscheinen ließe, den Angeklagten mit den gesamten Gebühren und Auslagen des Verfahrens zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).

Schäfer     

        

Gericke     

        

Tiemann

        

Berg     

        

Anstötz     

        

Meta

3 StR 233/19

27.11.2019

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Lüneburg, 30. Oktober 2018, Az: 21 KLs 1/17

§ 2 Abs 1 Nr 1 AMG, § 2 Abs 2 AMG, § 5 Abs 1 AMG, § 5 Abs 2 AMG, § 6a Abs 1 AMG, § 6a Abs 2 S 1 AMG, § 43 Abs 1 S 2 AMG, § 48 Abs 1 S 1 Nr 1 AMG, § 48 Abs 2 AMG, § 95 Abs 1 Nr 1 AMG, § 95 Abs 1 Nr 2a AMG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.11.2019, Az. 3 StR 233/19 (REWIS RS 2019, 1143)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 1143

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