Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 31.01.2019, Az. 4 B 31/18

4. Senat | REWIS RS 2019, 10775

© Bundesverwaltungsgericht, Foto: Michael Moser

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Erfolglose Nichtzulassungsbeschwerde; Verwirkung des Klagerechts


Gründe

1

Die auf die Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

2

1. Die Kläger wenden sich gegen die von der Beklagten - der [X.] ([X.]) - getroffene Regelung zur sog. Rückenwindkomponente, die im Rahmen der Steuerung der [X.] des [X.] anhand der Windrichtung vorgibt, dass bis zu einer Windgeschwindigkeit von fünf Knoten die [X.] 25 (also Westbetrieb mit Anflug aus östlicher Richtung) zugewiesen wird, sofern nicht die Bremswirkung beeinflussende Witterungsverhältnisse diese [X.] ausschließen. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Zwar handle es sich bei der angefochtenen verbindlichen Festlegung der bevorzugten Landerichtung nach § 21a Abs. 1 LuftVO a.F. (jetzt § 22 Abs. 1 LuftVO) um einen Verwaltungsakt in der Form der Allgemeinverfügung nach § 35 Satz 2 HVwVfG. Die Kläger seien hiergegen aber nicht [X.]. § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt, denn der angefochtenen Rückenwindkomponente komme - auch in Ansehung des § 29b Abs. 2 LuftVG - keine drittschützende Wirkung zugunsten der Kläger zu ([X.] f.). Aber selbst wenn zugunsten der Kläger eine mögliche Verletzung in ihren Rechten durch die angegriffene Regelung unter dem Gesichtspunkt ihrer Fluglärmbetroffenheit unterstellt würde, sei die Klage unzulässig, weil die Klägerin ihr Klagerecht verwirkt und die Beklagte sowie die Beigeladene sich ausdrücklich auf eine Verwirkung des Klagerechts berufen hätten ([X.] f.).

3

Ist die vorinstanzliche Entscheidung - wie hier - auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, so kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund aufgezeigt wird und vorliegt (stRspr; vgl. etwa [X.], Beschluss vom 9. Dezember 1994 - 11 PKH 28.94 - [X.] 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4 S. 4). Denn ist nur bezüglich einer Begründung ein Zulassungsgrund gegeben, dann kann diese Begründung hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert ([X.], Beschluss vom 9. September 2009 - 4 BN 4.09 - [X.] 2010, 67 = juris Rn. 5). Jedenfalls in Bezug auf die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, die Kläger hätten ihr Klagerecht verwirkt und die Verwirkung erfasse alle von ihnen gestellten Anträge, also auch die hilfsweise gestellten Klageanträge, ist kein Zulassungsgrund dargelegt. Es kann daher offen bleiben, ob hinsichtlich der ersten Begründung ein Revisionszulassungsgrund dargelegt und gegeben ist und ob es sich bei einer Regelung zur Durchführung des Flugplatzverkehrs nach § 21a Abs. 1 LuftVO a.F. - wie vom Verwaltungsgerichtshof angenommen - um einen Verwaltungsakt in der Form der Allgemeinverfügung handelt, wovon die Beklagte ausgeht und worauf sich die Grundsatzrüge der Kläger bezieht.

4

Nach Auffassung der Beschwerde weicht das vorinstanzliche Urteil von Entscheidungen des [X.] ab und beruht auf dieser Abweichung (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Der Verwaltungsgerichtshof habe - so die Beschwerde - den Rechtssatz aufgestellt, dass es bei Vorliegen der Voraussetzungen im Übrigen für die Begründung einer Verwirkung ausreiche, wenn ein Kläger unter Verhältnissen untätig geblieben sei, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen zu werden pflege und der Verpflichtete wegen des Zeitablaufs nicht mehr mit einem Angriff des Klägers gegen die betreffende Allgemeinverfügung oder den Verwaltungsakt zu rechnen brauche, es darüber hinaus aber nicht erforderlich sei, dass eine begründete Klage mit nicht mehr zumutbaren Nachteilen verbunden und es weiterhin nicht notwendig sei, dass die verzögerte Geltendmachung des Rechts ursächlich für bestimmte Dispositionen des Verpflichteten geworden ist. Den Urteilen des [X.] vom 7. Februar 1974 - 3 [X.] 115.71 - ([X.]E 44, 339), vom 16. Mai 1991 - 4 [X.] 4.89 - ([X.] 406.19 [X.] Nr. 102), vom 10. August 2000 - 4 A 11.99 - ([X.] 407.4 § 17 [X.] Nr. 158) und vom 27. Juli 2005 - 8 [X.] 15.04 - ([X.] 428 § 36 VermG Nr. 9) sowie dem Beschluss vom 20. Januar 2017 - 8 [X.] u.a. - ([X.] 316 § 41 VwVfG Nr. 8) entnimmt die Beschwerde den Rechtssatz, dass es "auch" und nicht "nur" im nachbarschaftlichen [X.] und damit letztlich allgemein eine Tatbestandsvoraussetzung für die Bejahung der Verwirkung sei, dass der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut habe, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde und die verzögerte Geltendmachung des Rechts ursächlich für bestimmte Dispositionen des Verpflichteten gewesen sei. Auf dieser Abweichung beruhe das angefochtene Urteil, denn es fänden sich keine Ausführungen, wonach sich das [X.] oder die Beigeladene in ihren Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hätten, dass ihnen durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde. Eine Divergenz wird hiermit nicht aufgezeigt.

5

In der Rechtsprechung des [X.] ist anerkannt, dass eine Verwirkung des Klagerechts dann anzunehmen ist, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung des Klageanspruchs längere Zeit verstrichen ist (sog. Zeitmoment) und der Berechtigte unter Verhältnissen untätig bleibt, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen zu werden pflegt (sog. Umstandsmoment; [X.], Beschluss vom 26. Januar 1972 - 2 BvR 255/67 - [X.]E 32, 305 <308 f.>). Erst dadurch wird eine Situation geschaffen, auf die ein Beteiligter vertrauen, sich einstellen und einrichten darf (sog. [X.], vgl. [X.], Beschluss vom 26. Januar 1972 - 2 BvR 255/67 - [X.]E 32, 305 <308 f.>; [X.], Urteile vom 13. November 1975 - 2 [X.] 16.72 - [X.]E 49, 351 <358>, vom 29. August 1996 - 2 [X.] 23.95 - [X.]E 102, 33 <36> und vom 15. Juni 2018 - 2 [X.] 19.17 - juris Rn. 8; vgl. zusammenfassend [X.], Urteil vom 30. August 2018 - 2 [X.] 10.17 - NVwZ 2018, 1866 <1868 Rn. 21>). Die von den Klägern herangezogene Konkretisierung in den Entscheidungen des [X.] vom 7. Februar 1974, vom 16. Mai 1991, vom 27. Juli 2005 und vom 20. Januar 2017 (jeweils a.a.[X.]) umschreibt dabei, wie schon der jeweils einleitende Begriff "insbesondere" zeigt, die Voraussetzungen einer Verwirkung als Unterfall des Verbots widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium, vgl. z.B. [X.], Urteil vom 7. Februar 1974 - 3 [X.] 115.71 - [X.]E 44, 339 <343>) weder umfassend noch abschließend (vgl. [X.], Beschluss vom 24. Mai 2017 - 1 B 103.17 - juris Rn. 9 mit dem Hinweis, dass eine Verwirkung auch unter dem Gesichtspunkt des Rechtsfriedens in Betracht komme), sondern nur beispielhaft. Das gilt auch für die von den Klägern in den Vordergrund gestellte Formulierung im Urteil vom 16. Mai 1991 (a.a.[X.] = juris Rn. 28), wonach ein [X.] durch Verwirkung nur dann eintritt, wenn die verzögerte Geltendmachung des Rechts ursächlich für bestimmte Dispositionen des Verpflichteten ist und gerade im Hinblick auf das durch Untätigkeit des Berechtigten geschaffene und betätigte Vertrauen des Verpflichteten die verspätete Geltendmachung des Rechts treuwidrig erscheint, und die unter Verweis u.a. auf vorgenannte Entscheidung im Urteil vom 10. August 2000 (a.a.[X.]) enthaltene Wendung, wonach sich die beklagte Behörde auch tatsächlich in einer Weise auf das Verhalten des Berechtigten eingestellt haben muss, dass für sie eine begründete Klage nicht mehr mit zumutbaren Nachteilen verbunden wäre, die sich ersichtlich auf den vorgenannten Beispielsfall beziehen.

6

Von den in der Rechtsprechung des [X.] danach maßgeblichen Grundsätzen ist der Verwaltungsgerichtshof ausgegangen. Er hat deutlich gemacht, dass es für eine Verwirkung nicht allein auf das Zeitmoment ankommt, sondern dass es darüber hinaus auch eines [X.] bedarf. Hierzu hat er u.a. ausgeführt, dass die streitgegenständliche Regelung der bevorzugten Landerichtung Grundlage der Lärmermittlung und -bewertung des Planfeststellungsverfahrens gewesen sei. Dies sei für die Kläger erkennbar und ihnen sei ein Vorgehen gegen den Planfeststellungsbeschluss vom 18. Dezember 2007 für den Ausbau des [X.] in Bezug auf die Rückenwindkomponente auch zumutbar gewesen. Die Treuwidrigkeit der verzögerten Rechtsausübung hat der Verwaltungsgerichtshof folglich darin gesehen, dass die Kläger in dem Verfahren, in dem sie ihre Einwendungen gegen die Rückenwindkomponente hätten vorbringen können und auch müssen, untätig geblieben seien. Sie seien folglich "unter Verhältnissen untätig geblieben, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen zu werden" pflege. Damit hätten sie sowohl für das [X.] als Planfeststellungsbehörde als auch für die Beigeladene "eine Situation geschaffen, auf die der Gegner vertrauen, sich einstellen und einrichten durfte", dergestalt, dass beide in Bezug auf den dem Planfeststellungsbeschluss vom 18. Dezember 2007 zu Grunde liegenden einzelnen Teil des bestehenden Betriebsregimes des [X.] jedenfalls zu dem Zeitpunkt der Widerspruchseinlegung im Januar 2013 nicht mehr mit einem Angriff (gegen die Rückenwindkomponente) durch die Kläger zu rechnen brauchten ([X.] 24).

7

Offen lassen kann der Senat, ob es eines Rückgriffs auf den [X.] überhaupt bedurft hätte, oder die Kläger eine Korrektur der angefochtenen Rückenwindregelung bereits deshalb nicht mehr fordern können, weil eine Auslegung des Planfeststellungsbeschlusses vom 18. Dezember 2007 ergibt, dass er die Steuerung der [X.] anhand der Windrichtungen einschließlich der Berücksichtigung der Rückenwindkomponente zulässt (vgl. dazu [X.], Urteil vom 4. April 2012 - 4 [X.] 8.09 u.a. - [X.]E 142, 234 Rn. 215) und bestandskräftig geworden ist (vgl. hierzu [X.], Urteil vom 12. November 2014 - 4 [X.] 34.13 - [X.]E 150, 294 Rn. 15).

8

2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ab, da sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist.

9

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Meta

4 B 31/18

31.01.2019

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Hessischer Verwaltungsgerichtshof, 14. März 2018, Az: 9 C 1897/13.T, Urteil

§ 22 Abs 1 LuftVO 2015, § 29b Abs 2 LuftVO 2015, § 35 S 2 VwVfG, § 42 Abs 2 VwGO, § 242 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 31.01.2019, Az. 4 B 31/18 (REWIS RS 2019, 10775)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 10775

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

6 B 18/19 (Bundesverwaltungsgericht)

Ungerechtfertigte Annahme einer prozessualen Verwirkung des Klagerechts als Verfahrensmangel


4 BN 33/12 (Bundesverwaltungsgericht)

Zur Verwirkung eines prozessualen Antragsrechts


1 B 103/17 (Bundesverwaltungsgericht)

Verwirkung prozessualer Befugnis


21 K 797/22 (Verwaltungsgericht Köln)


21 K 5020/21 (Verwaltungsgericht Köln)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.