Bundesgerichtshof, Versäumnisurteil vom 17.05.2011, Az. VI ZR 142/10

6. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 6598

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Gegenstand

Schadensersatz bei Kfz-Unfall: Mängel der Schätzgrundlage für die Bemessung der Mietwagenkosten


Leitsatz

Zur Schätzung von Mietwagenkosten auf der Grundlage von Listen und Tabellen, wenn mit konkreten Tatsachen aufgezeigt wird, dass geltend gemachte Mängel der Schätzungsgrundlage sich auf den zu entscheidenden Fall in erheblichem Umfang auswirken .

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der 1. Zivilkammer des [X.] vom 11. Mai 2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin macht restliche Mietwagenkosten gegen den beklagten Haftpflichtversicherer geltend.

2

Am 29. September 2008 wurde bei einem Verkehrsunfall das Fahrzeug der Klägerin beschädigt und musste repariert werden. Die volle Haftung des Unfallgegners ist außer Streit. Die Anmietung des [X.] erfolgte am 6. Oktober 2008 für sieben Tage. Die Beklagte zahlte auf die vom Vermieter des [X.] in Rechnung gestellten 1.841,01 € vorgerichtlich einen Betrag von 554 €. Um den Differenzbetrag streiten die Parteien.

3

Das Amtsgericht hat unter Klageabweisung im Übrigen der Klägerin einen weiteren Betrag in Höhe von 843 € zuerkannt. Auf die Berufung der Klägerin hat das [X.] das Urteil des Amtsgerichts abgeändert und unter Klageabweisung im Übrigen die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 764 € nebst Zinsen zu zahlen. Es hat die Revision zugelassen, mit der die Beklagte die Abweisung der Klage erstrebt.

Entscheidungsgründe

I.

4

Das Berufungsgericht führt aus, die Klägerin habe Anspruch auf Erstattung der objektiv erforderlichen Mietwagenkosten. Erforderlich sei jedenfalls der dem Selbstzahler auf dem in seiner Lage zeitlich und örtlich relevanten Markt normalerweise angebotene Tarif, der unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten gebildet werde, mithin der sogenannte Normaltarif. Der Normaltarif sei im Streitfall auf der Grundlage des gewichteten Mittels für das örtliche Postleitzahlengebiet der [X.] 2007 zu schätzen. Bei den von der Beklagten gegen die Liste vorgebrachten Bedenken handle es sich um allgemein gehaltene Angriffe. Konkrete Tatsachen, die gegen die Verwendung des [X.] sprächen, seien nicht dargetan. Auch sei der sogenannten [X.] nicht der Vorzug zu geben. Deren Datengrundlage sei geringer als bei der [X.]. Hinsichtlich der örtlichen Feindifferenzierung nach [X.] sei sie außerdem für den einschlägigen ostbayerischen Raum ungenauer. Für die [X.] von sieben Tagen sei der [X.] der [X.] in Höhe von 1.178 € maßgebend. Eine weitere Eigenersparnis sei nicht zu berücksichtigen, da sich die Klägerin mit einem Fahrzeug einer niedrigeren Fahrzeugklasse begnügt habe. Die Kosten für einen zweiten Fahrer seien erstattungsfähig, weil der Ehemann der Klägerin das Fahrzeug mitbenutzt habe. Dem unter Beweis gestellten Vortrag der Beklagten müsse nicht nachgegangen werden. Die Frage, ob der Klägerin eine Anmietung zu einem günstigeren Tarif möglich gewesen wäre, stelle sich erst im Rahmen des § 254 BGB, wenn sich die Mietwagenkosten nicht mehr im Rahmen des [X.] hielten. Dies sei nicht der Fall.

II.

5

1. Über die Revision war, da die Klägerin im Revisionstermin trotz rechtzeitiger Ladung nicht vertreten war, auf Antrag der Beklagten durch Versäumnisurteil zu entscheiden. Das Urteil ist jedoch keine Folge der Säumnis, sondern beruht auf einer Sachprüfung (vgl. [X.], Urteil vom 4. April 1962 - [X.], [X.]Z 37, 79, 81 und Urteil vom 4. Oktober 1995 - [X.], NJW-RR 1996, 113).

6

2. Das angefochtene Urteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

7

a) Allerdings ist die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters. Sie ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter erhebliches Vorbringen der Parteien unberücksichtigt gelassen, Rechtsgrundsätze der [X.] verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat (vgl. Senatsurteile vom 10. Juli 1984 - [X.], [X.]Z 92, 85, 86 f.; vom 8. Dezember 1987 - [X.], [X.]Z 102, 322, 330; vom 23. November 2004 - [X.], [X.]Z 161, 151, 154; vom 9. Dezember 2008 - [X.], [X.], 408 Rn. 12; vom 9. Juni 2009 - [X.]/08, [X.], 1092 Rn. 10; vom 18. Mai 2010 - [X.], [X.], 1054 Rn. 3; vom 22. Februar 2011 - [X.], [X.], 643 Rn. 6 und vom 12. April 2011 - [X.], z.[X.].). Die Art der [X.] gibt § 287 ZPO nicht vor. Die Schadenshöhe darf lediglich nicht auf der Grundlage falscher oder offenbar unsachlicher Erwägungen festgesetzt werden. Ferner dürfen wesentliche die Entscheidung bedingende Tatsachen nicht außer Betracht bleiben. Auch darf das Gericht in für die Streitentscheidung zentralen Fragen nicht auf nach Sachlage unerlässliche fachliche Erkenntnisse verzichten. Gleichwohl können in geeigneten Fällen Listen oder Tabellen bei der Schadensschätzung Verwendung finden (vgl. Senatsurteile vom 11. März 2008 - [X.], [X.], 699 Rn. 9; vom 14. Oktober 2008 - [X.], [X.], 1706 Rn. 22; vom 18. Mai 2010 - [X.], aaO Rn. 4; vom 22. Februar 2011 - [X.], aaO Rn. 7 und vom 12. April 2011 - [X.], z.[X.].). Demgemäß hat der erkennende Senat vielfach ausgesprochen, dass der Tatrichter in Ausübung des Ermessens nach § 287 ZPO den "Normaltarif" grundsätzlich auch auf der Grundlage des "Schwacke-[X.]" im maßgebenden Postleitzahlengebiet (ggf. mit sachverständiger Beratung) ermitteln kann (st. Rspr. vgl. etwa Senatsurteile vom 18. Mai 2010 - [X.], aaO Rn. 4 und zuletzt vom 12. April 2011 - [X.], z.[X.].). Grundsätzlich ist weder die Schätzung auf der Grundlage des "Schwacke-[X.] 2006" noch des "Schwacke-[X.] 2007" als rechtsfehlerhaft zu erachten (vgl. zum [X.] 2006: Senatsurteile vom 11. März 2008 - [X.], aaO Rn. 8; vom 19. Januar 2010 - [X.], [X.], 494 Rn. 6; vom 2. Februar 2010 - [X.], [X.], 545 Rn. 26 und - [X.], [X.], 683 Rn. 9). Auch eine Schätzung auf der Grundlage anderer Listen oder Tabellen, wie etwa der sogenannten [X.] (vgl. dazu ausführlich Senatsurteil vom 12. April 2011 - [X.] mwN, z.[X.].), ist nicht von vornherein grundsätzlich rechtsfehlerhaft. Die Listen dienen dem Tatrichter nur als Grundlage für seine Schätzung nach § 287 ZPO. Er kann im Rahmen seines Ermessens unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles von diesen - etwa durch Abschläge oder Zuschläge auf den sich aus ihnen ergebenden Normaltarif - abweichen.

8

Die Eignung von Listen oder Tabellen, die bei der Schadensschätzung Verwendung finden können, bedarf allerdings dann, aber auch nur dann, der Klärung, wenn mit konkreten Tatsachen aufgezeigt wird, dass geltend gemachte Mängel der [X.] sich auf den zu entscheidenden Fall in erheblichem Umfang auswirken (st. Rspr. des Senats vgl. etwa Senatsurteil vom 11. März 2008 - [X.], aaO; vom 14. Oktober 2008 - [X.], aaO; vom 19. Januar 2010 - [X.], aaO; vom 18. Mai 2010 - [X.], aaO Rn. 4 und zuletzt vom 12. April 2011 - [X.], z.[X.].).

9

b) Im Ansatz geht das Berufungsgericht von diesen Grundsätzen bei seiner Schadensschätzung auf der Grundlage des Schwacke-[X.] 2007 aus. Doch macht die Revision mit Recht geltend, dass die Beklagte konkrete Mängel dieses [X.] aufgezeigt und unter Beweis gestellten umfassenden Sachvortrag dazu gehalten habe, dass die Klägerin ein vergleichbares Fahrzeug für sieben Tage inklusive sämtlicher Kilometer und Vollkaskoversicherung zu konkret benannten, wesentlich günstigeren Preisen bestimmter anderer Mietwagenunternehmen hätte anmieten können. Die Beklagte hat unter Benennung von drei konkreten Mietpreisangeboten dargelegt, dass der angebotene Normaltarif in dem der Klägerin örtlich zugänglichen Bereich zwischen 282,99 € und 312,01 € für sieben Tage liege. Dieser Tarif stimme überein mit dem örtlichen Normaltarif für die entsprechende Fahrzeugklasse nach der sogenannten [X.]. Er sei nicht nur deutlich niedriger als der von der hier eingeschalteten Mietwagenfirma in Rechnung gestellte Preis von 1.429,40 € netto, sondern auch erheblich günstiger als der Normaltarif von 1.178 € nach dem Modus der [X.] 2007. Es handle sich bei den aufgezeigten Angeboten um den ortsüblichen Normaltarif für Selbstzahler im maßgebenden [X.] und nicht um kurzfristige Sonderangebote oder Schnäppchenpreise. Zum Beweis dafür hat die Beklagte die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt. Damit hat die Beklagte hinreichend deutlich gemacht, dass der zur Schadensbehebung erforderliche maßgebende Normaltarif deutlich günstiger sei als der, zu dem die Klägerin das Fahrzeug angemietet hat, und der sich nach dem Modus der [X.] 2007 ergibt.

Mit diesem konkreten Sachvortrag der Beklagten gegen die Tauglichkeit des Modus der [X.] 2007 als [X.] im Streitfall hätte sich das Berufungsgericht näher befassen müssen. Dadurch, dass es dies unterlassen hat, hat es den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör verletzt und die Grenzen seines tatrichterlichen Ermessens im Rahmen des § 287 ZPO überschritten.

c) Erfolglos bemängelt die Revision allerdings, dass das Berufungsgericht Nebenkosten für einen zusätzlichen Fahrer berücksichtigt hat. Auf der Grundlage der Aussage des vom Berufungsgericht gehörten Zeugen H. begegnet die [X.] insoweit keinen rechtlichen Bedenken.

3. Das Urteil des [X.] war mithin aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

[X.]                                          Zoll                                         Wellner

                   Diederichsen                                 von [X.]

Meta

VI ZR 142/10

17.05.2011

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Versäumnisurteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Deggendorf, 11. Mai 2010, Az: 13 S 117/09, Urteil

§ 287 ZPO, § 249 Abs 2 S 1 BGB, § 254 Abs 2 S 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Versäumnisurteil vom 17.05.2011, Az. VI ZR 142/10 (REWIS RS 2011, 6598)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 6598

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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