Bundessozialgericht, Beschluss vom 01.03.2018, Az. B 8 SO 92/16 B

8. Senat | REWIS RS 2018, 13070

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - (mindestens) partielle Prozessunfähigkeit eines Beteiligten - keine ordnungsgemäße Vertretung - absoluter Revisionsgrund


Tenor

Auf die Beschwerde des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 26. September 2016 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Im Streit sind Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem 4. Kapitel des [X.] - (SGB XII).

2

Der Kläger, der eine Rente wegen Alters bezieht, beantragte für die [X.] ab Dezember 2012 vom beklagten Träger der Sozialhilfe die ergänzende Gewährung von Grundsicherungsleistungen, die dieser ablehnte. Die Klage hat im Wesentlichen keinen Erfolg gehabt (Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 14.10.2014). Das [X.] ([X.]) hat den Beklagten zur Zahlung von bezifferten Leistungen für einige, im Einzelnen aufgeführte Monate der [X.], 2014, 2015, 2016 verurteilt und die Berufung des [X.] im Übrigen zurückgewiesen (Urteil vom 26.9.2016).

3

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde an das [X.] ([X.]). Der Vorsitzende hat nach Eingang eines vom Amtsgericht (AG) [X.] zu den medizinischen Voraussetzungen einer Betreuung eingeholten psychiatrischen Gutachtens Rechtsanwältin [X.] als besondere Vertreterin für den Kläger bestellt (Beschluss vom 1.9.2017; zugestellt am 7.9.2017). Diese macht geltend, das [X.] habe nicht beachtet, dass der Kläger [X.] sei.

4

II. [X.] ist zulässig. Sie genügt hinsichtlich des geltend gemachten Verfahrensfehlers den Bezeichnungserfordernissen des § 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 [X.] Sozialgerichtsgesetz ([X.]). [X.] ist auch begründet. Die angefochtene Entscheidung beruht auf einem [X.], weil das [X.] zu Unrecht von einer Prozessfähigkeit des [X.] ausgegangen ist und er deshalb nicht wirksam vertreten war (§ 202 [X.] iVm § 547 [X.] Zivilprozessordnung ); hierin liegt ein absoluter Revisionsgrund, bei dem unterstellt wird, dass das Urteil des [X.] auf ihm beruht. Der Senat macht deshalb von seiner Möglichkeit Gebrauch, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen (vgl § 160a Abs 5 [X.]).

5

Der Kläger ist und war im gesamten Verfahren [X.]. Ihm ist eine sachgerechte Prozessführung nicht möglich. [X.] ist eine Person, die sich nicht durch Verträge verpflichten kann (vgl § 71 Abs 1 [X.]), also ua eine solche, die nicht geschäftsfähig iS des § 104 Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ist, weil sie sich in einem nicht nur vorübergehenden, die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet (vgl § 104 [X.]) und deshalb nicht in der Lage ist, ihre Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen (dazu etwa Lange in [X.], 8. Aufl 2017, § 104 RdNr 12 ff mwN). Dabei können bestimmte Krankheitsbilder auch zu einer sog partiellen (Geschäfts- und) [X.]keit führen, bei der sich die [X.]keit auf einen gegenständlich begrenzten Lebensbereich beschränkt (stRspr seit BGHZ 18, 184, 186 f; 30, 112, 117 f). Soweit eine solche partielle [X.]keit anzunehmen ist, erstreckt sie sich auf den gesamten Prozess ([X.] SozR 3-1500 § 160a [X.]2 S 65). Eine [X.]keit zumindest bezogen auf die Führung von Verwaltungs- und Gerichtsverfahren liegt und lag nach dem Ergebnis der Ermittlungen zur Überzeugung des Senats vor; ob die Geschäftsfähigkeit des [X.] in weiteren Bereichen aufgehoben ist, wovon die vom AG [X.] bestellten Sachverständigen ausgehen, kann offenbleiben.

6

Nach den Feststellungen des Psychiaters und früheren Leiters der Abteilung für Forensische Psychiatrie an der Psychiatrischen Klinik und Poliklinik der [X.] M. Prof. Dr. N. N. sowie des Dr. med. Dipl.-Psych. [X.] in dem vom AG [X.] in Auftrag gegebenen neuropsychiatrischen Gutachten (vom 25.4.2017) besteht beim Kläger eine anhaltende wahnhafte Störung ([X.] [X.]), wobei differentialdiagnostisch eine organisch wahnhafte Störung ([X.] F09) in Betracht zu ziehen sei. Nach den Ausführungen der Sachverständigen zeigen sich auf Grundlage der Akten und der Exploration deutliche Hinweise auf das Vorliegen von inhaltlichen Denkstörungen in Form von Beeinträchtigungs- und Verfolgungserleben, die seit mehreren Jahren bestehen und sich zunehmend verfestigen. Krankheitsbedingt sei eine Einengung auf die inhaltlichen Denkstörungen zu erkennen; daneben ergäben sich auf Grundlage einer Testuntersuchung ("[X.]") Hinweise auf eine Beeinträchtigung der Konzentrationsfähigkeit und der Gedächtnisfähigkeit und damit auf eine neurodegenerative Erkrankung.

7

Auf Grundlage dieser nachvollziehbar erhobenen Befunde haben die Sachverständigen im Einzelnen überzeugend ausgeführt, dass wegen der bestehenden [X.] eine mangelnde Wahrnehmung der Realität vorliegt und sich ausreichende Hinweise dafür ergeben haben, dass der Kläger nicht in der Lage ist, seinen Willen in den Bereichen, die vom Wahn betroffen sind, frei zu bestimmen und entsprechend seiner Einsicht zu handeln. Die Symptomatik besteht danach schon langfristig. Dem Schluss der Sachverständigen, die Fähigkeit, eigene Angelegenheiten vor Gericht zu vertreten, sei durchgehend massiv eingeschränkt und eingeschränkt gewesen, folgt der Senat nach eigener Prüfung uneingeschränkt. Die Einschätzung der auf dem Gebiet der forensischen Psychiatrie und damit bei der Beurteilung von Schuld- und Prozessfähigkeit erfahrenen Sachverständigen wird durch das Verhalten des [X.] im Verlauf des Prozesses bestätigt. Die von den Sachverständigen beschriebenen Defizite sind in den Schreiben des [X.] erkennbar; insbesondere hat der Kläger selbst in verschiedenen Schriftsätzen an das [X.] das vorliegende Verfahren mit den verschiedenen Anschuldigungen an seine Nachbarn verknüpft, die nach den Feststellungen der Sachverständigen Ausdruck seiner wahnhaften Störung sind. Zur Überzeugung des Senats ist damit von Klageerhebung an von (zumindest partieller) [X.]keit auszugehen; ein Fall der Unterbrechung nach § 202 [X.] iVm § 241 ZPO liegt deshalb nicht vor.

8

Das [X.] wird ggf auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 8 SO 92/16 B

01.03.2018

Bundessozialgericht 8. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SO

vorgehend SG Augsburg, 14. Oktober 2014, Az: S 15 SO 36/14, Urteil

§ 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 71 Abs 1 SGG, § 202 S 1 SGG, § 547 Nr 4 ZPO, § 104 Nr 2 BGB

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 01.03.2018, Az. B 8 SO 92/16 B (REWIS RS 2018, 13070)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 13070

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