Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.03.2016, Az. V ZR 208/15

V. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 14649

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:110316UVZR208.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL

V ZR
208/15
Verkündet am:

11. März 2016

Rinke

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
[X.] § 242 D, § 1020 Satz 1, § 1093, § 1169
a)

Will der Grundstückseigentümer oder eine diesem nahestehende Person mit dem Berechtigten eines dinglichen Wohnungsrechts nicht mehr auf dem belas-teten Grundstück zusammenleben, weil der Berechtigte an einem von ihnen ein vorsätzliches Tötungsdelikt begangen hat, kann die unveränderte Ausübung des Wohnungsrechts eine unzumutbare Belastung darstellen, die der [X.] bzw. sein Erbe nicht hinnehmen muss.
b)
Folge dessen ist aber regelmäßig nicht die Verpflichtung zur (entschädigungs-losen) Aufgabe des Rechts, sondern die Verpflichtung, es auf Verlangen des Grundstückeigentümers nicht mehr selbst, sondern durch Überlassung an Dritte auszuüben.
[X.], Urteil vom 11. März 2016 -
V [X.] -
OLG [X.]

[X.]

-
2
-

Der V.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 11.
März 2016
durch die Vorsitzende [X.]in Dr.
Stresemann, die [X.]in Prof.
Dr.
Schmidt-Räntsch und die [X.] [X.], [X.] und Dr. Göbel

für Recht erkannt:

Die Revision gegen das
Urteil des 17. Zivilsenats des [X.] vom 14. September 2015 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Beklagte war zusammen mit seinem Bruder Eigentümer eines Haus-grundstücks in L.

. Anfang 1997 übertrug er seinen hälftigen Miteigen-tumsanteil auf den Bruder, behielt sich aber ein dingliches Wohnungsrecht an der Wohnung im Obergeschoss des Anwesens vor. Beides wurde in das Grundbuch eingetragen. Der Beklagte bezog die Wohnung im Obergeschoss, sein Bruder die Wohnung im Untergeschoss des Anwesens, in der er mit seiner geschiedenen Ehefrau wieder zusammenlebte. Im Mai 2012 erstach der [X.] seinen Bruder während eines Streits. Er wurde wegen Totschlags zu [X.] Freiheitsstrafe von 9 Jahren und 9 Monaten verurteilt, die er derzeit ver-büßt. Erbin des Getöteten und damit Eigentümerin des Grundstücks wurde dessen Mutter. Der Beklagte wurde in einem [X.] rechtskräftig für erbunwürdig erklärt. Die frühere Ehefrau des Getöteten wohnt weiterhin auf dem Grundstück.

Die Klägerin, die nicht auf dem Grundstück lebt, verlangt von dem [X.]n die -
bedingungslose -
Zustimmung zur Löschung des Wohnungsrechts. Sie verweist dabei auf die Rechtsprechung des [X.] Obersten Ge-1
2
-
3
-
richtshofs, der die Kündigung eines dinglichen Wohnungsrechts für möglich hält, wenn der [X.] den Grundstückseigentümer ermordet hat.

Die Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit der von dem [X.] zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Lö-schungsantrag weiter. Der Beklagte beantragt, das Rechtsmittel [X.].

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht meint, das wirksam begründete Wohnungsrecht sei nicht erloschen. Der Beklagte könne
von seinem Recht nach der [X.] wieder Gebrauch machen. Rechtliche oder tatsächliche Hindernisse stün-den dem nicht entgegen. Das Recht könne auch nicht nach den Vorschriften über die Kündigung von Mietverhältnissen oder Dauerschuldverhältnissen in §
543
oder
§ 314 [X.] gekündigt werden, weil diese mangels einer Gesetzeslü-cke nicht analog anwendbar seien.
Mit der Begründung des Wohnungsrechts sei ein gesetzliches Schuldverhältnis entstanden, das eine solche Kündigung nicht vorsehe. Diese Regelung sei abschließend. Der Beklagte sei auch nicht auf
Grund von Treu und Glauben gemäß § 242 [X.] zur Aufgabe seines [X.] gezwungen oder verpflichtet. Grundvoraussetzung hierfür sei, dass der Nut-zen
für den Berechtigten als Folge endgültiger Veränderungen in keinem [X.] zum Nachteil für das belastete Grundstück stehe, und darüber hinaus, dass dem nicht durch Inhaltsänderung des Rechts Rechnung getragen werden könne. Diese Voraussetzungen seien hier nicht gegeben. Die grundstücksbe-3
4
-
4
-
zogenen Verhältnisse hätten sich
nicht verändert. Verändert habe sich nur das persönliche Verhältnis des Beklagten zu der Klägerin und zu der früheren Ehe-frau seines getöteten Bruders. Diese Veränderung reiche aber nicht aus, um einen Anspruch auf Aufgabe des Rechts zu begründen. Etwas anderes ergebe sich auch nicht
aus den
Grundsätzen
über den Wegfall der [X.].
Folge des Wegfalls der Geschäftsgrundlage sei nämlich in erster Linie die Anpassung des Wohnungsrechts und dessen
Aufhebung auch nicht ohne einen Ausgleich
in Geld. Die Klägerin könne schließlich
nicht mit Erfolg geltend ma-chen, dass es dem
Beklagten
bei Bestehenbleiben des Wohnungsrechts im Ergebnis möglich sei, für dessen
Aufgabe eine
Geldabfindung zu erzwingen.

II.

Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung im Ergebnis stand.

1. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass das wirksam begründete Wohnungsrecht des Beklagten durch seine Tat und ihre Folgen nicht erloschen ist. Ein dingliches Wohnungsrecht erlischt
zwar nach § 1019
[X.] kraft Gesetzes, wenn es dem Berechtigten auf Dauer keinen Vorteil mehr bietet, etwa weil es aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht mehr aus-geübt werden kann. Daran ändert es nichts, dass § 1090 Abs.
2 [X.] nicht auf diese Vorschrift verweist. Denn der (Fort-)Bestand
eines Vorteils ist [X.] einer beschränkten persönlichen [X.] (dazu Senat, Urteil vom 6.
Februar 2009 -
V [X.], [X.] 2009, 374 Rn.
11
mwN)
und nach § 1093 Abs. 1 [X.] auch
für die wirksame Begrün-dung eines dinglichen Wohnungsrechts. Der Vorteil des Rechts ist hier aber nicht dauernd weggefallen. Der Beklagte ist zwar wegen seiner Strafhaft für 5
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-
5
-
lange Zeit an der Ausübung des Rechts gehindert. Dieses Hindernis ist aber nicht endgültig und wird mit der Entlassung des Beklagten aus der Strafhaft nach Verbüßung der Strafe wieder entfallen. Der Ausübung des Wohnungs-rechts stehen Rechtsgründe auch nicht entgegen. Das greift die Revision nicht an.

2. Zutreffend nimmt das
Berufungsgericht ferner an, dass das [X.] des Beklagten nicht durch eine Kündigung der Klägerin beendet werden konnte. Die Kündigung eines dinglichen Wohnungsrechts kommt im [X.] Recht ebenso wie die Kündigung des seiner Bestellung zugrunde liegenden schuldrechtlichen Vertrags nur in Betracht, wenn das als Inhalt des Rechts ausdrücklich vereinbart ist (vgl. Senat, Urteile
vom 20. September 1974 -
V [X.], NJW 1974, 2123, 2124, vom 13.
November 1998 -
V ZR 29/98, NJW-RR 1999, 376, 377 und vom 27. Juni 2014 -
V [X.], NJW-RR 2014, 1423 Rn. 13; [X.], MittRhNotK 1998, 131; [X.], Das dingliche Wohnrecht im Verhältnis zum Mietrecht, S. 100). Weil es sich weder bei dem dinglichen Recht selbst noch bei dem [X.] um Dauerschuldverhältnisse
handelt, können weder auf den [X.] noch auf das dingliche Recht die Vorschriften über die Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichti-gem Grund in §§ 314 oder 543 [X.] analog angewendet werden
(vgl. Senat, Urteil vom 13.
November 1998 -
V ZR 29/98, NJW-RR
1999, 376, 377).

3. Der Beklagte ist schließlich nicht verpflichtet, sein Wohnungsrecht auf-zugeben.

a) Der Überlassungsvertrag des Beklagten mit seinem Bruder kommt als Grundlage einer solchen Verpflichtung nicht in Betracht. Dieser Vertrag
enthält
lediglich die Verpflichtungen des Beklagten und seines getöteten Bruders, die 7
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-
6
-
vereinbarten Rechtsänderungen -
die Übertragung des Miteigentumsanteils des Beklagten auf den Bruder und die Begründung des dinglichen Wohnungsrechts für den Beklagten
-
herbeizuführen. Er wirkt nicht über die Erfüllung dieser [X.] hinaus. Das Wohnungsrecht findet in der Erfüllung dieses Vertra-ges seinen Rechtsgrund;
dieser ist
durch die Tat des Beklagten nicht verändert worden (vgl. hierzu Senat, Urteile vom 13.
Juli 1966 -
V [X.], [X.], 1088, 1089 und vom 13. November 1998 -
V ZR 29/98, NJW-RR 1999, 376, 377).

b) Auch ein Anspruch auf Aufgabe des Wohnungsrechts nach den Rege-lungen
über die Folgen eines Wegfalls
der Geschäftsgrundlage in § 313 [X.] kommt nicht in Betracht.

[X.]) Die Berücksichtigung eines Fortfalls der Geschäftsgrundlage ist bei einem beiderseits vollständig erfüllten Vertrag normalerweise ausgeschlossen. Bei einem solchen Vertrag hat nämlich nach den vertragstypischen Vorstellun-gen der Parteien jede Partei das Risiko zu tragen, dass sich die ihr jeweils zu-gewandte Leistung nicht wie erwartet
entwickelt (vgl. Senat, Urteile vom
1.
Juni 1979 -
V [X.], [X.]Z 74, 370, 373 und vom 24. November 1995
-
V [X.], [X.]Z 131, 209, 216). Etwas anderes kommt nur in Betracht, wenn der Vertrag ein über die Erfüllung der beiderseitigen Leistungspflichten hinausweisendes Element aufweist ([X.], Urteil vom 15.
November 2000
-
VIII ZR 324/99, [X.], 523, 526). Daran fehlt es hier. Der Überlassungs-vertrag des Beklagten mit seinem Bruder weist zwar als Schenkungsvertrag ein solches Element auf, weil er Tatbestände regelt, bei denen ein Widerruf der Schenkung durch den Beklagten in Betracht kommt. Für das Verhalten des Schenkers selbst, um das es hier geht, sehen die Regelungen über den [X.] und der Überlassungsvertrag des Beklagten mit 10
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7
-
seinem Bruder im Besonderen hingegen keine vergleichbaren Regelungen vor. Vielmehr hat es insoweit mit der Erbringung der versprochenen Leistung sein Bewenden.

bb) Eine Anwendung der Regelungen über den Wegfall der [X.] auf das Wohnungsrecht oder das gesetzliche Begleitschuldverhältnis kommt ebenfalls nicht in Betracht. Grundlage des -
dinglichen -
Vertrags über die Bestellung eines Wohnungsrechts ist die schuldrechtliche Verpflichtung, die ihr zugrunde liegt; nur deren Grundlage kann entfallen. Entsprechendes gilt für das Begleitschuldverhältnis, das mit der Bestellung des Wohnungsrechts kraft Gesetzes entsteht (vgl. Senat, vom 19.
September 2008 -
V [X.], 3703 Rn. 16 f.).

c) Die Klägerin kann von dem Beklagten die Aufgabe seines Wohnungs-rechts auch nicht aufgrund von Treu und Glauben gemäß § 242 [X.] verlan-gen.

[X.]) (1) Ein solcher Anspruch wird teilweise im [X.] an die Recht-sprechung des [X.] und unter den von diesem beschriebenen Vor-aussetzungen für möglich gehalten ([X.], [X.], 603, 604 f.; [X.], [X.] 1976, 401; [X.]/[X.], [X.], 14. Aufl., § 242 Rn.
131; eher ablehnend demgegenüber: [X.]/Olzen/Looschelders, [X.] [2015], §
242 Rn. 933 a.E.; ähnlich MüKo[X.]/[X.], 6. Aufl., § 1018 Rn. 55: nur [X.]). Das [X.] hat einen Anspruch auf Aufgabe einer Dienstbarkeit bei einem Wegerecht angenommen,
wenn sich die bei de-ren
Bestellung zugrundeliegenden Verhältnisse nachträglich endgültig ent-scheidend verändert haben, wenn die dem Berechtigten verbleibenden gerin-gen Vorteile in einem groben Missverhältnis zu den dem Verpflichteten entste-12
13
14
-
8
-
henden Nachteilen stehen und wenn sich diese
durch eine Einschränkung der Wegenutzung nicht beheben lassen
([X.], 180, 183). Unter diesen Um-ständen
liege, so das [X.], ein besonderer Fall der unzulässigen des §
1020 Satz 1 [X.] und in entsprechender Anwendung des Rechtsgedankens des § 1169 n
die Aufgabe seines Rechts zu verlangen. Der Senat ist dem
bislang nicht gefolgt. Er hat vielmehr wiederholt betont, für einen derartigen, auf § 242 [X.] gestützten Löschungs-anspruch könne, wenn überhaupt, nur dann Raum sein, falls erhebliche Nach-teile, welche das dienende Grundstück durch Bestehenbleiben oder Ausübung der betreffenden Dienstbarkeit erleide, in keinem vernünftigen Verhältnis mehr zu einem bloß geringfügigen Nutzen stünden, den sie für den [X.] (Urteile vom 30. März 1965
-
V [X.], [X.], 589, 591, vom 17. März 1967, [X.]/64
-
[X.], 582, 584, vom 7. April 1967
-
V ZR 14/65, [X.], 580, 581, vom 19.
Dezember 1969 -
V [X.], [X.], 193, 195
und vom 13. November 1998 -
V
ZR 29/98, NJW-RR 1999, 376, 377; vgl. auch RGRK/[X.], [X.], 12. Aufl., § 1018 Rn. 37 a.E.).

(2) Eine solche Fallgestaltung liegt hier nicht vor. Das Wohnungsrecht des Beklagten hat den Vorteil, den es ihm bietet, nicht dauerhaft eingebüßt. Der Beklagte kann es zwar während seiner Strafhaft nicht ausüben. Danach aber steht es ihm weiterhin in dem eingeräumten Umfang zur Verfügung. Anders als in dem Fall des [X.] lässt sich eine unzulässige Rechtsausübung deshalb hier nicht daraus ableiten, dass der Vorteil des Berechtigten aus dem dinglichen Recht bis auf einen unbedeutenden
Rest entfallen ist und deshalb jetzt zu den Nachteilen des Verpflichteten in einem groben Missverhältnis steht.

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-
9
-
bb) Allerdings kann, was das Berufungsgericht nicht gesehen hat, die unveränderte Ausübung eines dinglichen Wohnungsrechts
eine unzumutbare Belastung darstellen, die der Grundstückseigentümer bzw. sein Erbe nicht hin-nehmen muss, wenn der Grundstückseigentümer oder eine diesem naheste-hende Person mit dem Berechtigten des Wohnungsrechts nicht mehr auf dem belasteten Grundstück zusammenleben will, weil dieser an einem von ihnen ein vorsätzliches Tötungsdelikt begangen hat.
Folge dessen ist aber regelmäßig nicht die Verpflichtung zur (entschädigungslosen) Aufgabe des Rechts, sondern die Verpflichtung, es auf Verlangen des Grundstückeigentümers nicht mehr selbst, sondern durch Überlassung an Dritte auszuüben.

(1) Der Senat hat zwar entschieden, dass sich die Gründe für einen ge-setzlichen Anspruch auf Aufgabe der Dienstbarkeit nur aus dem dinglichen Verhältnis der Beteiligten ergeben können, wenn zwischen ihnen -
wie hier
-
keine zusätzliche schuldrechtliche Beziehung -
etwa eine Sicherungsabrede aus einem Altenteilsvertrag (vgl. etwa Art. 16 Satz 1 BayAG[X.])
-
besteht (vgl. Urteil vom 27.
Januar 1960 -
V [X.], NJW 1960, 673
f.). Es trifft im Grundsatz auch zu, dass deshalb bei Dienstbarkeiten normalerweise nur die objektiven [X.] zu berücksichtigen sind.

(2) (a) Bei einem dinglichen Wohnungsrecht ist es aber jedenfalls dann anders, wenn der Berechtigte -
wie hier
-
nur Teile des Anwesens bewohnen darf. Das
Wohnungsrecht umfasst dann nämlich nach
§
1093 Abs.
3 [X.] auch die Befugnis, die zum gemeinschaftlichen Gebrauch der Bewohner bestimmten Anlagen und Einrichtungen mitzubenutzen. In Ausformung dieser Regelung sind in der Bewilligung des Wohnungsrechts des Beklagten ausdrücklich ein Zugang zu Hof
und Garten und ein Recht zur Mitbenutzung von Garten und Garage vorgesehen. Dürfte der Berechtigte ein solches Wohnungsrecht auch 17
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-
10
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dann unverändert weiter ausüben, wenn er an dem verpflichteten Grundstücks-eigentümer oder an diesem
nahestehenden Personen ein vorsätzliches [X.] begangen hat, kann das zu einer für die Betroffenen, die auf dem Grundstück leben, unzumutbaren Situation führen. Ihnen würde der Berechtigte nämlich bei der Benutzung der dem gemeinschaftlichen Gebrauch dienenden Teile des Grundstücks im Alltag immer wieder begegnen
und sie allein dadurch stets aufs Neue
an die Tat
erinnern. Wenn die auf dem Grundstück lebenden Betroffenen solche Begegnungen nicht ertragen können oder möchten, muss ein Weg gefunden werden, ihnen diese zu ersparen.

(b) Ob diese tatsächlichen Voraussetzungen hier vorliegen, hat das Be-rufungsgericht -
von seinem Standpunkt aus folgerichtig -
nicht festgestellt. Ihr Vorliegen lässt sich mangels abweichender Feststellungen aber auch nicht ausschließen. Deshalb ist für das Revisionsverfahren zu unterstellen, dass die auf dem Grundstück lebende Schwägerin des Beklagten mit diesem nicht mehr unter einem Dach wohnen möchte.

(3) Der [X.] Oberste Gerichtshof (fortan Oberster Gerichtshof oder [X.]) hat, worauf die Klägerin zutreffend hinweist, in einer vergleichbaren Situation -
es ging um den Mord an dem Grundstückseigentümer -
die Annah-me eines Rechts der Erben zur Kündigung des dinglichen Wohnungsge-brauchsrechts als vertretbar angesehen (Beschluss vom 19. November 2013
-
4 Ob 198/13s, abrufbar über das [X.] Rechtsinformationssystem
-
[X.] -
www.ris.bka.gv.at).

(a) Die
von dem Obersten Gerichtshof für das [X.] [X.]enrecht gewählte technische Lösung -
Kündigung des dinglichen Rechts -
wäre als solche zwar nicht auf das [X.] Dienstbarkeitenrecht übertragbar, 19
20
21
-
11
-
weil es sich von dem [X.] in einem zentralen Punkt unterscheidet. [X.], wodurch nach dem dritten und vierten Hauptstücke des dritten Teils Rechte Diese Verweisung um-fasst nach der Rechtsprechung des Obersten
Gerichtshofs
systematisch auch die -
allerdings an anderer Stelle eingefügten -
Vorschriften über die Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund ([X.], Urteil vom 25.
September 1973 -
3
Ob 127/73, [X.], 618
und Urteil vom 30.
September 1993 -
8 Ob 569/92, [X.] 1994, 20, 21; weitere Einzelheiten bei [X.], [X.]. 1974, 593, 600 f.). Eine vergleichbare Verweisung auf solche Vorschriften nach dem Vorbild des § 524 A[X.] kennt das [X.] [X.]enrecht nicht. Das schließt einen auf §
242
[X.], § 1020 Satz 1 und § 1169
[X.] (analog) gestützten Anspruch auf Aufgabe eines dinglichen Wohnungs-rechts unter daran angelehnten Voraussetzungen aber nicht von vornherein aus.

(b) Der Oberste Gerichtshof, auf dessen Rechtsprechung sich die Kläge-rin inhaltlich stützt, lässt die Kündigung eines dinglichen Wohnungsgebrauchs-rechts nicht aus jedem Grund zu, der zur Kündigung eines [X.] aus wichtigem Grund berechtigt; er stellt bei der Kündigung von [X.] vielmehr höhere Anforderungen ([X.], Beschluss vom 13. März 2002
-
9 Ob 233/01g
und Urteil vom 15. Dezember 2009 -
5 Ob 220/09b, beide ab-rufbar über [X.]
-
www.ris.bka.gv.at). Die Kündigung einer [X.] ist danach nur als äußerstes Notventil (Ausdruck von Gschnitzer, [X.] 76
[= 2.
F.
Bd.
40] S.
317
ff., 350) möglich, um in untragbar gewordenen Situatio-nen Abhilfe zu schaffen ([X.], Urteil vom 30. September 1993 -
8 Ob 569/92, [X.] 1994, 20, 21, Urteil vom 15. Dezember 2009 -
5 Ob 220/09b
und Beschluss vom 19.
November 2013 -
4 Ob 198/13s, sämtlich [auch] abrufbar über das [X.]
22
-
12
-
-
www.ris.bka.gv.at). Zu
berücksichtigen ist bei der dabei vorzunehmenden um-fassenden Abwägung ([X.], Urteil vom 30. September 1993 -
8
Ob 569/92,
[X.] 1994, 20, 21) insbesondere auch, ob es andere zumutbare Wege zur [X.] gibt ([X.], Urteil vom 22. Dezember 1988 -
8 Ob 648/88, [X.] Nr.
281 S. 591 f.).

(4) Ob unter solchen Voraussetzungen im [X.] Dienstbarkeiten-recht ein Anspruch auf Aufgabe eines dinglichen
Wohnungsrechts aus Treu und Glauben zu bejahen wäre, muss hier nicht entschieden werden. Eine Verpflich-tung
des Berechtigten, sein Wohnungsrecht aufzugeben, scheitert regelmäßig
-
und auch hier
-
daran, dass eine den beiderseitigen Interessen gerecht wer-dende
Auflösung der aufgezeigten Konfliktlage im [X.] Dienstbarkeiten-recht auch ohne dieses letzte Mittel möglich ist.

(a) Der aus einer Dienstbarkeit Berechtigte ist mit dem Eigentümer des dienenden Grundstücks nicht nur durch das bloße Bestehen des dinglichen Rechts verbunden. Vielmehr entsteht zwischen ihnen durch die Begründung des dinglichen Rechts
ein gesetzliches (Begleit-)Schuldverhältnis
(Senat, [X.] vom 28. Juni 1985 -
V
ZR 111/84, [X.]Z 95, 144, 146
f., vom 3. Februar 1989 -
V
ZR 224/87, [X.]Z 106, 348, 350, vom 19.
September 2008
-
V
ZR
164/07,
[X.], 3703 Rn.
17 und vom 18.
Dezember 2015

-
V
ZR
269/14, [X.], 233
Rn.
18 f.). Ausdruck dieses gesetzlichen Schuld-verhältnisses ist die in §
1020 Satz
1 [X.] bestimmte Verpflichtung des Berech-tigten, bei der Ausübung der
Dienstbarkeit die Interessen des [X.] tunlichst zu schonen. Dürfen der Eigentümer und der Berechtigte, wie das bei einem auf bestimmte Teile des Anwesens beschränkten [X.] der Fall ist, eine Anlage oder,
wie hier,
ein Haus auf dem Grund-23
24
-
13
-
stück gemeinschaftlich benutzen, hat dieses Schuldverhältnis gemeinschafts-ähnliche Züge.

(b) Das führt dazu, dass sie
bei Uneinigkeit über die Benutzung des An-wesens
analog § 745 Abs. 2
[X.] wechselseitig eine der Beschaffenheit des Anwesens und den eingeräumten Rechten entsprechende ordnungsmäßige Verwaltung und Benutzung verlangen können (Senat, Urteil vom 19.
September 2008
-
V [X.],
[X.], 3703 Rn. 26; [X.], 367, 374).
Die in die-sem Sinne ordnungsmäßige Benutzung eines Hausgrundstücks, an dem ein gegenständlich beschränktes Wohnungsrecht besteht, kann es in Extremsitua-tionen erfordern, dass der [X.] auf Verlangen des [X.]s von der persönlichen Benutzung seines Rechtes Abstand nimmt und die Ausübung des Wohnungsrechts
nach Maßgabe von §
1092 Abs. 1 Satz 2 [X.] einem Dritten überlässt. Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn der Inhaber des Wohnungsrechts den früheren Eigentümer getötet hat, diesem nahe stehende Personen weiterhin auch auf dem Grundstück leben und es nicht ertragen können oder wollen, dem Berechtigten im Alltag immer wieder zu begegnen und dadurch an dessen Verbrechen erinnert zu werden. Die
gebote-ne schonende
Ausübung auch eines Wohnungsrechts lässt sich in einer sol-chen Extremsituation nur durch einen Rückzug des Berechtigten von der per-sönlichen Ausübung des Wohnungsrechts auf der einen und die Zustimmung des Grundstückseigentümers zu der Überlassung der Ausübung des [X.]s an einen Dritten auf der anderen Seite erreichen.

(c) Eine solche Regelung ist rechtlich möglich. Zwar dürfte der [X.] ohne eine entsprechende Vereinbarung mit dem
Grundstückseigentümer nach §
1092 Abs.
1 Satz 2 [X.] den Gebrauch des [X.] nicht überlassen. In der Bewilligung des Wohnungs-25
26
-
14
-
rechts
für den Beklagten ist das ausdrücklich so festgelegt. Der [X.] kann aber einer entsprechenden Überlassung
des Wohnungsrechts auch nach dessen
Bestellung und abweichend von der ursprünglichen [X.] zustimmen und sie damit ermöglichen (Senat, Urteil vom 19.
Januar 2007 -
V
ZR 163/06, [X.], 1884 Rn. 20; [X.]/[X.], [X.] [2009], §
1092 Rn. 5).

(d) Der Klägerin ist zuzumuten, den drohenden Konflikt auf diesem Weg aufzulösen.

([X.]) Sie selbst könnte
ihren Anspruch auf eine Beschränkung der Aus-übung des Wohnungsrechts durch Überlassung des Gebrauchs an einen [X.] gegen den Beklagten unmittelbar mit dem Unterlassungsanspruch nach §
1004 Abs. 1 [X.] durchsetzen. Sie wäre nicht gezwungen, den Beklagten
zunächst auf Abschluss einer entsprechenden Benutzungsvereinbarung in [X.] zu nehmen (vgl. Senat, Urteil vom 19. September 2008 -
V [X.], [X.], 3703 Rn. 26).

(bb) Dieser Weg der Auflösung des Konflikts wahrt auch die trotz des begangenen Verbrechens bestehenden schützenswerten
Interessen des [X.]n. Das Wohnungsrecht ist ihm nämlich nicht schenkweise eingeräumt worden. Vielmehr hat er dem Bruder 1997 seinen Miteigentumsanteil an dem bis dahin gemeinschaftlichen Grundstück geschenkt und sich dabei das [X.] vorbehalten. Dieses hatte damit nicht nur dienende Funktion; es ist ein eigenständiger Vermögenswert, der ihm, worauf das Berufungsgericht zu Recht hingewiesen hat, als strafrechtliche Nebenfolge seiner Tat nicht entzogen worden ist und auch nicht entzogen werden konnte. Dem entspricht es, ihm das Wohnungsrecht nicht auf zivilrechtlichem Wege zu entziehen, wenn -
wie hier -
27
28
29
-
15
-
eine zumutbare Alternative zur Auflösung des Konflikts ohne eine solche Maß-nahme besteht.

([X.]) Es muss deshalb nicht entschieden werden, ob die Aufgabe eines dinglichen Wohnungsrechts, das sich der [X.] in einem unentgeltlichen Überlassungsvertrag vorbehalten hat, auch ohne eine Entschädigung verlangt werden könnte. Das ist, wie ein Blick auf die Vorschriften des Landesrechts über den Altenteilsvertrag
zeigt, zweifelhaft. Denn danach verpflichtet die Teil-kündigung des schuldrechtlichen Wohnrechts auf Veranlassung des [X.] zu einer Geldrente, ohne dass dabei nach dem Gewicht der Kündigungs-gründe unterschieden würde (vgl. etwa Art. 19 BayAG[X.], § 16 AG[X.] BW, Art. 15 §
9 AG[X.] [X.], § 15 AG[X.] RP; ähnlich auch das [X.] Übergabsvertragsrecht: [X.], Urteil vom 22. Dezember 1988 -
8 Ob 648/88,
[X.] Nr. 281 S. 592
und
Beschluss
vom 19. März 2003 -
7 Ob 287/02 k, ab-rufbar über das [X.] -
www.ris.bka.gv.at).

III.

1. Der Senat hat in der Sache selbst zu entscheiden, weil die Sache nach dem
festgestellten
Sachverhältnis zur Endentscheidung reif ist
und der geltend gemachte Anspruch auf Aufgabe des Wohnungsrechts danach nicht besteht (§ 563 Abs.
3 ZPO).

2. Entgegen der von ihrem Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vertreten Ansicht ist von der an sich gebotenen Endentscheidung nicht abzusehen, um der Klägerin durch Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht Gelegenheit zu
geben, ihre Klage zu än-30
31
32
-
16
-
dern und (hilfsweise) die Verurteilung des Beklagten zu beantragen, von [X.] Wohnungsrecht nicht persönlich Gebrauch zu machen und den Gebrauch des Wohnungsrechts einem
Dritten zu überlassen.

a) Das Revisionsgericht muss die Sache zwar an das Berufungsgericht zurückverweisen, wenn das Berufungsgericht bei zutreffender rechtlicher Sicht den Parteien einen Hinweis nach § 139 ZPO hätte erteilen müssen, um sie zu einem ergänzenden Vortrag zu veranlassen. In einem solchen Fall ist den [X.] auf diesem Weg die Einführung neuen Vorbringens in den Rechtsstreit zu ermöglichen (Senat, Urteile
vom 28. Juni 1968 -
V ZR 22/65, [X.], 1109, 1110, vom 17. März 1995 -
V [X.], [X.]Z 129, 112, 122, vom 23. Januar 2015 -
V [X.], juris Rn. 23 und vom 4.
Dezember 2015 -
V [X.], [X.], 597
Rn. 35). Anders als die Klägerin meint, hat das Berufungsge-richt hier aber weder einen gebotenen Hinweis unterlassen noch versäumt, auf die Stellung sachdienlicher Anträge hinzuwirken.

b) [X.]) Auf die Stellung zusätzlicher Anträge -
hier des Antrags auf Verur-teilung, den persönlichen Gebrauch des Wohnungsrechts zu unterlassen -
darf der [X.] nach § 139 Abs. 1 ZPO nur hinweisen oder hinwirken, wenn solche Anträge in dem streitigen Vortrag der Parteien bereits zumindest [X.] eine Grundlage haben (Senat, Beschluss vom 2.
Oktober
2003
-
V
ZB 22/03, [X.]Z 156, 269, 272; [X.], Urteil vom 25.
September 1952
-
IV
ZR 22/52, [X.]Z 7, 208, 211
f. mit Negativbeispiel und Urteil vom
30.
April 1984 -
II ZR 293/83, [X.]Z 91, 132, 134
mit Positivbeispiel;
MüKo-ZPO/Wagner, 4. Aufl., § 139 Rn. 42). Daran fehlt es hier.

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34
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17
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bb) Die Klägerin hat von Anfang an die Ansicht vertreten, der Beklagte habe durch sein Verbrechen sein dingliches Wohnungsrecht verwirkt und die-ses
Recht
entschädigungslos aufzugeben. Sie hat dem entsprechend von [X.] an allein die Verurteilung des Beklagten beantragt, der Löschung seines Rechts zuzustimmen. Ihrem Vortrag -
auch noch demjenigen
zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung vor dem Senat -
ist nicht andeutungsweise zu entnehmen, dass es ihr im [X.] oder wenigstens auch darum gehen könnte, der Schwägerin des Beklagten -
gegebenenfalls auch auf einem anderem Weg -
Begegnungen mit dem Beklagten als demjenigen zu ersparen, der ihren [X.] getötet hat. Sie hat die Erwägungen in dieser Richtung, die das [X.] in seinem Urteil angestellt hat, weder inhaltlich aufgegriffen noch zum Anlass genommen, einen Hilfsantrag mit dem jetzt angedeuteten Antrags-ziel zu
stellen. Sie ist vielmehr auch nach einem Hinweis des Berufungsgerichts auf seine Zweifel an der Erfolgsaussicht der Berufung uneingeschränkt bei ih-rem bisherigen Standpunkt und dem bisherigen Antrag geblieben. Nichts deute-te
darauf hin, dass sie statt der angestrebten entschädigungslosen Löschung des Rechts auch eine Beschränkung seiner Ausübung akzeptieren oder auch nur in Betracht ziehen könnte.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Stresemann [X.]Czub

Kazele Göbel

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 06.05.2015 -
2 O 1823/14 -

OLG [X.], Entscheidung vom 14.09.2015 -
17 U 851/15 -

36

Meta

V ZR 208/15

11.03.2016

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.03.2016, Az. V ZR 208/15 (REWIS RS 2016, 14649)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 14649

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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V ZR 208/15

V ZR 51/13

V ZR 142/14

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