Bundesfinanzhof, Urteil vom 17.06.2020, Az. II R 40/17

2. Senat | REWIS RS 2020, 3315

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Erbschaftsteuerfestsetzung gegen unbekannte Erben


Leitsatz

1. Die Festsetzung von Erbschaftsteuer gegen unbekannte Erben ist zulässig, wenn hinreichend Zeit zur Verfügung stand, die Erben zu ermitteln.

2. Für eine Erbenermittlung, die keine besonderen Schwierigkeiten aufweist, ist ein Zeitraum von einem Jahr ab dem Erbfall in der Regel angemessen. Jedenfalls nach Ablauf von drei Jahren und fünf Monaten ist es auch bei besonders schwierigen Erbenermittlungen nicht zu beanstanden, Erbschaftsteuer gegen unbekannte Erben festzusetzen.

3. Der Bescheid ist dem Nachlasspfleger bekanntzugeben.

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des [X.] vom 09.08.2017 - 4 K 442/16 Erb wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind die Erben des am 27.02.2014 verstorbenen Erblassers.

2

Die Erbengemeinschaft war zunächst nicht ermittelbar. Daher wurde am 05.06.2014 ein Nachlasspfleger bestellt. Nachdem dieser eine Erbschaftsteuererklärung beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --[X.]--) abgegeben hatte, setzte das [X.] mit Bescheid vom 27.04.2015 gegenüber den "unbekannten Erben" des Erblassers Erbschaftsteuer in Höhe von 330.810 € fest. Der Bescheid war mit einem Vorläufigkeitsvermerk hinsichtlich der Anzahl der Erben, der Höhe der jeweiligen Erbteile, der Höhe der persönlichen Freibeträge und der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Bestimmung der Steuerklasse versehen. In der Anlage führte das [X.] aus, die Festsetzung erfolge, weil die Erbenermittlung noch immer nicht abgeschlossen sei. Im Wege der Schätzung sei angenommen worden, dass 20 Personen der [X.] den Erblasser zu gleichen Teilen beerbt haben. Der Bescheid wurde dem Nachlasspfleger bekanntgegeben.

3

Dieser legte in Vertretung der unbekannten Erben Einspruch ein. Er machte geltend, eine Steuerfestsetzung gegen unbekannte Erben sei nicht möglich. Sie verstoße gegen das Bestimmtheitsgebot. Auch sei die Anzahl der Erben und damit die Zahl der Steuerschuldverhältnisse keiner Schätzung zugänglich. Dies gelte gleichermaßen für die Größe der Erbteile und die Höhe der Freibeträge. Das [X.] habe ihm nicht ausreichend Zeit eingeräumt, die Erben zu ermitteln. Es sei auch zu Unrecht von 20 anstatt 30 Erben ausgegangen.

4

Mit Änderungsbescheid vom 24.09.2015 setzte das [X.] die Erbschaftsteuer auf 265.500 € herab. Dabei ging es von 30 Erben der [X.] mit gleicher Erbquote aus. Die Vorläufigkeit blieb bestehen. Den Einspruch wies es im Übrigen mit Einspruchsentscheidung vom 14.01.2016 als unbegründet zurück. Mit der Rechtsfigur der unbekannten Erben (vgl. § 1960 Abs. 1 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB--) sei ein Steuerschuldner vorhanden, der Beteiligter eines Steuerschuldverhältnisses sein könne. Hiervon gingen § 31 Abs. 6 und § 32 Abs. 2 des [X.] ([X.]) aus, die den Nachlasspfleger (nur) als Erklärungspflichtigen und Bekanntgabeadressaten des Erbschaftsteuerbescheids ansähen. Die Zahl der Erben, die Größe der Erbteile, die Höhe der Freibeträge und die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Bestimmung der Steuerklassen könnten als Besteuerungsgrundlagen geschätzt werden. Die Festsetzung sei auch nicht vorschnell erfolgt. Eine Zeitspanne von 14 Monaten zwischen dem Tod des Erblassers und dem Erlass des Steuerbescheids sei unter Berücksichtigung der Schwierigkeiten der Erbenermittlung angemessen. Bis zum Erlass der Einspruchsentscheidung seien fast zwei Jahre seit dem Erbfall vergangen, die Erben aber nicht ermittelt.

5

Das Finanzgericht (FG) folgte dem [X.] und wies die Klage mit Urteil vom 09.08.2017 ab. Es führte ergänzend aus, bei der Beantwortung der Frage, ob der Steuerbescheid zu früh erlassen wurde, sei auf den Tag der finanzgerichtlichen Entscheidung abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt, mehr als drei Jahre nach dem Tod des Erblassers und der Bestellung des [X.], sei die Erbenermittlung noch nicht abgeschlossen gewesen. Die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen durch das [X.] sei nicht zu beanstanden. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte ([X.]) 2017, 1525 veröffentlicht.

6

Die Revision legte die Rechtsanwaltssozietät des [X.] als Prozessbevollmächtigte der unbekannten Erben am 29.08.2017 ein. Mit Beschluss des zuständigen Amtsgerichts vom 21.12.2017, berichtigt am 02.02.2018, wurde den Klägern ein Erbschein erteilt. Die [X.] wurde am 16.02.2018 aufgehoben. Am 11.01.2020 teilte der vormalige Nachlasspfleger mit, seine Rechtsanwaltssozietät existiere nicht mehr; er vertrete die Kläger fortan allein.

7

Mit der Revision machen die Kläger eine Verletzung des § 20 Abs. 1 Satz 1 [X.] und der §§ 119 Abs. 1, 162 Abs. 1 der Abgabenordnung ([X.]) geltend.

8

Die Kläger beantragen sinngemäß,
die Vorentscheidung, den Erbschaftsteuerbescheid vom 27.04.2015, den Änderungsbescheid vom 24.09.2015 und die Einspruchsentscheidung vom 14.01.2016 aufzuheben.

9

Das [X.] beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Der Senat ist durch die Aufhebung der [X.] (§§ 1919, 1962 [X.]) während des Revisionsverfahrens nicht an einer Entscheidung über die Revision gehindert. Die anstelle der unbekannten Erben i.S. des § 1960 Abs. 1 Satz 2 [X.] in das Verfahren eingetretenen Erben des Erblassers sowie die Kinder einer bereits verstorbenen Erbin führen das Verfahren als Kläger ohne Unterbrechung oder Aussetzung fort.

1. Die Voraussetzungen für eine Unterbrechung wegen Prozessunfähigkeit nach § 155 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) i.V.m. § 241 Abs. 1 Alternative 3 der Zivilprozessordnung (ZPO) liegen nicht vor. Mit der Aufhebung der [X.] endete nicht nur die gesetzliche Vertretung der Kläger durch den Nachlasspfleger (vgl. Urteil des [X.] --[X.]-- vom 30.03.1982 - VIII R 227/80, [X.], 406, BStBl II 1982, 687), sondern auch die Prozessunfähigkeit der Kläger gemäß § 155 Satz 1 [X.]O i.V.m. § 53 ZPO (vgl. Beschluss des [X.] vom 17.08.1990 - BReg 1 a Z 36/89, [X.]schrift für das Gesamte Familienrecht 1991, 230, unter [X.]; [X.]/[X.], 8. Aufl., § 1960 [X.] 107; [X.]/Weidlich, Bürgerliches Gesetzbuch, 79. Aufl., § 1960 [X.] 17; [X.], [X.], 12. Aufl., § 1960 [X.] 58; [X.], Die [X.], 5. Aufl., [X.] 875; [X.], [X.]schrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge 2011, 631, 635).

2. Die Voraussetzungen für eine Unterbrechung wegen Anwaltsverlusts sind nicht erfüllt. Nach den §§ 62 Abs. 4, 155 Satz 1 [X.]O i.V.m. § 244 Abs. 1 Alternative 2 ZPO tritt eine Unterbrechung des Verfahrens vor dem [X.] ein, wenn der Prozessbevollmächtigte unfähig wird, die Vertretung des Beteiligten fortzuführen. Die Aufhebung der [X.] hat im Streitfall aber nicht zum Wegfall des Prozessbevollmächtigten geführt. Der Nachlasspfleger hatte die anwaltliche Vertretung der Kläger im Revisionsverfahren nicht --ähnlich dem § 62 Abs. 4 Satz 5 [X.]O-- selbst übernommen, sondern seine Rechtsanwaltssozietät bevollmächtigt. Diese konnte die Vertretung aufgrund der erteilten Vollmacht fortsetzen. Die Auflösung der Sozietät mit der Folge, dass der vormalige Nachlasspfleger die Kläger als Einzelanwalt vertritt, ist erst nach Aufhebung der [X.] erfolgt. Der ehemalige Nachlasspfleger hat die Auflösung der Sozietät dem [X.] mit Schreiben vom 11.01.2020 ordnungsgemäß mitgeteilt und gleichzeitig angezeigt, dass nunmehr er allein zur Prozessvertretung der Kläger bevollmächtigt sei.

3. Es kann dahinstehen, ob im Falle der Aufhebung einer [X.] die entsprechende Anwendung des § 239 ZPO (Ziegltrum, Sicherungs- und Prozesspflegschaft, S. 231 f.), des § 243 ZPO (BeckOGK[X.]/[X.], § 1960 [X.] 165) oder ggf. des § 242 ZPO ([X.]/[X.] (2017), [X.], § 1960 [X.] 60) geboten ist. Im Streitfall wurde das Verfahren nicht unterbrochen, da die Kläger durch einen Bevollmächtigten (vgl. § 86 ZPO) vertreten sind und weder dieser noch das [X.] eine Aussetzung des Verfahrens beantragt hat (§ 155 Satz 1 [X.]O i.V.m. § 246 Abs. 1 ZPO).

III.

Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 [X.]O). Das [X.] hat zu Recht entschieden, dass die von dem [X.] gegenüber den unbekannten Erben vorgenommene Festsetzung von Erbschaftsteuer im Wege einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nicht zu beanstanden ist.

1. Eine Festsetzung von Erbschaftsteuer gegen unbekannte Erben ist zulässig. Der Änderungsbescheid vom 24.09.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14.01.2016 verstößt nicht gegen das Bestimmtheitsgebot des § 119 Abs. 1 [X.].

a) Ein Verwaltungsakt muss gemäß § 119 Abs. 1 [X.] inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Er ist nichtig und damit nach § 124 Abs. 3 [X.] unwirksam, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist (§ 125 Abs. 1 [X.]). Ein solcher Mangel liegt vor, wenn dem Verwaltungsakt nicht hinreichend sicher entnommen werden kann, was von wem verlangt wird. Konstituierender Bestandteil jedes Verwaltungsakts ist daher die Angabe des [X.]en, d.h. desjenigen, demgegenüber der Einzelfall geregelt werden soll (ständige Rechtsprechung, z.B. [X.]-Urteil vom 25.07.2019 - IV R 61/16, [X.]E 265, 285, [X.] 25, m.w.N.).

b) Bei einem Erbschaftsteuerbescheid ist [X.] der Steuerschuldner. Schuldner der Erbschaftsteuer ist gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 [X.] der Erwerber. Beim Erwerber handelt es sich um die Person, die durch den Erbanfall bereichert wurde (vgl. [X.]-Urteil vom 14.09.1994 - II R 95/92, [X.]E 176, 44, [X.] 1995, 81). Dies ist in der Regel der Erbe (vgl. § 1922 Abs. 1 [X.]).

c) Sind die Erben noch nicht bekannt und besteht eine [X.] (§ 1960 Abs. 2, § 1961, § 1962 [X.]), kann Erbschaftsteuer gegen die unbekannten Erben festgesetzt werden. Mit der Rechtsfigur der unbekannten Erben i.S. des § 1960 Abs. 1 Satz 2 [X.] ist als zunächst abstraktes Subjekt, das sich später als eine Person oder --wenn der Nachlasspfleger nicht von vornherein als Pfleger für eine Einzelperson bestellt worden [X.] als eine Mehrheit konkreter Personen erweisen kann, ein Steuerschuldner vorhanden, der Beteiligter eines Steuerschuldverhältnisses sein kann ([X.]-Beschluss vom 21.12.2004 - II B 110/04, [X.]/NV 2005, 704).

aa) Diese Vorstellung liegt den Regelungen in § 31 Abs. 6 und § 32 Abs. 2 [X.] zugrunde. Gemäß § 31 Abs. 6 [X.] ist ein Nachlasspfleger zur Abgabe der Erbschaftsteuererklärung verpflichtet. Nach § 32 Abs. 2 Satz 1 [X.] ist der Erbschaftsteuerbescheid dem Nachlasspfleger bekanntzugeben. [X.] hat auch für die Bezahlung der Erbschaftsteuer zu sorgen (§ 32 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 [X.]). Diese Bestimmungen erfassen nicht nur Sachverhalte, bei denen die Erben bereits bekannt sind, die [X.] aber noch nicht aufgehoben worden ist (dazu [X.]-Urteil in [X.], 406, [X.] 1982, 687), oder Fälle, in denen die Annahme der Erbschaft noch nicht erfolgt oder ungewiss ist. Der Gesetzgeber wollte vielmehr Regelungen für den gesamten Anwendungsbereich der [X.] und damit auch für die bedeutende Fallgruppe der unbekannten Erben treffen. Nach seiner Vorstellung sollte die Festsetzung von Erbschaftsteuer während der [X.] daher auch gegenüber unbekannten Erben als [X.]en möglich sein (vgl. Entwurf eines Zweiten Steuerreformgesetzes, [X.], S. 76, zu § 30 [X.] a.F.; vgl. [X.]-Beschluss in [X.]/NV 2005, 704, unter [X.], m.w.N.).

bb) § 32 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 3 [X.] erfordert keine andere Auslegung. Danach hat der Nachlasspfleger auf Verlangen der Finanzbehörde aus dem Nachlass Sicherheit zu leisten. Die Vorschrift wird entgegen der Ansicht der Kläger nicht dadurch obsolet, dass Erbschaftsteuer gegen unbekannte Erben festgesetzt werden kann. Solange die Steuer nicht vollständig entrichtet ist, können vielerlei Gründe vorliegen, vom Nachlasspfleger Sicherheiten (§§ 241 ff. [X.]) zu fordern. Fehlen etwa liquide Mittel zur Steuerzahlung oder ist zu befürchten, dass Nachlassgegenstände an vorhandene Erben herausgegeben werden, kann die Finanzbehörde von dieser Befugnis Gebrauch machen. Einer Steuerfestsetzung steht die Möglichkeit, nach § 32 Abs. 1 Satz 3 [X.] Sicherheiten zu verlangen, nicht entgegen.

cc) Der Erlass nur eines Bescheids gegen eine Mehrzahl unbekannter Erben missachtet nicht den Grundsatz, dass jeder Erwerber lediglich die Steuer für seinen eigenen Erwerb schuldet (§ 10 Abs. 1 Satz 1, § 20 Abs. 1 Satz 1 [X.]). Dieses Prinzip hat zur Folge, dass jedem Erwerber ein gesonderter Steuerbescheid (§ 155 Abs. 1 Satz 1 [X.]) zu erteilen ist (vgl. [X.]-Urteil vom 27.03.1968 - II 98/62, [X.]E 91, 434, [X.] 1968, 376, unter [X.]). Dem widerspricht die Steuerfestsetzung gegen mehrere unbekannte Erben nicht. Bei der Rechtsfigur der unbekannten Erben handelt es sich nicht um eine Erbengemeinschaft, d.h. eine Mehrheit von Steuerschuldnern, sondern um ein abstraktes Subjekt, dem der Gesetzgeber die Qualität eines Steuerschuldners beigemessen hat (vgl. [X.]-Beschluss in [X.]/NV 2005, 704, unter [X.]). Der Erlass nur eines Bescheids gegen dieses Subjekt ist folgerichtig.

dd) Fragen der Steuererhebung und -vollstreckung sowie der Verwirkung von Säumniszuschlägen lassen sich entgegen dem Einwand der Kläger ohne Systemverstoß beantworten. Als gesetzlicher Vertreter der unbekannten Erben hat der Nachlasspfleger deren steuerliche Pflichten zu erfüllen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 [X.]). Er hat die festgesetzte Erbschaftsteuer aus dem Nachlass zu entrichten (§ 32 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 [X.], § 34 Abs. 1 Satz 2 [X.]) und die Vollstreckung in diesen zu dulden (§ 77 Abs. 1 [X.]). Ein Duldungsbescheid ergeht gegen den Nachlasspfleger, nicht gegen die unbekannten Erben. Ist aus dem Nachlass zu Unrecht Erbschaftsteuer bezahlt worden, sind die unbekannten Erben Inhaber des Erstattungsanspruchs. [X.] und daher empfangszuständig für die Erstattung ist der Nachlasspfleger (vgl. [X.]-Urteil vom 18.06.1986 - II R 38/84, [X.]E 146, 519, [X.] 1986, 704, zum Testamentsvollstrecker). Säumniszuschläge (§ 240 [X.]) schulden primär die unbekannten Erben. Der Nachlasspfleger kommt insoweit nur als Haftungsschuldner in Frage (§ 69 Satz 2 [X.]).

2. Sind die Erben noch nicht ermittelt und benannt, sind die Besteuerungsgrundlagen für die Festsetzung der Erbschaftsteuer gemäß § 162 Abs. 1 Satz 1 [X.] zu schätzen.

a) Zu den zu schätzenden Besteuerungsgrundlagen gehören die Anzahl der Erben und die Größe der Erbteile, d.h. die jeweilige Erbquote. Auch bei den tatbestandlichen Voraussetzungen für die Einteilung der Erben in Steuerklassen (§ 15 [X.]) und für die Bestimmung der persönlichen Freibeträge (§§ 16, 17 [X.]) handelt es sich um Besteuerungsgrundlagen, die einer Schätzung zugänglich sind (vgl. [X.]-Beschluss in [X.]/NV 2005, 704).

b) Eine Befugnis zur Schätzung besteht erst, wenn der Nachlasspfleger ausreichend [X.] hatte, seine Pflicht zur Erbenermittlung und seine Mitwirkungspflichten aus § 34 Abs. 1 i.V.m. § 90 [X.] zu erfüllen (vgl. [X.]-Beschluss in [X.]/NV 2005, 704). Welcher [X.]raum hierfür angemessen ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Beispielsweise sind Verzögerungen bei der Bestellung des [X.] in die Beurteilung einzubeziehen. In der Regel ist ein [X.]raum von einem Jahr ab dem Erbfall für eine Erbenermittlung, die keine besonderen Schwierigkeiten aufweist, angemessen (gleicher Ansicht [X.] in [X.]/[X.], [X.]/[X.]/[X.], § 32 [X.] [X.] 15, Stand 01.11.2018). Besondere Schwierigkeiten bei der Erbenermittlung, wie genealogische Recherchen im Ausland oder fehlende Urkunden bei Sachverhalten der Auswanderung, des [X.], der Flucht oder der Vertreibung, können in dem zu beurteilenden Einzelfall den [X.]raum angemessen verlängern.

c) Die Schätzungsbefugnis steht im Verwaltungsverfahren der Finanzbehörde zu. Sie hat das Recht zur Schätzung sowohl im Ermittlungs- und Festsetzungsverfahren (§ 162 Abs. 1 [X.]) als auch im Einspruchsverfahren (§ 365 Abs. 1 i.V.m. § 162 Abs. 1 [X.]). Zu berücksichtigen sind alle Tatsachen, die bis zum [X.]punkt der Einspruchsentscheidung der Finanzbehörde bekannt werden. Ist bis zum Erlass der Einspruchsentscheidung mehr als ein Jahr seit dem Tod des Erblassers vergangen und konnten die Erben in diesem [X.]raum nicht ermittelt und der Finanzbehörde bekanntgegeben werden, hat diese in der Regel die Befugnis, die Besteuerungsgrundlagen --wie unter I[X.] angeführt-- zu schätzen.

Die Schätzung der Finanzbehörde ist im Klageverfahren durch das [X.] vollumfänglich nachprüfbar (vgl. [X.]-Urteile vom 17.10.2001 - I R 103/00, [X.]E 197, 68, [X.] 2004, 171, unter I[X.], und vom 19.09.2018 - II R 20/15, [X.]/NV 2019, 193, [X.] 24). Das [X.] hat überdies eine eigene Schätzungsbefugnis nach § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 [X.]O i.V.m. § 162 Abs. 1 [X.]. Seiner Verpflichtung kommt das Gericht bereits nach, wenn es die Schätzung der Finanzbehörde überprüft und als eigene übernimmt. Insoweit macht das [X.] von seiner eigenen Schätzungsbefugnis Gebrauch (vgl. [X.]-Beschluss vom 12.10.2005 - VIII B 241/04, [X.]/NV 2006, 326). Die Pflicht zur vollumfänglichen Prüfung der von der Finanzbehörde vorgenommenen Schätzung durch das [X.] führt dazu, dass die Schätzung der Finanzbehörde noch im [X.]punkt der gerichtlichen Entscheidung zutreffend sein muss oder anderenfalls zu ändern ist (Oellerich in [X.], [X.] § 162 [X.] 72; [X.] in Tipke/[X.], § 96 [X.]O [X.] 60). Das [X.] muss klären, ob dem Grunde nach weiterhin eine Schätzung geboten ist und in welcher Höhe die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen sind (Oellerich in [X.], [X.] § 162 [X.] 72). Werden die --zunächst unbekannten-- Erben bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem [X.] ermittelt, ist eine Schätzungsbefugnis nicht mehr gegeben.

d) Hat das [X.] die Schätzung der Finanzbehörde nach vollumfänglicher Prüfung übernommen und insoweit eine eigene Schätzung vorgenommen (vgl. unter III.2.c), ist diese Schätzung Gegenstand des Revisionsverfahrens. Sie gehört zu den tatsächlichen Feststellungen i.S. des § 118 Abs. 2 [X.]O, an die der [X.] gebunden ist. Er kann sie daher nur darauf überprüfen, ob sie zulässig war, ob sie verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen ist und ob das [X.] anerkannte Schätzungsgrundsätze, Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze beachtet hat, d.h., ob das Ergebnis der Schätzung schlüssig und plausibel ist (vgl. [X.]-Urteile vom 09.11.2017 - III R 20/16, [X.]E 260, 113, [X.] 2018, 278, [X.] 19, und vom 13.12.2018 - V R 65/16, [X.]/NV 2019, 303, [X.] 31, beide m.w.N.).

3. Nach diesen Maßgaben ist die Entscheidung des [X.] nicht zu beanstanden. Das [X.] hat nicht selbst geschätzt, sondern sich die Schätzung des [X.] in dem Änderungsbescheid vom 24.09.2015 ohne Rechtsfehler zu eigen gemacht.

a) Wie durch das [X.] ausgeführt, war das [X.] zur Schätzung der Zahl der Erben, der [X.] und des persönlichen Verhältnisses des jeweiligen Erben zum Erblasser nach § 15 Abs. 1 sowie § 16 Abs. 1 [X.] befugt, da es diese Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln konnte (§ 162 Abs. 1 Satz 1 [X.]). Die Schätzungsbefugnis lag noch am Tag der mündlichen Verhandlung und Entscheidung des [X.], an dem die Erben nach wie vor nicht bekannt waren, vor. Die Schätzung erfolgte aus der Sicht des [X.] auch nicht verfrüht. Die mündliche Verhandlung vor dem [X.], auf deren Grundlage das Gericht entschieden hat, fand ca. drei Jahre und fünf Monate nach dem Tod des Erblassers statt. Nach Ablauf dieser [X.] ist es auch bei besonders schwierigen Erbenermittlungen angemessen, Erbschaftsteuer ohne Kenntnis der Erben festzusetzen. Deren Interessen werden --wie im [X.] durch die Aufnahme eines Vorläufigkeitsvermerks hinsichtlich der Zahl der Erben, deren [X.] und der tatbestandlichen Voraussetzungen für deren Einteilung in Steuerklassen sowie für die Bestimmung persönlicher Freibeträge in den Bescheid (§ 165 Abs. 1 Satz 1 [X.]) gewahrt.

b) Die mit 30 geschätzte Zahl der Erben entspricht der Erklärung des [X.]. Die Annahme, keiner der Erben werde die Erbschaft ausschlagen, ist nachvollziehbar, da der Erblasser umfangreiches Vermögen hinterlassen hat. Die Einordnung der Erben in die [X.] nach deren persönlichem Verhältnis zum Erblasser (§ 15 Abs. 1 [X.] [X.]) begegnet keinen Bedenken; sie wurde auch nicht mit der Revision angegriffen. Die weiteren Annahmen sind nachvollziehbar und wirken sich im Ergebnis sämtlich steuermindernd aus. Das betrifft insbesondere die Annahme gleicher [X.]. Die in dieser Vereinfachung liegende Ungenauigkeit ist hinzunehmen, weil sie notwendig mit einer Schätzung, die in Unkenntnis der Erben erfolgt, verbunden ist. Dem Einwand der Kläger, das [X.] habe nicht davon ausgehen dürfen, der Erwerb jedes Erben übersteige den für Personen der [X.] vorgesehenen Freibetrag, hat das [X.] zu Recht entgegengehalten, dass sich diese Schätzung zugunsten der unbekannten Erben auswirkt. Sie hat zur Folge, dass ein größtmöglicher Teil des [X.] gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 7 [X.] steuerfrei bleibt. Entsprechendes gilt für die angesichts des Umfangs des Nachlasses naheliegende Annahme, keiner der Erben werde die Erbschaft ausschlagen. Der insgesamt zu gewährende Freibetrag nach § 16 Abs. 1 Nr. 7 [X.] steigt mit der Anzahl der Erben. Auf die Steuerlast des einzelnen Erben kommt es insoweit nicht an, denn die Festsetzung richtet sich nicht gegen diesen, sondern gegen die Rechtsfigur der unbekannten Erben als abstraktes Steuersubjekt.

4. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

II R 40/17

17.06.2020

Bundesfinanzhof 2. Senat

Urteil

vorgehend FG Düsseldorf, 9. August 2017, Az: 4 K 442/16 Erb, Urteil

§ 1960 Abs 1 S 2 BGB, § 119 Abs 1 AO, § 162 Abs 1 AO, § 20 Abs 1 S 1 ErbStG 1997, § 31 Abs 6 ErbStG 1997, § 32 Abs 2 ErbStG 1997, § 1961 BGB, § 90 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 17.06.2020, Az. II R 40/17 (REWIS RS 2020, 3315)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 3315

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

II R 17/18 (Bundesfinanzhof)

Vorfälligkeitsentschädigung als Nachlassverbindlichkeit


II R 17/20 (Bundesfinanzhof)

Lauf der Festsetzungsfrist bei Erbeinsetzung


II R 34/14 (Bundesfinanzhof)

Geltendmachung der Erbschaftsteuer im Nachlassinsolvenzverfahren


31 Wx 145/18 (OLG München)

Aufforderung für die Anordnung einer Nachlasspflegschaft


II R 2/20 (Bundesfinanzhof)

Besteuerung eines beim Tod des Beschwerten fälligen Vermächtnisses


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.