Bundessozialgericht, Beschluss vom 28.11.2019, Az. B 8 SO 56/17 B

8. Senat | REWIS RS 2019, 1020

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Prozessunfähigkeit eines Beteiligten - Sachverständigengutachten - Verwertbarkeit - Beweiserhebungsverbot hinsichtlich der Gesprächsinhalte - Verwertbarkeit des übrigen Gutachtens - vorherige Einwilligung - nachträglicher Widerruf


Tenor

Auf die Beschwerde des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 7. Juni 2017 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Im Streit ist die Übernahme von beim Stromversorger bestehenden Schulden in Höhe von 1054,80 Euro.

2

Der 1967 geborene Kläger bezieht laufende Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - ([[[X.].].]). Seinen Antrag auf Übernahme von beim Stromversorger bestehenden Schulden lehnte der Beklagte ab (Bescheid vom 13.2.2013; Widerspruchsbescheid vom 10.12.2013). Das Sozialgericht ([[[X.].].]) Gotha hat die Klage hiergegen abgewiesen, weil die Voraussetzungen des § 36 [[[X.].].] nicht erfüllt seien; das [[[X.].].] ([[[X.].].]) hat die Berufung zurückgewiesen (Gerichtsbescheid des [[[X.].].] vom 26.4.2016; Urteil des [[[X.].].] vom 7.7.2017).

3

Mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht der Kläger geltend, das [[[X.].].] habe nicht beachtet, dass er geschäftsunfähig und damit prozessunfähig sei. Er hat in seine medizinische Begutachtung zur Klärung seiner Prozessfähigkeit in einem zeitgleich geführten Parallelverfahren ([[X.].] [[[X.].].] 55/17 B) eingewilligt (Schreiben vom 10.1.2019). Nach der ambulanten Untersuchung durch den gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. med. B. hat er einer Wiedergabe der Angaben aus dem dabei geführten Gespräch widersprochen (Schreiben vom [[[X.].].]) und sich schließlich nach Erstellung und Übermittlung des Gutachtens an das Gericht (am [[[X.].].]) gegen dessen Verwertung insgesamt gewandt (Schreiben vom [[[X.].].]).

4

II. [[[X.].].] ist zulässig. Sie genügt hinsichtlich des geltend gemachten Verfahrensfehlers den Bezeichnungserfordernissen des § 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 [[[X.].].] Sozialgerichtsgesetz ([[[X.].].]G). [[[X.].].] ist auch begründet. Die angefochtene Entscheidung beruht auf einem [[[X.].].], weil das [[[X.].].] zu Unrecht von einer Prozessfähigkeit des [[[X.].].] ausgegangen ist und er deshalb nicht wirksam vertreten war (§ 202 [[[X.].].]G iVm § 547 [[[X.].].] Zivilprozessordnung ); hierin liegt ein absoluter Revisionsgrund, bei dem unterstellt wird, dass das Urteil des [[[X.].].] auf ihm beruht. Der Senat macht deshalb von seiner Möglichkeit Gebrauch, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [[[X.].].] zurückzuverweisen (vgl § 160a Abs 5 [[[X.].].]G).

5

Die [[[X.].].]keit des [[[X.].].] stellt kein Verfahrenshindernis für die vorliegende Beschwerde dar. Ein Rechtsmittel, mit dem sich ein Beteiligter auf seine [[[X.].].]keit beruft, ist zunächst ohne Rücksicht auf eine möglicherweise bestehende [[[X.].].]keit zulässig; entsprechend ist auch die zur Einlegung des Rechtsmittels erteilte [[[X.].].] wirksam. Die Prozessfähigkeit ist grundsätzlich solange zu unterstellen, bis darüber rechtskräftig entschieden ist (vgl nur [[[X.].].] vom 3.7.2003 - B 7 [[[X.].].] 216/02 B - B[[[X.].].]E 91, 146 = [[[X.].].]-1500 § 72 [[[X.].].], RdNr 6). Der Senat musste dem Kläger für das weitere Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde auch keinen besonderen Vertreter (vgl § 72 [[[X.].].]G) bestellen ("kann"), nachdem er zur Überzeugung gelangt ist, dass eine (partielle) [[[X.].].]keit vorliegt (dazu sogleich). Im vorliegenden Verfahren war dem Anliegen, dass der [[[X.].].]e im Verfahren durch einen Prozessfähigen handeln kann, jedenfalls dadurch Rechnung getragen, dass er durch seinen Prozessbevollmächtigten vertreten und der Rechtsstreit wegen eines von ihm gerügten [[[X.].].] ohnehin an das Berufungsgericht zurückzuverweisen war (vgl zuletzt B[[[X.].].] vom 20.4.2016 - [[X.].] [[[X.].].] 57/14 B - juris RdNr 6 mwN).

6

Der Kläger ist und war im gesamten Verfahren (partiell) prozessunfähig. Ihm ist eine sachgerechte Prozessführung nicht möglich. [[[X.].].] ist eine Person, die sich nicht durch Verträge verpflichten kann (vgl § 71 Abs 1 [[[X.].].]G), also ua eine solche, die nicht geschäftsfähig iS des § 104 Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) ist, weil sie sich in einem nicht nur vorübergehenden, die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet (vgl § 104 [[[X.].].]) und deshalb nicht in der Lage ist, ihre Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen (vgl dazu etwa Lange in [[[X.].].], 8. Aufl 2017, § 104 Rd[[[X.].].]2 ff mwN). Dabei können bestimmte Krankheitsbilder auch zu einer sog partiellen (Geschäfts- und) [[[X.].].]keit führen, die sich auf einen gegenständlich begrenzten Lebensbereich beschränkt (stRspr seit [[[X.].].] <[[[X.].].]> vom [[[X.].].] - [[[X.].].]Z 18, 184, 186 f; [[[X.].].] vom 13.5.1959 - [[[X.].].]/58 - [[[X.].].]Z 30, 112, 117 f). Soweit eine solche partielle [[[X.].].]keit anzunehmen ist, erstreckt sie sich auf den gesamten Prozess (vgl nur B[[[X.].].] vom 15.11.2000 - B 13 RJ 53/00 B - [[[X.].].] 3-1500 § 160a [[[X.].].]2 S 65). Eine [[[X.].].]keit zumindest bezogen auf die Führung von Verwaltungs- und Gerichtsverfahren liegt und lag nach dem Ergebnis der Ermittlungen zur Überzeugung des Senats vor.

7

Nach den Feststellungen des Facharztes für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin Dr. med. B. in seinem vom Senat im Parallelrechtsstreit in Auftrag gegebenen Sachverständigengutachten (vom [[[X.].].]) besteht beim Kläger auf psychiatrisch-psychosomatischem Fachgebiet ua eine anhaltende wahnhafte Störung mit Querulanz-Syndrom ([[[X.].].]) sowie der Verdacht auf eine erworbene Störung der kognitiven Leistung (visuell-räumliche Einschränkungen; [[[X.].].]). Im Ergebnis der ambulanten Untersuchung und unter Berücksichtigung der vorliegenden Befunde sowie der durchgeführten Testdiagnostik sind nach Auffassung des Sachverständigen die psychosozialen Voraussetzungen zu einer freien Willensbildung beim Kläger dauerhaft nicht mehr gegeben.

8

Zur Begründung seiner Diagnosestellung und der daraus folgenden Einschränkungen der freien Willensbildung hat der Sachverständige im Einzelnen ausgeführt, dass eine psychosenahe wahnhafte Erkrankung des [[[X.].].] eine Umsetzung persönlicher Wertvorstellungen verhindere. Es liege zwar keine paranoide Psychose (gekennzeichnet durch desorientiertes Denken und Verhalten) vor, aber ein anhaltender Wahn von der Wertigkeit einer Psychose. Es handele sich dabei nicht (lediglich) um eine Störung der Realitätswahrnehmung, sondern es bestehe eine stark emotional beladene und vom Betroffenen intensiv verteidigte Überzeugung, die trotz gegenteiliger Evidenz nicht verändert werden könne. Die Motivation des [[[X.].].] - als Voraussetzung der Willensbildung - sei so verändert, dass sie den Zugang zu gesellschaftlichen Wertvorstellungen oder einem Wertgefüge verstelle, was sich auch auf die kognitiven und affektiven Entscheidungsprozesse auswirke. Letztlich liege bei ihm - bereits während des gesamten Berufungs- und Klageverfahrens - ein therapieresistenter, überdauernder und schwerer Zustand einer "krankhaften Störung der Geistestätigkeit" vor. Er sei deshalb aufgrund seiner Erkrankung nicht in der Lage, seine Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen und sich von ihnen leiten zu lassen.

9

Dem Schluss des Sachverständigen, dass aufgrund der vorliegenden Erkrankung beim Kläger eine Einschränkung der freien Willensbildung und somit der prozessualen Geschäftsfähigkeit vorliegt, folgt der Senat nach eigener Prüfung uneingeschränkt. Dabei hat der Senat zwar Teile des Gutachtens nicht selbst überprüft, weil er diejenigen Passagen vor seiner Entscheidung unkenntlich gemacht und folglich auch nicht verwertet hat, die den Inhalt des zwischen dem Kläger und dem Sachverständigen geführten Gesprächs wiedergeben haben (dazu sogleich). Die Kernaussagen des Gutachtens waren gleichwohl vollumfänglich nachvollziehbar. Insbesondere im Verhalten des [[[X.].].] gegenüber dem Gericht wird das vom Sachverständigen beschriebene Krankheitsbild erkennbar. So hat er sich mit Schreiben vom [[[X.].].] und 26.8.2019 gegen die Verwertung des Gutachtens insgesamt gewandt, ohne dass für diesen Wunsch nach dem Hinweis des Senats, die [[[X.].].] würden entsprechend seiner Erklärung vom [[[X.].].] nicht verwertet werden, ein nachvollziehbarer Grund erkennbar geworden ist und obwohl das Gutachten das von ihm ursprünglich erhoffte Ergebnis gezeigt hat (vgl dazu sein Einwilligungsschreiben vom 10.1.2019). Dieses Verhalten widerspricht einer vernünftigen Prozessführung und macht die vom Sachverständigen beschriebene "Dysfunktionalität des Agierens" des [[[X.].].] deutlich. Die Einschätzung des Sachverständigen wird zudem durch die Einschätzung des behandelnden Facharztes für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie S. bestätigt ([[[X.].].]). Das im Verfahren beigezogene, vom [[[X.].].] beauftragte Sachverständigengutachten des Facharztes für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie Dr. med. M. vom 15.12.2018 führt zu keiner abweichenden Beurteilung. Der Sachverständige Dr. M. geht zwar von Prozessfähigkeit aus. Das Gutachten ist aber - entgegen dem Auftrag - nur nach Aktenlage erstellt worden. Die Schlussfolgerung des Gutachtens, "in der Regel" ließen sich bei Personen mit Persönlichkeitsstörungen keine zivilrechtlichen Folgen ableiten, lässt erkennen, dass für eine abschließende Würdigung die Aktenlage nicht ausreichend war, wie dies der Sachverständige [[[X.].].] auch ausgeführt hat.

Das Gutachten von [[[X.].].] darf der Senat entgegen der Ansicht des [[[X.].].] - wie im Parallelrechtsstreit - auch im vorliegenden Rechtsstreit verwerten, soweit es keine Inhalte aus dem zwischen ihm und dem Sachverständigen geführten Gespräch wiedergibt. In Bezug auf die Inhalte des Gesprächs lag allerdings ein Beweiserhebungsverbot vor. Erhält ein Sachverständiger Kenntnis von Tatsachen, deren Mitteilung nicht für die Beantwortung der Fragestellung im Rahmen seines [[[X.].].] erforderlich ist, darf er diese dem Gericht nur übermitteln, wenn der Betroffene zuvor eingewilligt bzw den Sachverständigen von der ärztlichen Schweigepflicht entbunden hat (vgl [[[X.].].] vom 28.10.1992 - 3 StR 367/92 - [[[X.].].]St 38, 369, 370 f; [[X.].] in [[[X.].].]/Helfrich/[[[X.].].], Betrieblicher Datenschutz, 3. Aufl 2019, Teil [[X.].], [[X.].] Rd[[[X.].].]7; [[X.].], [[[X.].].]b 2010, 501, 506; [[X.].] in [[X.].]/[[[X.].].], Strafgesetzbuch , 30. Aufl 2019, § 203 Rd[[[X.].].]6). Der Kläger hat der Wiedergabe von [[X.].] anlässlich der ambulanten Untersuchung am [[X.].] aber vor Erstellung des Gutachtens ausdrücklich widersprochen (Schreiben an den Sachverständigen vom [[[X.].].]). Zwar führt nicht jeder Verstoß gegen ein Beweiserhebungs- zu einem Beweisverwertungsverbot, vielmehr sind ausgehend von der verletzten Rechtsnorm die Folgen des jeweiligen Verstoßes zu beurteilen und eine Abwägung der für und gegen die Beweisverwertung sprechenden Gesichtspunkte vorzunehmen (vgl [[X.].] <[[X.].]> vom [[X.].] - 2 BvR 2225/08 - [[X.].]K 16, 22, 27 ff; B[[[X.].].] vom 16.5.2012 - B 3 KR 14/11 R - B[[[X.].].]E 111, 58 = [[[X.].].]-2500 § 109 [[X.].], Rd[[[X.].].]0 mwN). Die Verwertung der ohne Einwilligung übersandten Gesprächsinhalte würde hier aber einen Eingriff in das Recht am gesprochenen Wort als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des [[[X.].].] aus Art 2 Abs 1 iVm Art 1 Abs 1 Grundgesetz ([X.]) bedeuten (vgl nur [[X.].] vom 9.10 2002 - 1 BvR 1611/96 ua - [[X.].]E 106, 28, 44), der insbesondere nicht durch § 103 [[[X.].].]G und § 118 [[[X.].].]G iVm §§ 402 ff ZPO gerechtfertigt ist, weil die eingehende Wiedergabe von [[X.].] für eine nachvollziehbare Beantwortung der Fragen im Rahmen des gutachterlichen Auftrages nicht erforderlich war.

Im Übrigen ist das Gutachten jedoch verwertbar. Die Beweiserhebung gestützt auf § 118 [[[X.].].]G iVm §§ 402 ff ZPO war rechtmäßig; die Einholung des Gutachtens im Verfahren [[X.].] [[[X.].].] 55/17 B mit dem Ziel seiner Verwertung auch im vorliegenden Verfahren war dem Kläger wie auch seinem Bevollmächtigten bekannt (vgl auch Schreiben des [[X.].]). Der Kläger hat vor Einholung des Gutachtens zur Klärung der [[[X.].].]keit in die Untersuchung und Auswertung der Ergebnisse im Verfahren ausdrücklich eingewilligt (zu diesem Erfordernis nur [[X.].] vom [[X.].] - 1 BvR 92/70 ua - [[X.].]E 37, 67, 79). Einer (ausdrücklichen) Erklärung zur Entbindung des Sachverständigen von der ärztlichen Schweigepflicht bedurfte es daneben nicht. Soweit ein Sachverständiger ein Gutachten mit Angaben übersendet, die sich im Rahmen des erteilten [[X.].] bewegen, liegt mit § 118 [[[X.].].]G iVm §§ 402 ff ZPO eine ausreichende gesetzliche Befugnis iS von Art 6 Abs 1 Satz 1 Buchst c der Verordnung ([[X.].]) 2016/679 des [[X.].] und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/[[X.].] ([[X.].] ; vom 27.4.2016, ABl [[X.].] 2016 L 119) iVm § 3 [[X.].] (; vom 30.6.2017 - [[X.].] 2097) für eine Datenübermittlung an das Gericht vor (vgl [[X.].] in [[[X.].].]/Helfrich/[[[X.].].], Betrieblicher Datenschutz, 3. Aufl 2019, Teil [[X.].], [[X.].] Rd[[[X.].].]6 f; [[X.].]/Giesberts-Kaminski, [[[X.].].]b 2018, 530, 534; zum Datenschutzrecht im Übrigen bereits [[[X.].].] vom 28.10.1992 - 3 StR 367/92 - [[[X.].].]St 38, 369, 370 f; [[[X.].].] vom 14.11.1963 - [X.] - [[[X.].].]Z 40, 288, 294 ff; [X.] in Laufs[[[X.].].]/[X.], Handbuch des [X.], 5. Aufl 2019, § 145 Rd[[[X.].].]7; [[X.].] in [[X.].]/[[[X.].].], StGB, 30. Aufl 2019, § 203 Rd[[[X.].].]6; [X.] in [[[X.].].]/[X.], jurisPK-[[[X.].].]G, 1. Aufl 2017, § 107 Rd[[[X.].].]9; [[[X.].].] in [X.]/[[[X.].].]/[X.]/[[[X.].].], [[[X.].].]G, 12. Aufl 2017, § 118 Rd[[[X.].].]1e; [[X.].], [[[X.].].]b 2010, 501, 506; Kaltenstein, [X.] 2001, 60).

Ein rechtmäßig in den Prozess eingeführtes Gutachten bleibt grundsätzlich auch dann verwertbar, wenn der Verwertung später - hier mit Schriftsätzen vom [[[X.].].] und 26.8.2019 - widersprochen wird (vgl [[[X.].].] Rheinland-Pfalz vom 11.3.2014 - L 3 SB 229/12 - juris Rd[[[X.].].]6; Oberlandesgericht München vom 16.5.2013 - 1 U 4156/12 - juris Rd[[[X.].].]9; [X.] in [[[X.].].]/[X.], jurisPK-[[[X.].].]G, 1. Aufl 2017, § 107 Rd[[[X.].].]9; [[X.].]/Giesberts-Kaminski, [[[X.].].]b 2018, 530, 534 zur Vereinbarkeit mit der D[[[X.].].]VO). Beweise dürfen nur deshalb erhoben werden, damit sie im weiteren Verfahren Verwendung finden; der Zulassung der Beweiserhebung ist die spätere Verwertung immanent (vgl [[[X.].].] vom 18.1.2011 - 1 StR 663/10 - [[[X.].].]St 56, 138 RdNr 20 ff). Da der Kläger in die Untersuchung und damit die Übermittlung der Daten an das Gericht eingewilligt hat und mit der Erklärung vom [[[X.].].], es dürften im Gutachten keine Gesprächsinhalte wiedergegeben werden, der Erstellung des Gutachtens im Übrigen aber ausdrücklich zugestimmt hat, stellt die spätere Beweisverwertung durch den Senat insbesondere keinen Eingriff in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht dar (vgl [[X.].] vom 9.10.2002 - 1 BvR 1611/96 ua - [[X.].]E 106, 28, 44; [X.], [[[X.].].], 35, 36; [[[X.].].] in Maunz/[X.], [X.], Stand März 2019, Art 2 Abs 1 RdNr 228; [X.], NJW 1989, 857, 860; [X.], [X.] der [X.], 10. Aufl 2017, Rd[[[X.].].]626 f; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 15. Aufl 2018, Art 2 RdNr 54). Auch mit Art 6 Abs 1 Satz 1 Buchst c D[[[X.].].]VO ist die Verwertung bei vorheriger Einwilligung vereinbar (vgl hierzu [[X.].]/Giesberts-Kaminski, [[[X.].].]b 2018, 530, 534).

Die Verwertung des Gutachtens ist auch im Übrigen unter Berücksichtigung der schutzwürdigen Belange des [[[X.].].] verhältnismäßig. Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit sind verpflichtet, die Prozessfähigkeit von Amts wegen zu klären und im Hinblick hierauf die materielle Wahrheit möglichst vollständig zu erforschen; dabei sind sie zur Aufrechterhaltung einer funktionierenden Rechtspflege gehalten, vorliegende Beweise auch zu berücksichtigen (vgl §§ 103, 128 Abs 1 Satz 1 [[[X.].].]G). Die Nichtverwertung vorliegender Beweise ist daher eine begründungsbedürftige Ausnahme (vgl zum Zivilprozess: [[[X.].].] vom 15.5.2018 - VI ZR 233/17 - [[[X.].].]Z 218, 348 RdNr 29; zum Strafprozess: [[X.].] vom 7.12.2011 - 2 BvR 2500/09, 2 BvR 1857/10 - [[X.].]E 130, 1, 26 ff). Solche Gründe ergeben sich bei Beweiserhebung durch Sachverständigengutachten insbesondere bei Vorliegen eines Ablehnungsgrundes (vgl § 118 Abs 1 Satz 1 [[[X.].].]G iVm § 406 Abs 1 bis 4 ZPO), der im Fall seiner erfolgreichen Geltendmachung ein vollständiges Verwertungsverbot nach sich zieht. Ein nicht an Gründe von entsprechendem Gewicht geknüpfter Widerruf einer wirksam erteilten Einwilligung gäbe den Beteiligten aber die uneingeschränkte Möglichkeit, die Berücksichtigung unliebsamer Gutachten zu verhindern (vgl [X.] in [[[X.].].]/[X.], jurisPK-[[[X.].].]G, 1. Aufl 2017, § 107 Rd[[[X.].].]9; [[X.].]/Giesberts-Kaminski, [[[X.].].]b 2018, 530, 534).

Das [[[X.].].] wird ggf auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 8 SO 56/17 B

28.11.2019

Bundessozialgericht 8. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SO

vorgehend SG Gotha, 26. April 2016, Az: S 14 SO 100/14, Gerichtsbescheid

§ 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 71 Abs 1 SGG, § 103 S 1 SGG, § 118 Abs 1 S 1 SGG, § 202 S 1 SGG, § 402 ZPO, §§ 402ff ZPO, § 547 Nr 4 ZPO, § 104 Nr 2 BGB, Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 6 Abs 1 UAbs 1 Buchst c EUV 2016/679

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 28.11.2019, Az. B 8 SO 56/17 B (REWIS RS 2019, 1020)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 1020

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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2 BvR 1857/10

VI ZR 233/17

1 StR 663/10

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