Bundessozialgericht, Urteil vom 05.07.2016, Az. B 1 KR 40/15 R

1. Senat | REWIS RS 2016, 8771

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Krankenversicherung - Krankenhausabrechnung - Erteilung einer plausiblen Schlussrechnung an Krankenkasse - Nachforderung weiterer Vergütung - Verwirkungsfrist - Treu und Glauben - Verschlüsselung der Hauptdiagnose bei zwei oder mehr therapierten Diagnosen


Leitsatz

1. Erteilt ein Krankenhaus einer Krankenkasse vorbehaltlos eine plausible Schlussrechnung für die Behandlung eines Versicherten, ist eine Forderung weiterer Vergütung bis zum Ablauf des folgenden vollen Kalenderjahrs regelmäßig nicht verwirkt (Bestätigung von BSG vom 13.11.2012 - B 1 KR 6/12 R = SozR 4-2500 § 109 Nr 27).

2. Krankenhäuser haben für die Abrechnung vollstationärer Behandlung diejenige Diagnose als Hauptdiagnose zu verschlüsseln, deren Behandlung die meisten Ressourcen verbrauchte, wenn aus der Rückschau am Ende der Krankenhausbehandlung zwei oder mehr therapierte Diagnosen objektiv die Aufnahme des Patienten ins Krankenhaus erforderlich machten.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 5. November 2015 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 5138,22 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Vergütung für eine stationäre Krankenhausbehandlung.

2

Der bei der beklagten Krankenkasse ([X.]) versicherte [X.] (im Folgenden: Versicherter) erlitt am [X.] eine Radiusfraktur. Das zur Versorgung Versicherter zugelassene Krankenhaus der Klägerin nahm den Versicherten am [X.] wegen gastrointestinaler Beschwerden stationär auf, behandelte ihn zunächst deswegen, nahm am [X.] die Osteosynthese der Radiusfraktur vor und entließ ihn am [X.] aus der stationären Behandlung. Die Klägerin berechnete (Schlussrechnung vom [X.]) hierfür die Fallpauschale (Diagnosis Related Groups - [X.] <2010>) [X.] (Ösophagitis, Gastroenteritis u versch Erkr d Verd.org ohne kompl od [X.]/Dial/kompl [X.], [X.] > 2 J, oh äuß schw CC od gastroint Blutung od Ulkuserkr, [X.], [X.] < 75 J, außer bei Para- / Tetraplegie). Sie kodierte nach dem 2010 geltenden [X.] als Hauptdiagnose: K21.0 ([X.] Refluxkrankheit mit Ösophagitis; als Nebendiagnose ua S52.30 ) und forderte insgesamt 1474,19 Euro. Die Beklagte beglich die Rechnung am 6.4.2010. Die Klägerin berechnete mit korrigierter Schlussrechnung vom 16.5.2011 die [X.] 901D (Ausgedehnte [X.] ohne Bezug zur Hauptdiagnose ohne komplizierende Konstellation, ohne Strahlentherapie, ohne komplexe [X.], ohne andere [X.]iffe an Kopf und Wirbelsäule, [X.]er > 0 Jahre, außer bei Para- / Tetraplegie; insgesamt 6612,41 Euro). Dies beruhte auf einer erlöswirksamen Nachkodierung der zur Behandlung der Radiusfraktur erbrachten Leistungen( nach dem 2010 geltenden [X.] und [X.] <[X.]> nachkodiert: [X.] 5-794.k6 ; [X.] 5-786.g ). Die Klägerin forderte von der Beklagten vergeblich weitere 5138,22 Euro. Die Beklagte berief sich darauf, die Nachforderung verstoße gegen [X.] und Glauben. Die Nachberechnung sei nicht zeitnah, nämlich außerhalb des Haushaltsjahres erfolgt. Ein offensichtlicher Kodierfehler liege nicht vor. Das [X.] hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 5138,22 Euro nebst Zinsen hierauf in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 25.5.2011 verurteilt (Urteil vom 27.4.2015). Das L[X.] hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen: Der Vergütungsanspruch der Klägerin sei in der zuletzt geforderten Höhe entstanden. Die Nachforderung außerhalb des laufenden Haushaltsjahres der Beklagten sei nicht verwirkt. Sie sei nicht illoyal, weil die Kodierung von [X.] 5-794.k6 und 5-786.g offensichtlich aus Versehen zunächst unterblieben sei (Urteil vom 5.11.2015).

3

Die Beklagte rügt mit ihrer Revision die Verletzung des § 242 BGB iVm § 69 [X.]B V. Das L[X.]-Urteil verstoße gegen die Rechtsprechung des 1. B[X.]-Senats, wonach ein weiterer [X.], der nach erteilter Schlussrechnung außerhalb des laufenden Haushaltsjahres der [X.] geltend gemacht werde, grundsätzlich verwirkt sei. Der Rechtsprechung des 3. B[X.]-Senats ([X.] 4-2500 § 109 [X.]) sei nicht zu folgen.

4

Die Beklagte beantragt,
die Urteile des [X.] vom 5. November 2015 und des [X.] vom 27. April 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
das Urteil des [X.] vom 5. November 2015 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen.

5

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

6

Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Revision der beklagten [X.] ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung an das [X.] zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG). Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, weil es auf der Verletzung materiellen Rechts beruht und sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig erweist. Der erkennende Senat kann wegen fehlender Tatsachenfeststellungen des [X.] zum Bestehen des Vergütungsanspruchs der Klägerin nicht in der Sache umfassend über den Erfolg der Berufung gegen das SG-Urteil entscheiden.

8

Die Feststellungen des [X.] reichen nicht aus, um abschließend über den zulässigerweise mit der (echten) Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG; stRspr, vgl zB [X.], 172 = [X.]-2500 § 109 [X.], Rd[X.] 9 mwN; [X.], 15 = [X.]-2500 § 109 [X.], Rd[X.] 12; [X.], 236 = [X.]-5560 § 17b [X.], Rd[X.] 8, alle mwN) geltend gemachten Anspruch auf Zahlung von 5138,22 [X.] nebst Zinsen zu entscheiden (dazu 1.). Soweit der Klägerin aus der Behandlung des Versicherten über die gezahlten, nicht im Streit stehenden 1474,19 [X.] hinaus ein weitergehender Vergütungsanspruch entstanden ist, greifen die dagegen erhobenen Einwendungen der Beklagten nicht durch. Der mit der korrigierten Schlussrechnung vom 16.5.2011 geltend gemachte weitere Vergütungsanspruch ist - ungeachtet seiner konkreten Höhe - nicht verwirkt (dazu 2.).

9

1. Dass die Grundvoraussetzungen eines Anspruchs auf Krankenhausvergütung für die stationäre Behandlung des Versicherten vom 3. bis 11.1.2010 erfüllt sind, ist zwischen den Beteiligten zu Recht nicht streitig (dazu a). Ob die Klägerin deshalb einen Anspruch auf Zahlung von weiteren 5138,22 [X.] nebst Zinsen hat, hängt von der rechtmäßigen Kodierung der Hauptdiagnose ab. Hierzu fehlt es an hinreichenden Feststellungen des [X.] (dazu b).

a) Die Klägerin erfüllte die Grundvoraussetzungen eines Anspruchs auf Krankenhausvergütung, indem sie den Versicherten vom 3.1. bis 11.1.2010 stationär behandelte. Die Zahlungsverpflichtung einer [X.] entsteht - unabhängig von einer Kostenzusage - unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung - wie hier - in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und im Sinne von § 39 Abs 1 S 2 SGB V erforderlich ist (stRspr, vgl zB [X.], 172 = [X.]-2500 § 109 [X.], Rd[X.] 11; [X.], 15 = [X.]-2500 § 109 [X.], Rd[X.] 15; BSG [X.]-2500 § 109 [X.] Rd[X.] 11; BSG [X.]-5565 § 14 [X.] Rd[X.] 11; [X.], 236 = [X.]-5560 § 17b [X.], Rd[X.] s Rd[X.] 8, alle mwN). Diese Voraussetzungen waren nach den [X.], den Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des [X.] erfüllt.

b) Die von der Klägerin geltend gemachte Krankenhausvergütung bemisst sich nach vertraglichen Fallpauschalen auf gesetzlicher Grundlage (dazu aa). Die von der Klägerin kodierte Hauptdiagnose K21.0 ([X.] Refluxkrankheit mit Ösophagitis) steuert unter Berücksichtigung der nachträglich kodierten [X.]-794.k6 und [X.]-786.g die [X.] an. Ob die Klägerin unter Beachtung der maßgeblichen [X.] ([X.]) die Diagnose K21.0 als Hauptdiagnose kodieren durfte, kann der erkennende Senat nach den Feststellungen des [X.] aber nicht beurteilen (dazu bb).

aa) Die Fallpauschalenvergütung für Krankenhausbehandlung Versicherter in zugelassenen Einrichtungen ergibt sich gesetzlich aus § 109 Abs 4 S 3 SGB V (idF durch Art 1 [X.] zur Einführung des diagnose-orientierten Fallpauschalensystems für Krankenhäuser vom [X.], [X.]) iVm § 7 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG - idF durch Art 2 [X.] Gesetz zum ordnungspolitischen Rahmen der Krankenhausfinanzierung ab dem [X.] vom [X.], [X.], mWv 25.3.2009) und § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz ([X.] - idF durch Art 1 [X.] 4 KHRG vgl entsprechend BSG [X.]-2500 § 109 [X.] 14 Rd[X.] 15). Der Anspruch wird auf [X.] durch [X.] ([X.]) konkretisiert. Im vorliegenden Fall sind die Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das [X.] (Fallpauschalenvereinbarung 2010 - [X.] 2010) einschließlich der Anlagen 1 bis 6 (insbesondere Anlage 1 Teil a) [X.] 2010) und die von den Vertragspartnern auf [X.] getroffene Vereinbarung zu den [X.] für das [X.] (Vereinbarung zu den [X.] Version 2010 für das G-DRG-System gemäß § 17b [X.]) maßgebend (zu deren normativer Wirkung vgl [X.], 236 = [X.]-5560 § 17b [X.], Rd[X.] 18).

Welche [X.] abzurechnen ist, ergibt sich rechtsverbindlich nicht aus einem schriftlich festgelegten abstrakten Tatbestand, sondern aus der Eingabe von im Einzelnen von einem Programm vorgegebenen, abzufragenden Daten in ein automatisches Datenverarbeitungssystem und dessen Anwendung (zur rechtlichen Einordnung des Groupierungsvorgangs vgl [X.], 236 = [X.]-5560 § 17b [X.], Rd[X.] ff). Nach § 1 Abs 6 S 1 [X.] 2010 sind in diesem Sinne zur Einstufung des Behandlungsfalls in die jeweils abzurechnende Fallpauschale Programme (Grouper) einzusetzen. Zugelassen sind nur solche Programme, die von der [X.], einer gemeinsamen Einrichtung der in § 17b Abs 2 S 1 [X.] und § 9 Abs 1 S 1 [X.] 1 KHEntgG genannten Vertragspartner auf [X.], zertifiziert worden sind.

Die Anwendung der [X.] und der [X.]-Abrechnungsbestimmungen einschließlich des [X.] und des [X.] erfolgt eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch systematische Erwägungen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht (vgl BSG [X.]-2500 § 109 [X.] Rd[X.] mwN; [X.], 236 = [X.]-5560 § 17b [X.], Rd[X.]7; zur Auslegung von medizinischen Begriffen im [X.] vgl BSG [X.]-1500 § 160a [X.] 32 Rd[X.] 12 ff, stRspr).Bestehen bei der Aufnahme ins Krankenhaus zwei oder mehrere Krankheiten oder Beschwerden, die jeweils für sich genommen bereits stationärer Behandlung bedurften, kommt es darauf an, welche von ihnen bei [X.] objektiv nach medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnis hauptsächlich die stationäre Behandlung erforderlich machte. Das ist die Diagnose mit dem größten Ressourcenverbrauch. Dies folgt aus Wortlaut und System der [X.]. Dabei kommt auch den in den [X.] enthaltenen Erläuterungen zu den einzelnen Kodierrichtlinien normative Wirkung zu, soweit sie ergänzende Regelungen enthalten (vgl zum Ganzen [X.], 225 = [X.]-2500 § 109 [X.] 45, Rd[X.] 15 ff, dort zu [X.] [X.]).

[X.] [X.] definiert - unverändert gegenüber [X.] [X.] aF - die Hauptdiagnose wie folgt: "Die Diagnose, die nach Analyse als diejenige festgestellt wurde, die hauptsächlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthaltes des Patienten verantwortlich ist." Für den Fall, dass - so die Zwischenüberschrift in [X.] [X.] - "Zwei oder mehr Diagnosen (…) gleichermaßen der Definition der Hauptdiagnose entsprechen", findet sich folgende - mit [X.] [X.] übereinstimmende - Erläuterung: "Wenn zwei oder mehrere Diagnosen in Bezug zu Aufnahme, [X.] und/oder der durchgeführten Therapie gleichermaßen die Kriterien für die Hauptdiagnose erfüllen und ICD-10-Verzeichnisse und Kodierrichtlinien keine Verschlüsselungsanweisungen geben, muss vom behandelnden Arzt entschieden werden, welche Diagnose am besten der [X.] entspricht. Nur in diesem Fall ist vom behandelnden Arzt diejenige auszuwählen, die für Untersuchung und/oder Behandlung die meisten Ressourcen verbraucht hat. Hierbei ist es unerheblich, ob die Krankheiten verwandt sind oder nicht."

Soweit die Erläuterung hierbei darauf verweist, dass "der behandelnde Arzt" die Hauptdiagnose auszuwählen hat, ist dies nur in einem tatsächlichen Sinn zu verstehen. Die Beurteilung, ob eine Diagnose als Hauptdiagnose zu kodieren ist, bemisst sich nach objektiven Maßstäben. Sie erfordert kein an eine bestimmte Person gebundenes höchstpersönliches Fachurteil, sondern kann jederzeit durch einen unabhängigen Sachverständigen nachvollzogen werden. Sie unterliegt im Streitfall der vollen richterlichen Nachprüfung (vgl zu den Grundsätzen auch [X.], 111 = [X.]-2500 § 39 [X.], Rd[X.] 30 f). Ein anderes Verständnis widerspräche höherrangigem Recht (vgl [X.], 225 = [X.]-2500 § 109 [X.] 45, Rd[X.] 18). Maßgeblich ist dabei allein der Ressourcenverbrauch. Hingegen spielt die zeitliche Abfolge der stationären Behandlung zweier oder mehrerer im Zeitpunkt der Krankenhausaufnahme stationär [X.] Diagnosen keine Rolle.Das zweite wesentliche Definitionsmerkmal der Hauptdiagnose ist der Begriff "nach Analyse". Er verdeutlicht, dass es weder auf die subjektive oder objektiv erzielbare [X.] oder Aufnahmediagnose ankommt, sondern allein auf die objektive [X.] der Aufnahmegründe am Ende der Krankenhausbehandlung. Es ist für die Bestimmung der Hauptdiagnose ohne Belang, dass die Diagnose des einweisenden Arztes und des aufnehmenden Krankenhausarztes unter Berücksichtigung der [X.] vorhandenen Informationen objektiv lege [X.] erfolgte. Maßgeblich ist allein die objektiv zutreffende [X.] (vgl [X.], 225 = [X.]-2500 § 109 [X.] 45, Rd[X.]).

bb) Die vom [X.] getroffenen Feststellungen reichen nicht aus, um zu entscheiden, welche Hauptdiagnose die Klägerin kodieren durfte. Nach den [X.], den Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des [X.] bestand im Zeitpunkt der Krankenhausaufnahme des Versicherten ([X.]) sowohl eine gastroösophageale Refluxkrankheit mit Ösophagitis (K21.0) als auch eine am [X.] durch einen Sturz erlittene (gedeckte) Fraktur des [X.] ([X.]). Der Versicherte wurde zunächst in die Innere Abteilung des Krankenhauses zur Behandlung der Refluxkrankheit aufgenommen und sodann in dessen Chirurgische Abteilung zur Durchführung der Osteosynthese verlegt. Das [X.] hat keine Feststellung dahin getroffen, dass der chirurgische Eingriff nur bei Gelegenheit der stationären Aufnahme des Versicherten zur Behandlung der Refluxkrankheit erfolgt sei, aber seinerseits keinen stationären Krankenhausaufenthalt bedingt hätte. In einem solchen Falle, auf den sich die Klägerin im Revisionsverfahren berufen hat, könnte sie mangels Erforderlichkeit keine zusätzliche Vergütung beanspruchen. Dies liegt hier indes unter Berücksichtigung der Gesamtsituation des Versicherten eher fern. Ein derartiger chirurgischer Eingriff ([X.]-794.k6 ; [X.]-786.g ) mit der Hauptdiagnose [X.] wies zudem im [X.] eine untere Grenzverweildauer von zwei und eine obere Grenzverweildauer von 9 Tagen auf (ermittelt mit dem [X.] [X.]). Ist [X.] als Hauptdiagnose zu kodieren, steuert diese zusammen mit den [X.]-794.k6 und 5-786.g die [X.] (Lokale Exzision und Entfernung von [X.] an Hüftgelenk und Femur oder komplexe Eingriffe an Ellenbogengelenk und Unterarm) an, die etwa doppelt so hoch vergütet wird wie die von der Klägerin zunächst in Rechnung gestellte [X.], aber nur etwa die Hälfte der Vergütung erlöst, die die Klägerin mit der [X.] nachträglich abgerechnet hat.

Das [X.] wird nunmehr zu ermitteln haben, dass die Osteosynthese stationärer Krankenhausbehandlung bedurfte und welche der beiden Diagnosen - K21.0 oder [X.] - den größeren Ressourcenverbrauch aufwies.

2. Die Klägerin war nach dem Grundsatz von [X.] und Glauben (§ 242 BGB) nicht daran gehindert, ihren - der Höhe nach noch zu klärenden - Restzahlungsanspruch gegenüber der Beklagten noch im Mai 2011 geltend zu machen. Die Beklagte beruft sich ohne Erfolg auf den Einwand der Verwirkung. Die Voraussetzungen dafür, den Eintritt einer Verwirkung zu bejahen (dazu a), liegen nicht vor (dazu b).

a) Die Zulässigkeit von Nachforderungen eines Krankenhauses wegen Behandlung eines Versicherten richtet sich mangels ausdrücklicher Regelung gemäß dem über § 69 Abs 1 S 3 SGB V (idF durch Art 1 [X.] 1e Buchst a Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 15.12.2008, [X.] 2426) auf die Rechtsbeziehungen zwischen Krankenhaus und [X.]n einwirkenden Rechtsgedanken des § 242 BGB nach [X.] und Glauben in Gestalt der Verwirkung. Die Verwirkung setzt als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung voraus, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraums unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalls und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete [X.] des Rechts dem Verpflichteten gegenüber nach [X.] und Glauben als illoyal erscheinen lassen. Solche, die Verwirkung auslösenden "besonderen Umstände" liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), und der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand), und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat ([X.]), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (stRspr; vgl zB [X.], 141 = [X.]-2500 § 275 [X.] 8, Rd[X.] 37; [X.], 22 = [X.]-2400 § 7 [X.] 14, Rd[X.] 36; BSG [X.]-2400 § 24 [X.] 5 Rd[X.] 31; BSG [X.]-2600 § 243 [X.] 4 Rd[X.] 36; BSG [X.]-4200 § 37 [X.] 1 Rd[X.]; [X.]-2400 § 4 [X.] 5 S 13; BSG Urteil vom [X.] - Juris Rd[X.]7; [X.], 41, 43 = [X.]-2200 § 1303 [X.] 6 S 17 f; BSG Urteil vom 1.4.1993 - 1 RK 16/92 - [X.] 44, 478, 483 = Juris Rd[X.]3; [X.] 2200 § 520 [X.] 3 S 7; BSG Urteil vom [X.] - Juris Rd[X.] 15; [X.], 194, 196 = [X.] 2200 § 1399 [X.] 11 S 15; BSG Urteil vom [X.] - 9 RV 238/71 - Juris Rd[X.]; vgl auch [X.], Vertrauensschutz in der Rechtsprechung der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit, in [X.] , Der [X.] des [X.], 2012, [X.], 167 f).

Das [X.] passt als ergänzende Regelung innerhalb der kurzen - hier im Zeitpunkt der Klageerhebung (19.5.2014) noch nicht abgelaufenen - vierjährigen Verjährungsfrist grundsätzlich nicht. Das [X.] findet nämlich nur in besonderen, engen Ausnahmekonstellationen Anwendung (vgl BSG [X.]-2500 § 264 [X.] 4 Rd[X.] 15; [X.], 141 = [X.]-2500 § 275 [X.] 8, Rd[X.] 37 mwN). Als ein Verwirkungsverhalten wertet der erkennende Senat regelmäßig die vorbehaltlose Erteilung einer nicht offensichtlich unschlüssigen Schlussrechnung eines Krankenhauses. Eine Vertrauensgrundlage entsteht in der Regel im [X.] hieran, wenn das Krankenhaus eine Nachforderung weder im gerade laufenden noch nachfolgenden vollen Haushaltsjahr der [X.] geltend macht. Der Vertrauenstatbestand erwächst daraus, dass die [X.] regelhaft darauf vertraut, dass das Krankenhaus insoweit keine weiteren Nachforderungen erhebt. Hieran richtet sie ihr Verhalten aus, indem sie davon Abstand nimmt, die Abrechnung als zweifelhaft zu behandeln und - im Kontext sonstiger streitiger Forderungen - dafür haushaltsrechtlich relevante Vorkehrungen zu treffen (vgl zum Ganzen BSG [X.]-2500 § 109 [X.] 46 Rd[X.]; BSG [X.]-2500 § 69 [X.] Rd[X.]3; [X.], 82 = [X.]-2500 § 109 [X.] 40, Rd[X.] 35; BSG Urteil vom 1.7.2014 - B 1 KR 47/12 R - Juris Rd[X.] 9 = USK 2014-35; BSG Urteil vom 1.7.2014 - B 1 KR 2/13 R - Juris Rd[X.] 18 = USK 2014-33; BSG [X.]-2500 § 109 [X.]7 Rd[X.] ff; BSG [X.]-2500 § 109 [X.] Rd[X.] 16 ff). Ist die Schlussrechnung des Krankenhauses dagegen - in seltenen Ausnahmefällen - offensichtlich unschlüssig, kann eine Rechnungskorrektur auch nach Ablauf eines ganzen folgenden Haushaltsjahres noch nicht verwirkt sein. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn ein offensichtlicher, ins Auge springender Korrekturbedarf zu Gunsten des Krankenhauses besteht (vgl BSG [X.]-2500 § 109 [X.]7 Rd[X.]).

Der erkennende Senat berücksichtigt bei dieser Konkretisierung der allgemeinen Grundsätze der Verwirkung, dass die Beteiligten aufgrund eines dauerhaften Vertragsrahmens ständig professionell zusammenarbeiten. Ihnen sind die gegenseitigen Interessenstrukturen geläufig. In diesem Rahmen ist von ihnen eine gegenseitige Rücksichtnahme zu erwarten. Weil die [X.]n auf tragfähige Berechnungsgrundlagen angewiesen sind, müssen sie sich grundsätzlich auf die "Schlussrechnung" eines Krankenhauses schon in ihrem laufenden Haushaltsjahr ("[X.]n-Haushaltsjahr"; vom Senat auch als Synonyme verwendet: Rechnungsjahr, Geschäftsjahr) verlassen können, in dem die Rechnung gestellt wird. Dies versetzt sie in die Lage, die dem geltenden Haushaltsplan (vgl §§ 67 ff SGB IV) zugrunde liegenden Ausgaben- und Einnahmenerwartungen mit den tatsächlichen Ausgaben und Einnahmen verlässlich abzugleichen und etwaige auf das folgende Haushaltsjahr zu übertragende Über- oder Unterdeckungen zu erkennen. Das Haushaltsjahr der [X.]n ist kraft gesetzlicher Anordnung das Kalenderjahr (vgl § 67 Abs 1 SGB IV). Die Krankenhäuser verfügen für die Erteilung einer ordnungsgemäßen, verlässlichen Abrechnung - anders als die [X.]n - umfassend über alle Informationen, die die stationäre Behandlung der Versicherten betreffen. Die erforderlichen Informationen betreffen die rechtlichen Vorgaben für die Abrechnung und die tatsächlich erbrachten Leistungen, die abzurechnen sind. Deswegen dürfen die [X.]n grundsätzlich davon ausgehen, dass einmal gestellte, nicht beanstandete Schlussrechnungen nicht von den Krankenhäusern zu einem Zeitpunkt nachträglich korrigiert und Nachforderungen erhoben werden, der ihre Kalkulationsgrundlagen beeinträchtigt.

Zudem bezieht der erkennende Senat das anzuerkennende Interesse der Krankenhäuser ein, hinsichtlich aller in einem laufenden Haushaltsjahr übermittelten Schlussrechnungen noch effektiv Nachprüfungen in einem angemessenen zeitlichen Rahmen vornehmen zu können. Würde man ausschließlich auf das laufende Haushaltsjahr abstellen, hätte dies zur Folge, dass die Krankenhäuser je später im Jahr Schlussrechnungen erfolgen desto weniger Zeit zur Korrektur hätten. Der vom erkennenden Senat regelmäßig zugrunde gelegte Zeitraum des gerade laufenden und noch des nachfolgenden vollen Haushaltsjahres der [X.] trägt im Sinne einer praktischen Konkordanz den gegenläufigen schutzwürdigen Interessen der Beteiligten Rechnung (vgl BSG [X.]-2500 § 109 [X.]7 Rd[X.] f; BSG [X.]-2500 § 109 [X.] Rd[X.] 16 f).

Zur Klarstellung gibt der erkennende Senat die Rechtsprechung des 3. [X.]s auch im vorliegenden Zusammenhang auf, dass bei Nachforderungen bis zur Höhe der Aufwandspauschale oder von [X.] der Rechnungssumme eine Nachforderung nur innerhalb von sechs Wochen nach erteilter Schlussrechnung möglich sein soll, sofern die [X.] kein Auffälligkeitsprüfungsverfahren eingeleitet hat ([X.] 105, 150 = [X.]-2500 § 109 [X.]0, Rd[X.] 18 f; vgl insgesamt zur Aufgabe der [X.] des 3. [X.]s bereits Urteil des erkennenden Senats vom 19.4.2016 - B 1 KR 33/15 R - Rd[X.], für [X.] und [X.] vorgesehen). Ebenso gibt der erkennende Senat die Rechtsprechung des 3. [X.]s auf, dass berechtigte Korrekturen von Schlussrechnungen im nachfolgenden Kalenderjahr auch dann gegen [X.] und Glauben verstoßen, wenn das Krankenhaus damit - vom 3. [X.] nicht näher bestimmte - kalenderjahresbezogene Prozentsätze hinsichtlich der Gesamtzahl und des Gesamtrechnungsvolumens seiner Schlussrechnungen überschreitet (BSG [X.]-2500 § 109 [X.]8 Rd[X.]4).

b) Die Voraussetzungen dafür, dass der ggf entstandene höhere Vergütungsanspruch ([X.] oder [X.]) verwirkt ist, sind nicht erfüllt. Die Klägerin durfte nach den aufgezeigten Grundsätzen mit einer Schlussrechnung vom 16.5.2011 die Schlussrechnung vom [X.] korrigieren und zu Recht entstandene, bislang noch nicht geltend gemachte Vergütungsbestandteile nachfordern. Sie korrigierte noch vor Ablauf des dem [X.]n-Haushaltsjahr (Kalenderjahr) der Rechnungsstellung nachfolgenden Kalenderjahres 2011 ihre Schlussrechnung.

3. Die Kostenentscheidung bleibt dem [X.] vorbehalten. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1 und 3 sowie § 47 Abs 1 GKG.

Meta

B 1 KR 40/15 R

05.07.2016

Bundessozialgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Koblenz, 27. April 2015, Az: S 13 KR 568/14, Urteil

§ 67 Abs 1 SGB 4, § 39 Abs 1 S 2 SGB 5, § 69 Abs 1 S 3 SGB 5 vom 15.12.2008, § 109 Abs 4 S 3 SGB 5 vom 23.04.2002, § 301 SGB 5, § 17b Abs 1 KHG vom 17.03.2009, § 17b Abs 2 S 1 KHG vom 26.03.2007, § 7 KHEntgG vom 17.03.2009, § 9 Abs 1 S 1 Nr 1 KHEntgG vom 17.03.2009, § 1 Abs 6 S 1 KFPVbg 2010, Anl 1 Teil a Nr 901D KFPVbg 2010, Nr D002d DKR 2010, Nr D002f DKR 2010, Nr K21.0 ICD-10-GM 2010, Nr S52.30 ICD-10-GM 2010, Nr 5-786.g OPS 2010, Nr 5-794.k6 OPS 2010, § 242 BGB

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 05.07.2016, Az. B 1 KR 40/15 R (REWIS RS 2016, 8771)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 8771

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