Bundessozialgericht, Urteil vom 22.11.2012, Az. B 3 KR 1/12 R

3. Senat | REWIS RS 2012, 1100

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Krankenversicherung - Krankenhaus - Ausschluss der Nachforderung der restlichen Vergütung für bereits abgerechnete und bezahlte Krankenhausbehandlung - Vorliegen einer Treu und Glauben widersprechenden flächendeckenden Neuberechnung


Leitsatz

1. Die Nachforderung der restlichen Vergütung für eine bereits abgerechnete und bezahlte Krankenhausbehandlung ist regelmäßig ausgeschlossen, wenn die Korrektur nicht bis zum Ende des auf die Schlussrechnung folgenden Kalenderjahrs erfolgt.

2. Von einer Treu und Glauben widersprechenden flächendeckenden Neuberechnung der Vergütung für bereits abgerechnete Krankenhausbehandlungen kann jedenfalls dann nicht ausgegangen werden, wenn weniger als 1 % der Schlussrechnungen eines Kalenderjahrs korrigiert werden und die Nachforderungen weniger als 0,5 % der gesamten Ausgangsrechnungswerte ausmachen.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 10. November 2011 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 1007,10 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Streitig ist die nachträgliche Erhöhung einer Krankenhausrechnung um 1007,10 Euro.

2

Die Klägerin, eine in [X.] ansässige Stiftung, ist Trägerin eines zur Versorgung von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung ([X.]) zugelassenen Krankenhauses in [X.]. Dort wurde die bei der beklagten Krankenkasse versicherte Patientin B. in der [X.] vom 20. bis zum 29. Juli 2006 wegen nachhaltiger Beschwerden im Magen-Darm-Trakt vollstationär behandelt. Dokumentiert sind nach der [X.] Version [X.] die ärztlichen Prozeduren 1-440.a (endoskopische Biopsie an oberem Verdauungstrakt, Gallengängen und Pankreas: 1-5 Biopsien an oberem Verdauungstrakt), 1-632 (diagnostische Ösophagogastroduodenoskopie), 1-650.2 (diagnostische Koloskopie: total, mit Ileoskopie) und 5-452.5 x (lokale Exzision und Destruktion von erkranktem Gewebe des Dickdarms: Destruktion, endoskopisch: Sonstige). Die Krankenhausverwaltung kodierte gemäß [X.] Version [X.] die Hauptdiagnose K 29.6 (sonstige Gastritis) sowie die [X.] (Unwohlsein und Ermüdung), was nach dem [X.] ([X.] G-DRG Version 2006) zum [X.] (Ösophagitis, Gastroenteritis und verschiedene Erkrankungen der Verdauungsorgane ohne komplexe oder komplizierende Diagnose) führte. Die als "Schlussrechnung" bezeichnete Abrechnung vom 31.7.2006 endete mit einem Gesamtbetrag von 1780,94 Euro, den die Beklagte am 15.8.2006 überwies.

3

Mit Schreiben der [X.] vom [X.] teilte das Krankenhaus mit, anlässlich einer internen Überprüfung sei festgestellt worden, dass die für die Abrechnung des Behandlungsfalls relevanten Nebendiagnosen E 87.6 (Hypokaliämie), [X.] (Stuhlinkontinenz) und [X.] (Harninkontinenz, ohne nähere Angaben) versehentlich nicht kodiert worden seien. Die Behandlung sei deshalb nicht nach der [X.], sondern nach der [X.] (Koloskopie mit äußerst schweren oder schweren [X.] oder komplizierendem Eingriff) abzurechnen. Die Klägerin stornierte demgemäß die Rechnung vom 31.7.2006 und erteilte am [X.] eine neue Schlussrechnung über 2788,04 Euro. Die Beklagte lehnte die Zahlung des Differenzbetrages von 1007,10 Euro ab, weil eine Rechnungskorrektur und Nachberechnung nach Ausgleich einer erteilten Schlussrechnung weder rahmenvertraglich noch einzelvertraglich vereinbart worden sei.

4

Im Klageverfahren hat die Klägerin die Zulässigkeit der Neuberechnung des - in der Höhe nicht streitigen - Vergütungsanspruchs auf das Urteil des 3. Senats des [X.] ([X.] KR 12/08 R - [X.], 150 = [X.]-2500 § 109 [X.]) gestützt. Die Nachforderung sei nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) zulässig, weil der Differenzbetrag die in der B[X.]-Rechtsprechung festgelegten Bagatellgrenzen (Nachforderung mehr als 100 Euro, ab [X.] mehr als 300 Euro, und mindestens 5 % des [X.]) überschreite, die neue Schlussrechnung innerhalb von sieben Monaten und damit zeitnah erteilt worden sei und von einer systematischen [X.] nicht die Rede sein könne.

5

Das [X.] hat die Beklagte zur Zahlung von 1007,10 Euro nebst Zinsen verurteilt (Urteil vom 21.6.2011). Das L[X.] hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 10.11.2011): Die Einwände gegen die Zulässigkeit der Nachberechnung seien unbegründet. Da die Bagatellgrenzen überschritten seien, komme eine Nachberechnung trotz vorheriger Erteilung einer vorbehaltlosen Schlussrechnung in Betracht, auch wenn dies außerhalb der sechswöchigen Überprüfungsfrist der Krankenkassen (§ 275 Abs 1c S 2 [X.]B V) geschehe und das Haushaltsjahr 2006 im [X.]punkt der Korrektur bereits abgelaufen gewesen sei. Eine Nachberechnung sei prinzipiell bis zum Ablauf der vierjährigen Verjährungsfrist (§ 45 Abs 1 [X.]B I analog) denkbar; auf das Kriterium der [X.]nähe der Nachberechnung komme es nicht mehr an, weil die darauf noch abstellende Entscheidung des 1. Senats des B[X.] vom 8.9.2009 (B 1 KR 11/09 R - [X.]-2500 § 109 [X.]) durch die spätere Entscheidung des 3. Senats vom 17.12.2009 als überholt zu gelten habe. Die Nachberechnung sei hier auch nicht das Ergebnis einer regelmäßigen, systematischen [X.] durch die Klägerin. Der Charakter einer Nachberechnung als absoluter Ausnahmefall der Korrektur einer bereits beglichenen Schlussrechnung sei gewahrt, weil die Klägerin im Jahre 2006 nur 16 der 1850 Behandlungsfälle von Versicherten der Beklagten und damit lediglich 0,86 % der ihr erteilten Schlussrechnungen neu berechnet habe. Bei einer so geringen [X.] könne eine - dem Zweck des beschleunigten Abrechnungsverfahrens widersprechende - zielgerichtete, flächendeckende [X.] nicht unterstellt werden. Auf das Nachberechnungsverhalten der Klägerin gegenüber anderen Krankenkassen komme es nicht an, sodass der Antrag der Beklagten abzulehnen gewesen sei, der Klägerin analog § 421 ZPO die Offenlegung der Daten zur gesamten Rechnungsüberprüfung für das Jahr 2006 aufzugeben.

6

Mit ihrer vom L[X.] zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts (§ 109 Abs 4 S 3 [X.]B V, § 275 Abs 1c [X.]B V sowie § 242 BGB) und einen Verstoß gegen die Pflicht zur Amtsermittlung (§ 103 [X.]G). Sie sieht das Urteil des 1. Senats des B[X.] vom 8.9.2009 nicht als überholt an und macht geltend, die Nachberechnung sei unzulässig gewesen, weil sie erst am [X.], also rund sieben Monate nach Erteilung der Schlussrechnung vom 31.7.2006 und außerhalb des am 31.12.2006 endenden Haushaltsjahres (§ 67 [X.]B IV) erfolgt sei, was der vom 1. Senat geforderten Voraussetzung der "zeitnahen" Korrektur widerspreche. Aus ihrer Sicht könne in Analogie zu § 275 Abs 1c S 2 [X.]B V von einer zeitnahen Nachberechnung nur die Rede sein, wenn sie innerhalb von sechs Wochen nach Zugang der Schlussrechnung über einen Behandlungsfall geschehe. Außerdem sei zu bemängeln, dass das L[X.] den Einwand der systematischen [X.] nur auf das Verhältnis der Klägerin zur Beklagten und nicht auf das Prüfungsgebaren der Klägerin gegenüber allen Krankenkassen bezogen und deshalb insoweit keine Ermittlungen durchgeführt habe. Die Frage der unzulässigen zielgerichteten [X.] lasse sich nur aus einer Gesamtschau aller Fälle beurteilen. Die Hochrechnung auf der Basis von 4852 Krankenhausbehandlungen von Versicherten aller Krankenkassen im Jahre 2006 (Anteil der Versicherten der Beklagten: 1850 Fälle = 38,12 % der [X.] mit 16 Nachberechnungen) ergebe mindestens 42 Nachberechnungsfälle mit einem Gesamtvolumen der Mehrerlöse von ca 110 000 Euro. Von "Ausnahmefällen" der Nachberechnung könne angesichts dieser Zahlen nicht mehr gesprochen werden.

7

Die Beklagte beantragt,
die Urteile des [X.]ischen L[X.] vom 10.11.2011 und des [X.] Lübeck vom 21.6.2011 zu ändern und die Klage abzuweisen.

8

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision der [X.] ist unbegründet. Zu Recht haben die Vorinstanzen der Klägerin einen weiteren Zahlungsanspruch über 1007,10 [X.] zuerkannt. Zu dieser Korrektur ihrer Schlussrechnung vom [X.] war die Klägerin nach [X.] und Glauben befugt, weil der Differenzbetrag die in der BSG-Rechtsprechung festgelegten Bagatellgrenzen (Nachforderung mehr als 300 [X.] und mindestens 5 % des [X.]) überschreitet und von einer systematischen Rechnungsoptimierung nicht die Rede sein kann. Auf die zusätzliche Frage, welche Bedeutung das Rechnungsjahr in Fällen der Rechnungskorrektur besitzt und ob die neue Schlussrechnung zeitnah erteilt worden ist, kam es im vorliegenden Fall nach der übereinstimmenden Rechtsprechung des 1. und 3. Senats des BSG nicht an.

1. Rechtsgrundlage des zulässig mit der (echten) Leistungsklage nach § 54 Abs 5 SGG verfolgten restlichen Vergütungsanspruchs (stRspr, vgl zB [X.], 1 f = [X.] 3-2500 § 112 [X.], 20; [X.], 164 = [X.] 4-2500 § 39 [X.], Rd[X.]0; [X.], 172 = [X.] 4-2500 § 109 [X.], RdNr 9) ist § 109 Abs 4 S 3 [X.] iVm § 7 S 1 [X.] [X.] (hier anzuwenden idF von [X.] vom 15.12.2004, [X.] 3429), § 17b [X.] (hier idF von [X.] aa und [X.] - vom [X.], [X.] 1412) und der [X.] sowie - im Hinblick auf den Sitz des Krankenhauses in [X.] und nicht dem der Klägerin in [X.] (vgl BSG [X.] 4-2500 § 109 [X.] RdNr 8 mwN) - dem Vertrag über die Allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung zwischen der Krankenhausgesellschaft [X.] eV und den Landesverbänden der Krankenkassen idF des Schiedsspruchs vom 19.11.1999 unter Berücksichtigung des Urteils des [X.] vom [X.] (Krankenhausbehandlungsvertrag - nachfolgend: [X.]) und dem [X.] der Krankenhausbehandlung zwischen der Krankenhausgesellschaft [X.] eV und den Landesverbänden der Krankenkassen vom [X.] (Krankenhausüberprüfungsvertrag). Danach entsteht die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse - unabhängig von einer Kostenzusage - unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und iS von § 39 Abs 1 [X.] erforderlich ist. Der Behandlungspflicht zugelassener Krankenhäuser iS des § 109 Abs 4 [X.] steht ein Vergütungsanspruch gegenüber, der auf der Grundlage der gesetzlichen Ermächtigung in §§ 16, 17 [X.] in der Pflegesatzvereinbarung zwischen Krankenkasse und Krankenhausträger festgelegt wird (vgl [X.], 166, 168 = [X.] 3-2500 § 112 [X.] S 3; [X.], 1, 2 = [X.] 3-2500 § 112 Nr 3 S 20).

2. Der geltend gemachte restliche Vergütungsanspruch der Klägerin ist durch die Zahlung des zuerst abgerechneten Betrages nicht erloschen. Durch eine mit den maßgeblichen Vorschriften im Einklang stehende Versorgung erwirbt das Krankenhaus einen gesetzlichen Vergütungsanspruch, dessen Höhe gemäß § 109 Abs 4 [X.] nach Maßgabe des [X.], des [X.] und, sofern das Krankenhaus nicht in das [X.] einbezogen ist, der [X.] (vgl dort § 1 Abs 1) vertraglich abschließend festgelegt wird. Maßgebend für den Vergütungsanspruch ist danach der [X.] nach § 7 iVm § 17b [X.] [X.], der Bindungswirkung für die Vertragsparteien nach § 11 [X.] iVm § 18 Abs 2 [X.] entfaltet (§ 11 [X.] iVm § 18 Abs 2 [X.]: Krankenhausträger und Sozialleistungsträger) und streng nach dem Wortlaut einschließlich der [X.] und Prozedurenschlüssel sowie der [X.] auszulegen ist (zu den Einzelheiten der Vergütung von Krankenhausleistungen nach dem DRG-System vgl Urteil des erkennenden Senats vom 18.9.2008 - [X.] KR 15/07 R - [X.] 4-2500 § 109 [X.]1). Insoweit gewährt der [X.] kein Bestimmungsrecht, dessen Ausübung das Krankenhaus abschließend binden und den Zahlungsanspruch auf den zunächst geforderten Betrag beschränken würde. So wie die Krankenkasse auch nach Bezahlung der Krankenhausrechnung nachträgliche Korrekturen vornehmen darf (BSG [X.] 4-2500 § 109 [X.]6 Rd[X.]7 mwN), ist ebenso das Krankenhaus noch nach Rechnungsstellung grundsätzlich zur Nachforderung einer offenen Vergütung berechtigt (so auch die Fallgestaltung im Urteil vom 18.9.2008, aaO; ebenso Urteil des 1. Senats des [X.] - [X.] KR 11/09 R - [X.] 4-2500 § 109 [X.]9 Rd[X.]6). Die Bestimmungen des [X.] (vgl insbesondere die Zahlungsregelungen des § 9 [X.]) stehen der Nachberechnung nicht entgegen.

3. Die Nachforderung eines restlichen Vergütungsanspruchs steht jedoch - ebenso wie die Einzelfallkorrektur einer bereits bezahlten Krankenhausrechnung durch die Krankenkasse ([X.], 104, 110 = [X.] 3-2500 § 112 [X.], 16 f - "[X.] Fälle") - unter dem Vorbehalt von [X.] und Glauben, der über § 69 [X.] (hier § 69 S 3 idF von [X.] des [X.] der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem [X.] - [X.] 2000 - vom 22.12.1999, [X.] 2626) gemäß dem Rechtsgedanken des § 242 BGB auf die Rechtsbeziehungen der Beteiligten einwirkt. Die dauerhaften, professionellen Vertragsbeziehungen zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen sind von einem systembedingten Beschleunigungsgebot geprägt und verpflichteten zu gegenseitiger Rücksichtnahme. Diese Strukturmerkmale begrenzen die Befugnis der Krankenhäuser zur nachträglichen Rechnungskorrektur.

4. Zu den Grenzen der nachträglichen Rechnungskorrektur durch ein Krankenhaus haben sich in der Vergangenheit der 1. Senat des BSG in dem Urteil vom [X.] ([X.] KR 11/09 R - [X.] 4-2500 § 109 [X.]9) und der erkennende 3. Senat in dem kurze Zeit später ergangenen Urteil vom 17.12.2009 [X.] 105, 150 = [X.] 4-2500 § 109 [X.]) geäußert. Beide Urteile betreffen unterschiedliche Aspekte der Grenzen einer nachträglichen Rechnungskorrektur und ergänzen einander. Entgegen der Ansicht der [X.] stehen beide Entscheidungen auch hinsichtlich der zeitlichen Grenzen solcher Nachberechnungen nicht zueinander in Widerspruch (vgl nunmehr auch das Urteil des 1. Senats vom 13.11.2012 - [X.] KR 6/12 R - zur Veröffentlichung in [X.] vorgesehen).

a) Dem Urteil des 1. Senats vom [X.] lag ein Fall zugrunde, in dem das Krankenhaus seine Schlussrechnung vom [X.] über 7801,86 [X.] erst nach mehr als zwei Jahren korrigiert und durch eine zweite Schlussrechnung vom 23.7.2002 über 8643,24 [X.] ersetzt hatte. Die Klage auf Zahlung des Differenzbetrages von 841,38 [X.] blieb erfolglos, weil die Schlussrechnung vom [X.] keinen zulässigen Nachforderungsvorbehalt enthielt und es auch nicht um die bloße Korrektur eines offen zutage liegenden und damit auf den ersten Blick erkennbaren Fehlers der ersten Abrechnung ging, sondern um die Korrektur eines verdeckten Fehlers. Die Nachforderung war nach dem Urteil des 1. Senats nach [X.] und Glauben ausgeschlossen, weil sie "nicht mehr zeitnah, insbesondere nicht innerhalb des laufenden Haushaltsjahres der [X.], sondern mehr als zwei Jahre nach Übersendung und Bezahlung der ersten Rechnung" (BSG [X.] 4-2500 § 109 [X.]9 RdNr 21) erfolgt ist. Diese Entscheidung befasst sich also explizit mit der Frage, wann eine auf der Korrektur eines verdeckten Fehlers beruhende Neuabrechnung einer Krankenhausbehandlung wegen Verspätung nicht mehr zulässig ist. Dabei hat der 1. Senat den Begriff der Zeitnähe nicht näher definiert, aber jedenfalls für Behandlungen, die im ersten Halbjahr eines Kalenderjahres abgerechnet worden sind (hier: [X.]), eine zeitliche Beschränkung bis zum Ende des jeweils laufenden Haushaltsjahres der Krankenkasse - das prinzipiell mit dem Kalenderjahr übereinstimmt (§ 67 [X.]) - hergestellt. Ob dies auch dann zu gelten hätte, wenn eine Schlussrechnung erst in der zweiten Hälfte eines Jahres erstellt wird, lässt sich dem Urteil nicht eindeutig entnehmen. Die Frage einer etwaigen Bagatellgrenze stellte sich in diesem Fall nicht, sodass sich in dem Urteil dazu keine Aussage findet.

b) Dem Urteil des 3. Senats vom 17.12.2009 lag ein Fall zugrunde, in dem das Krankenhaus seine unrichtige erste Schlussrechnung vom [X.] in deutlich kürzerer Frist, nämlich schon nach knapp drei Monaten, durch eine zweite Schlussrechnung vom 12.6.2006 ersetzt hatte, es bei der Nachforderung auch nicht um die Realisierung eines zulässig erklärten [X.] und zudem nur um einen relativ geringen Betrag von 58,06 [X.] ging, was einer Anhebung der Vergütungsforderung um ca 1,7 % des [X.] von 3393,45 [X.] entsprach. Dazu hat der 3. Senat in Analogie zu § 275 Abs 1c [X.] (vgl [X.], 150 = [X.] 4-2500 § 109 [X.], Rd[X.]6: "Prinzip der Waffengleichheit" zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen) den Begriff der Zeitnähe in einem ersten Schritt auf eine [X.] eingegrenzt und entschieden, dass die Korrektur einer vorbehaltlosen Schlussrechnung durch ein Krankenhaus innerhalb von sechs Wochen seit Rechnungsstellung grundsätzlich möglich ist und es dann auf den wirtschaftlichen Wert der Korrektur, also die Höhe des nachgeforderten Differenzbetrages, nicht ankommt. Ergänzend ist hinzuzufügen, dass ein Krankenhaus ausnahmsweise auch nach Ablauf dieser [X.] eine Nachforderung unabhängig von ihrem Wert geltend machen kann, wenn die Krankenkasse den [X.] mit der Überprüfung der Schlussrechnung beauftragt hat (§ 275 Abs 1c [X.] 1 [X.] [X.]) und sich während des laufenden Prüfverfahrens herausstellt, dass die Rechnung entgegen der Erwartung der Krankenkasse nicht zu kürzen, sondern die Behandlung sogar mit einem höheren Betrag zu vergüten ist. In einem solchen Fall darf das Krankenhaus die erteilte Schlussrechnung kurzerhand durch eine korrigierte Rechnung ersetzen, die dann Gegenstand des Prüfverfahrens wird. Nach Ablauf der [X.] und außerhalb eines laufenden Prüfverfahrens nach § 275 [X.] kann ein Krankenhaus eine als unrichtig erkannte vorbehaltlose Schlussrechnung - von offensichtlichen Schreib- und Rechenfehlern abgesehen - nach [X.] und Glauben jedoch nur noch dann korrigieren, wenn die Nachforderung den Betrag von 100 [X.] (bzw 300 [X.] für die [X.]) überschreitet und zudem mindestens 5 % des [X.] erreicht. Die Klage blieb in jenem Verfahren erfolglos, weil die Korrektur keinen offen zutage liegenden Fehler betraf und nicht mehr innerhalb der [X.], sondern erst nach knapp drei Monaten erfolgt war, sodass es auf die dann zusätzlich erforderliche Überschreitung beider Bagatellgrenzen ankam, die mit 58,06 [X.] (weniger als die erforderlichen 100 [X.]) bzw 1,7 % (weniger als 5 % des [X.]) aber nicht erreicht wurden; dabei hätte sogar schon die Unterschreitung einer der beiden Bagatellgrenzen zur Unbegründetheit der Klage geführt. Wegen der Unterschreitung der Bagatellgrenzen hatte der 3. Senat seinerzeit keinen Anlass, in einem zweiten Schritt zusätzliche Überlegungen zu der Frage anzustellen, ob es für Rechnungskorrekturen dieser Art auch eine Zeitgrenze gibt, nach deren Erreichen die Nachberechnung von vornherein unzulässig ist. Die Korrektur war jedenfalls noch innerhalb des laufenden Haushaltsjahres der Krankenkasse erfolgt, wie vom 1. Senat damals gefordert.

5. Im vorliegenden Fall sind die Bagatellgrenzen von mehr als 100 [X.] und mindestens 5 % der Ursprungssumme überschritten, weil es um einen Differenzbetrag von 1007,10 [X.] geht, der 56,5 % des Ausgangsrechnungswerts von 1780,94 [X.] ausmacht. Daher kommt es auf die Frage an, ob die erst nach knapp sieben Monaten und außerhalb des bei der unrichtigen Abrechnung laufenden Haushaltsjahres 2006 (erste Schlussrechnung vom [X.], zweite Schlussrechnung vom [X.]) erfolgte Rechnungskorrektur nach [X.] und Glauben noch zulässig war. Das ist nach den Maßstäben der Entscheidung des 1. Senats vom [X.] (BSG [X.] 4-2500 § 109 [X.]9 Rd[X.]7, 21) nicht abschließend entscheidbar, weil die [X.] zwar nur knapp sieben Monate beträgt, der gesamte Vorgang aber das Ende des maßgeblichen Haushaltsjahres 2006 überschreitet.

a) In einer weiteren Entscheidung des 1. Senats vom 13.11.2012 ([X.] KR 6/12 R, zur Veröffentlichung in [X.] vorgesehen) ging es um die Nachforderung einer die Bagatellgrenzen überschreitenden restlichen Krankenhausvergütung mehr als vier Jahre nach der Erteilung der Schlussrechnung, aber noch vor Eintritt der Verjährung. Der 1. Senat hat in Fortführung seines Urteils vom [X.] entschieden, dass eine so späte Korrektur gegen [X.] und Glauben verstößt, und dabei zur Erläuterung hinzufügt, die Krankenkassen könnten von den Krankenhäusern erwarten, dass sie - in Einklang mit ihren eigenen Interessen - "jedenfalls innerhalb eines vollständigen Geschäftsjahres" durch ihre [X.] abklären, dass die erteilten Schlussrechnungen vollständig sind (Terminbericht [X.] vom 14.11.2012, [X.]). Damit hat der 1. Senat die aus seiner früheren Entscheidung zu entnehmende [X.] offensichtlich erweitert, und zwar unabhängig davon, ob die Schlussrechnung aus dem ersten oder zweiten Halbjahr eines Kalenderjahres stammt. Es ist für die Korrekturmöglichkeit nun auch nicht mehr auf das laufende Haushaltsjahr abzustellen, wie es noch der früheren Entscheidung vom [X.] zu entnehmen war, sondern stets das Folgejahr einzubeziehen, weil für die Korrektur mindestens ein "vollständiges Geschäftsjahr" zur Verfügung stehen muss. Daraus ist für die Dauer der [X.] zu schließen, dass eine Rechnungskorrektur innerhalb von maximal 729 Tagen (für eine der Krankenkasse am 1.1. zugegangene Schlussrechnung) und mindestens 365 Tagen (für eine am 31.12. zugegangene Schlussrechnung) zu erfolgen hat.

b) Die Nachberechnung ist damit prinzipiell bis zum Ablauf der vierjährigen Verjährungsfrist denkbar; auf das Kriterium "laufendes Rechnungsjahr" kommt es nicht mehr entscheidend an. Allerdings darf die Nachberechnung nicht gegen den Grundsatz von [X.] und Glauben verstoßen; dies wäre zB der Fall bei einer regelmäßigen, systematischen Rechnungsoptimierung (zB mehr als 10 % des [X.]) oder wenn dem Anspruch des Krankenhauses das [X.] entgegenstehen würde. Ob eine die Bagatellgrenzen überschreitende restliche Vergütungsforderung in solchen Fällen regelmäßig und ohne Ausnahme verwirkt ist, wenn die den Fehler korrigierende Schlussrechnung nicht bis spätestens zum Ende des auf die unrichtige erste Schlussrechnung folgenden Kalenderjahres erstellt und der Krankenkasse zugeleitet wird, kann der Senat im Ergebnis offenlassen, weil es darauf vorliegend nicht ankommt.

c) Vom Grundsatz her stimmt der erkennende Senat aber mit dem 1. Senat des BSG überein, den zeitlichen Rahmen für zulässige Nachberechnungen bereits abgerechneter Behandlungsfälle nicht anhand des laufenden Haushaltsjahres zu bestimmen, sondern generell das Ende des auf die unrichtige erste Abrechnung folgenden Kalenderjahres als äußersten Zeitpunkt für Korrekturmöglichkeiten festzulegen. Wird diese Frist nicht eingehalten, ist der Anspruch auf die noch offene restliche Vergütung in der Regel nach [X.] und Glauben verwirkt. Den Krankenhäusern ist zuzumuten, die Kontrollen der abgerechneten Behandlungsfälle innerhalb dieser Frist durchzuführen, und die Krankenkassen müssen sich darauf verlassen können, dass alle abgerechneten Behandlungsfälle nach dem Ende des jeweiligen Folgejahres nicht wieder aufgerollt werden - soweit es nicht um offensichtliche Schreib- und Rechenfehler oder um Schlussrechnungen mit zulässigem Nachforderungsvorbehalt geht.

d) Bei Übertragung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ist festzuhalten, dass die Abrechnungskorrektur vom [X.] rechtzeitig erfolgt ist, weil die erste Schlussrechnung am [X.] erteilt worden war und die [X.] deshalb bis zum 31.12.2007 reichte.

6. [X.], die Rechnungskorrektur verstoße auch deshalb gegen [X.] und Glauben, weil sie auf einer - grundsätzlich unzulässigen ([X.], 150 = [X.] 4-2500 § 109 [X.], Rd[X.]4, 18) - systematischen, flächendeckenden Rechnungsoptimierung durch die Klägerin und nicht auf einer stichprobenartigen Einzelfallkontrolle beruhe, ist vom [X.] zu Recht zurückgewiesen worden. Nach den Feststellungen des [X.] gab es in dem von der Klägerin betriebenen Krankenhaus in [X.] im Jahre 2006 insgesamt 4852 stationäre Behandlungsfälle; davon entfielen auf die Beklagte 1850 Fälle bzw 38,12 % der [X.]. In 16 Fällen ist gegenüber der [X.] eine Nachberechnung erfolgt mit einem Gesamtvolumen von 15 910,66 [X.] (vgl die Aufstellung der [X.], Anlage 1 zu ihrem Schriftsatz vom 16.2.2012), wobei allerdings eine der Nachberechnungen (Fall 15) möglicherweise eine erst Anfang 2007 durchgeführte Behandlung betraf. Unabhängig davon und weiterhin ausgehend von 16 Fällen lag die Höhe einer Nachberechnung bei durchschnittlich 994,42 [X.].

Hochgerechnet auf alle 4852 Behandlungsfälle des Jahres 2006 ist von 42 Nachberechnungen des Krankenhauses gegenüber sämtlichen Krankenkassen mit einem Gesamtvolumen von 41 765,64 [X.] auszugehen. Diese Hochrechnung ist zulässig, weil die Klägerin selbst nicht geltend gemacht hat, ausschließlich Behandlungsfälle mit Zahlungspflicht der [X.] überprüft zu haben, und für eine solche Beschränkung auch kein sachlicher Grund erkennbar ist. Mit einem Belegungsanteil der [X.] von 38,12 % und 16 Nachberechnungen beruht die Hochrechnung auch auf einer ausreichend breiten Basis, sodass es auf die von der [X.] gewünschten weiteren Ermittlungen zu den im Jahre 2006 gegenüber den anderen Krankenkassen konkret erfolgten Nachberechnungen nicht ankam; eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) durch das [X.] ist nicht ersichtlich. Wegen der Entbehrlichkeit weiterer Ermittlungen kann auch die Frage offen bleiben, ob der Antrag der [X.], mangels eigener Tatsachenkenntnis der Klägerin analog § 421 ZPO die Offenlegung aller Daten zu den gegenüber den anderen Krankenkassen im Jahre 2006 vorgenommenen Nachberechnungen aufzugeben, als zulässiger Beweisantrag oder als dem [X.] dienender unzulässiger Beweisermittlungsantrag ([X.]/[X.], ZPO, 33. Aufl 2012, § 284 RdNr 3 mwN) zu qualifizieren wäre.

Da im Jahre 2006 hochgerechnet nur 0,86 % der Rechnungen betroffen waren und die Nachberechnungen mit knapp 16 000 [X.] bezüglich der [X.] bzw rund 42 000 [X.] bezüglich aller Krankenkassen angesichts eines [X.] von ca 10 500 000 [X.] nur einen Anteil von 0,15 % bzw 0,4 % ausmachten, gibt es keinerlei Anhaltspunkte für eine flächendeckende, zielgerichtete Optimierung von zuvor eher vorläufig bzw summarisch erstellten Abrechnungen durch die Klägerin. Nicht nachvollziehbar ist in diesem Zusammenhang auch die Behauptung der [X.], das Nachberechnungsvolumen habe sich im Jahre 2006 auf insgesamt fast 110 000 [X.] belaufen; auf eine solche Summe käme man nur, wenn der [X.] von 41 765,64 [X.] nicht auf alle Krankenkassen, sondern - fehlerhaft - allein auf die Beklagte bezogen würde. Die Summe der sie betreffenden Nachberechnungen hat sie aber selbst mit 15 910,66 [X.] angegeben.

Wo letztlich die kritische Grenze zu ziehen ist, die auf ein treuwidriges, dem Charakter von "Schlussrechnungen" [X.] hindeuten könnte (zB mehr als 10 % des [X.]), kann der erkennende Senat hier offen lassen. Jedenfalls solange weniger als 1 % der Schlussrechnungen eines Kalenderjahres korrigiert werden und das Korrekturvolumen weniger als 0,5 % der Summe aller Ausgangswerte beträgt, gibt es grundsätzlich kein Indiz für ein treuwidriges Abrechnungsverhalten.

7. Der Zinsanspruch beruht auf § 9 Abs 7 [X.].

8. [X.] basiert auf § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 1 und 3 sowie § 47 Abs 1 GKG.

                 

Meta

B 3 KR 1/12 R

22.11.2012

Bundessozialgericht 3. Senat

Urteil

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Lübeck, 21. Juni 2011, Az: S 1 KR 652/10, Urteil

§ 69 S 3 SGB 5 vom 22.12.1999, § 109 Abs 4 S 2 SGB 5, § 109 Abs 4 S 3 SGB 5, § 275 Abs 1 Nr 1 SGB 5, § 275 Abs 1c S 2 SGB 5, § 7 S 1 Nr 1 KHEntgG vom 15.12.2004, § 11 KHEntgG, § 17b Abs 1 S 10 KHG vom 23.04.2002, § 18 Abs 2 KHG, § 242 BGB, § 1 Abs 1 BPflV 1994

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 22.11.2012, Az. B 3 KR 1/12 R (REWIS RS 2012, 1100)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 1100

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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B 1 KR 27/16 R (Bundessozialgericht)

Krankenversicherung - Krankenhaus - Vergütung für Krankenhausbehandlung - Verwirkung einer Nachforderung bei vorbehaltloser nicht offensichtlich …


B 1 KR 40/15 R (Bundessozialgericht)

Krankenversicherung - Krankenhausabrechnung - Erteilung einer plausiblen Schlussrechnung an Krankenkasse - Nachforderung weiterer Vergütung - …


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