Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.04.2021, Az. VII ZB 40/20

7. Zivilsenat | REWIS RS 2021, 6721

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Gegenstand

Beschwerdeverfahren: Übernahmebeschluss der Beschwerdekammer ohne vorhergehenden Übertragungsbeschluss des Einzelrichters


Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Schuldnerin wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des [X.] vom 10. Dezember 2020 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Die Zwangsvollstreckung aus dem Certificado de Título Ejecutivo Europeo - Resolución Judicial vom 23. Juni 2020 zur Entscheidung des Arbeits- und Sozialgerichts Nr. 2 [X.] vom 13. Februar 2013 (Verfahrensnummer:        ) in das Vermögen der Schuldnerin bleibt gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 54.000 € bis zur erneuten Entscheidung des [X.] eingestellt (§ 1084 Abs. 2 Satz 2, § 770 ZPO).

Gründe

I.

1

Der Gläubiger betreibt gegen die Schuldnerin die Zwangsvollstreckung auf Grundlage eines in [X.] erlassenen Gerichtsbeschlusses ("auto"), welchen das [X.] Gericht auf Antrag des Gläubigers als [X.] Vollstreckungstitel nach der Verordnung ([X.]) Nr. 805/2004 des [X.] Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Einführung eines [X.] Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen ([X.]) bestätigt hatte.

2

Nach Ankündigung der Zwangsvollstreckung durch den Gerichtsvollzieher hat die Schuldnerin "Erinnerung nach § 766 ZPO" eingelegt. Gegen den die Erinnerung zurückweisenden Beschluss des Amtsgerichts hat die Schuldnerin sofortige Beschwerde eingelegt.

3

Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens hat die zuständige Einzelrichterin der [X.] am 9. Dezember 2020 verfügt, dass der Rechtsstreit "der Kammer zur Entscheidung über eine Übernahme vorgelegt wird, weil die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher und rechtlicher Art aufweist." Mit Beschluss vom selben Tag hat die mit drei Mitgliedern - unter Einbeziehung der Einzelrichterin - vollbesetzte [X.] beschlossen, den Rechtsstreit wegen besonderer Schwierigkeiten tatsächlicher und rechtlicher Art zu übernehmen.

4

Die [X.] hat die sofortige Beschwerde der Schuldnerin zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt die Schuldnerin ihren Antrag auf Unzulässigerklärung der Zwangsvollstreckung weiter.

II.

5

Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

6

1. Die Rechtsbeschwerde ist aufgrund ihrer wirksamen Zulassung durch die Kammer gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthaft und, da sie gemäß den Erfordernissen des § 575 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden ist, im Übrigen ebenfalls zulässig.

7

2. In der Sache hat die Rechtsbeschwerde schon deshalb Erfolg, weil die Schuldnerin zu Recht rügt, dass das Beschwerdegericht entgegen § 568 Satz 1 ZPO nicht durch den Einzelrichter, sondern durch die Kammer entschieden hat.

8

a) Nach § 568 Satz 1 ZPO entscheidet das Beschwerdegericht durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter oder einem Rechtspfleger erlassen worden ist. Hier hat über die Erinnerung der Schuldnerin die Amtsrichterin entschieden. In einem solchen Fall ist die [X.] (§§ 70, 75 [X.]) gemäß § 568 Satz 2 ZPO nur dann zur Entscheidung über die Beschwerde berufen, wenn der Einzelrichter durch eine gesonderte Entscheidung das Verfahren dem Beschwerdegericht zur Entscheidung in der im [X.] vorgeschriebenen Besetzung übertragen hat. Dies setzt einen entsprechenden Beschluss des Einzelrichters voraus ([X.], Beschluss vom 21. September 2017 - [X.] Rn. 10, [X.], 1447; Beschluss vom 30. April 2020 - [X.]/19 Rn. 23, [X.]Z 225, 252).

9

b) An einem solchen Beschluss fehlt es im Streitfall. Die Kammer hat die Sache mit Beschluss vom 9. Dezember 2020 selbst übernommen. Dies war [X.]. Die [X.] ist außer in Fällen, in denen die originäre Zuständigkeit des Einzelrichters zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde zweifelhaft ist (§ 348 Abs. 2 ZPO analog; vgl. [X.], Beschluss vom 16. September 2003 - [X.], [X.]Z 156, 147, juris Rn. 15), nicht befugt, selbst über die Übertragung eines in die originäre Zuständigkeit des Einzelrichters fallenden Beschwerdeverfahrens zu entscheiden. Insoweit ist unerheblich, ob der Einzelrichter an einem solchen Kammerbeschluss mitwirkt, weil es nach § 568 Satz 2 ZPO alleinige Entscheidungskompetenz des Einzelrichters ist, ob die Voraussetzungen für eine Übertragung auf die Kammer vorliegen ([X.], Beschluss vom 21. September 2017 - [X.] Rn. 11, [X.], 1447; Beschluss vom 30. April 2020 - [X.]/19 Rn. 24, [X.]Z 225, 252). Die im Streitfall von der Einzelrichterin verfügte Vorlage der Sache an die Kammer kann - auch in Verbindung mit dem späteren, ebenfalls von der Einzelrichterin mitunterzeichneten Übernahmebeschluss des [X.] - die insoweit gebotene eigene Entscheidung der Einzelrichterin in Form eines Übertragungsbeschlusses nicht ersetzen.

c) Die Bestimmung des § 568 Satz 3 ZPO, wonach auf eine erfolgte oder unterlassene Übertragung ein Rechtsmittel nicht gestützt werden kann, steht der Erheblichkeit des Verfahrensfehlers nicht entgegen. Es besteht kein Streit darüber, ob die Einzelrichterin das Verfahren zu Recht nach § 568 Satz 2 ZPO der Kammer übertragen hat. Vielmehr hat die Einzelrichterin insoweit keine Entscheidung getroffen. Dieser Fall wird von § 568 Satz 3 ZPO nicht erfasst ([X.], Beschluss vom 21. September 2017 - [X.] Rn. 12, [X.], 1447; Beschluss vom 30. April 2020 - [X.]/19 Rn. 25, [X.]Z 225, 252).

d) Da das Beschwerdegericht nach alledem zu Unrecht entgegen § 568 Satz 1 ZPO nicht durch die Einzelrichterin, sondern durch die [X.] entschieden hat, war es nicht vorschriftsmäßig besetzt (§ 576 Abs. 3, § 547 Nr. 1 ZPO). Angesichts dieses absoluten [X.] ist es unerheblich, ob sich der angefochtene Beschluss aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 577 Abs. 3 ZPO). Vielmehr sind gemäß § 577 Abs. 4 ZPO der fehlerhaft ergangene Beschluss aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen ([X.], Beschluss vom 21. September 2017 - [X.] Rn. 13, [X.], 1447; Beschluss vom 30. April 2020 - [X.]/19 Rn. 26, [X.]Z 225, 252). Bei dem Beschwerdegericht ist nach § 75 [X.], § 568 Satz 1 ZPO der Einzelrichter - vorbehaltlich einer Übertragung des Verfahrens auf die [X.] - zur Entscheidung berufen.

[X.]     

        

Halfmeier     

        

Jurgeleit

        

Graßnack     

        

Brenneisen     

        

Meta

VII ZB 40/20

21.04.2021

Bundesgerichtshof 7. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Paderborn, 10. Dezember 2020, Az: 5 T 265/20

§ 348 Abs 2 ZPO, § 547 Nr 1 ZPO, § 568 S 1 ZPO, § 568 S 2 ZPO, § 568 S 3 ZPO, § 576 Abs 3 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.04.2021, Az. VII ZB 40/20 (REWIS RS 2021, 6721)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 6721

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