Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.08.2018, Az. 2 StR 172/18

2. Strafsenat | REWIS RS 2018, 4618

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Gegenstand

Ausschließung des Angeklagten von Hauptverhandlung durch begründeten Beschluss


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 12. Dezember 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer tätige Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

2

Der Angeklagte macht zu Recht geltend, dass der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO i.V.m. § 247 StPO gegeben ist. Er war von der Verhandlung während der Vernehmung der Nebenklägerin in gesetzeswidriger Weise ausgeschlossen.

3

1. Der Formalrüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:

4

In der Hauptverhandlung vom 6. Dezember 2017 wurde auf Antrag des [X.] die Öffentlichkeit für die Dauer der Vernehmung der Nebenklägerin     S.    , dem Opfer der verfahrensgegenständlichen Taten, ausgeschlossen. Ein Beschluss über den Ausschluss des Angeklagten wurde nicht gefasst. Die Vernehmung der Zeugin fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit und in Abwesenheit des Angeklagten statt.

5

2. Die Verfahrensrüge ist zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).

6

a) Entgegen der Auffassung des [X.] bedurfte es keiner Ausführungen zum Aussageinhalt der in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführten Vernehmung der Nebenklägerin. Bei der Vernehmung der [X.] als zentraler Belastungszeugin bedarf es – selbst im Falle ihrer wiederholten Vernehmung – keiner Darlegungen zum wesentlichen Aussageinhalt (vgl. [X.], Beschluss vom 11. März 2014 – 1 [X.], [X.], 532, 533; Beschluss vom 23. September 2014 – 4 StR 302/14, [X.], 104, 105). Anderes folgt auch nicht – wie der [X.] meint – aus dem Umstand, dass das [X.] das Verfahren im Hinblick auf die dem Angeklagten zur Last liegenden Tatvorwürfe des sexuellen Missbrauchs zum Nachteil des Bruders der Zeugin gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt hat. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO verpflichtet auch in einer solchen Verfahrenskonstellation nicht zu der (pauschalen) Mitteilung, dass die in Abwesenheit des Angeklagten erfolgte Vernehmung der Zeugin jedenfalls auch auf die später zur Verurteilung gelangten Fälle bezogen war (vgl. Senat, Beschluss vom 9. Mai 2018 – 2 StR 543/17). Im Übrigen entnimmt der Senat den Urteilsgründen, die er auf die zulässig erhobene Sachrüge zur Kenntnis zu nehmen hat, dass die Zeugin am 6. Dezember 2017 zu den sie selbst betreffenden Tatvorwürfen vernommen worden ist.

7

b) § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO verpflichtete auch nicht zu dem Vortrag, dass der Angeklagte den Sitzungssaal freiwillig verlassen und zuvor keine Einwände gegen den von dem Nebenklagevertreter gestellten Ausschließungsantrag erhoben hat.

8

Der zeitweise Ausschluss des Angeklagten ist stets durch förmlichen Gerichtsbeschluss anzuordnen, der zu begründen und zu verkünden ist. Ein Beschluss wird nicht entbehrlich, weil alle Verfahrensbeteiligten mit der Anordnung einverstanden sind (vgl. [X.], Beschluss vom 15. August 2001 – 3 [X.], [X.], 44, 45). Soweit der 5. Strafsenat in seinem Urteil vom 30. August 2000 (5 [X.], [X.], 48) erwogen hat, dass anderes in Fallkonstellationen gelten könnte, in denen die Voraussetzungen für eine Abwesenheitsverhandlung zweifelsfrei vorliegen und das Einverständnis des Angeklagten auf der Anerkennung dieser verfahrensrechtlich eindeutigen Situation beruht, könnte der Senat dem nicht folgen. Der Angeklagte kann nach ständiger Rechtsprechung des [X.], von der abzurücken kein Anlass besteht, nicht wirksam auf seine vom Gesetz vorgeschriebene Anwesenheit verzichten ([X.], Beschluss vom 15. August 2001 – 3 [X.], [X.], 44, 45 – für den Fall einer fehlenden Begründung des Beschlusses; siehe auch Urteil vom 30. August 2000 – 5 [X.], [X.]R StPO § 247 Abwesenheit 22; Senat, Urteil vom 6. Dezember 1967 – 2 [X.], [X.]St 22, 18, 20).

9

c) Anhaltspunkte für ein gezielt auf die vorsorgliche Schaffung eines Revisionsgrundes gerichtetes und dem Angeklagten zurechenbares Verhalten, das Anlass geben könnte, die Zulässigkeit der Rüge unter dem Gesichtspunkt arglistigen Verhaltens in Zweifel zu ziehen, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

3. Der absolute Revisionsgrund liegt vor. Der Beschwerdeführer war entgegen § 247 StPO von der Vernehmung der Zeugin ausgeschlossen, ohne dass dies durch einen durch den gesamten Spruchkörper gefassten und mit Gründen versehenen Beschluss angeordnet worden wäre (vgl. [X.], Beschluss vom 24. Juni 2014 – 3 [X.], [X.], 103, 104; [X.]/[X.], 26. Aufl., § 247 Rn. 28). Ein begründeter Beschluss ist auch dann erforderlich, wenn alle Beteiligten einschließlich des Angeklagten mit seiner Entfernung einverstanden sind; die notwendige Anwesenheit des Angeklagten während wesentlicher Teile der Hauptverhandlung steht nicht zur Disposition der Verfahrensbeteiligten ([X.], Beschluss vom 6. Februar 1993 – 4 StR 35/91, [X.], 296; Beschluss vom 15. August 2001 – 3 [X.], [X.], 44, 45).

Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.

Schäfer     

      

Appl     

      

Eschelbach

      

Bartel     

      

Schmidt     

      

Meta

2 StR 172/18

21.08.2018

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Rostock, 12. Dezember 2017, Az: 12 KLs 179/17

§ 154 Abs 2 StPO, § 344 Abs 2 S 2 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.08.2018, Az. 2 StR 172/18 (REWIS RS 2018, 4618)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 4618

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