Bundesfinanzhof, Urteil vom 27.07.2011, Az. VI R 9/11

6. Senat | REWIS RS 2011, 4354

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Gegenstand

Einkommensteuernachzahlung für Lohneinkünfte während eines Insolvenzverfahrens keine Masseverbindlichkeit


Leitsatz

1. NV: Die Einkommensteuernachzahlung, die der nichtselbständig tätige Insolvenzschuldner leisten muss, ist grundsätzlich auch dann keine Masseverbindlichkeit, wenn pfändbarer Arbeitslohn zur Masse gelangt ist (Anschluss an BFH-Urteil vom 24. Februar 2011, VI R 21/10) .

2. NV: Das Recht zur Wahl der Lohnsteuerklasse geht auch im Insolvenzverfahren nicht auf den Insolvenzverwalter über, sondern verbleibt beim Insolvenzschuldner .

Tatbestand

1

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Einkommensteuerschuld für Einkünfte der Insolvenzschuldner aus [X.]er Arbeit in einem Zeitraum nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine vorrangig zu befriedigende Masseverbindlichkeit i.S. des § 55 der Insolvenzordnung ([X.]) ist.

2

Über das Vermögen der beiden Insolvenzschuldner (Ehegatten) ist jeweils mit Beschluss vom 20. Mai 2005 das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet worden. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wurde in beiden Verfahren zum Treuhänder bestellt.

3

Die Insolvenzschuldner waren beide im Streitjahr 2006 ausschließlich [X.] tätig. Die Arbeitgeberin des Insolvenzschuldners behielt Lohnsteuer aufgrund der Lohnsteuerklasse 3 ein und kehrte den pfändbaren Teil des Arbeitslohnes an die Insolvenzmasse aus. Bei der Insolvenzschuldnerin wurde dem Lohnsteuerabzug entsprechend die Lohnsteuerklasse 5 zu Grunde gelegt. Es ergaben sich im Streitjahr keine pfändbaren Lohnanteile.

4

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) erließ am 21. Februar 2007 einen Einkommensteuerbescheid für die Insolvenzschuldner an den Kläger. Der Bescheid entsprach inhaltlich der von den Insolvenzschuldnern abgegebenen Steuererklärung und führte zu einer Nachzahlung. Der vom Kläger eingelegte Einspruch, mit welchem er sich gegen die Einordnung der Steuerschuld als Masseverbindlichkeit wehrte, war erfolglos.

5

Das Finanzgericht ([X.]) gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 994 veröffentlichten Gründen überwiegend statt.

6

Mit der Revision rügt das [X.] die Verletzung materiellen Rechts, insbesondere des § 55 Abs. 1 Nr. 1 [X.] i.V.m. § 35 [X.] i.V.m. § 34 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO).

7

Das [X.] beantragt,

das Urteil des [X.] Rheinland-Pfalz vom 28. Oktober 2009  2 K 1231/08 insoweit aufzuheben, als das [X.] der Klage stattgegeben hat.

8

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Die Einkommensteuerschuld der Insolvenzschuldner ist keine Masseverbindlichkeit i.S. des § 55 [X.].

1. Masseverbindlichkeiten sind gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 [X.] die Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören. Vorliegend ist die Einkommensteuerverbindlichkeit der Insolvenzschuldner nicht in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse, als einzig in Betracht kommende Tatbestandsalternative, begründet worden.

Die Entstehung der Schuld muss auf eine Verwaltungsmaßnahme des Insolvenzverwalters in Bezug auf die Insolvenzmasse zurückzuführen sein (Urteil des [X.] --BFH-- vom 24. Februar 2011 [X.], [X.], 318, [X.], 520). Ein Unterlassen des Insolvenzverwalters genügt als "verwalten" nur, wenn eine Amtspflicht zum Tätigwerden verletzt wurde (BFH-Urteil vom 18. Mai 2010 [X.], [X.], 2114). Vorliegend führte die Verwaltung der Masse durch den Kläger nicht zu der streitigen Einkommensteuernachzahlung.

a) Keine Verwaltungsmaßnahme des [X.] ist die Arbeitstätigkeit der Insolvenzschuldnerin als solche. Ein Bezug zur Masse ist schon deswegen ausgeschlossen, weil die Arbeitskraft des Schuldners nicht zur Insolvenzmasse gehört (Beschluss des [X.] --BGH-- vom 18. Dezember 2008 IX ZB 249/07, Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht --Z[X.]-- 2009, 299). Der Kläger hatte auch keine Pflicht zum Tätigwerden, da er als Insolvenzverwalter bzw. Treuhänder keine Möglichkeit hat, die Tätigkeit zu unterbinden oder zu beeinflussen (BFH-Urteil in [X.], 318, [X.], 520). Allein die Kenntnis von der Tätigkeit genügt entgegen der Auffassung des [X.] für eine Verwaltungstätigkeit nicht. Denn der Kläger konnte die Obliegenheit der Insolvenzschuldner, einer Tätigkeit nachzugehen (§ 295 [X.]), selbst nicht durchsetzen (MünchKomm[X.]/ Ehricke, 2. Aufl., § 292 Rz 50). Ihm kann lediglich die Überwachung von Obliegenheiten des Schuldners durch die Gläubigerversammlung übertragen werden (§ 292 Abs. 2 [X.]). Im Fall der Verletzung einer Obliegenheit durch den Schuldner haben dann die Gläubiger --und eben nicht der Treuhänder-- das Recht zur Versagung der Restschuldbefreiung.

b) Entgegen der Auffassungen des [X.] und des [X.] liegt eine Verwaltungsmaßnahme des Insolvenzverwalters auch nicht allein deshalb vor, weil das Arbeitseinkommen der Insolvenzschuldnerin als Neuerwerb (teilweise) zur Masse gelangt ist und diese damit vermehrt wurde. Der [X.] hat bereits entschieden, dass im Falle von Einkommensteuernachzahlungen, die auf Lohneinkünften beruhen, die Steuerschuld keine Masseverbindlichkeit begründet, auch wenn der pfändbare Teil des Erwerbseinkommens zur Masse gelangt ist. Zur Begründung verweist der [X.] auf seine Entscheidung in [X.], 318, [X.], 520.

c) Insbesondere ist der Kläger nicht dadurch verwaltend i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 [X.] "tätig" geworden, dass er es unterlassen hat, die Lohnsteuerklassen der Insolvenzschuldner selbst zu bestimmen. Denn dem Kläger oblag keine Pflicht, das Steuerklassenwahlrecht für die Insolvenzschuldner auszuüben. Dieses Recht der Steuerklassenwahl geht nach Auffassung des [X.]s nicht auf den Insolvenzverwalter über. Es verbleibt auch während eines Insolvenzverfahrens bei den [X.] (vgl. BGH-Beschluss vom 3. Juli 2008 IX ZB 65/07, Z[X.] 2008, 976; a.[X.], Insolvenz Steuerrecht, Kapitel 4, A. Einkommensteuer, X. [X.]). Da es bereits an einem Wahlrecht des [X.] betreffend die Steuerklassen der Insolvenzschuldner mangelt, kann offenbleiben, in welcher Weise er dieses im Fall der Inhaberstellung hätte ausüben müssen.

2. In Anwendung dieser Grundsätze ist vorliegend die Steuerschuld der Insolvenzschuldner insgesamt keine Masseverbindlichkeit. Dennoch bleibt es bei dem vom [X.] festgestellten Betrag als Masseverbindlichkeit. Denn der [X.] kann wegen des auch im Revisionsverfahren geltenden Verböserungsverbots die Rechtsposition des [X.] als Revisionskläger nicht verschlechtern (BFH-Urteil vom 19. August 1999 IV R 67/98, [X.], 150, [X.], 179). Der Kläger hat keine Revision eingelegt.

Meta

VI R 9/11

27.07.2011

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 28. Oktober 2009, Az: 2 K 1231/08, Urteil

§ 55 InsO, § 292 InsO, § 295 InsO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 27.07.2011, Az. VI R 9/11 (REWIS RS 2011, 4354)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 4354

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