Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 23.05.2012, Az. 1 AZB 67/11

1. Senat | REWIS RS 2012, 6132

ARBEITSRECHT BUNDESARBEITSGERICHT (BAG) TARIFVERTRÄGE GEWERKSCHAFTEN ZEITARBEIT

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Gegenstand

Fehlende Tariffähigkeit der CGZP - Aussetzung von Lohnzahlungsverfahren


Tenor

1. Auf die Beschwerde des [X.] wird der Beschluss des [X.] vom 8. November 2011 - 9 Ta 271/11 - aufgehoben.

Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des [X.] vom 7. Juni 2011 - 4 Ca 12/11 - wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und des [X.] hat die Beklagte zu tragen.

Gründe

1

I. Der Kläger war bei der Beklagten vom 29. März bis zum 27. Juli 2010 als Leiharbeitnehmer beschäftigt. Im Arbeitsvertrag war die Anwendung der jeweils gültigen Tarifverträge zwischen dem [X.] ([X.]) und der [X.] ([X.]) vereinbart. Mit der vorliegenden Klage macht der Kläger Differenzlohnansprüche gemäß § 9 Nr. 2 AÜG geltend.

2

Die Beklagte hat beantragt, das Verfahren nach § 97 Abs. 5 ArbGG auszusetzen. Diesen Antrag hat das Arbeitsgericht abgewiesen. Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten hat das [X.] den Rechtsstreit bis zur Klärung der Tariffähigkeit der [X.] am 15. März 2010, dem Tag des Abschlusses des „[X.]“ zwischen dem [X.] und der [X.], ausgesetzt. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des [X.].

3

II. [X.] ist begründet. Ein Grund für die Aussetzung des Verfahrens bis zu einer Entscheidung über die Tariffähigkeit der [X.] am 15. März 2010 liegt nicht vor. Das [X.] ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass für den vom Arbeitsgericht als für die Beurteilung der Klage maßgeblichen [X.]punkt noch keine rechtskräftige Entscheidung über die Tariffähigkeit der [X.] getroffen worden ist. Der Senat hat in seinem Beschluss vom 14. Dezember 2010 festgestellt, dass die [X.] im zeitlichen Geltungsbereich ihrer Satzung vom 8. Oktober 2009 weder als [X.] iSd. § 2 Abs. 1 [X.] noch als Spitzenorganisation iSd. § 2 Abs. 3 [X.] tariffähig war (- 1 [X.] - Rn. 93 f., AP [X.] § 2 Tariffähigkeit Nr. 6 = EzA [X.] § 2 Nr. 31). Diese Entscheidung hat die fehlende Tariffähigkeit der [X.] nicht nur mit Rechtskraft gegenüber den seinerzeitigen Verfahrensbeteiligten festgestellt, sondern entfaltet Wirkung für und gegen alle.

4

1. Nach § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG hat das Gericht das Verfahren bis zur Erledigung eines Beschlussverfahrens nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG auszusetzen, wenn die Entscheidung eines Rechtsstreits davon abhängt, ob eine Vereinigung tariffähig oder ob die Tarifzuständigkeit der Vereinigung gegeben ist. Einer solchen Aussetzung bedarf es indes nicht, wenn über die Tariffähigkeit oder die Tarifzuständigkeit einer Arbeitnehmerkoalition bereits rechtskräftig entschieden ist. In einem solchen Fall ist die Einleitung eines erneuten Beschlussverfahrens durch die Parteien des ausgesetzten Verfahrens nach §§ 322, 325 Abs. 1 ZPO unzulässig (zu den Voraussetzungen für die Durchbrechung der Rechtskraft [X.] 6. Juni 2000 - 1 ABR 21/99 - [X.]E 95, 47).

5

2. Die [X.] vom 14. Dezember 2010 über die Tarifunfähigkeit der [X.] besteht in zeitlicher Hinsicht ab dem 8. Oktober 2009. Gegenstand der Senatsentscheidung war die Feststellung der Tariffähigkeit der [X.] im zeitlichen Geltungsbereich ihrer an diesem Tag geänderten Satzung. Dies folgt aus dem von den Antragstellern erhobenen gegenwartsbezogenen Antrag und dem zu seiner Begründung angeführten Vorbringen.

6

a) Nach dem auch im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren anwendbaren § 322 Abs. 1 ZPO sind Beschlüsse der Rechtskraft fähig, soweit über den durch den Antrag erhobenen Anspruch entschieden ist ([X.] 6. Juni 2000 - 1 ABR 21/99 - zu [X.] 1 der Gründe, [X.]E 95, 47). Der Begriff des Anspruchs in § 322 Abs. 1 ZPO bezeichnet den prozessualen Anspruch im Sinne der Streitgegenstandslehre. Die objektiven Grenzen der Rechtskraft des Entscheidungsgegenstandes werden durch den Streitgegenstand des vorangehenden Verfahrens bestimmt ([X.] 20. März 1996 - 7 [X.] - zu [X.] 2 der Gründe, [X.]E 82, 291). Dieser richtet sich nach dem zur Entscheidung gestellten Antrag (Klageziel) und dem zugehörigen Lebenssachverhalt (Klagegrund), aus dem die begehrte Rechtsfolge hergeleitet wird ([X.] 1. Februar 1983 - 1 [X.] - zu [X.] 1 der Gründe, [X.]E 41, 316). Zur Bestimmung der Rechtskraftwirkung sind neben der Urteilsformel Tatbestand und Entscheidungsgründe, erforderlichenfalls auch das Parteivorbringen, ergänzend heranzuziehen ([X.] 19. Januar 2010 - 1 [X.] - Rn. 15, [X.]E 133, 75).

7

b) Der Antragswortlaut im Verfahren - 1 [X.] - war auf die Feststellung gerichtet, dass die [X.] nicht tariffähig ist. Ein solcher (negativer) Feststellungsantrag über die fehlende Tariffähigkeit einer Arbeitnehmer- oder Arbeitgebervereinigung ist gegenwartsbezogen und erfasst grundsätzlich den [X.]raum ab seiner Rechtshängigkeit bis zur letzten Anhörung im Verfahren nach § 97 ArbGG. Mit ihm geht es dem Antragsteller um die Klärung der Eigenschaft der jeweiligen Arbeitnehmer- oder [X.], Tarifverträge abschließen zu können. Einen gegenwartsbezogenen Feststellungsantrag können nur die nach § 97 Abs. 1 ArbGG Antragsberechtigten stellen. Die Antragsbefugnis von Personen oder Stellen, die nach § 97 Abs. 5 Satz 2 ArbGG eine Entscheidung über die Tariffähigkeit einer Arbeitnehmer- oder [X.] herbeiführen können, beschränkt sich dagegen auf die Vorfrage, wegen derer das Gericht sein Verfahren ausgesetzt hat ([X.] 29. Juni 2004 - 1 [X.] - zu [X.] 2 a der Gründe, [X.]E 111, 164). Der Aussetzungsbeschluss nach § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG eröffnet daher regelmäßig nur eine vergangenheitsbezogene Feststellung über die Tariffähigkeit der jeweiligen Arbeitnehmer- oder [X.], deren Tariffähigkeit zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens im Streit steht.

8

c) Die Antragsteller des Verfahrens - 1 [X.] - haben ihren Feststellungsantrag auf die [X.] ab dem 8. Oktober 2009 beschränkt. Dies hat der Senat ihrem zu seiner Begründung angeführten Vorbringen entnommen, das sich an der jeweils geltenden Satzung der [X.] ausgerichtet hat. Dies war zunächst die Satzung vom 5. Dezember 2005 und nach deren Änderung ihre seit dem 8. Oktober 2009 geltende Fassung.

9

3. Rechtsfolge einer rechtskräftigen Entscheidung nach § 97 Abs. 1 ArbGG ist zum einen, dass ein erneuter Antrag mit identischem Streitgegenstand unzulässig ist. Die materielle Rechtskraftwirkung solcher Beschlüsse hindert grundsätzlich, dass bei [X.] die bereits entschiedene Frage den Gerichten zur erneuten Entscheidung unterbreitet werden kann. In subjektiver Hinsicht erfasst die Rechtskraft der Entscheidung über die Tariffähigkeit oder die Tarifzuständigkeit nicht nur die Personen und Stellen, die im jeweiligen Verfahren nach § 97 Abs. 2 iVm. § 83 Abs. 3 ArbGG angehört worden sind, sondern entfaltet Wirkung gegenüber jedermann ([X.] 28. März 2006 - 1 [X.] - Rn. 31, [X.]E 117, 308; 6. Juni 2000 - 1 [X.] - zu [X.] 1 der Gründe, [X.]E 95, 36). Dies folgt aus den vom Gesetzgeber als besondere Beschlussverfahren vorgesehenen Verfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG. In diesen soll über die für die Ordnung des Arbeitslebens bedeutsame Eigenschaft der Tariffähigkeit oder Tarifzuständigkeit einer Vereinigung einheitlich entschieden werden. Eine solche Konzentrationswirkung der Verfahren nach § 97 ArbGG setzt aber voraus, dass ihre Rechtskraftwirkungen nicht auf die jeweiligen Verfahrensbeteiligten beschränkt bleiben, sondern die getroffene Entscheidung eine umfassende Geltung im Arbeitsleben erlangt. Aus diesem Grund sind alle Gerichte an einen in einem Verfahren nach § 97 ArbGG ergangenen Ausspruch über die Tariffähigkeit oder die Tarifzuständigkeit einer Vereinigung gebunden, wenn diese Eigenschaften als Vorfrage in einem späteren Verfahren zu beurteilen sind, sofern nicht aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen die Rechtskraft endet ([X.] 6. Juni 2000 - 1 ABR 21/99 - zu [X.] 4 a der Gründe, [X.]E 95, 47), was im Aussetzungsbeschluss näher zu begründen wäre.

4. Danach erweist sich die Rechtsbeschwerde des [X.] als begründet. Nach Auffassung des [X.]s ist die Tariffähigkeit der [X.] zum [X.]punkt des zwischen ihr und dem [X.] am 15. März 2010 abgeschlossenen Mantel- und [X.] für die vom Kläger geltend gemachten Vergütungsansprüche zwar entscheidungserheblich. Die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Verfahrens zur Einleitung eines Beschlussverfahrens nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG liegen jedoch nicht vor. Der vom [X.] als entscheidungserheblich angesehene [X.]punkt liegt innerhalb des [X.]raums, für den der Senat in seinem Beschluss vom 14. Dezember 2010 die fehlende Tariffähigkeit der [X.] rechtskräftig festgestellt hat.

        

    Schmidt    

        

    [X.]    

        

    Koch    

        

        

        

        

        

        

                 

Meta

1 AZB 67/11

23.05.2012

Bundesarbeitsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AZB

vorgehend ArbG Offenbach, 7. Juni 2011, Az: 4 Ca 12/11, Beschluss

§ 97 Abs 5 ArbGG, § 2a Abs 1 Nr 4 ArbGG, § 322 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 23.05.2012, Az. 1 AZB 67/11 (REWIS RS 2012, 6132)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 6132

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