Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.12.2015, Az. I ZR 275/14

1. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 442

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Gegenstand

Anerkennung ausländischer Urteile: Anerkennungsfähigkeit einer ausländischen Schadensersatzforderung wegen Nichtabführung von Steuern


Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 18. Zivilsenats des [X.] vom 6. Februar 2014 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Der Streitwert wird auf 330.000 € festgesetzt.

Gründe

1

I. Die Klägerin wendet sich im Wege der [X.] gegen die Vollstreckung aus einem Beschluss, mit dem das [X.] gemäß §§ 9, 14 Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz ([X.]) die Vollstreckungsklausel für ein Urteil des [X.] (Amts- und [X.]) erteilt hat.

2

Im Verfahren vor dem [X.] begehrte die Klägerin erfolglos die Ungültigerklärung eines Schiedsspruchs des [X.], demzufolge die Klägerin an den Beklagten 2,35 Mio. US-Dollar zu zahlen hat. Nach dem Urteil des [X.] hat die Klägerin dem Beklagten die Verfahrenskosten in Höhe von 1.641.692 SEK und weiteren 132.483 € sowie 7.415 US-Dollar zu erstatten.

3

Dem Schiedsspruch des [X.], der vom [X.] für vorläufig vollstreckbar erklärt worden ist ([X.] 2001, 146), liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

4

Die Polizeibehörde der [X.] und die vom Beklagten geführte S.      [X.] mit Sitz in [X.] hatten im Jahr 1991 die [X.], eine Aktiengesellschaft [X.] Rechts, gegründet. Unternehmensgegenstand waren der Handel mit technischen Geräten, insbesondere Polizeiausrüstungen, sowie Sicherheits- und Bewachungsdienstleistungen. Die Polizeibehörde brachte vereinbarungsgemäß eine Liegenschaft in das Gesellschaftsvermögen ein. Die im vorliegenden Verfahren klagende [X.] beschlagnahmte diese Liegenschaft im Jahr 1996. Daraufhin nahm der Beklagte die Klägerin vor dem Schiedsgericht auf eine Entschädigung wegen Enteignung nach dem Vertrag zwischen der [X.] und der [X.] über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen vom 13. Juni 1989 in Anspruch.

5

Gegen die Vollstreckung aus dem Urteil des [X.] wendet die Klägerin - soweit für das vorliegende Verfahren noch von Bedeutung - die Aufrechnung mit einer vom Bezirksgericht [X.] im Juni 2006 rechtskräftig titulierten Schadensersatzforderung wegen Nichtabführung von Steuern in Höhe von 65.612.140 US-Dollar ein.

6

Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Gegen die Nichtzulassung der Revision in Bezug auf die Aufrechnung wendet sich die Klägerin mit der Nichtzulassungsbeschwerde.

7

II. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, es fehle hinsichtlich der [X.] an der internationalen Zuständigkeit [X.] Gerichte. Die [X.] sei zwar zivilrechtlich eingekleidet, betreffe aber in der Sache hoheitliche Steuerforderungen. Ausweislich der Urteilsgründe des Bezirksgerichts [X.] habe einer hoheitlichen Verfolgung dieser Ansprüche lediglich ein Fristablauf entgegengestanden. Grundlage der Forderung sei jedenfalls eine Norm des Steuerrechts, nämlich Art. 6 der Vorschrift des staatlichen Steueramtes der [X.] vom 14. Mai 1993, Nr. 20 "Über die Besteuerung des Einkommens und der Gewinne ausländischer juristischer Personen". Dass die Forderung rechtskräftig festgestellt sei, spiele keine Rolle. Zwar komme es bei einer rechtskräftig festgestellten Gegenforderung an sich auf die internationale Zuständigkeit nicht an. Dies sei aber an[X.], wenn die Forderung im Inland nicht gemäß § 328 ZPO anerkennungsfähig sei. So liege der Fall hier, weil es sich um eine öffentlich-rechtliche Forderung handele.

8

III. [X.] hat keinen Erfolg. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, die auf die Verletzung von Verfahrensgrundrechten gestützten [X.] greifen nicht durch und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern auch im Übrigen keine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

9

1. Ohne Erfolg macht die Nichtzulassungsbeschwerde den Zulassungsgrund der Grundsatzbedeutung im Hinblick auf die Frage geltend, welche Rechtsordnung für die Qualifikation der Rechtsnatur der ausländischen [X.] maßgeblich ist.

a) [X.] ist der Auffassung, dass die Frage, welches Recht für die Qualifikation heranzuziehen sei, grundsätzliche Bedeutung habe. Der [X.] habe in seiner Entscheidung zur Anerkennung einer [X.] Verurteilung zu "punitive damages" diese Frage offen gelassen ([X.], Urteil vom 4. Juni 1992 - [X.], [X.]Z 118, 312); sie sei auch seither nicht geklärt worden. Zwar habe der [X.] später ausgeführt, die Frage, ob Ansprüche eines ausländischen Staats als öffentlich-rechtlich zu beurteilen seien, bestimme sich nach inländischem Recht ([X.], Beschluss vom 4. Oktober 2005 - [X.], [X.], 2274); in jenem Fall habe sich der Anspruch aber aus internationalen Verträgen ergeben. In einer weiteren Entscheidung des [X.]s sei der öffentlich-rechtliche Charakter der Forderungen unstreitig gewesen ([X.], Beschluss vom 25. November 2010 - [X.], [X.], 78). Vorliegend sei richtigerweise für die Qualifikation auf das [X.] Recht abzustellen; dies führe zu einer zivilrechtlichen Einordnung der zur Aufrechnung gestellten Forderung.

b) Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung liegt nicht vor.

Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus Bedeutung für die Allgemeinheit hat ([X.], Beschluss vom 19. Juli 2007 - 1 BvR 650/03, NJW-RR 2008, 26, 29; [X.], Beschluss vom 1. Oktober 2002 - [X.], [X.]Z 152, 182, 190; Beschluss vom 11. Mai 2004 - [X.], [X.]Z 159, 135, 137).

Die von der Nichtzulassungsbeschwerde aufgeworfene Frage ist nicht klärungsbedürftig. In der Rechtsprechung wird heutzutage - soweit ersichtlich - einhellig die - auch vom Berufungsgericht vertretene - Auffassung vertreten, dass bei Anwendbarkeit des § 328 ZPO - also bei Nichtbestehen völkerrechtlicher Verträge über die Anerkennung und Vollstreckung - für die Qualifikation einer ausländischen Forderung ausschließlich die lex fori des diese Beurteilung vornehmenden Gerichts maßgeblich ist ([X.], Beschluss vom 4. Oktober 2005 - [X.], [X.], 2274; BSG, Urteil vom 26. Januar 1983 - 1 S 2/82, [X.], 250 = [X.] 1983, 349, 354; [X.], [X.] 1994, 513). Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass über die Frage, ob eine ausländische Forderung im Inland durchsetzbar ist, allein das inländische Recht zu entscheiden hat ([X.], Handbuch des Internationalen Zivilverfahrensrechts, [X.] Rn. 500; [X.], Die Durchsetzung öffentlich-rechtlicher Forderungen ausländischer [X.] durch [X.] Gerichte, S. 37 f.). Soweit der [X.] in der von der Nichtzulassungsbeschwerde zitierten "[X.] ([X.]Z 118, 312, 336) die Bestimmung der für die Qualifikation maßgeblichen Rechtsordnung offen gelassen hat, ist dem keine Abweichung von der vorgenannten Rechtsprechungslinie zu entnehmen und ergibt sich auch kein Klärungsbedarf.

Nur in Bezug auf Staatsverträge zieht die Rechtsprechung zur Qualifikation die Rechtsordnung des [X.] heran, um auf diese Weise die möglichst wirksame Anwendung der Staatsverträge sicherzustellen, indem ausgeschlossen wird, dass Urteils- und Vollstreckungsstaat vertragliche Begriffe unterschiedlich auslegen (so zum Übereinkommen der [X.] über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 [X.], Beschluss vom 26. November 1975 - [X.], [X.]Z 65, 292, 298; Beschluss vom 10. Oktober 1977 - [X.], NJW 1978, 1113; [X.] aaO Rn. 500 [bei [X.]. 1522]). Diese Rechtsprechung steht aber der Qualifikation einer ausländischen Forderung nach der lex fori im staatsvertragsfreien Bereich nicht entgegen. Gleiches gilt für die autonome Qualifikation des Begriffs der Zivil- und Handelssache im Bereich der unionsrechtlichen Zuständigkeitsordnung (s. nur [X.], NJW 1977, 489, 490 - Eurocontrol).

In der Literatur ist die Auffassung, dass im staatsvertragsfreien Bereich die lex fori für die Qualifikation maßgeblich sei, ganz vorherrschend ([X.]/[X.], ZPO, 31. Aufl., § 328 Rn. 80; MünchKomm.ZPO/[X.], 4. Aufl., § 328 Rn. 57; [X.]/[X.], Internationales Verfahrensrecht in Ehesachen, 14. Aufl. Rn. 185; [X.] aaO Rn. 500; [X.], Internationales Zivilverfahrensrecht, 6. Aufl., Rn. 909; [X.] aaO S. 37; Vischer, [X.] 1991, 209, 211; vgl. auch [X.], Inländische Gerichtsbarkeit und internationale Zuständigkeit für Aufrechnung und Widerklage, 1985, [X.]). Vereinzelt wird vertreten, es müsse eine Doppelqualifikation vorgenommen werden; danach kann eine [X.] nur angenommen werden, wenn sowohl nach dem Urteilsstaat als auch dem [X.] eine solche vorliegt (Schütze, [X.], 2. Aufl. Rn. 17; [X.]. in [X.]/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 328 Rn. 24). Diese Ansicht führt vorliegend zu keinem anderen Ergebnis, weil es danach auch auf die Qualifikation der Gegenforderung nach [X.]m Rechtsverständnis ankommt. Für die Maßgeblichkeit der Rechtsordnung des [X.] hat im Jahr 1950 allein [X.] ([X.] 151 [1950/1951] 268, 272) plädiert.

Angesichts dieses Meinungsbildes in Rechtsprechung und Literatur ist eine Klärungsbedürftigkeit im Sinne der Grundsatzbedeutung nicht gegeben. Es steht praktisch nicht in Frage, dass im - vorliegend im Verhältnis zur [X.] gegebenen - staatsvertragsfreien Bereich das inländische Recht über die Qualifikation entscheidet.

Der Senat teilt im Übrigen die Auffassung des Berufungsgerichts, dass es sich bei der geltend gemachten [X.] um eine steuerrechtliche Forderung, also eine solche des öffentlichen Rechts handelt, deren Anerkennung nach § 328 ZPO nicht in Betracht kommt.

2. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen

3. [X.] beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Büscher                       Schaffert                              Kirchhoff

                   Koch                           Fed[X.]en

Meta

I ZR 275/14

17.12.2015

Bundesgerichtshof 1. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Köln, 6. Februar 2014, Az: 18 U 89/08, Urteil

§ 328 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.12.2015, Az. I ZR 275/14 (REWIS RS 2015, 442)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 442

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

I ZR 275/14

Zitiert

VII ZB 120/09

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