Bundesfinanzhof, Urteil vom 24.02.2011, Az. VI R 21/10

6. Senat | REWIS RS 2011, 9129

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Gegenstand

(Einkommensteuer für Lohneinkünfte nach Insolvenzeröffnung keine (vorrangig zu befriedigende) Masseverbindlichkeit - Auslegung des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO - Begleichung der auf Neuerwerb anfallenden Einkommensteuer aus insolvenzfreiem Vermögen)


Leitsatz

Gelangt pfändbarer Arbeitslohn des Insolvenzschuldners als Neuerwerb zur Insolvenzmasse, liegt allein darin keine Verwaltung der Insolvenzmasse in anderer Weise i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, so dass die auf die Lohneinkünfte zu zahlende Einkommensteuer keine vorrangig zu befriedigende Masseverbindlichkeit ist .

Tatbestand

1

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Einkommensteuerschuld für Einkünfte der Insolvenzschuldnerin aus nichtselbständiger Arbeit in einem [X.]raum nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine vorrangig zu befriedigende Masseverbindlichkeit i.S. des § 55 der Insolvenzordnung ([X.]) ist.

2

Über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin ist am 20. April 2005 und über das Vermögen des Ehegatten am 6. April 2005 das vereinfachte Insolvenzverfahren eröffnet worden. Treuhänder in beiden Verfahren ist der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger).

3

Die Insolvenzschuldnerin wurde in den Jahren 2005 und 2006 mit ihrem Ehemann zusammen zur Einkommensteuer erklärungsgemäß veranlagt. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) erteilte dem Kläger als Treuhänder für die [X.]räume bis zur Insolvenzeröffnung eine Steuerberechnung für das Jahr 2005. Für die [X.] nach der Insolvenzeröffnung des Jahres 2005 sowie für das [X.] erließ das [X.] jeweils Einkommensteuerbescheide an den Kläger. Auf die Insolvenzschuldnerin entfiel dabei nach beantragter Aufteilung der Steuerschuld ein Nachzahlungsbetrag für 2005 in Höhe von insgesamt 845,74 € und für 2006 in Höhe von 582,88 €. Beide Einkommensteuerbescheide enthielten den Hinweis, dass die Steuerfestsetzung die Einkommensteuer als Masseverbindlichkeit betreffe. Die vom Kläger eingelegten Einsprüche richteten sich gegen die Einordnung der Einkommensteuerschuld als Masseverbindlichkeit.

4

Die vom Kläger nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht ([X.]) gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 883 veröffentlichten Gründen statt.

5

Mit der Revision rügt das [X.] die Verletzung der §§ 35, 55 [X.].

6

Es beantragt sinngemäß,

das angefochtene Urteil des [X.] Schleswig-Holstein vom 24. Februar 2010  2 [X.]/08 aufzuheben.

7

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision ist unbegründet und daher nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) zurückzuweisen. Zu Recht hat das [X.] entschieden, dass die Einkommensteuerschuld der Insolvenzschuldnerin keine Masseverbindlichkeit i.S. des § 55 [X.] ist.

9

Masseverbindlichkeiten sind gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 [X.] die Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören. Vorliegend ist die Einkommensteuerverbindlichkeit der Insolvenzschuldnerin nicht in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse, als einzig in Betracht kommende Tatbestandsalternative, begründet worden.

Die Entstehung der Schuld muss auf eine Verwaltungsmaßnahme des Insolvenzverwalters in Bezug auf die Insolvenzmasse zurückzuführen sein (Urteil des [X.] --BFH-- vom 21. Juli 2009 [X.]/08, [X.], 97, [X.], 13). Ein Unterlassen des Insolvenzverwalters genügt als "verwalten" nur, wenn eine Amtspflicht zum Tätigwerden verletzt wurde (BFH-Urteil vom 18. Mai 2010 [X.], [X.], 2114). Vorliegend führte die Verwaltung der Masse durch den Kläger nicht zu der streitigen Einkommensteuernachzahlung.

a) Keine Verwaltungsmaßnahme des Klägers ist die Arbeitstätigkeit der Insolvenzschuldnerin als solche. Ein Bezug zur Masse ist schon deswegen ausgeschlossen, weil die Arbeitskraft des Schuldners nicht zur Insolvenzmasse gehört (Beschluss des [X.] --BGH-- vom 18. Dezember 2008 IX ZB 249/07, [X.]schrift für das gesamte Insolvenzrecht --Z[X.]-- 2009, 299). Der Kläger hatte auch keine Pflicht zum Tätigwerden, da er als Insolvenzverwalter bzw. Treuhänder keine Möglichkeit hat, die Tätigkeit zu unterbinden oder zu beeinflussen (BFH-Urteil in [X.], 97, [X.], 13).

b) Entgegen der Auffassung des [X.] liegt eine Verwaltungsmaßnahme des Insolvenzverwalters nicht allein deshalb vor, weil das Arbeitseinkommen der Insolvenzschuldnerin als Neuerwerb (teilweise) zur Masse gelangt ist und diese damit vermehrt wurde. Zwar ist eine Verwaltungsmaßnahme des Insolvenzverwalters ausgeschlossen, wenn tatsächlich keine Erträge zur Masse gezogen worden sind (BFH-Urteil in [X.], 2114). Der Umkehrschluss ist jedoch nicht ohne weiteres möglich (BFH-Urteil in [X.], 97, [X.], 13).

aa) Im Streitfall ist nach den Feststellungen des [X.] ein Teil des Arbeitseinkommens der Insolvenzschuldnerin als Neuerwerb tatsächlich in die Insolvenzmasse gelangt. Nach § 35 [X.] erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur [X.] der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse). Anders als unter Geltung der Konkursordnung gehört damit der sogenannte Neuerwerb ebenfalls zur Masse, soweit er der Zwangsvollstreckung unterliegt (§ 36 Abs. 1 [X.]). Damit sind sämtliche Forderungen des Insolvenzschuldners Teil der Masse, ohne dass ein Abzug der berufsbedingten Aufwendungen erfolgt ([X.] vom 1. Februar 2007 [X.], Z[X.] 2007, 545).

Anders ist dies jedoch bei den Ansprüchen des Insolvenzschuldners auf Arbeitslohn. Bei diesen wird der Fiskus als Gläubiger der Lohnsteuer in zweifacher Weise gegenüber anderen [X.] privilegiert. § 36 Abs. 1 Satz 2 [X.] verweist auf die §§ 850, 850a, 850c, 850e, 850f Abs. 1, §§ 850g bis 850i der Zivilprozessordnung (ZPO). Die entsprechende Anwendung dieser Normen hat zur Folge, dass nur der allgemein pfändbare Teil des Arbeitslohnes zur Masse gelangt. Die Lohnsteuer, die vom Arbeitgeber direkt an das Finanzamt zu entrichten ist, wird vom Arbeitseinkommen des Insolvenzschuldners abgezogen, um den allgemein pfändbaren Betrag zu ermitteln. Damit wird dem [X.] nicht nur ein direktes Zugriffsrecht auf die Erwerbsquelle eingeräumt, sondern der [X.] erfolgt zudem unabhängig vom Pfändungsschutz. Zu den steuerrechtlichen gesetzlichen Verpflichtungen i.S. des § 850e ZPO gehört jedoch nur die laufende Lohnsteuer, nicht aber eine auf das Gesamteinkommen zu leistende Abschlusszahlung (Urteil des [X.] vom 24. Oktober 1979  4 [X.], Der Betrieb 1980, 835; [X.], ZPO, 22. Aufl., § 850e Rz 5) oder Lohnsteuerhaftungsbeträge (BFH-Urteil in [X.], 97, [X.], 13). Für diese Steuerschulden gelten die allgemeinen insolvenzrechtlichen Grundsätze über Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners im Zusammenhang mit einer neuen Erwerbstätigkeit.

bb) Aus der Zugehörigkeit einer Forderung zur Masse folgt danach nicht, dass die mit dieser Forderung zusammenhängenden Verbindlichkeiten stets Masseverbindlichkeiten sind. Einer derart weiten Auslegung des § 55 [X.], der allein regelt, was Masseverbindlichkeiten sind, steht neben dem Wortlaut der Norm auch entgegen, dass nach § 35 [X.] der Neuerwerb zur Masse gezogen werden sollte, aber den [X.] nur das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners verbleiben sollte (vgl. [X.] in Jaeger, [X.], § 35 Rz 122; [X.], Besteuerung bei Insolvenz, 7. Aufl., [X.]; [X.], [X.], 12. Aufl., § 35 Rz 38). Die Benachteiligung der [X.] wird damit gerechtfertigt, dass nach der Konkursordnung das Arbeitseinkommen in der Regel auch vom Altgläubiger gepfändet gewesen sei, so dass den [X.] tatsächlich auch kein Vermögen aus dem Neuerwerb zur Verfügung stand ([X.] 1/92, [X.] zu § 42 [X.]-Entwurf; vgl. BTDrucks 16/3227, S. 17 zum geänderten § 35 Abs. 2 [X.]). Auch der Zusammenhang des § 55 [X.] mit den §§ 80, 81 [X.] spricht gegen eine Aufnahme der Neuverbindlichkeiten als Masseschulden. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat nur noch der Insolvenzverwalter die Verfügungsmacht über die Insolvenzmasse. Wenn die mit einem Neuerwerb zusammenhängenden Verbindlichkeiten ohne Zutun des Insolvenzverwalters zu Masseverbindlichkeiten werden könnten, hätte es der Schuldner in der Hand, die Masse durch Eingehen von Verbindlichkeiten zu schmälern. Dies soll jedoch nicht gegen den Willen des Insolvenzverwalters möglich sein.

cc) Für die Einkommensteuer, die auf einen Neuerwerb anfällt, ist keine abweichende Betrachtung geboten. Diese Einkommensteuer führt ebenso wie die Aufwendung von Werbungskosten oder Betriebsausgaben zu einer mit einem Neuerwerb in Verbindung stehenden Verbindlichkeit und ist somit grundsätzlich aus dem insolvenzfreien Vermögen des Insolvenzschuldners zu begleichen (Maus, Z[X.] 2001, 493; [X.], a.a.[X.] Häsemeyer, Insolvenzrecht, 4. Aufl., § 60 Rz 5).

Etwas anderes gilt auch nicht, wenn --wie vorliegend-- die vom Arbeitgeber abgeführte Lohnsteuer nicht ausreicht, um die endgültige Jahreseinkommensteuer abzudecken. Dabei ist unerheblich, dass der Arbeitnehmer durch die Wahl der Steuerklasse die Höhe der Lohnsteuer beeinflussen kann. Maßgeblich für die Berechnung der vom Arbeitgeber einzubehaltenden Lohnsteuer i.S. des § 850e ZPO ist die vom Insolvenzschuldner vorgelegte Lohnsteuerkarte mit den eingetragenen Merkmalen zur Steuerklasse oder Freibeträgen. Die Folge, dass der Insolvenzschuldner mit der Wahl der Steuerklasse entweder der Masse oder sich selbst --im Bereich des unpfändbaren [X.] auf Kosten des [X.]s mehr Vermögen zuwenden kann, ist im System angelegt.

Auch der Aspekt, dass der [X.] --anders als Vertragspartner des [X.] nicht freiwillig zum Gläubiger geworden ist, rechtfertigt nicht eine weitere Besserstellung gegenüber anderen [X.]. Zu diesen gehören auch Gläubiger gesetzlicher Schuldverhältnisse mit Ansprüchen aus fahrlässig begangener unerlaubter Handlung, Gefährdungshaftung, ungerechtfertigter Bereicherung sowie Geschäftsführung ohne Auftrag. Viele dieser Gläubiger haben sich ebenso wie der [X.] nicht willentlich in die Position des Anspruchsinhabers gebracht. Auch ihnen verbleibt nur der Zugriff auf das in der Praxis meist nicht vorhandene insolvenzfreie Vermögen. Lediglich Gläubiger von vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen sind nach § 89 Abs. 2 Satz 2 [X.] i.V.m. § 850f Abs. 2 ZPO privilegiert. Sie dürfen ebenso wie [X.] trotz Insolvenzverfahren in einen Teil des unpfändbaren (zukünftigen) Arbeitseinkommens des Insolvenzschuldners, das wegen § 36 [X.] nicht zum Neuerwerb gehört, [X.]. Gerade daran wird deutlich, dass der Gesetzgeber durchaus [X.] mit Privilegien ausgestattet hat. Die allgemeine Wertung des Gesetzgebers, dass der [X.] --ebenso wie andere unfreiwillige [X.]-- nicht bevorzugt werden soll, ist zu akzeptieren und nicht durch eine weite Auslegung des § 55 [X.] zu umgehen.

Meta

VI R 21/10

24.02.2011

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, 24. Februar 2010, Az: 2 K 90/08, Urteil

§ 55 InsO, § 35 InsO, § 36 InsO, § 80 InsO, § 89 Abs 2 InsO, § 850e ZPO, § 850f ZPO, § 19 Abs 1 EStG 2002

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 24.02.2011, Az. VI R 21/10 (REWIS RS 2011, 9129)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 9129

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Wird zitiert von

11 K 2862/16

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