Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.07.2014, Az. 2 StR 574/13

2. Strafsenat | REWIS RS 2014, 4212

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Gegenstand

Strafzumessung bei sexuellem Kindesmissbrauch: Berücksichtigung von erheblichen psychischen Tatfolgen bei einer Tatserie


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 29. Mai 2013 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen

2

- schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 19 Fällen, in 18 Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, in zwei Fällen zudem in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, ferner in einem weiteren Fall in Tateinheit mit Nötigung und in einem Fall zudem in Tateinheit mit Verschaffen des Besitzes von kinderpornographischen Schriften,

3

- versuchten schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen,

4

- sexuellen Missbrauchs von Kindern in sechs Fällen, in fünf Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen,

5

- Verbreitung kinderpornographischer Schriften in fünf Fällen

6

zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren und sechs Monaten verurteilt; zudem hat es die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, gestützt auf § 66 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 StGB, angeordnet. Das auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Rechtsmittel des Angeklagten führt zur Aufhebung sämtlicher Strafaussprüche und des [X.]; im Übrigen ist es unbegründet.

7

1. Nach den Feststellungen des [X.]s „entwickelte" der Angeklagte sexuelle Interessen an seinen leiblichen Töchtern A.    , geboren am 31. Dezember 2001, D.      , geboren am 25. September 2003 und [X.], geboren am 15. Februar 2005. Anfangs erregte ihn das Betrachten seiner nackten Kinder. Ab Ende des Jahres 2006 begann er damit, sich seinen Töchtern sexuell zu nähern, indem er sie am ganzen Körper, insbesondere im Genitalbereich streichelte und leckte (Fälle [X.] ([X.]) 1. bis 3., 20. und 21. der Urteilsgründe). In einem Fall ([X.] ([X.]) 18.) zeigte er seiner Tochter A.     Bilder, auf denen ein blondes Mädchen im Alter der Geschädigten abgebildet war, das nackt posierend bei [X.] den Oralverkehr ausführte. Der Angeklagte gab ihr zu verstehen, dass es sich bei den abgebildeten Personen um einen Freund und dessen Tochter handele.

8

Er brachte seine Kinder im weiteren Verlauf des [X.] dazu, bei ihm den Oralverkehr auszuführen (Fälle [X.] ([X.]) 4. bis 6., 11., 15. bis 17. und 23. bis 25. der Urteilsgründe), zum Teil auch gemeinsam. Die sexuellen Handlungen „steigerten" sich bis zum ungeschützten Vaginal- und Analverkehr (Fälle [X.] ([X.]) 7. bis 10. [Fall 8.: Versuch], 12. bis 14., 19. und 22. der Urteilsgründe), wobei seine Tochter A.     am häufigsten von den sexuellen Übergriffen betroffen war. Dabei erlitt sie in zwei Fällen ([X.] ([X.]) 7. und 14.) Schmerzen; in einem Fall ([X.] ([X.]) 24.) hat sie den Oralverkehr ausgeführt, nachdem er ihr zuvor mit Hausarrest gedroht hatte.

9

Der Angeklagte fertigte von den sexuellen Übergriffen teilweise Foto- und Filmaufnahmen, um sie für sich zu verwenden und an andere Personen weiterzugeben (Fall [X.] ([X.]) 23. der Urteilsgründe). Ab dem Jahr 2012 begann der Angeklagte intensiv damit, im [X.] nach kinderpornographischem Material zu suchen. Dabei kam es in fünf Fällen zum Tausch von entsprechenden Dateien (Fälle [X.] (II[X.]) 28. bis 32. der Urteilsgründe).

Im [X.] des Jahres 2012 brachte der Angeklagte schließlich die im Dezember 2004 geborene Tochter seiner damaligen Lebensgefährtin dazu, an ihm den ungeschützten Oralverkehr auszuführen (Fall [X.] (I[X.]) 26. der Urteilsgründe).

2. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtsfertigung hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufgedeckt. Insoweit nimmt der Senat auf die Antragsschrift des [X.] vom 16. Dezember 2013 Bezug. Es beschwert den Angeklagten nicht, dass er im Fall [X.] ([X.]) 6. der Urteilsgründe nicht tateinheitlich wegen [X.] kinderpornographischer Schriften verurteilt worden ist.

3. Der Rechtsfolgenausspruch hält insgesamt sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Bei der Zumessung der - wegen (schweren) sexuellen Missbrauchs verhängten - 26 Einzelstrafen ([X.] zwischen einem Jahr und sechs Jahren und sechs Monaten) hat das [X.] - rechtsfehlerhaft - jeweils zu Lasten des Angeklagten vor allem die erheblichen psychischen Tatfolgen bei allen Geschädigten berücksichtigt. Die bisherigen Feststellungen, namentlich die näheren Ausführungen zu den seelischen Beeinträchtigungen und Verhaltensauffälligkeiten ([X.]), weisen nämlich nicht aus, dass sich diese Folgen bei den Mädchen bereits nach den ersten Taten eingestellt haben. Denn sind die festgestellten psychischen Schäden Folge aller Taten, so können sie dem Angeklagten nur einmal - bei der Gesamtstrafenbildung (vgl. [X.]) - angelastet werden. Sind sie dagegen unmittelbare Folge allein einzelner Taten, so können sie mit ihrem vollen Gewicht nur in diesen Fällen, nicht aber in gleicher Weise auch bei der Bemessung sämtlicher anderer Einzelstrafen in Ansatz gebracht werden (vgl. [X.], Beschlüsse vom 13. November 1997 - 4 StR 539/97, [X.], 107 f. und vom 20. Juli 1993 - 4 StR 316/93, [X.]R StGB § 46 Abs. 2 Tatauswirkungen 7; Theune in [X.] Kommentar, StGB, 12. Aufl., § 46 Rdn. 151; [X.] in [X.] Kommentar, aaO, § 176 Rdn. 42; [X.]/[X.] in [X.]/[X.], StGB, 29. Aufl., § 46 Rdn. 26; [X.] in [X.] Kommentar, StGB, 2. Aufl., § 46 Rdn. 96; [X.], StGB, 61. Aufl., § 46 Rdn. 34b).

Um der neu zur Entscheidung berufenen [X.] eine insgesamt in sich stimmige Strafzumessung zu ermöglichen, hebt der Senat die Strafaussprüche auch in den Fällen [X.] (I[X.]) 26. und [X.] (II[X.]) 28. bis 32. der Urteilsgründe auf.

b) Die Aufhebung der Einzelstrafen zieht die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich. Der Senat weist darauf hin, dass für durch Zahlung erledigte, ursprünglich gesamtstrafenfähige Geldstrafen kein Härteausgleich zu gewähren ist (vgl. Senat, Urteil vom 14. März 2012 - 2 StR 561/11; [X.], aaO, § 55 Rdn. 21a, jeweils mwN).

c) Die Aufhebung sämtlicher Strafaussprüche führt dazu, dass bereits die formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 StGB nicht (mehr) erfüllt sind; der [X.] ist deshalb ebenfalls aufzuheben.

d) Die Erwägung des [X.]s, wonach die Einsichts- bzw. Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zum Zeitpunkt der Taten gemäß § 21 StGB (auch) deshalb nicht erheblich eingeschränkt gewesen sei, weil „eine erhebliche Beeinträchtigung ... (der) kognitiven Fähigkeiten" des Angeklagten nicht vorlag, da er „gezielt Situationen geschaffen (habe), in denen er mit den Kindern alleine war, um diese Situationen für die Durchführung der sexuellen Handlungen auszunutzen" ([X.]), ist rechtlich bedenklich (vgl. [X.], Beschlüsse vom 7. März 2002 - 3 [X.], [X.], 476, 477 und vom 7. Januar 1993 - 4 StR 552/92, [X.]R StGB § 21, Seelische Abartigkeit 25; [X.], aaO, § 20 Rdn. 46a mwN). Der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter wird sich auch deswegen erneut umfassend mit der Frage einer eingeschränkten Schuldfähigkeit und der Verhängung einer angemessenen Maßregel zu befassen haben; Schuldunfähigkeit des Angeklagten kann der Senat ausschließen.

[X.]                           Schmitt                      Krehl

              Eschelbach                         Zeng

Meta

2 StR 574/13

09.07.2014

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Darmstadt, 29. Mai 2013, Az: 200 Js 35163/12 - 10 KLs

§ 46 Abs 2 StGB, § 176 StGB, § 176a StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 09.07.2014, Az. 2 StR 574/13 (REWIS RS 2014, 4212)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 4212

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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