Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.05.2014, Az. IX ZB 26/13

9. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 5498

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Gegenstand

Vollstreckbarerklärung eines polnischen Versäumnisurteils: Einwand fehlender Verteidigungsmöglichkeit und eines behaupteten Prozessbetrugs bei rechtzeitiger Einspruchseinlegung


Leitsatz

1. Die Vollstreckbarerklärung eines polnischen Versäumnisurteils gegen das der Beklagte im Erststaat rechtzeitig Einspruch eingelegt hat, kann nicht mit der Begründung versagt werden, das verfahrenseinleitende Schriftstück sei dem Beklagten nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden, dass er sich verteidigen konnte.

2. Ein behaupteter Prozessbetrug hindert die Vollstreckbarerklärung nicht, wenn gegen die Entscheidung des Erststaats ein Rechtsmittel eingelegt wurde, mit welchem der behauptete Verstoß beseitigt werden kann.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 8. Zivilsenats des [X.] vom 11. März 2013 wird auf Kosten der Rechtsbeschwerdeführerin als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 65.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller ist Inhaber eines in [X.] ansässigen Unternehmens. Die Antragsgegnerin, die ihren Sitz in [X.] hat, sollte nach einem Kaufvertrag Zucker an das Unternehmen des Antragstellers liefern. Nachdem sie dieser Verpflichtung nicht nachkam, beantragte der Antragsteller beim Bezirksgericht [X.], die Antragsgegnerin zur Zahlung von 61.594,81 € nebst Zinsen zu verurteilen. Diesem Antrag wurde mit Versäumnisurteil vom 5. April 2012 entsprochen. Über den von der Antragsgegnerin in [X.] erhobenen Einspruch ist bislang nicht entschieden.

2

In [X.] hat der Antragsteller beantragt, die Versäumnisentscheidung des Bezirksgerichts [X.] für vollstreckbar zu erklären. Das [X.] hat dem Antrag stattgegeben. Die Beschwerde der Antragsgegnerin hat zu einer Konkretisierung des Zinsausspruchs geführt und ist im Übrigen erfolglos geblieben. Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit der Rechtsbeschwerde.

II.

3

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß Art. 44 der Verordnung ([X.]) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (fortan: [X.], [X.]. L 12 S. 1 ff vom 16. Januar 2001) in Verbindung mit § 15 Abs. 1 [X.], § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist jedoch nach § 15 Abs. 1 [X.], § 574 Abs. 2 ZPO unzulässig, weil sie nicht aufzeigt, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] erfordert.

4

1. Soweit die Rechtsbeschwerde den [X.] des [X.] geltend macht und meint, das Beschwerdegericht habe gehörsverletzend das Anerkennungshindernis des Art. 34 Nr. 2 [X.] verneint, kann sie damit keinen Erfolg haben. Nach dieser Regelung kann eine Entscheidung nicht anerkannt werden, wenn dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte, es sei denn, er hat gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte. Daher sind die Verteidigungsrechte, die durch Art. 34 Nr. 2 [X.] geschützt werden sollen, erst recht gewahrt, wenn der Beklagte gegen die in Abwesenheit ergangene Entscheidung tatsächlich einen Rechtsbehelf eingelegt hat, mit dem er geltend machen konnte, ihm sei das verfahrenseinleitende Schriftstück oder das gleichwertige Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden, dass er sich habe verteidigen können ([X.], Urteil vom 28. April 2009 - [X.]. [X.]/07, [X.]/[X.], [X.]. 2009, [X.] Rn. 78; [X.]/von [X.], Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl., Art. 34 [X.] Rn. 44). Zu solchen Rechtsbehelfen zählt der Einspruch gegen ein Versäumnisurteil (vgl. [X.], Urteil vom 28. April 2009, aaO Rn. 79), der auch von der Antragsgegnerin erhoben wurde und gemäß Art. 344 § 1 des [X.] Zivilverfahrensgesetzbuchs (fortan: [X.]) statthaft ist. Aus dieser Rechtsprechung des [X.] lässt sich gleichzeitig schließen, dass eine Einlassung im Sinne von Art. 34 Nr. 2 [X.] auch in der Erhebung eines Rechtsbehelfs nach Erlass des Versäumnisurteils liegt, selbst wenn die Vollstreckbarerklärung des Versäumnisurteils begehrt wird.

5

Angesichts des tatsächlich eingelegten Rechtsbehelfs im Erststaat kommt es auf den von der Rechtsbeschwerde behaupteten symptomatischen Rechtsfehler des [X.] bei Prüfung des [X.] nach Art. 34 Nr. 2 [X.] und eine Grundsatzbedeutung nicht an. Der behauptete [X.] liegt schon nicht vor, weil das [X.] den Vortrag der Antragsgegnerin zur Verfügung des Bezirksgerichts [X.] vom 7. Dezember 2011 nicht übergangen hat.

6

2. Ebenso wenig ist eine Gehörsverletzung des [X.] bei der Verneinung des [X.] nach Art. 34 Nr. 1 [X.] festzustellen. Offen bleiben kann in diesem Zusammenhang, ob der Vorwurf des [X.] zutrifft. Ein solcher Prozessbetrug hindert jedenfalls nicht die Vollstreckbarerklärung, wenn gegen die Entscheidung im Erststaat ein Rechtsmittel eingelegt wurde, mit welchem der behauptete Verstoß beseitigt werden kann (vgl. [X.], Urteil vom 19. September 1977 - [X.], NJW 1978, 1114, 1115 zu Art. III Abs. 1 c, 2 [X.] Übereinkommen; [X.]/von [X.], aaO Rn. 15b; [X.] in [X.]/Schütze, [X.], 3. Aufl., [X.], Art. 34 Rn. 57). Ein Beklagter, der sich vor dem ausländischen Gericht eingelassen hat, soll im Anerkennungsverfahren nicht erneut rügen können, der Gegner habe das Urteil durch vorsätzlich falschen Prozessvortrag erwirkt (vgl. [X.], Beschluss vom 6. Mai 2004 - [X.], NJW 2004, 2386, 2388 mwN). Im Exequaturverfahren ist er vielmehr mit dem Tatsachenvortrag ausgeschlossen, den er bereits im Erststaat eingebracht hat ([X.], Urteil vom 29. April 1999 - [X.], [X.]Z 141, 286, 306) oder hätte einbringen können (vgl. [X.], Urteil vom 19. September 1977, aaO). Da die Antragsgegnerin im [X.] Einspruch gegen das Versäumnisurteil eingelegt hat, ist es ihr möglich, gemäß Art. 344 § 2 [X.] ihre Einwendungen gegen den Klageantrag und diese stützende Tatsachen und Beweise vorzubringen. Sie kann somit in [X.] die vorgelegte, angeblich unvollständig abgelichtete Kopie des Vertragstextes einwenden, um ihren Klageabweisungsantrag zu begründen und den behaupteten Prozessbetrug abzuwenden. Im Exequaturverfahren kann sie dies nicht geltend machen.

7

3. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Zurückweisung einer Anordnung zur Sicherheitsleistung nach Art. 46 Abs. 3 [X.] unter Verletzung des rechtlichen Gehörs der Antragsgegnerin erfolgt ist. Das Gericht ist nicht gehalten, sich mit jedem Vorbringen eines Beteiligten in den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich zu befassen ([X.], Beschluss vom 16. September 2008 - [X.], [X.], 90 Rn. 7; [X.], NJW 1992, 1031; [X.]E 86, 133, 146). Vielmehr müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist ([X.]E 86, aaO). Dies ist im Streitfall nicht festzustellen. Jedenfalls wäre der behauptete [X.] nicht entscheidungserheblich, weil auch bei Beachtung des übergangenen Vorbringens keine andere Entscheidung hätte ergehen können ([X.], Urteil vom 18. Juli 2003 - [X.], NJW 2003, 3205, 3206).

8

Denn die Antragsgegnerin hat ihren Antrag im Beschwerdeverfahren allein damit begründet, ein möglicher Rückzahlungsanspruch des vorläufig ausgeurteilten Betrags sei nur unter erheblichen Problemen zu realisieren; es gebe keinen hinreichenden Grund, sie auf eine möglicherweise erforderliche Zwangsvollstreckung in [X.] zu verweisen. Die Notwendigkeit der Verfolgung eines Erstattungsanspruchs gegen einen im [X.] ansässigen Gläubiger vor den dortigen Gerichten genügt grundsätzlich nicht, um hierauf eine Anordnung nach Art. 46 Abs. 3 [X.] zu stützen, weil durch die [X.] der [X.] die Rechtsverfolgung im Regelfall gewährleistet ist ([X.] in [X.]/Schütze, aaO Art. 46 Rn. 36; [X.]/Mankowski, [X.]/[X.], 2011, Art. 46 [X.] I-VO Rn. 17a). Damit ist nicht dargetan, dass der Antragsgegnerin ein nicht zu ersetzender Nachteil infolge der möglichen Zwangsvollstreckung durch den Antragsteller droht (vgl. [X.], [X.], 414, 416; [X.]/von [X.], aaO Art. 46 [X.] Rn. 7).

Kayser                   Gehrlein                       Pape

              Grupp                      [X.]

Meta

IX ZB 26/13

15.05.2014

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Celle, 11. März 2013, Az: 8 W 7/13

Art 34 Nr 1 EGV 44/2001, Art 34 Nr 2 EGV 44/2001

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.05.2014, Az. IX ZB 26/13 (REWIS RS 2014, 5498)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 5498

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Referenzen
Wird zitiert von

19 Sch 13/22

IX ZB 84/13

IX ZB 47/14

IX ZB 47/14

IX ZB 26/13

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