Bundessozialgericht, Urteil vom 20.05.2014, Az. B 10 EG 11/13 R

10. Senat | REWIS RS 2014, 5471

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Elterngeld - Höhe - Einkommensermittlung - modifiziertes Zuflussprinzip - Aufrechnung des Arbeitgebers wegen zuvor überzahlten Arbeitsentgelts - erarbeitetes Arbeitsentgelt


Leitsatz

Für die Bemessung des Elterngelds ist neben dem im Bemessungszeitraum tatsächlich zugeflossenen auch das darin erarbeitete Arbeitsentgelt zugrunde zu legen, soweit der Vergütungsanspruch durch Aufrechnung mit einer Rückforderung wegen einer zuvor entstandenen Überzahlung erloschen ist (Fortentwicklung von BSG vom 30.9.2010 - B 10 EG 19/09 R = BSGE 107, 18 = SozR 4-7837 § 2 Nr 6).

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 7. November 2012 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin auch ihre außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Höhe des [X.] der Klägerin.

2

Die Klägerin, die als Studienrätin in einem Beamtenverhältnis zu dem beklagten [X.] steht, reduzierte mit Beginn des Schuljahrs 2006/2007 ihre Arbeitszeit, erhielt aber zunächst noch ihre vollen Dienstbezüge. Die dadurch entstandene Überzahlung in Höhe von insgesamt 2036,33 [X.] (brutto) glich ihr Dienstherr durch Aufrechnung zweier Teilbeträge im Januar und Februar 2007 aus. Aus den entsprechenden Bezügemitteilungen ist ersichtlich, dass der Klägerin seinerzeit ein konstantes Bruttogehalt von 2929,20 [X.] monatlich zustand, im [X.] aber nur die nach der Aufrechnung verbliebenen Differenzbeträge zugrunde gelegt wurden. Nach der Geburt ihres [X.] am 19.1.2008 wurden ihr die beamtenrechtlichen Bezüge während des mutterschutzrechtlichen [X.] fortgezahlt. Nach dessen Ablauf am [X.] nahm sie bis zum [X.] in Anspruch.

3

Auf Antrag der Klägerin bewilligte ihr der beklagte [X.] Elterngeld für die ersten zwölf Lebensmonate ihres [X.]. Ausgehend von dem bescheinigten steuerpflichtigen Einkommen im Jahr 2007 ergebe sich ein durchschnittliches monatliches Erwerbseinkommen im Bemessungszeitraum von 2194,02 [X.] (netto). Der monatliche Elterngeldanspruch der Klägerin betrage 67 % dieses Werts, also 1469,99 [X.]. Dieser Zahlbetrag reduziere sich wegen der Anrechnung der Dienstbezüge während des [X.] auf 0 [X.] für den ersten und auf 152,07 [X.] für den zweiten Lebensmonat ihres [X.] (Bescheid vom 12.3.2008). Den Widerspruch, mit dem die Klägerin höheres Elterngeld unter Berücksichtigung der im Januar und Februar 2007 durch Aufrechnung erloschenen [X.] begehrte, wies der Beklagte unter Hinweis auf das [X.] zurück (Widerspruchsbescheid vom 28.7.2008).

4

Das [X.] hat den Beklagten unter Abänderung der ergangenen Bescheide verurteilt, "der Klägerin für den zweiten Lebensmonat Elterngeld in Höhe von 159,78 [X.] und für den 3. bis 12. Lebensmonat in Höhe von je 1.544,59 [X.] zu gewähren". Der Berechnung des Elterngeldes seien die ungekürzten [X.] der Klägerin für Januar und Februar 2007 zugrundezulegen. Daraus ergebe sich ein monatlicher Anspruch in Höhe von 1544,59 [X.], der für den zweiten Lebensmonat des [X.] der Klägerin anteilig zu kürzen sei (Gerichtsbescheid vom [X.]). Das L[X.] hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es auf die Rechtsprechung des B[X.] verwiesen, das bei der Berechnung des Elterngeldes von einem modifizierten [X.] ausgehe. Dieser Rechtsgedanke lasse sich auf den vorliegenden Fall übertragen, in dem es im Bemessungszeitraum zu Mindereinnahmen gekommen sei, weil der Arbeitgeber zuvor überzahltes Arbeitsentgelt verrechnet habe. Die entsprechenden Beträge seien den Monaten zuzuordnen, in denen sie zu Unrecht geleistet worden seien ("modifiziertes [X.]") (Urteil vom 7.11.2012).

5

Mit seiner Revision rügt der Beklagte die Verletzung materiellen Rechts (§ 2 [X.] und [X.] <[X.]>). Die im Januar und Februar 2007 aufgerechneten Gehaltsbestandteile seien von der Klägerin nicht im maßgebenden Bemessungszeitraum, sondern davor erzielt worden. Der Rechtsbegriff des „Erzielens“ sei durch das modifizierte [X.] auszufüllen; das vom L[X.] herangezogene "modifizierte [X.]" finde hingegen im Gesetz keine Stütze. Der vorliegende Sachverhalt sei auch nicht mit den Fällen einer rechtswidrigen Vorenthaltung von Lohnbestandteilen im Bemessungszeitraum und späteren Nachzahlung durch den Arbeitgeber vergleichbar. Erstens seien die Aufrechnungen durch den Dienstherrn der Klägerin rechtmäßig und dessen Bezügemitteilungen zutreffend gewesen, zweitens drohe hier keine doppelte Benachteiligung des Elterngeldberechtigten durch einen späteren Zufluss im Bezugszeitraum und drittens erscheine fraglich, wie lange die wirtschaftlichen Verhältnisse im Bemessungszeitraum durch eine zuvor geflossene Überzahlung geprägt werden könnten. Im Interesse der Verwaltungsvereinfachung seien die monatlichen Lohn- und Gehaltsbescheinigungen des Arbeitgebers Grundlage der Einkommensermittlung (§ 2 Abs 7 S 4 [X.]).

6

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des [X.] vom 7. November 2012 und den Gerichtsbescheid des [X.] vom 27. Oktober 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Die Klägerin ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision des Beklagten ist unbegründet (§ 170 Abs 1 S 1 [X.]G).

9

Das [X.] hat die Berufung des Beklagten gegen den der Klage stattgebenden Gerichtsbescheid des [X.] zu Recht zurückgewiesen. Die Klägerin hat Anspruch auf höheres Elterngeld. Der streitgegenständliche Bescheid vom 12.3.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit der Beklagte darin geringere monatliche Zahlbeträge zuerkannt hat. Die Voraussetzungen des zulässigerweise mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage 54 Abs 1 und 4 [X.]G) geltend gemachten Anspruchs auf Zahlung von Elterngeld in Höhe von 159,78 Euro für den zweiten und jeweils 1544,59 Euro für den dritten bis zwölften Lebensmonat ihres [X.] sind erfüllt.

1. Die Klägerin erfüllte die Grundvoraussetzungen für die Gewährung von Elterngeld. Im maßgebenden Bezugszeitraum war das [X.] in seiner ursprünglichen Fassung (Art 1 Gesetz zur Einführung des Elterngeldes vom 5.12.2006, [X.]) anwendbar. Anspruch auf Elterngeld hat gemäß § 1 Abs 1 [X.], wer einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in [X.] hat, mit seinem Kind in einem Haushalt lebt, dieses Kind selbst betreut und erzieht sowie keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt. Dies traf nach den den [X.] bindenden Feststellungen des [X.] (§ 163 [X.]G) auf die Klägerin zu. Sie hat auch rechtzeitig einen schriftlichen Antrag auf die Leistung bei dem Beklagten gestellt (vgl § 7 Abs 1 [X.]).

2. Hinsichtlich der allein streitigen Höhe des [X.] haben die Vorinstanzen unter Berücksichtigung des gesetzlichen Bemessungssatzes, der Bemessungsgrundlagen und des [X.] im Ergebnis zutreffend angenommen, dass der Beklagte der Klägerin zumindest für den zweiten Lebensmonat ihres [X.] 159,78 Euro und für den restlichen Bezugszeitraum monatlich 1544,59 Euro zu zahlen hat.

a) Der Beklagte ist zu Recht davon ausgegangen, dass das Elterngeld der Klägerin in Höhe von 67 % ihres Einkommens aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt festzusetzen ist. Nach § 2 Abs 1 [X.] wird Elterngeld in Höhe von 67 % des in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat der Geburt des Kindes durchschnittlich erzielten monatlichen Einkommens aus Erwerbstätigkeit bis zu einem Höchstbetrag von 1800 Euro monatlich für volle Monate gezahlt, in denen die berechtigte Person kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt. Eine Erhöhung des Leistungssatzes gemäß § 2 Abs 2 [X.] kommt im vorliegenden Fall nicht in Betracht, weil das durchschnittliche monatliche Erwerbseinkommen der Klägerin vor der Geburt ihres [X.] zumindest nicht geringer als 1000 Euro war. Ein geringerer Bemessungssatz als 67 % war in der hier noch anwendbaren Ursprungsfassung des § 2 Abs 2 [X.] nicht vorgesehen.

b) Als Bemessungszeitraum sind zutreffend die zwölf Kalendermonate vor dem Monat der Geburt (am 19.1.2008) zugrunde gelegt worden. Dies entspricht dem Jahr 2007. Für die Ermittlung der relevanten Einnahmen ist auf den nach § 2 Abs 1 S 1 [X.] maßgeblichen 12-Monats-[X.]raum (Bemessungszeitraum) vor dem Monat der Geburt des Kindes und nicht auf das zu berücksichtigende Einkommen aus dem abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraum vor der Geburt (§ 2 Abs 9 [X.]) abzustellen. Von den in § 2 Abs 1 [X.] [X.] genannten steuerrechtlichen Einkunftsarten (aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb, selbstständiger Arbeit und nichtselbstständiger Arbeit) hatte die Klägerin nur Einkommen aus nichtselbstständiger Arbeit.

c) Der erkennende [X.] stimmt mit den Vorinstanzen auch darin überein, dass für die Monate Januar und Februar 2007 das vollständige, aus den Bezügemitteilungen des Dienstherrn der Klägerin ersichtliche Gesamtbruttoentgelt von 2929,20 Euro monatlich zu berücksichtigen ist. Als im Bemessungszeitraum erzieltes Einkommen (Bemessungsgrundlage) aus nichtselbstständiger Arbeit ist der um die auf dieses Einkommen entfallenden Steuern und die Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung in Höhe des gesetzlichen Anteils der beschäftigten Person einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung verminderte Überschuss der Einnahmen in Geld- oder Geldeswert über die mit einem Pauschbetrag anzusetzenden Werbungskosten zu berücksichtigen (§ 2 Abs 1 S 1 und Abs 7 S 1 [X.]). Im Ausgangspunkt zutreffend hat der Beklagte auch die monatlichen Lohn- und Gehaltsbescheinigungen des Arbeitgebers zur Grundlage seiner diesbezüglichen [X.] gemacht (§ 2 Abs 7 S 4 [X.]). Entgegen der Revision ist es unerheblich, dass dieses der Klägerin in den betreffenden Monaten nicht vollständig ausgezahlt worden ist, weil der Dienstherr der Klägerin teilweise mit Rückforderungen wegen vorangegangener Gehaltsüberzahlungen aufgerechnet hat. Davon ausgehend ergibt sich das vom [X.] rechnerisch korrekt ermittelte monatliche Durchschnitts-Nettoeinkommen im Bemessungszeitraum (2305,37 Euro) und der höhere Elterngeld-Anspruch (67 % dieses Werts, also 1544,59 Euro).

Zur Begründung dieses Ergebnisses bedarf es entgegen der Ansicht des [X.] keiner (wie auch immer zu verstehenden) "modifizierten Abflusstheorie". Das steuerrechtliche [X.] des § 11 Abs 2 Einkommensteuergesetz (EStG), wonach Ausgaben für das Kalenderjahr abzusetzen sind, in dem sie geleistet worden sind, ist von keinerlei Relevanz für die Bemessung des Elterngeldes von Personen, die - wie die Klägerin - vor der Geburt des Kindes lediglich Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit hatten. Nach der oben zitierten Legaldefinition sind bei diesen lediglich Steuern und Sozialversicherungsbeiträge sowie die Werbungskostenpauschale einkommensmindernd zu berücksichtigen. Ein Abfluss finanzieller Mittel in Form der von § 11 Abs 2 EStG normierten Ausgaben (etwa für Werbungskosten) kann in diesem Rahmen von vornherein keine Bedeutung erlangen. [X.] in Fällen, in denen § 2 Abs 1 [X.] - wie hier - noch nicht in seiner ab [X.] geltenden Neufassung (durch das Gesetz zur Vereinfachung des Elterngeldvollzugs vom 10.9.2012, [X.] 1878) anzuwenden ist, ist allein, welches Einkommen aus Erwerbstätigkeit der Elterngeldberechtigte im Bemessungszeitraum "erzielt" hat.

Zur Auslegung dieses Rechtsbegriffs existiert mittlerweile eine gefestigte Rechtsprechung. Der [X.] hat bereits in mehreren Entscheidungen ausführlich dargelegt und begründet, dass und warum sich die Bestimmung der maßgebenden Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit nach dem modifizierten Zuflussprinzip richtet (Urteile vom [X.] EG 19/09 R - B[X.]E 107, 18 = [X.]-7837 § 2 [X.], RdNr 25 ff, vom 18.8.2011 - B 10 EG 5/11 R - [X.]-7837 § 2 [X.] RdNr 25 ff und vom 5.4.2012 - B 10 EG 10/11 R - [X.]-7837 § 2 [X.] RdNr 30 ff; kritisch dazu [X.], in [X.]/[X.], MuSchG - [X.], 2014, § 2 [X.] RdNr 59 f). An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Aus der begrenzten Verweisung des [X.] auf einzelne Regelungen des EStG ergibt sich einerseits, dass ein bloßer Vergütungsanspruch nicht genügt, um das Einkommen aus nichtselbstständiger Arbeit zu erhöhen. Das Entgelt muss dem Berechtigten vielmehr tatsächlich zugeflossen sein. Andererseits kommt es nicht maßgebend auf den [X.]punkt des Zuflusses an. Auch eine Gehaltsnachzahlung, die dem Berechtigten erst nach dem Bemessungszeitraum zufließt, ist bei der Berechnung des Elterngeldes zu berücksichtigen, soweit sie Arbeitsentgelt für leistungsrelevante Kalendermonate enthält. Dies gilt - ungeachtet der lohnsteuerrechtlichen Einordnung als sonstiger Bezug - auch dann, wenn Arbeitslohn für Lohnabrechnungszeiträume eines abgelaufenen Kalenderjahres später als drei Wochen nach dessen Ablauf zufließt (B[X.] Urteile vom [X.] EG 19/09 R - B[X.]E 107, 18 = [X.]-7837 § 2 [X.], RdNr 22 und vom 18.8.2011 - B 10 EG 5/11 R - [X.]-7837 § 2 [X.] RdNr 28 ff). Zur Beantwortung der danach maßgeblichen Frage, ob das Arbeitsentgelt im Bemessungszeitraum erarbeitet worden ist, kommt es darauf an, ob es sich um eine Gegenleistung für in dieser [X.] geleistete Dienste handelt. Dafür ist auf den arbeitsrechtlichen Entstehungsgrund und die Zweckbestimmung der Leistung abzustellen (vgl zum Insolvenzgeld B[X.]E 102, 303 ff = [X.]-4300 § 183 [X.], RdNr 20). Dieser Zusammenhang wird ungeachtet des Alimentationsprinzips auch bei beamtenrechtlichen Dienstbezügen hinreichend deutlich - wie gerade im vorliegenden Fall die Anpassung des Gehalts der Klägerin an die verringerte Unterrichtsstundenzahl zeigt.

Dieses Auslegungsergebnis entspricht am besten dem Ziel des Elterngeldes, Familien bei der Sicherung ihrer Lebensgrundlage zu unterstützen, wenn sich Eltern vorrangig um die Betreuung ihrer Kinder kümmern (vgl die Gesetzesmaterialien: BT-Drucks 16/1889 [X.], 15; BT-Drucks 16/2454 [X.]; BT-Drucks 16/2785 [X.]). Jeder betreuende Elternteil, der seine Erwerbstätigkeit unterbricht oder reduziert, soll einen an seinem individuellen Einkommen orientierten Ausgleich für die finanziellen Einschränkungen im ersten Lebensjahr des Kindes erhalten (BT-Drucks 16/1889 [X.], 15). Durch die Betreuung des Kindes sollen die Eltern keine allzu großen Einkommenseinbußen befürchten müssen (vgl Bericht der Bundesregierung vom 30.10.2008 über die Auswirkungen des [X.], BT-Drucks 16/10770 [X.]). Zur Begründung der Schaffung eines zwölfmonatigen [X.] hat der Gesetzgeber ausdrücklich darauf verwiesen, dass dies "die durchschnittlichen Verhältnisse im Jahr vor der Geburt am besten abbildet" (BT-Drucks 16/1889 [X.]0). Den Gesetzesmaterialien lässt sich auch entnehmen, dass bei der Bemessung des Elterngeldes [X.] vermieden werden sollen; die Parallele zur Einkommensermittlung beim Mutterschaftsgeld klingt an (so schon B[X.] Urteil vom [X.] EG 19/09 R - B[X.]E 107, 18 = [X.]-7837 § 2 [X.], RdNr 29 unter Hinweis auf BT-Drucks 16/2785 S 37).

Die Einkommensersatzfunktion des Elterngeldes (dazu bereits B[X.] Urteil vom 3.12.2009 - B 10 EG 3/09 R - B[X.]E 105, 84 = [X.]-7837 § 2 [X.], RdNr 32 f mwN) legt es nahe, das im Referenzzeitraum erarbeitete Entgelt in den Blick zu nehmen, solange es dem Berechtigten tatsächlich gezahlt wird und daher seinen Lebensstandard prägen kann. Dagegen ist der genaue [X.]punkt des Zuflusses häufig von Zufälligkeiten abhängig, die nicht zu einem repräsentativen Bild der wirtschaftlichen Lebensverhältnisse im Bemessungszeitraum führen. In diesem Zusammenhang hat der [X.] bereits darauf hingewiesen, dass die Höhe des Elterngeldes insbesondere nicht von rechtswidrigen Verhaltensweisen des Arbeitgebers abhängig sein soll (Urteil vom [X.] EG 19/09 R - B[X.]E 107, 18 = [X.]-7837 § 2 [X.], RdNr 35) und dass es nicht zu [X.]n kommen darf, die die wirtschaftliche Situation des Elterngeldberechtigten im Bemessungszeitraum verzerrt wiedergeben (Urteil vom [X.] - B 10 EG 14/13 R - Umdruck [X.] unter Hinweis auf BT-Drucks 17/3030 [X.], zur [X.] vorgesehen in B[X.]E und [X.]). Das Elterngeld kann seine Einkommensersatzfunktion nur erfüllen, wenn seiner Berechnung diejenigen Einkünfte zugrunde gelegt werden, die während des gesetzlich definierten letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes den Lebensstandard des Elterngeldberechtigten geprägt haben ([X.]surteil vom [X.] - B 10 EG 14/13 R - Umdruck S 12, zur [X.] vorgesehen in B[X.]E und [X.]). Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit fließen dem Erwerbstätigen in aller Regel zeitgerecht zu, sodass seine wirtschaftlichen Verhältnisse von den monatlich verdienten Vergütungsansprüchen geprägt werden. Demgegenüber verfolgt der Gesetzgeber im Steuerrecht mit dem strengen Zuflussprinzip des § 11 Abs 1 EStG einen anderen Zweck. Die Regelung hat dort ihre Bedeutung als primär verfahrenstechnische Vorschrift, die der einfachen und praktikablen Erfassung von Einnahmen und Ausgaben dient und dazu [X.] bewusst in Kauf nimmt (vgl Glenk in [X.], EStG, 121. Aufl 2014, § 11 RdNr 20).

Vor diesem Hintergrund sind auch die durch Aufrechnung erloschenen Gehaltsbestandteile bei der Elterngeldberechnung zu berücksichtigen, weil der Klägerin zuvor Überzahlungen in derselben Höhe zugeflossen waren. Dadurch standen ihr die streitigen Beträge (zumindest per Saldo ihres Gesamtvermögens) bereits im Bemessungszeitraum zur Verfügung. Sie waren also - anders als in den Nachzahlungsfällen - tatsächlich schon geeignet, den vorgeburtlichen Lebensstandard in dem maßgebenden Referenzzeitraum zu prägen. Ihre Berücksichtigung bei der Berechnung des Elterngeldes entspricht demnach umso mehr dem Willen des Gesetzgebers, wonach dasjenige Einkommen ausgeglichen werden soll, das der anspruchsberechtigten Person zuletzt (dh vor der Geburt des Kindes) monatlich zur Verfügung stand und das nun wegen der Unterbrechung oder Einschränkung der Erwerbstätigkeit nicht mehr zur Verfügung steht (siehe [X.]/[X.], MuSchG/[X.], 8. Aufl 2008, § 2 [X.] RdNr 28; BT-Drucks 16/1889 S 19 f, 21).

Demgegenüber räumt selbst der Beklagte ein, dass seine Bemessung des Elterngeldes angesichts der Seltenheit von Aufrechnungserklärungen durch Arbeitgeber ein Zufallsergebnis darstellt. Der zugrunde gelegte geringere Zahlbetrag im Januar und Februar 2007 ist nicht repräsentativ für die vorgeburtliche Einkommenssituation der Klägerin. Für eine solche Abweichung von der oben dargelegten gesetzgeberischen Zielvorstellung fehlt es an einem rechtfertigenden Sachgrund. Zwar mag die Durchsetzung der Rückforderungsansprüche durch den Dienstherrn der Klägerin im Wege der Aufrechnung dem geltenden Beamtenrecht entsprochen haben. Die vorangegangene Überzahlung, die hierfür ursächlich war, war hingegen ersichtlich rechtswidrig. Auf ein Verschulden des Arbeitgebers hat die Rechtsprechung in diesem Zusammenhang nicht abgestellt. Der [X.] hält die Anwendung des modifizierten Zuflussprinzips keineswegs nur in Fällen für geboten, in denen eine doppelte Benachteiligung durch einen späteren Zufluss im Bezugszeitraum droht (der etwa auch in dem der Entscheidung vom [X.] EG 19/09 R - B[X.]E 107, 18 = [X.]-7837 § 2 [X.] zugrundeliegenden Sachverhalt bereits abgelaufen war, als die Gehaltsnachzahlung erfolgte).

Mit der Rechtsprechung des [X.]s ist entgegen der Revisionsbegründung keine Berücksichtigung fiktiver Steuern verbunden. Insoweit kann sich der Beklagte nicht mit Erfolg auf die zum [X.] ergangenen [X.]surteile vom [X.] (B 10 EG 3/08 R - B[X.]E 103, 284 = [X.]-7837 § 2 [X.], RdNr 23 und den [X.] EG 4/08 R) berufen, denn dort stand in Rede, bei der Berechnung des Elterngeldes eine auf der Lohnsteuerkarte tatsächlich nicht (mehr) eingetragene und daher im Lohnsteuerabzugsverfahren tatsächlich nicht angewandte Lohnsteuerklasse zugrundezulegen. Dem ist der [X.] - auch aus heutiger Sicht zu Recht - entgegengetreten. Die "auf die Einnahmen aus nichtselbstständiger Arbeit entfallenden Steuern" iS von § 2 Abs 7 S 1 [X.] sind nur die tatsächlich entrichteten und nicht etwa fiktiv ermittelte Steuern (etwa nach einer anderen Steuerklasse). Auch die Klägerin hat die auf die durch Aufrechnung erloschenen [X.] entfallenden Steuern tatsächlich entrichtet. Diese sind lediglich nicht in den für die Berechnung des Elterngeldes maßgebenden Kalendermonaten abgeführt worden, sondern schon in der [X.] davor, als der Klägerin zu Unrecht überhöhte Gehaltszahlungen geleistet wurden. Das [X.] macht es jedoch nicht zur Voraussetzung für die Berücksichtigung von Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit, dass auch die Abführung der Lohnsteuer im Bemessungszeitraum erfolgt ist (eingehend bereits [X.]surteil vom 18.8.2011 - B 10 EG 5/11 R - [X.]-7837 § 2 [X.] RdNr 28 ff).

Das gefundene Ergebnis wird durch einen Vergleich der Vermögenssituation der Klägerin vor und nach der Abrechnung ihres [X.] bzw [X.] 2007 bestätigt. Die Klägerin hat von ihrem Dienstherrn in den beiden Monaten eine Vermögensmehrung nicht nur um den jeweiligen nach der Aufrechnung verbliebenen Differenzbetrag, sondern um jeweils 2929,20 Euro (brutto) erhalten, welcher ihre vorgeburtlichen Einkommensverhältnisse entsprechend der Zielsetzung des Elterngeldes maßgeblich geprägt hat. Für die Vermögensmehrung kommt es nämlich nicht darauf an, auf welche Art der Arbeitgeber den Anspruch auf Arbeitsentgelt zum Erlöschen bringt. Der Erfüllung iS von § 362 Abs 1 BGB stehen die zivilrechtlichen Erfüllungssurrogate wie die Aufrechnung nach §§ 387 ff BGB gleich (Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate sowie das Erlöschen der Schuldverhältnisse aus anderen Gründen, 2. Aufl 1994, [X.] ff). Der Dienstherr der Klägerin hat die im Wege der Aufrechnung zu tilgenden [X.] nach Grund und Höhe eindeutig bestimmt. Dadurch hat die Klägerin im Gegenzug im Januar und Februar 2007 in Höhe der [X.] einen Vermögenszuwachs in Gestalt der Befreiung von entsprechenden Rückzahlungsverbindlichkeiten erlangt. Mit den vor dem Bemessungszeitraum sukzessive erhaltenen Überzahlungen waren gleichzeitig ansteigende Rückforderungsansprüche ihres Dienstherrn verbunden. Diese sind durch die beiden Aufrechnungserklärungen erloschen.

Gründe der [X.] gebieten keine andere Auslegung. Das in einem bestimmten Monat erarbeitete Bruttoentgelt lässt sich auch dann ohne Weiteres aus der Gehaltsbescheinigung des Arbeitgebers entnehmen, wenn der Lohnanspruch teilweise durch Aufrechnung zum Erlöschen gebracht wird. Sollten sich die von den (gesamten) Einnahmen in Abzug zu bringenden Steuern und Sozialversicherungsbeiträge aus den vorgelegten Lohnabrechnungen nicht ergeben (etwa in dem in der Revisionsbegründung angesprochenen Fall schwankender monatlicher Einkünfte), haben die Elterngeldstellen diese feststehenden Rechenwerte auf andere Weise zu ermitteln (etwa mit Hilfe allgemein zugänglicher Berechnungsprogramme oder durch amtliche Auskünfte). Der damit unzweifelhaft verbundene zusätzliche Verwaltungsaufwand ist im Interesse der Einzelfallgerechtigkeit hinzunehmen. Der [X.] hat bereits im Zusammenhang mit der im Einzelfall praktizierten Vorgehensweise des Arbeitgebers im Lohnsteuerabzugsverfahren darauf hingewiesen, dass sich die hieran anknüpfende Berechnung des Elterngeldes nicht allein mit dem Ziel der Verwaltungsvereinfachung rechtfertigen lässt. Vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Wertentscheidung des Art 6 Abs 1 GG darf ein aus Gründen der [X.] gewählter Anknüpfungspunkt nicht zu [X.]n führen, die mit den Zielen des [X.] nicht in Einklang stehen ([X.]surteil vom [X.] - B 10 EG 14/13 R - Umdruck S 11 f, zur [X.] vorgesehen in B[X.]E und [X.]). Zudem handelt es sich praktisch um seltene Ausnahmefälle; im Regelfall können alle notwendigen Angaben aus den Lohn- und Gehaltsbescheinigungen entnommen werden. Damit ist auch den Anforderungen des § 2 Abs 7 S 4 [X.] entsprochen, der keine abschließende, die Verwaltung privilegierende Regelung dahingehend enthält, dass deren Ermittlungstätigkeit sich ausschließlich und allein auf die Auswertung der Mitteilungen des Arbeitgebers zu erstrecken hat (dazu schon B[X.] Urteil vom 3.12.2009 - B 10 EG 3/09 R - B[X.]E 105, 84 = [X.]-7837 § 2 [X.], RdNr 27). Dieses [X.] führt - entgegen der Revisionsbegründung - keineswegs zu einer Situation, in der die Verwaltung gezwungen wäre, jede vorgelegte Lohn- und Gehaltsbescheinigung zu überprüfen. Vielmehr kann und darf sie sich auf die Richtigkeit der Angaben des Arbeitgebers verlassen, soweit und solange etwa durch Einwendungen der Elterngeldberechtigten - kein Anlass zu Zweifeln besteht.

3. [X.] beruht auf § 193 [X.]G.

Meta

B 10 EG 11/13 R

20.05.2014

Bundessozialgericht 10. Senat

Urteil

Sachgebiet: EG

vorgehend SG München, 27. Oktober 2009, Az: S 33 EG 113/08, Gerichtsbescheid

§ 2 Abs 7 S 4 BEEG vom 05.12.2006, § 2 Abs 7 S 1 BEEG vom 05.12.2006, § 2 Abs 1 S 1 BEEG vom 05.12.2006, § 2 Abs 1 S 2 BEEG vom 05.12.2006, § 11 Abs 2 EStG, § 387 BGB, § 812 BGB

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 20.05.2014, Az. B 10 EG 11/13 R (REWIS RS 2014, 5471)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 5471

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