Bundessozialgericht, Urteil vom 17.03.2015, Az. B 11 AL 12/14 R

11. Senat | REWIS RS 2015, 13961

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Arbeitslosengeldanspruch - Bemessungsentgelt - Auslandsbeschäftigung - Nichtberücksichtigung des in Belgien erzielten Arbeitsentgelts - Berücksichtigung des Arbeitsentgelts der letzten Beschäftigung im Inland - keine fiktive Bemessung - europarechtliche Koordinierung


Leitsatz

Folgt auf Zeiten einer Auslandsbeschäftigung eine Beschäftigung im Inland, richtet sich die Bemessung des Arbeitslosengeldes nach den europarechtlichen Regelungen ausschließlich nach dem bei der Beschäftigung im Inland erzielten Arbeitsentgelt.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 26. Juni 2014 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

[X.] ist höheres Arbeitslosengeld ([X.]) für die [X.] vom 11.9. bis 3.11.2010.

2

Der Kläger war in der [X.] vom [X.] bis [X.] bei der Firma [X.] in [X.] ([X.]) als Kraftfahrer tätig, während er in der [X.] wohnte. Am [X.] nahm er eine [X.]eschäftigung als Kraftfahrer bei der Firma Er D [X.]mbH & Co. K[X.] in [X.] auf; das Arbeitsverhältnis endete am [X.] aufgrund eines Schreibens des Arbeitgebers vom 30.8.2010. Für die Monate Juli und August 2010 wurde ein [X.]ruttoarbeitsentgelt von insgesamt 5001,92 Euro bescheinigt.

3

Vom 1. bis 10.9.2010 bezog der Kläger Krankengeld ([X.]). Am [X.] meldete er sich zum [X.] (Samstag) bei der [X.]eklagten unter Vorlage einer [X.]escheinigung des [X.] Arbeitgebers ([X.]) arbeitslos und beantragte [X.]. Die [X.]eklagte bewilligte ihm zunächst für die [X.] vom [X.] bis 10.9.2011 [X.] in Höhe eines täglichen Leistungsbetrags von 30,49 Euro, bemessen nach einem fiktiven Arbeitsentgelt, weil der Kläger nur zwei Monate in [X.] beschäftigt gewesen sei ([X.]escheide vom 11. und 12.10.2010; Widerspruchsbescheid vom 15.11.2010), hob jedoch die [X.]ewilligung von [X.] ab dem [X.] wieder auf, weil die Leistungsfortzahlung nach erneutem Krankheitsfall ab dem [X.] mit dem 3.11.2010 geendet habe ([X.]escheid vom 25.11.2010).

4

Die Klage, gerichtet auf höheres [X.] unter [X.]erücksichtigung des in [X.] erzielten (höheren) Entgelts, war in beiden Instanzen insoweit erfolgreich, als die [X.]eklagte für den [X.]raum vom 11.9. bis [X.] zur Zahlung von [X.] "unter [X.]erücksichtigung eines [X.]emessungsentgelts von 80,68 Euro" verurteilt wurde (Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 14.5.2012; Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26.6.2014). Zur [X.]egründung seiner Entscheidung hat das LS[X.] ausgeführt, das dem Kläger zustehende [X.] sei allein nach dem zuletzt in [X.] erzielten Arbeitsentgelt zu bemessen. Der mit der Klage geltend gemachte weitergehende Anspruch auf [X.]emessung des [X.] unter [X.]erücksichtigung auch des höheren Entgelts aus der [X.]eschäftigung in [X.] bestehe hingegen nicht. Für die [X.]erechnung des [X.] nach dem Sozialgesetzbuch Drittes [X.]uch - Arbeitsförderung - (S[X.][X.] III) sei Art 62 Verordnung (E[X.]) [X.] des [X.] und des Rates vom [X.] zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (E[X.]VO 883/2004) anwendbar; danach seien nur die in den [X.]emessungszeitraum fallenden inländischen ([X.]) Versicherungszeiten zu berücksichtigen. Eine Mindestbeschäftigungsdauer sei insoweit nicht vorgesehen, sodass eine fiktive [X.]emessung nicht vorzunehmen sei.

5

Mit der Revision rügt die [X.]eklagte die Verletzung von § 132 S[X.][X.] III (aF) sowie Art 62 Abs 1 und 2 E[X.]VO 883/2004. Entgegen der Annahme des LS[X.] stehe Art 62 Abs 1 E[X.]VO 883/2004, wonach bei der [X.]erechnung der Leistungen ausschließlich das Entgelt der letzten [X.]eschäftigung zu berücksichtigen sei, einer fiktiven [X.]emessung nach § 132 S[X.][X.] III nicht entgegen. Das Wort "ausschließlich" in Art 62 Abs 1 E[X.]VO 883/2004 bestimme nicht, dass die [X.]emessung völlig unabhängig von der Ausgestaltung des nationalen [X.]emessungsrechts nach dem "erhaltenen" inländischen Arbeitsentgelt zu erfolgen habe.

6

Die [X.]eklagte beantragt,
das Urteil des LS[X.] aufzuheben sowie das Urteil des S[X.] abzuändern, soweit sie zur Zahlung höheren [X.]s verurteilt worden ist, und die Klage insgesamt abzuweisen.

7

Nach einer [X.]eschränkung der Klage in der Revisionsinstanz auf die [X.] vom 11.9. bis 3.11.2010 beantragt der Kläger,
 die Revision zurückzuweisen.

8

Er hält die Entscheidung des LS[X.] insoweit für zutreffend.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das [X.] begründet (§ 170 [X.] 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz <[X.]G>). Zwar hat das [X.] Art 62 [X.] 1 und 2 [X.] 883/2004 richtig angewandt; jedoch fehlen zu den Anspruchsvoraussetzungen und für ein eventuelles Ruhen des Anspruchs ausreichende tatsächliche Feststellungen für eine abschließende Entscheidung.

Gegenstand des Verfahrens ist nur noch der Bescheid vom 12.10.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.11.2010 (§ 95 [X.]G). Der zuvor ergangene Bescheid vom 11.10.2010 hat sich mit Bekanntgabe des Bescheides vom 12.10.2010, mit dem dem Kläger eine höhere Leistung bewilligt wurde, erledigt (§ 39 [X.] 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - <[X.]B X>). Nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid vom 25.11.2010 über die Leistungsaufhebung ab dem [X.], nachdem der Kläger die Klage in mündlicher Verhandlung beschränkt hat.

Mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 [X.] 4 [X.]G) begehrt der Kläger für die [X.] vom 11.9. bis 3.11.2010 höhere Leistungen dem Grunde nach (§ 130 [X.] 1 Satz 1 [X.]G). Dem trägt der Tenor des [X.], den das [X.] nicht korrigiert hat, nicht Rechnung, auch wenn beide Gerichte eine Verurteilung zur höheren Leistung gewollt haben. Bei dem im Tenor des [X.] ausgewiesenen [X.] von 80,68 Euro handelt es sich lediglich um ein Berechnungselement. Die Fassung des Tenors hat allerdings zur Folge, dass mangels Berufung des Klägers gegen das [X.]-Urteil die Klage höhenmäßig auf den [X.]-Betrag begrenzt ist, der sich unter Berücksichtigung eines [X.] von 80,68 Euro bei Lohnsteuerklasse 1 und einem Kind ergibt (wie im Bescheid vom 12.10.2010 zugrunde gelegt). Ob der Kläger einen Anspruch auf höhere Leistungen besitzt, ist nicht endgültig beurteilbar. Bei dem vom Kläger geführten Höhenstreit sind Grund und Höhe des Leistungsanspruchs in vollem Umfang zu überprüfen (stRspr; vgl B[X.]E 113, 86 ff Rd[X.] 12 = [X.]-3500 § 84 [X.] 1; B[X.]E 95, 80 ff Rd[X.] 6 = [X.]-4300 § 140 [X.] 2).

Nach § 118 [X.] 1 [X.]B III (in der Fassung, die die Norm durch das [X.] am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003 - [X.] 2848 - erhalten hat) setzt ein Anspruch auf [X.] voraus, dass ein Arbeitnehmer arbeitslos ist ([X.] 1), sich bei der [X.] arbeitslos gemeldet hat ([X.] 2) und die Anwartschaftszeit erfüllt ([X.] 3). Nach § 119 [X.] 1 [X.]B III (in der Normfassung desselben Gesetzes) ist ein Arbeitnehmer arbeitslos, der nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit - [X.] 1), sich bemüht, seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden ([X.] - [X.] 2) und den Vermittlungsbemühungen der [X.] zur Verfügung steht (Verfügbarkeit - [X.] 3).

Ob der Kläger ab dem [X.] arbeitslos war, lässt sich anhand der getroffenen Tatsachenfeststellungen nicht mit endgültiger Sicherheit entscheiden. Der Kläger war zwar beschäftigungslos, denn er stand ab dem 1.9.2010 tatsächlich nicht mehr in einem Beschäftigungsverhältnis im Sinne einer Erwerbstätigkeit von mindestens 15 Stunden wöchentlich (vgl § 119 [X.] 3 [X.]B III). Zur Voraussetzung der [X.], die jedenfalls nicht gänzlich fehlen oder nach Konkretisierung durch den Leistungsträger abgelehnt werden dürfen, fehlen jedoch Tatsachenfeststellungen (zu dieser Differenzierung vgl: B[X.]E 95, 176 ff = [X.]-4300 § 119 [X.] 3; Söhngen in [X.], [X.]B III, Stand November 2008, § 119 Rd[X.] 83 ff).

Auch Feststellungen zur Verfügbarkeit fehlen. Der Kläger müsste hierfür insbesondere eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes ausüben können und dürfen (objektive Verfügbarkeit, § 119 [X.] 5 [X.] 1 [X.]B III), Vorschlägen der [X.] zeit- und ortsnah Folge leisten können (Erreichbarkeit, § 119 [X.] 5 [X.] 2 [X.]B III) und zu ihrer Annahme bereit sein (subjektive Verfügbarkeit, § 119 [X.] 5 [X.] 3 [X.]B III). Vorliegend bezog der Kläger bis zum 10.9.2010 [X.]. Nach Lage der Akten begann eine "erneute" Arbeitsunfähigkeit am [X.] mit einer stationären Notaufnahme. Vor diesem Hintergrund ist es jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass die objektive Verfügbarkeit in der gesamten oder einem Teil der [X.] fehlte. In diesem Fall wären die §§ 125, 126 [X.]B III zu prüfen.

Zur persönlichen Arbeitslosmeldung (§ 118 [X.] 1 [X.] 2 [X.]B III) hat das [X.] zwar festgestellt, dass diese am [X.] (Montag) erfolgt ist. Ob allerdings die Annahme des [X.] zu einer Rückwirkung auf den [X.] (Samstag) begründet ist, bedürfte genauerer Feststellungen. Ist die zuständige [X.] am ersten Tag der [X.] nicht dienstbereit, so wirkt zwar eine persönliche Meldung an dem nächsten Tag, an dem die [X.] dienstbereit ist, auf den Tag zurück, an dem die [X.] nicht dienstbereit war (§ 122 [X.] 3 [X.]B III in der Normfassung des Gesetzes über den Arbeitsmarktzugang im Rahmen der EU-Erweiterung vom 23.4.2004 - [X.] 602). Dabei hat das [X.] jedoch nicht beachtet, dass der erste Tag der Beschäftigungslosigkeit des Klägers der 1.9.2010 war. Nur auf eine fehlende Dienstbereitschaft der [X.] an diesem Tag wäre die Regelung anwendbar. Dies ergibt sich insbesondere aus der historischen Entwicklung der Norm. Die bis zum 31.7.1999 geltende Fassung des § 122 [X.] 3 [X.]B III, wonach eine persönliche Arbeitslosmeldung im Falle fehlender Dienstbereitschaft des Arbeitsamtes auf den Tag zurückwirkte, an dem der Arbeitslose sich erstmals melden "wollte", hatte nach Ansicht des Gesetzgebers zu erheblichem Prüfaufwand bezüglich des subjektiven Elements bei den Arbeitsämtern geführt. Eine Arbeitslosmeldung sollte deshalb nur dann noch zurückwirken, wenn der Arbeitslose die persönliche Arbeitslosmeldung am ersten Tag seiner Beschäftigungslosigkeit (objektiv) nicht vornehmen konnte, weil das zuständige Arbeitsamt an diesem Tag nicht dienstbereit war (vgl BT-Drucks 14/873, [X.] f; [X.], [X.]). Auch der Bezug von [X.] vom 1. bis 10.9.2010 macht deshalb die persönliche Arbeitslosmeldung vor Ablauf dieses [X.]raums nicht entbehrlich. Die Alternative einer nicht persönlichen Arbeitslosmeldung ist lediglich in § 125 [X.] 1 Satz 3 [X.]B III aF vorgesehen, der die Meldung durch einen Vertreter genügen lässt. Auch diese muss indes durch den Vertreter persönlich vorgenommen werden (vgl dazu B[X.] [X.]-4300 § 125 [X.] 5).

Der Kläger erfüllt allerdings die Anwartschaftszeit, weil er in der Rahmenfrist von zwei Jahren, beginnend mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf [X.] (§ 124 [X.] 1 [X.]B III in der Normfassung des [X.]), mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat (§ 123 [X.] 1 Satz 1 [X.]B III in der Normfassung des Gesetzes zur Änderung des [X.], zur Errichtung einer Versorgungsausgleichskasse und anderer Gesetze vom 15.7.2009 - [X.] 1939). Neben der [X.] des Bezugs von [X.] vom 1. bis 10.9.2010 (hierzu sogleich) und der Beschäftigung in einem inländischen Versicherungspflicht-verhältnis (§§ 24, 25 [X.]B III) vom 1.7. bis [X.] hat das [X.] zutreffend die zuvor in [X.] zurückgelegte Tätigkeit nach Maßgabe des Art 61 [X.] 883/2004 berücksichtigt, soweit sie in die Rahmenfrist fällt.

Bei der in [X.] zurückgelegten [X.] handelt es sich um ein Versicherungspflichtverhältnis; denn der Kläger war gegen Arbeitsentgelt [X.] beschäftigt (§ 7 [X.] 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - <[X.]B IV>) und ist deshalb versicherungspflichtig gewesen (§§ 24 [X.] 1, 25 [X.] 1 [X.]B III).

Die in [X.] zurückgelegte Beschäftigungszeit ist nach der [X.] 883/2004 ebenfalls zu berücksichtigen. Die Verordnung ([X.]) gilt ab dem [X.] (Art 91 Satz 2 [X.] 883/2004 iVm Art 97 Satz 2 Verordnung [X.] 987/2009 des [X.] und des [X.] zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung [X.] 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der [X.]n Sicherheit). Soweit [X.]en vor dem [X.] betroffen sind, fallen diese als Versicherungszeiten, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedsstaats vor dem Beginn der Anwendung der Verordnung in dem betreffenden Mitgliedsstaat zurückgelegt worden sind, in deren Anwendungsbereich (Art 87 [X.] 2 [X.] 883/2004). Die Bescheinigung des [X.] Arbeitgebers ([X.]) weist die in [X.] vom [X.] bis [X.] zurückgelegte [X.] als Versicherungszeit aus. An den Inhalt der Bescheinigung sind die Beklagte und das Gericht gebunden, solange die Bescheinigung nicht zurückgezogen oder für ungültig erklärt worden ist (vgl [X.] [X.]-6050 Art 71 [X.] 4).

Art 61 [X.] 1 [X.] 883/2004 ordnet ergänzend an, dass der zuständige Träger - hier die Beklagte -, nach dessen Rechtsvorschriften der Erwerb des Leistungsanspruchs von der Zurücklegung von [X.] Versicherungszeiten abhängt, [X.]en, die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedsstaats zurückgelegt wurden, so berücksichtigt, als ob sie nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedsstaats - hier des [X.] - zurückgelegt worden wären. Nach [X.] 2 gilt das nur, wenn "unmittelbar zuvor" eine Versicherungszeit nach den [X.] Rechtsvorschriften zurückgelegt worden ist; dh, unabhängig von der zwischen der Beendigung der letzten Versicherungszeit und dem Antrag auf Leistungen verstrichenen [X.] darf in der Zwischenzeit keine weitere Versicherungszeit in einem anderen Mitgliedsstaat zurückgelegt worden sein (vgl [X.] [X.]-6050 Art 71 [X.] 4). Dies ist beim Kläger der Fall. Er hat unmittelbar vor Eintritt der Arbeitslosigkeit mit dem [X.]-Bezug vom 1. bis 10.9.2010 eine Versicherungszeit in [X.] als zuständigem Mitgliedsstaat zurückgelegt. Die [X.] unterlag der Versicherungspflicht nach dem [X.]B III, weil der Kläger wiederum unmittelbar davor versicherungspflichtig beschäftigt war (§ 26 [X.] 2 [X.] 1 [X.]B III iVm § 25 [X.] 1 Satz 1 [X.]B III).

Ob ein in Anwendung dieser Vorschriften ggf entstandener Anspruch im streitgegenständlichen [X.]raum (11.9. bis zum 3.11.2010) wegen Eintritts einer Sperrzeit nach § 144 [X.]B III (in der Normfassung des [X.]) geruht hat, lässt sich auf der Grundlage der vom [X.] getroffenen Feststellungen allerdings ebenfalls nicht sicher beurteilen. Das Beschäftigungsverhältnis endete am [X.] nach den Ausführungen des [X.] aufgrund einer Kündigung des Arbeitgebers (Kündigungsschreiben des Arbeitgebers vom [X.]). Abgesehen davon, dass die kurze Kündigungsfrist eine einvernehmliche Beendigung überdecken könnte, ist nicht ausgeschlossen, dass der Kläger durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt haben könnte (§ 144 [X.] 1 Satz 2 [X.] 1 [X.]B III).

Liegen die Voraussetzungen für die Gewährung von [X.] (während des gesamten [X.]raums) vor, ist auch die Höhe des [X.]-Anspruchs aufgrund der vom [X.] getroffenen Feststellungen nicht abschließend beurteilbar. Die Leistungshöhe wird gemäß §§ 129 bis 133 [X.]B III aF bestimmt durch das [X.], die maßgebliche Lohnsteuerklasse und das [X.]. Zur Lohnsteuerklasse und dem [X.] fehlen jegliche tatsächliche Feststellungen des [X.].

Für die Bestimmung des [X.] hat das [X.] jedoch zutreffend Art 62 [X.] 883/2004 zur Anwendung gebracht. Er überlagert die nationalen Regelungen (§§ 130 bis 132 [X.]B III aF). Nach § 131 [X.] 1 Satz 1 [X.]B III (in der Normfassung des Gesetzes zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für die [X.]icherung flexibler Arbeitszeitregelungen und zur Änderung anderer Gesetze vom 21.12.2008 - [X.] 2940) ist [X.] das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat. Nach § 130 [X.] 1 Satz 1 [X.]B III (in der Normfassung des Gesetzes zur Änderung des [X.], zur Errichtung einer Versorgungsausgleichskasse und anderer Gesetze vom 15.7.2009 - [X.] 1939) umfasst der Bemessungszeitraum die beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen. Nach Satz 2 dieser Regelung umfasst der Bemessungsrahmen ein Jahr, endend mit dem letzten Tag des letzten [X.] vor der Entstehung des Anspruchs. Kann dabei ein Bemessungszeitraum von 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt nicht festgestellt werden, ist nach § 132 [X.]B III (in der Normfassung desselben Gesetzes) ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde zu legen.

Eine fiktive Einstufung hat vorliegend die Beklagte wegen der Kürze der in [X.] zurückgelegten [X.]en vorgenommen. Nach Art 62 [X.] 1 [X.] 883/2004 hätte sie jedoch ausschließlich das Entgelt der Beschäftigung in [X.] berücksichtigen dürfen, wobei nach dessen [X.] 2 dies in der Regel auch dann gilt, wenn - wie vorliegend - ein bestimmter Bezugszeitraum als für die Ermittlung des als Berechnungsgrundlage für die Leistung heranzuziehenden Entgelts vorgesehen ist und die betreffende Person während dieses [X.]raums oder eines Teils davon den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedsstaats unterlag. Die Formulierung ist eindeutig und insbesondere die Rechtsentwicklung und Systematik spricht für die vom [X.] gewonnene Auslegung.

Nach Art 68 [X.] 1 Satz 1 Verordnung ([X.]) [X.] 1408/71 des Rates vom 14.6.1971 zur Anwendung der Systeme der [X.]n Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige und deren Familienangehörige, die innerhalb der [X.] zu- und abwandern ([X.][X.] 1408/71), der Vorgängerregelung wurde zwar ebenfalls ausschließlich das Entgelt berücksichtigt, das der Arbeitslose während seiner letzten Beschäftigung im Gebiet des zuständigen Staates erhalten hat. Nach Satz 2 war in Abweichung hiervon jedoch eine fiktive Bemessung (nur) für den Fall vorgesehen, dass die letzte Beschäftigung dort weniger als vier Wochen gedauert hat. Die Leistungen wurden dann auf der Grundlage des Entgelts berechnet, das am Wohnort oder Aufenthaltsort des Arbeitslosen für eine Beschäftigung üblich war, die der Beschäftigung, die er zuletzt im Gebiet eines anderen Mitgliedsstaats ausgeübt hatte, gleichwertig oder gleichartig war. Diese Ausnahmeregelung einer fiktiven Bemessung nach Art 68 [X.] 1 Satz 2 [X.][X.] 1408/71 wurde in die [X.] 883/2004 allerdings nicht übernommen. Der gänzliche Verzicht auf eine fiktive Bemessung in der neuen [X.] verbietet damit auch eine fiktive Bemessung nach nationalem Recht. Es bleibt vielmehr grundsätzlich dabei, dass ausschließlich das Entgelt der letzten Beschäftigung als Bemessungsgrundlage heranzuziehen ist.

Diese Auslegung entspricht auch Sinn und Zweck der Regelung. Art 62 [X.] 883/2004 ermöglicht dem zuständigen Mitgliedsstaat eine praktikable Umsetzung der ihrer Konzeption nach nur vorübergehenden Leistungen bei Arbeitslosigkeit. Soweit es in [X.] 4 der Erwägungsgründe der [X.] 883/2004 heißt, es sei notwendig, die Eigenheiten der nationalen Rechtsvorschriften über [X.] Sicherheit zu berücksichtigen und nur eine Koordinierungsregelung vorzusehen, ist der Begriff der Koordinierungsregelung vor diesem Hintergrund nicht lediglich als Festlegung des "maßgeblichen Arbeitsförderungsstatuts" zu verstehen, wie die Revision meint, sondern in einem weiteren Zusammenhang der inhaltlichen Ausgestaltung und Erweiterung der von den Mitgliedsstaaten vorgesehenen Ansprüche, um das in [X.] 5 der Erwägungsgründe genannte Ziel zu erreichen, innerhalb der [X.] sicherzustellen, dass die betreffenden Personen nach den verschiedenen nationalen Rechtsvorschriften gleich behandelt werden.

Die Regelung verlässt damit nicht den von Art 48 des Vertrags über die Arbeitsweise der [X.] ([X.]) gesetzten Rahmen des Koordinierungsrechts. Nach dessen Buchstabe a sichert das vom Verordnungsgeber für die Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer eingeführte System zu- und abwandernden Arbeitnehmern und Selbstständigen sowie deren Angehörigen die Zusammenrechnung aller nach den verschiedenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften berücksichtigten [X.]en [X.] für die Berechnung der Leistungen. Dabei geht es nicht um den Erlass inhaltlichen Sozialrechts, sondern allein um die Koordinierung des Sozialrechts der Mitgliedsstaaten in dem Sinne, dass diese harmonisch ineinandergreifen. Neben [X.], durch die Arbeitnehmer nach grenzüberschreitenden Beschäftigungsverläufen dem Sozialversicherungsrecht eines Mitgliedsstaats unterstellt werden, sind daher auch koordinierende Vorschriften zulässig, die [X.] vorsehen, die von nationalem Recht abweichen. Insoweit ist eine Koordinierung ohne jegliche Harmonisierung nicht denkbar.

Für die Bemessung erklärt Art 62 [X.] 1 [X.] 883/2004 vor diesem Hintergrund nur das Entgelt für maßgeblich, das der Arbeitslose "während" seiner letzten Beschäftigung "erhalten hat". Ob bei der Anwendung dieser Vorschrift das strenge Zuflussprinzip zugrunde zu legen ist und folglich nur die Entgelte zu berücksichtigen sind, die vor Beendigung der letzten Beschäftigung gezahlt worden sind, oder ob auch Entgelte aus dieser Beschäftigung zu berücksichtigen sind, wenn sie nach dem Ausscheiden zugeflossen sind, bedürfte nur dann einer Entscheidung, wenn der Kläger das Arbeitsentgelt der Beschäftigung in [X.] nicht bzw ganz oder teilweise erst nach seinem Ausscheiden erhalten haben sollte. Gleiches gilt für die Frage, ob das supranationale Recht der [X.] 883/2004 auf die in § 130 [X.] 1 Satz 1 [X.]B III vorgesehene Abrechnung über die Entgeltzeiträume bis zum Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis verzichtet. Eine Vorlage an den [X.] ([X.]) nach Art 267 Satz 1 Buchstabe b iVm Satz 3 [X.] ist vor dem Hintergrund der noch fehlenden Tatsachenfeststellungen nicht angezeigt.

Das [X.] wird ggf auch über die Kosten der Revision zu entscheiden haben.

Meta

B 11 AL 12/14 R

17.03.2015

Bundessozialgericht 11. Senat

Urteil

Sachgebiet: AL

vorgehend SG Dortmund, 14. Mai 2012, Az: S 23 AL 1292/10, Urteil

§ 130 Abs 1 S 1 SGB 3 vom 15.07.2009, § 131 SGB 3 vom 21.12.2008, § 132 Abs 1 S 1 SGB 3 vom 15.07.2009, Art 61 EGV 883/2004, Art 62 Abs 1 EGV 883/2004, Art 62 Abs 2 EGV 883/2004, Art 68 Abs 1 EWGV 1408/71, Art 48 AEUV

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 17.03.2015, Az. B 11 AL 12/14 R (REWIS RS 2015, 13961)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 13961

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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