Bundesverfassungsgericht, Einstweilige Anordnung vom 12.01.2018, Az. 2 BvR 37/18

2. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2018, 15697

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

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Gegenstand

Erlass einer einstweiligen Anordnung: Untersagung der Auslieferung nach Rumänien mit Blick auf dortige Haftbedingungen - hier: Möglichkeit eines Verstoßes gegen Art 101 Abs 1 S 2 GG - Folgenabwägung


Tenor

Die Übergabe des Beschwerdeführers an die [X.] Behörden wird bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Monaten, einstweilen untersagt.

Die Generalstaatsanwaltschaft des [X.] wird mit der Durchführung der einstweiligen Anordnung beauftragt.

Gründe

1

Die mit einem Eilantrag verbundene Verfassungsbeschwerde betrifft die Auslieferung des Beschwerdeführers, eines [X.] Staatsangehörigen, nach [X.] zum Zwecke der Strafvollstreckung. Der Beschwerdeführer rügt insbesondere die ihm dort drohenden Haftbedingungen.

2

1. Auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls des Amtsgerichts [X.] ([X.]) vom 26. Februar 2016 wurde der Beschwerdeführer, ein [X.] Staatsangehöriger, am 24. Oktober 2017 festgenommen und befindet sich seither in der [X.] in Auslieferungshaft. Dem Haftbefehl liegt eine Entscheidung des Berufungsgerichts in [X.] vom 18. Februar 2016 zugrunde, in der die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis sowie Fahrens mit einem nicht zugelassenen Fahrzeug zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten in zweiter Instanz rechtskräftig bestätigt wurde.

3

2. Mit Beschluss vom 27. Oktober 2017 ordnete das [X.] auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft des [X.] die Auslieferungshaft gegen den Beschwerdeführer an. Die Auslieferung erscheine nicht von vornherein unzulässig. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats spreche unter Beachtung der Vorgaben der Entscheidung des [X.] ([X.]) vom 5. April 2016 ([X.], Urteil vom 5. April 2016, [X.] und [X.], [X.]/15 und [X.]/15 [X.], [X.]:[X.]) grundsätzlich nichts gegen die Zulässigkeit einer Auslieferung nach [X.].

4

3. Daraufhin ersuchte die Generalstaatsanwaltschaft unter Verweis auf das Urteil des [X.] das Amtsgericht [X.] unter dem 10. November 2017 um eine genaue Beschreibung der Haftbedingungen, die den Beschwerdeführer in [X.] erwarten würden, insbesondere die Größe des Haftplatzes, die Dauer der täglichen Unterbringung in der Zelle sowie die Abtrennung sanitärer Einrichtungen.

5

4. In einer Stellungnahme vom 23. November 2017 stellten die [X.] Behörden die im Fall der Auslieferung zu erwartenden Haftbedingungen dar. Die [X.] der Justizvollzugsanstalten versichere insbesondere, dass der Beschwerdeführer die Strafe in der [X.] oder in einer anderen Vollzugsanstalt verbüßen werde, wo ihm im Fall der Strafvollstreckung in einem halboffenen oder offenen Haftregime ein individueller Mindestraum von 2 m

6

5. Mit Verfügung vom 28. November 2017 beantragte die Generalstaatsanwaltschaft, die Auslieferung des Beschwerdeführers für zulässig zu erklären. Aus der Stellungnahme der [X.] Behörden ergäben sich Haftbedingungen, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung eine echte Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne von Art. 4 der [X.] ([X.]) nicht erkennen ließen.

7

6. Dem trat der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 11. Dezember 2017 entgegen. Maßgeblich für die Beachtung von Art. 4 [X.] seien die in der Entscheidung vom 5. April 2016 ([X.], Urteil vom 5. April 2016, [X.] und [X.], [X.]/15 und [X.]/15 [X.], [X.]:[X.]) aufgestellten Maßstäbe. In der Stellungnahme der [X.] Behörden werde ein individueller Mindestraum von 2 m

8

7. Mit angegriffenem Beschluss vom 20. Dezember 2017 erklärte das [X.] die Auslieferung des Beschwerdeführers für zulässig. Gegen die beabsichtigte Bewilligung der Auslieferung würden mit der Maßgabe, dass die Freiheitsstrafe während ihrer gesamten Dauer ausschließlich in Haftanstalten vollzogen würde, die den Anforderungen der [X.] ([X.]) und den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen entsprächen, sowie mit der Maßgabe, dass Angehörigen der [X.] jederzeit kurzfristig Gelegenheit gegeben werde, den Beschwerdeführer in der Haft aufzusuchen und sich über die konkreten Haftbedingungen zu informieren, keine Bedenken geltend gemacht.

9

Die in [X.] herrschenden Haftbedingungen ließen eine Auslieferung nicht als unzulässig erscheinen. Dem Senat sei aus mehreren Verfahren bekannt, dass [X.] zunächst einen Zeitraum von drei Wochen in einer zentralen Haftanstalt verbrächten und dann von dort in andere Haftanstalten verlegt würden, die insgesamt den Anforderungen entsprächen, die der [X.] als Mindeststandard fordere. Dass dies auch im vorliegenden Fall so sein werde, ergebe sich aus den ergänzenden Informationen, die das Amtsgericht [X.] auf Bitte des Generalstaatsanwalts des [X.] übersandt habe. Diesen Erklärungen dürfe im "gemeinsamen [X.] Rechtsraum des Vertrauens" ohne Weiteres geglaubt werden. Es sei nicht bekannt, dass Erklärungen der [X.] Behörden im Einzelfall nicht eingehalten worden seien.

Ob das [X.] hinsichtlich der Zulässigkeit von Auslieferungen nach [X.] unter dem Gesichtspunkt der Einhaltung der sich aus dem Grundgesetz ergebenden Grundrechte Anforderungen an die Haftbedingungen stellen werde, die über diejenigen des [X.] und der [X.] hinausgingen, stehe zurzeit nicht fest. Wenn eine Auslieferung zwischen Mitgliedstaaten der [X.] für unzulässig, weil grundrechtswidrig, erklärt werden sollte, käme dies nach Auffassung des Senats im Übrigen einer Bankrotterklärung des [X.] Rechtshilferechts gleich.

Der Beschluss ging dem Verfahrensbevollmächtigten des Beschwerdeführers am 2. Januar 2018 zu.

8. In einer Gegenvorstellung vom 3. Januar 2018 widersprach der Beschwerdeführer der Zulässigkeitsentscheidung des [X.] insofern, als darin konkludent angenommen werde, dass durch die Stellungnahme der [X.] Behörden den Anforderungen des [X.] Genüge getan werde. Seitens der [X.] Behörden sei für die Haftzeit ein Haftraum von mindestens 2 m

9. Am 22. Dezember 2017 bewilligte die Generalstaatsanwaltschaft die Auslieferung des Beschwerdeführers unter den in der Zulässigkeitsentscheidung statuierten Maßgaben.

10. Die Durchführung der Überstellung ist nach Auskunft der Generalstaatsanwaltschaft für den 19. Januar 2018 geplant.

1. Mit seiner am 8. Januar 2018 fristgerecht eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer gegen den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen [X.] vom 20. Dezember 2017 und rügt eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1 GG.

Zur Begründung rekurriert er auf sein bisheriges Vorbringen und verweist auf die erhebliche Vergleichbarkeit des Falles mit dem beim [X.] anhängigen Verfahren 2 BvR 424/17. Ergänzend führt er im Wesentlichen Folgendes aus: Auslieferungsrechtliche Fragestellungen seien grundsätzlich auf [X.] des Unionsrechts zu prüfen; eine Prüfung aufgrund nationalen Rechts käme nur noch nach Maßgabe der Identitätskontrolle ([X.] 140, 317) in Betracht. Dabei sei nicht ausgeschlossen, dass nationale Schutzvorschriften weiter gehen könnten als unionsrechtliche, da die Schutzvorschriften insbesondere der [X.] lediglich ein unionsrechtliches Minimum normierten und bei der Auslegung der nationalen Grundrechte ergänzend heranzuziehen seien. Vorliegend habe der [X.] in seinem Urteil vom 20. Oktober 2016, [X.] [X.], Nr. 7334/13, bereits entschieden, dass eine starke Vermutung für eine Verletzung von Art. 3 [X.] bestehe, wenn der persönliche Raum des Häftlings unter 3 m

2. In einem ebenfalls am 8. Januar 2018 eingegangenen Nachtrag beantragt der Beschwerdeführer den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Inhalt, seine Übergabe an die [X.] Behörden bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Monaten, einstweilen zu untersagen. Die Verfassungsbeschwerde sei nicht offensichtlich unbegründet. Er habe benannt, welche Mindestgrenzen für die [X.] nach Art. 3 [X.] gelten würden und dass diese im Rahmen der Prüfung von Art. 1 Abs. 1 GG ebenfalls herangezogen werden könnten. Auch die Folgenabwägung gehe zu seinen Gunsten aus.

1. Das [X.] kann einen Zustand durch einstweilige Anordnung gemäß § 32 Abs. 1 [X.] vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 [X.] gegeben sind, ist wegen der weittragenden Folgen einer einstweiligen Anordnung regelmäßig ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. [X.] 55, 1 <3>; 82, 310 <312>; 94, 166 <216 f.>; 104, 23 <27>; 106, 51 <58>). Als Mittel des vorläufigen Rechtsschutzes hat die einstweilige Anordnung auch im verfassungsgerichtlichen Verfahren die Aufgabe, die Schaffung vollendeter Tatsachen zu verhindern; sie soll auf diese Weise dazu beitragen, Wirkung und Bedeutung einer erst noch zu erwartenden Entscheidung in der Hauptsache zu sichern und zu erhalten (vgl. [X.] 42, 103 <119>). Deshalb bleiben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht, es sei denn, die Hauptsache erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. [X.] 89, 38 <44>; 103, 41 <42>; 118, 111 <122>; stRspr). Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, so hat das [X.] grundsätzlich lediglich im Rahmen einer Folgenabwägung die Nachteile abzuwägen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. [X.] 105, 365 <371>; 106, 351 <355>; 108, 238 <246>; 125, 385 <393>; 132, 195 <232 f. Rn. 87>; stRspr).

2. Nach diesen Maßstäben ist eine einstweilige Anordnung zu erlassen.

a) Die Verfassungsbeschwerde ist weder von vornherein unzulässig (aa) noch offensichtlich unbegründet (bb).

aa) Die Verfassungsbeschwerde genügt den aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.] folgenden Begründungsanforderungen. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1 GG unter Bezugnahme auf die Maßstäbe, die der Senat in seinem Beschluss vom 15. Dezember 2015 ([X.] 140, 317 - Identitätskontrolle I) aufgestellt hat. Die strengen Voraussetzungen für eine Aktivierung der Identitätskontrolle schlagen sich in erhöhten Zulässigkeitsanforderungen an entsprechende Verfassungsbeschwerden nieder. Es muss im Einzelnen substantiiert dargelegt werden, inwieweit im konkreten Fall die durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Garantie der Menschenwürde verletzt ist ([X.] 140, 317 <341 f. Rn. 50>). Diese Zulässigkeitsanforderungen sind erfüllt. Der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer setzt sich unter Bezugnahme auf einschlägige Entscheidungen des [X.] und des [X.] mit der Rechtsprechung zur [X.] auseinander und legt substantiiert dar, weshalb seine Menschenwürde im Fall seiner Auslieferung gefährdet wäre.

bb) Mit Blick auf die in der Entscheidung des [X.] vom 19. Dezember 2017 ([X.], Beschluss des [X.] vom 19. Dezember 2017 - 2 BvR 424/17 -, www.bverfg.de) aufgestellten Maßgaben ist die Verfassungsbeschwerde auch nicht offensichtlich unbegründet, da neben Art. 1 Abs. 1 GG insbesondere auch ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch die unterbliebene Auseinandersetzung des [X.] mit der Frage einer Vorlage des Verfahrens an den [X.] möglich erscheint.

b) Die Folgenabwägung geht zugunsten des Beschwerdeführers aus.

Die Auslieferung ist durch das [X.] für zulässig erklärt und durch die Generalstaatsanwaltschaft bewilligt worden. Bis zum Termin der geplanten Durchführung der Überstellung am 19. Januar 2018 wird eine Entscheidung des [X.]s in der Hauptsache nicht ergehen können. Die Folgen, die einträten, wenn die einstweilige Anordnung nicht erlassen würde, sich später aber herausstellte, dass die Auslieferung des Beschwerdeführers rechtswidrig war, wiegen erheblich schwerer als die Folgen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, sich später aber herausstellte, dass die Auslieferung ohne Rechtsverstoß hätte durchgeführt werden können. Denn im erstgenannten Fall wäre dem Beschwerdeführer eine Geltendmachung seiner Einwände gegen die Auslieferung nicht mehr möglich. Dadurch könnten ihm erhebliche und möglicherweise nicht wiedergutzumachende Nachteile entstehen und insbesondere sein aus Art. 1 Abs. 1 GG folgender Achtungsanspruch verletzt werden. Demgegenüber wiegt eine Verzögerung der Übergabe des Beschwerdeführers weniger schwer. Er könnte, sollte sich die geplante Auslieferung als rechtmäßig erweisen, ohne weiteres zu einem späteren Zeitpunkt an die Republik [X.] überstellt werden. Sein Aufenthalt in [X.] würde sich lediglich bis zu einem solchen späteren Termin verlängern.


IV.

Wegen der besonderen Dringlichkeit ergeht diese Entscheidung unter Verzicht auf die Anhörung der anderen Beteiligten des Ausgangsverfahrens (§ 32 Abs. 2 Satz 2 [X.]).

Die Vollziehung des [X.], der mit der Verfassungsbeschwerde nicht angegriffen wurde, bleibt vom Erlass der einstweiligen Anordnung unberührt.

Meta

2 BvR 37/18

12.01.2018

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 2. Kammer

Einstweilige Anordnung

Sachgebiet: BvR

vorgehend Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, 20. Dezember 2017, Az: 1 Ausl (A) 53/17 (54/17), Beschluss

Art 1 Abs 1 GG, Art 101 Abs 1 S 2 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, EGRaBes 584/2002, Art 4 EUGrdRCh, § 32 IRG, Art 3 MRK

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Einstweilige Anordnung vom 12.01.2018, Az. 2 BvR 37/18 (REWIS RS 2018, 15697)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 15697

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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