Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.01.2010, Az. IX ZB 193/07

9. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 10134

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Vollstreckung ausländischer Urteile: Vollstreckbarerklärung bzw. Verfahrensaussetzung bei möglicher Einlegung eines Rechtsbehelfs im Ursprungsland wegen Nichtzustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks


Leitsatz

1. Der Schuldner kann sich im Verfahren auf Vollstreckbarerklärung ausländischer Entscheidungen nicht darauf berufen, dass ihm das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht zugestellt worden ist, wenn ihm im Ursprungsland noch ein Rechtsbehelf zur Verfügung steht, mit dem er dies geltend machen kann .

2. Erfolgt die Zustellung der für vollstreckbar zu erklärenden Entscheidung erst mit dem Antrag auf Vollstreckbarerklärung, hat das Beschwerdegericht erforderlichenfalls das Verfahren auszusetzen und eine Frist zu bestimmen, in der der Schuldner den Rechtsbehelf bei dem ausländischen Gericht einzulegen hat.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des 6. Zivilsenats des [X.] vom 14. September 2007 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des [X.] wird auf 30.815,96 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

[X.] (im Folgenden auch Schuldnerin) wurde durch [X.] Nr. … des [X.] vom 18. Oktober 2005 zur Zahlung von 30.815,96 € an die [X.] (nachfolgend auch Gläubigerin) verpflichtet. Die Schuldnerin hatte sich auf das Verfahren in [X.] nicht eingelassen. Der Antrag auf Erlass des [X.]s und der [X.] ([X.]) waren ihr am 27. Dezember 2005 in der Form zugestellt worden, dass während ihrer Betriebsferien das Schriftstück einem in ihren Geschäftsräumen ausnahmsweise anwesenden Beschäftigten übergeben worden war, der in einer anderen Betriebsstätte angestellt war. Ob, wie und an [X.] der Empfänger das Schriftstück weitergab, konnte nicht festgestellt werden. Die [X.] der Antragsgegnerin erhielten es nicht. Mit Schriftsatz vom 29. Dezember 2006 beantragte die Gläubigerin, den [X.] für vollstreckbar zu erklären.

2

Am 20. März 2007 hat der Vorsitzende einer Zivilkammer des [X.] den [X.] für vollstreckbar erklärt. Auf die sofortige Beschwerde der Schuldnerin hat das [X.] diese Entscheidung aufgehoben und den Antrag auf Vollstreckbarerklärung zurückgewiesen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde begehrt die Gläubigerin Wiederherstellung der landgerichtlichen Entscheidung.

II.

3

[X.] ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 15 Abs. 1 [X.] statthaft und zulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO). [X.] ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

4

1. Das Beschwerdegericht meint, die Vollstreckbarerklärung verstoße gegen Art. 34 Nr. 2 [X.], denn die Antragsgegnerin habe sich auf das Verfahren nicht eingelassen, weil sie sich aufgrund fehlender Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks vor Erlass des [X.]s nicht habe verteidigen können. Die Zustellung des [X.]es, die gemäß Art. 7 [X.] nach den Vorschriften der ZPO zu beurteilen sei, müsse als unwirksam angesehen werden. Die Übergabe an eine in den Geschäftsräumen der Antragsgegnerin nur zufällig anwesende Person, die in einer anderen Niederlassung der [X.] beschäftigt gewesen sei, reiche für eine wirksame Ersatzzustellung nicht aus. Es könne nicht festgestellt werden, ob das zuzustellende Schriftstück überhaupt in die Hand des Leiters der Antragsgegnerin gelangt sei. [X.] habe keine Möglichkeit gehabt, gegen die Entscheidung des [X.] einen Rechtsbehelf einzulegen.

5

2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung in einem wesentlichen Punkt nicht stand.

6

a) Auf das Verfahren findet die Verordnung ([X.]) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22. Dezember 2000 ([X.]) gemäß Art. 66 Abs. 2 Buchst. a, Art. 76 [X.] An[X.]dung. Gemäß Art. 34 Nr. 2, Art. 45 [X.] kann eine ausländische Entscheidung nicht anerkannt und für vollstreckbar erklärt werden, [X.]n dem [X.]n, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte, es sei denn, der [X.] hat gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte.

7

b) Die erste Voraussetzung dieser Vorschrift ist erfüllt. [X.] hat sich auf das Verfahren in [X.] nicht eingelassen. Ein Mangel der Zustellung der verfahrenseinleitenden Schriftstücke liegt ebenfalls vor. Das Beschwerdegericht hat aber nicht ausreichend ermittelt, ob die Antragsgegnerin die Möglichkeit gehabt hätte, in [X.] einen Rechtsbehelf einzulegen, mit dem sie die fehlerhafte Zustellung geltend machen konnte.

8

aa) Soweit die Rechtsbeschwerde meint, die Zulassung der Rechtsbeschwerde sei zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, weil das Beschwerdegericht in Abweichung von der Rechtsprechung des [X.] verkannt habe, dass es sich bei der Zustellung des [X.]s um die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks gehandelt habe, ist kein Rechtsfehler festzustellen. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat das Beschwerdegericht - jedenfalls im Ergebnis - nicht verkannt, dass es sich bei dem das Verfahren einleitenden Schriftstück im Sinne des Art. 34 Nr. 2 [X.] um den [X.] [X.] ([X.]) zusammen mit der einleitenden Antragsschrift handelt (vgl. [X.], Urt. v. 13. Juli 1995 - [X.]/93 [Hengst-Import [X.]], SLG. 1995 S. I - 2113 -; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht 8. Aufl. Art. 34 Rn. 29). Zwar führt das Berufungsgericht missverständlich aus, das verfahrenseinleitende Schriftstück sei der Antragsgegnerin nicht vor Erlass des [X.]s zugestellt worden, so dass diese sich vor Erlass des [X.]es nicht hätte verteidigen können, obwohl der [X.] selbst - in Verbindung mit dem Antrag auf dessen Erlass - das verfahrenseinleitende Schriftstück ist. Gleichwohl hat das Beschwerdegericht geprüft, ob [X.] und [X.] selbst der Antragsgegnerin so rechtzeitig zugestellt worden sind, dass diese sich dagegen verteidigen konnte. Inhaltlich hat es damit die beiden genannten Schriftstücke als die das Verfahren einleitenden Schriftstücke angesehen. Dies entspricht - auch nach der Darstellung der Rechtsbeschwerde - der Ausgestaltung des [X.] Mahnverfahrens.

9

bb) Das Beschwerdegericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Antragsgegnerin den das Verfahren einleitenden [X.] mitsamt dem Antrag auf dessen Erlass nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt bekommen hat, dass sie sich dagegen verteidigen konnte. Auf die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks finden gemäß Art. 7 Abs. 1 [X.] die [X.] der ZPO An[X.]dung. Diese hat das Beschwerdegericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Zwar ist im An[X.]dungsbereich des Art. 34 Nr. 2 [X.] eigenständig zu prüfen, ob die Zustellung rechtzeitig erfolgt ist (vgl. [X.], v. 12. Dezember 2007 - [X.], NJW-RR 2008, 586 Rn. 27 f; [X.]/[X.], Europäisches Zivilprozessrecht, Art. 34 Rn. 31). [X.] formale Mängel der Zustellung sollen deren Wirksamkeit nicht hindern, [X.]n der Antragsgegner ungeachtet dieser Mängel die Möglichkeit hatte, so rechtzeitig von dem zuzustellenden Schriftstück Kenntnis zu nehmen, dass er sich in dem Ausgangsverfahren noch verteidigen konnte. Gegen diese Grundsätze hat das Beschwerdegericht zumindest im Ergebnis aber nicht verstoßen, denn es hat nicht nur formale Fehler der Zustellung festgestellt, sondern vielmehr deren vollständiges Fehlschlagen.

Gegen die Feststellung des [X.], eine Ersatzzustellung der verfahrenseinleitenden Schriftstücke sei nach Maßgabe der Vorschriften der ZPO nicht wirksam erfolgt, hat die Rechtsbeschwerde nichts Erhebliches vorgebracht. Die Leitungsorgane der Antragsgegnerin hatten nach der Entscheidung des [X.] keine Möglichkeit, die einleitenden Schriftstücke so rechtzeitig zur Kenntnis zu nehmen, dass sie gegen den [X.] innerhalb der Einspruchsfrist von vierzig Tagen ab Zustellung des [X.]s hätten Einspruch einlegen können. Diese tatrichterlichen Feststellungen werden von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffen.

cc) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kann die Wirksamkeit der Zustellung nicht anhand des Zustellungskataloges des Art. 13 f der Verordnung ([X.]) Nr. 805/2004 vom 21. April 2004 zur Einführung eines [X.] Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen ([X.]) beurteilt werden. Die Art. 12 ff [X.] lassen die nationalen [X.] und die [X.] der [X.] unberührt ([X.]/[X.], ZPO 28. Aufl. Art. 12 [X.] Rn. 2 m.w.N.). Abweichende Auffassungen legt die Rechtsbeschwerde nicht dar.

c) Die Beschwerdeentscheidung kann jedoch wegen der fehlenden Auseinandersetzung des [X.] mit der Frage, ob die Antragsgegnerin tatsächlich keine Möglichkeit hatte, gegen den [X.] [X.] einen Rechtsbehelf einzulegen, keinen Bestand haben. [X.] rügt mit Recht, das Beschwerdegericht habe es versäumt, das anzu[X.]dende [X.] Recht von Amts wegen zu ermitteln (vgl. [X.], [X.]. v. 12. Dezember 2007 aaO [X.] f Rn. 22 ff, 589 f Rn. 34 ff). Diese Rüge ist auch noch im Verfahren der Rechtsbeschwerde möglich ([X.], [X.]. v. 12. Dezember 2007 aaO Rn. 34; v. 25. Oktober 2006 - [X.], [X.], 487 Rn. 18).

aa) Nach Art. 34 Nr. 2, Art. 45 [X.] darf die Anerkennung oder die Vollstreckbarerklärung einer in Abwesenheit ergangenen Entscheidung nicht versagt werden, [X.]n der [X.] hiergegen mit einem Rechtsbehelf geltend machen konnte, dass ihm das verfahrenseinleitende Schriftstück oder das gleichwertige Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden sei, dass er sich hätte verteidigen können (vgl. [X.] NJW 2007, 825, 827; [X.], Urt. v. 28. April 2009 - [X.]. [X.]/07, [X.], 210, 216; [X.], [X.]. v. 12. Dezember 2007 aaO S. 589 Rn. 35 ff; v. 6. Oktober 2005 - [X.], IHR 2006, 259 Rn. 18). Zu dieser Vorschrift, bei der es sich um die Nachfolgeregelung zu Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ handelt, hat der [X.] entschieden, dass die Anerkennung einer in Abwesenheit ergangenen Entscheidung nicht nach Art. 34 Nr. 2 [X.] versagt werden darf, [X.]n der [X.] gegen die in Abwesenheit ergangene Entscheidung einen Rechtsbehelf einlegen konnte, mit dem er geltend machen konnte, dass ihm das verfahrenseinleitende Schriftstück oder das gleichwertige Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden sei, dass er sich habe verteidigen können ([X.], [X.]. v. 12. Dezember 2009 - [X.] Rn. 5). Der Schuldner muss auch dann einen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung im [X.] einlegen, [X.]n er - wie hier - von dem Titel erst im Rahmen des [X.] Kenntnis erlangt. Nach dem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte und Sinn und Zweck des Art. 34 Nr. 2 [X.] ist jeder Rechtsbehelf, der dem Schuldner die Möglichkeit gibt, im [X.] geltend zu machen, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück sei ihm nicht zugestellt worden, als Rechtsbehelf im Sinne des Art. 34 Nr. 2 [X.] anzusehen, ohne dass es auf den Zeitpunkt der Zustellung, die nicht ordnungsgemäß sein muss, ankommt. Eine Einschränkung, dass nur solche Rechtsbehelfe die Nichtanerkennung der Entscheidung verhindern, die der Schuldner schon vor Beginn des [X.] hätte ergreifen können, kann der Verordnung nicht entnommen werden (vgl. Art. 46 Abs. 1 [X.]). Ein Rechtsverlust des Antragsgegners durch Verweisung auf einen ihm noch zur Verfügung stehenden Rechtsbehelf ist deshalb nicht zu besorgen.

bb) Aus dem Wortlaut des Art. 34 Nr. 2 [X.] geht hervor, dass eine Entscheidung, die in Abwesenheit auf der Grundlage des verfahrenseinleitenden Schriftstücks erlassen wurde, das dem Antragsgegner, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte, anzuerkennen ist, [X.]n er gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt hat, obwohl er dazu in der Lage war ([X.] [X.], 210, 216 Rn. 77). Eine Aussage zu dem Zeitpunkt, zu dem der Antragsgegner die Möglichkeit haben muss, einen Rechtsbehelf einzulegen, ist der Vorschrift nicht zu entnehmen. Erfasst werden sämtliche Rechtsbehelfe, die auf die fehlende oder mangelhafte Zustellung gestützt werden können. Dies entspricht der in der Literatur mehrheitlich vertretenen Auffassung, wonach ein unterlassener Rechtsbehelf im Sinne des Art. 34 Nr. 2 [X.] vorliegt, [X.]n er im Urteilsstaat aufgrund der fehlerhaften Zustellung eröffnet ist ([X.]/[X.], 3. Aufl. Art. 34 [X.] Rn. 33; Prütting/Gehrlein/[X.], ZPO Art. 34 [X.] Rn. 10; [X.]/[X.]/[X.], ZPO 30. Aufl. § 34 [X.] Rn. 13; [X.], Art. 34 [X.] Rn. 20; Kroppholler, aaO Rn. 43; [X.]/[X.], aaO Rn. 40; [X.]/[X.], Zivilrecht unter [X.] Einfluss Art. 34 [X.] Rn. 180; noch weiter gehend [X.]/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht Art. 34 [X.] Rn. 94, der ausführt, der [X.] müsse "jederlei" nach dem Recht des [X.] zulässigen Rechtsbehelf einlegen; einschränkend [X.], [X.] 2006, 487, 489; Schlosser, EU-Zivilprozessrecht 3. Aufl. Art. 34 [X.] Rn. 19, nach deren Auffassung es einen Verstoß gegen den Anspruch auf ein faires Verfahren bedeuten würde, [X.]n der Schuldner gehalten wäre, auch nach Zustellung des Titels im Vollstreckbarerklärungsverfahren Rechtsbehelfe einzulegen). Als zulässige Rechtsbehelfe werden in diesem Zusammenhang auch Anträge auf Wiedereinsetzung angesehen, mit denen das Verfahren wieder eröffnet wird (vgl. [X.]/[X.], aaO Rn. 40; Prütting/Gehrlein/[X.] aaO; [X.] aaO; [X.] aaO 488; [X.] 2006, 467). [X.] ist danach gehalten, alle in Betracht kommenden Rechtsbehelfe zu ergreifen.

cc) Auch die Entstehungsgeschichte des Art. 34 Nr. 2 [X.] spricht für eine weite Auslegung des dort ver[X.]deten Begriffes "Rechtsbehelf". Der [X.]. 34 Nr. 2 [X.], Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ fehlte der Zusatz "es sei denn, der [X.] hat gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte." Die Ergänzung der Regelung erfolgte erst durch die am 1. März 2002 in [X.] getretene Verordnung ([X.]) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22. Dezember 2000 ([X.]. [X.] 2001 Nr. L 12, [X.]). In Rechtsprechung und Schrifttum zur Ursprungsfassung des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ wurde überwiegend die Auffassung vertreten, dass es belanglos sei, ob sich der Antragsgegner im Ursprungsland mit Rechtsbehelfen dagegen hätte zur Wehr setzen können, ihm sei das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht rechtzeitig zugestellt worden ([X.], Urt. v. 16. Juni 1981 - [X.]/80, SLG. 1981, 1593; [X.], [X.] 1993, 39; [X.], [X.]. v. 18. Februar 1993 - [X.], NJW 1993, 2688; [X.], NJW 1997, 1061; [X.], [X.]. v. 20. Januar 2005 - [X.] 154/01, [X.], 203; vgl. [X.]/[X.], Europäisches Zivilrecht Art. 34 [X.] I-VO Rn. 39; [X.]/[X.], aaO Art. 34 [X.] Rn. 24 ff; Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 3. Aufl. Art. 34 bis 36 [X.] Rn. 19, jeweils m.w.H.). Mit der Neufassung der Verordnung, die als Reaktion auf diese Rechtsprechung zu verstehen ist ([X.]/[X.], aaO), sollte bewirkt werden, dass der Antragsteller wegen eines Verfahrensfehlers im [X.] einen Rechtsbehelf einlegt. Der Verfahrensfehler darf - so die [X.] in der Begründung des Entwurfs ([X.] (1999) 348 S. 25) - im [X.] nicht als Grund für die Ablehnung oder Aufhebung der Vollstreckbarerklärung angeführt werden, [X.]n er durch Einlegung eines Rechtsmittels hätte beseitigt werden können. Auch hier ist keine Einschränkung zu finden, nach der es sich zwingend um Rechtsbehelfe handeln muss, die ausschließlich vor dem Antrag auf Vollstreckbarerklärung zulässig sind. Allein maßgebend ist, dass die fehlerhafte Zustellung im [X.] gerügt werden kann.

dd) Für ein Verständnis der Vorschrift, dass es allein auf die Frage ankommt, ob es noch einen entsprechenden Rechtsbehelf gibt, spricht auch der Zweck der Neufassung, die Nichtanerkennung auf solche Fälle zu begrenzen, in denen der Zustellungsmangel im [X.] nicht mehr geltend gemacht werden kann. Zwar hat der [X.] (NJW 2007, 825, 827) zunächst erkannt, dass der Antragsgegner "die Möglichkeit", einen Rechtsbehelf gegen ein Versäumnisurteil einzulegen, nur dann hatte, [X.]n er tatsächlich Kenntnis von dessen Inhalt durch eine formal nicht unbedingt ordnungsgemäße Zustellung erlangt hatte, die so rechtzeitig erfolgte, dass er sich vor dem Gericht des [X.]es verteidigen konnte. In einer neueren Entscheidung vom 28. April 2009 ([X.], 210, 216) wird die Voraussetzung einer rechtzeitigen Zustellung des Schriftstückes aber nicht mehr genannt. Nach diesem Urteil kommt es nur noch darauf an, ob er keine Möglichkeit hatte, einen Rechtsbehelf einzulegen, mit dem er geltend machen konnte, dass ihm das verfahrenseinleitende Schriftstück oder das gleichwertige Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden sei, dass er sich habe verteidigen können. Hiernach kommt es auf die Wirksamkeit der Zustellung nicht mehr an, [X.]n der Antragsgegner die Entscheidung durch einen Rechtsbehelf ab[X.]den konnte. Dies entspricht dem Zweck der Neufassung des Art. 34 Nr. 2 [X.], möglichst weitgehend zu verhindern, dass sich der Schuldner der Vollstreckung aus einem ausländischen Titel entzieht. Hat der Schuldner die Möglichkeit, die unter Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör zustande gekommene vorläufig vollstreckbare Entscheidung im Ursprungsland auch nach Erhalt der Vollstreckbarkeitserklärung noch anzufechten und Vollstreckungsschutz zu erlangen, muss er hiervon Gebrauch machen. Eine Einschränkung der in Betracht kommenden Rechtsbehelfe auf solche, die der Schuldner nur ergreifen kann, bevor es zu dem Antrag auf Vollstreckbarerklärung kommt, würde dem Sinn der Verordnung zuwiderlaufen, den Schuldner zu verpflichten, alle in Frage kommenden Rechtsbehelfe im Ursprungsland auszuschöpfen.

ee) Hier macht die Rechtsbeschwerdebegründung unter Hinweis auf Art. 650 der [X.] Zivilprozessordnung geltend, gegen den in [X.] erlassenen [X.] könne auch nach Ablauf der im [X.] gesetzten Frist noch Widerspruch erhoben werden, [X.]n der Nachweis erbracht werde, wegen mangelnder Zustellung, aus Zufall oder durch höhere Gewalt vom [X.] nicht rechtzeitig Kenntnis erhalten zu haben. Die Vollstreckung könne in diesem Fall ausgesetzt werden. Der Widerspruch sei erst nach Ablauf von zehn Tagen ab der ersten Vollstreckungshandlung nicht mehr zulässig. Hiermit hat sich das Beschwerdegericht, das von Amts wegen zur Ermittlung des ausländischen Rechts verpflichtet ist (§ 293 ZPO), bislang nicht befasst.

III.

Die Beschwerdeentscheidung kann deshalb keinen Bestand haben. Das [X.] wird - gegebenenfalls unter Aussetzung des Verfahrens nach Art. 46 Abs. 1 [X.] und Bestimmung einer Frist zur Einlegung eines Rechtsbehelfs beim [X.] - zur prüfen haben, ob es im Ursprungsland einen Rechtsbehelf gibt, den die Antragsgegnerin hätte ausschöpfen müssen.

Ganter                                Raebel                              Vill

                   Lohmann                               [X.]

Meta

IX ZB 193/07

21.01.2010

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, 14. September 2007, Az: 6 W 46/07, Beschluss

Art 34 Nr 2 EGV 44/2001, Art 46 Abs 1 EGV 44/2001, Art 27 Nr 2 VollstrZustÜbk

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.01.2010, Az. IX ZB 193/07 (REWIS RS 2010, 10134)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 10134

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

IX ZB 193/07 (Bundesgerichtshof)


IX ZB 12/19 (Bundesgerichtshof)

Vollstreckbarerklärung eines Titels bei nicht angemessener Frist zur Kenntnisnahme des verfahrenseinleitenden Schriftstücks


IX ZB 12/19 (Bundesgerichtshof)


IX ZB 36/20 (Bundesgerichtshof)

Verfahren auf Vollstreckbarerklärung nach der Brüssel-I-Verordnung: Erforderlicher Inhalt des verfahrenseinleitenden Schriftstücks im Adhäsionsverfahren vor einem …


3 W 157/15 (Oberlandesgericht Düsseldorf)


Referenzen
Wird zitiert von

XII ZB 187/10

IX ZB 193/07

25 W 225/15

25 W 88/15

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.