Bundessozialgericht, Beschluss vom 19.10.2011, Az. B 13 R 135/11 B

13. Senat | REWIS RS 2011, 2176

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz - ohne hinreichende Begründung unterlassene Beweiserhebung - Erwerbsminderungsrente - berufskundliches Sachverständigengutachten - Zurückverweisung


Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 28. Januar 2011 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Rente wegen Erwerbsminderung.

2

Die im Jahre 1962 geborene Klägerin erkrankte im Jahre 2003 an einem Ovarial-Karzinom. Nach einer Anschlussheilbehandlung Ende 2003 mit den weiteren Diagnosen eines psychovegetativen Erschöpfungssyndroms und einer Adipositas war die Klägerin unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen in der Lage, leichte Tätigkeiten für mindestens sechs Stunden arbeitstäglich zu verrichten (Rehabilitationsbericht vom 15.10.2003).

3

Der im Februar 2004 gestellte Rentenantrag blieb nach Einholung weiterer medizinischer Gutachten (gynäkologisches Gutachten Dr. D. vom 22.10.2004; orthopädisches Gutachten [X.] vom 14.3.2005 und neurologisches Gutachten Dr. S. vom [X.]) erfolglos (Bescheid vom 5.11.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.]). Das [X.] hat die Klage nach Aufklärung des medizinischen Sachverhalts (Beiziehung des im Schwerbehindertenverfahren eingeholten neurologisch-psychiatrischen Gutachtens [X.] vom 29.6.2006; nervenärztliches Gutachten Dr. M. vom [X.] mit ergänzender Stellungnahme vom [X.]; neurologisches Gutachten <§ 109 SGG> Prof. Dr. M. vom [X.] mit ergänzender Stellungnahme vom [X.]; internistisch-kardiologisches Gutachten [X.] vom 3.8.2008 mit ergänzender Stellungnahme vom [X.]) abgewiesen (Urteil vom [X.]). Demnach sei die Klägerin weder voll noch teilweise erwerbsgemindert; auch ihre rentenrechtliche [X.] sei noch erhalten.

4

Das [X.] hat die Berufung nach weiterer Aufklärung des medizinischen Sachverhalts (ua orthopädisch-chirurgisches Gutachten Dr. [X.] vom [X.] mit ergänzender Stellungnahme vom [X.] und Beiziehung des im Schwerbehindertenverfahren eingeholten orthopädischen Gutachtens Prof. Dr. S. vom [X.]) zurückgewiesen (Urteil vom [X.]). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin sei weder voll oder teilweise erwerbsgemindert 43 Abs 1 und 2 [X.]) noch erfülle sie die persönlichen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen einer teilweisen Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 [X.]). Unter Berücksichtigung der umfangreichen medizinischen Ermittlungen habe sie zwar ein qualitativ eingeschränktes, aber immer noch vollschichtiges berufliches Leistungsvermögen für körperlich leichte bis sogar gelegentlich mittelschwere Arbeiten. Auch fehle es an einer "schweren spezifischen Leistungseinschränkung" bzw einer "Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen" iS der Rechtsprechung des [X.]. Der [X.] folge der Leistungsbeurteilung der gerichtlichen Sachverständigen Dr. [X.] Die im Schwerbehindertenverfahren eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten stünden dem nicht entgegen. Der [X.] habe sich nicht gedrängt sehen müssen, ein "Obergutachten" zur weiteren Sachverhaltsermittlung einzuholen, da ein fachübergreifendes Gutachten der Sachverständigen Dr. . bereits vorliege. Der [X.] habe ausschließen können, dass sich die festgestellten Leistungsbeurteilungen aus Sicht der jeweiligen medizinischen Fachgebiete überschnitten bzw sogar potenzierten (Hinweis auf [X.] vom 10.12.2003 - [X.] [X.] 24/03 R - [X.] 4-1500 § 128 [X.] und [X.] vom [X.] - [X.] R 48/08 B - Juris). Ebenso wenig habe er sich gedrängt gefühlt, weitere medizinische Sachverhaltsermittlungen aufgrund der ärztlichen Entlassungsberichte der [X.] (zuletzt vom [X.]) durchzuführen, weil die bekannte Befundlage lediglich bestätigt worden sei.

5

Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde rügt die Klägerin die Verletzung von § 136 Abs 1 [X.] SGG. Das [X.] habe sein Urteil nicht hinreichend begründet. Insbesondere fehlten genaue Feststellungen zu den Gesundheitsstörungen der Klägerin. Der wesentliche Streitpunkt der [X.] sei nicht ansatzweise erwähnt worden. Ferner rügt sie die Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG), weil das [X.] ihren hilfsweise gestellten Beweisanträgen ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt sei.

6

1. Soweit die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde die fehlende Einholung eines Gutachtens zur medizinischen Gesamteinschätzung rügt, ist die Nichtzulassungsbeschwerde zulässig, aber unbegründet.

7

Soweit die Klägerin geltend macht, das [X.] hätte dem in der mündlichen Verhandlung gestellten hilfsweisen Beweisantrag,

        

"1) zur fachübergreifenden zusammenfassenden Gesamteinschätzung ihrer quantitativen und qualitativen Leistungsfähigkeit unter Berücksichtigung der auf orthopädischem, internistischem, [X.] und psychiatrischem Gebiet in dem Rechtsstreit erstellten Gutachten von Frau Dr. med. ., Dr. med. [X.], Dr. med. M. und Prof. Dr. M., und ihren dort festgestellten Defiziten in körperlicher und seelischer Hinsicht, deren wechselseitige Verstärkung und Potenzierung und der differierenden Beurteilung der qualitativen Leistungsbeeinträchtigungen ein neurologisches Gutachten gemäß §§ 103, 106 SGG - unter Übernahme der alleinigen fachlichen Verantwortung - hilfsweise eine ergänzende gutachterliche Stellungnahme von dem Neurologen und Psychiater Prof. Dr. M. gemäß § 109 SGG, einzuholen"

nachgehen müssen, liegt der behauptete Verfahrensfehler nicht vor. Das [X.] hat die beantragte Beweiserhebung zu Recht abgelehnt; zu weiteren Ermittlungen musste es sich nicht gedrängt fühlen (vgl [X.] [X.] 1500 § 160 [X.]). Daher kann dahingestellt bleiben, ob ein prozessordnungsgemäßer Beweisantrag (vgl § 118 Abs 1 SGG iVm §§ 402, 403 ZPO) vorlag.

8

Das [X.] durfte mit der von ihm gegebenen Begründung die Einholung eines neurologischen Gutachtens zur fachübergreifenden, zusammenfassenden Gesamteinschätzung der quantitativen und qualitativen Leistungsfähigkeit unter Berücksichtigung der auf orthopädischem, internistischem, [X.] und psychiatrischem Gebiet bereits eingeholten Gutachten ablehnen.

9

Nach der Rechtsprechung des [X.] besteht allenfalls dann eine Pflicht, einen Gutachter mit der fachübergreifenden zusammenfassenden Einschätzung der quantitativen und qualitativen Leistungsfähigkeit zu beauftragen, falls nicht auszuschließen ist, dass sich die festgestellten Leistungseinschränkungen aus der Sicht der jeweiligen Fachgebiete überschneiden und ggf potenzieren können (vgl [X.] [X.] 4-1500 § 128 [X.] RdNr 22; [X.] vom [X.] - [X.] R 48/08 B - Juris Rd[X.]). Einen solchen Grenzfall hat das [X.] aber mit zutreffender Begründung ausgeschlossen, weil sich aus der Zusammenschau aller Gutachten keine Anhaltspunkte für eine Potenzierung oder Überschneidung der festgestellten Leistungseinschränkungen ergaben. Dies berücksichtigt die Klägerin nicht hinreichend.

Auch wenn das [X.] die gerichtliche Sachverständige Dr. [X.] in seiner Beweisanordnung nicht ausdrücklich mit der Erstellung eines fachübergreifenden medizinischen Gutachtens beauftragt hatte, so hat die Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie in ihrem Gutachten vom [X.] nebst ergänzender Stellungnahme vom [X.] sämtliche in diesem Rechtsstreit eingeholten und beigezogenen Sachverständigengutachten einer Prüfung und Beurteilung unterzogen und die jeweiligen Ergebnisse wertend ihrer eigenen Leistungsbeurteilung gegenübergestellt. Zudem hat sie die aktuellen Untersuchungsbefunde aus der [X.] Berlin (vom [X.] und [X.]) ausgewertet und eine weitere Begutachtung für nicht erforderlich gehalten.

Wie das [X.] zutreffend festgestellt hat, sind die Sachverständigen Dr. M., Prof. Dr. M., [X.] und Dr. [X.] übereinstimmend zu dem Ergebnis gekommen, dass die Klägerin noch in der Lage ist, unter Berücksichtigung von qualitativen Leistungseinschränkungen arbeitstäglich mindestens sechs Stunden einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen. Bei der Beurteilung ihres Leistungsvermögens auf orthopädisch-chirurgischem, [X.], gynäkologischem und internistischem Fachgebiet ergaben sich weder widersprüchliche Leistungseinschätzungen noch Anhaltspunkte für Überschneidungen bzw Wechselwirkungen, die eine Potenzierung in der Einschränkung des Leistungsvermögens zur Folge hätten haben können. Hierauf hat die Sachverständige Dr. [X.] in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom [X.] überzeugend hingewiesen.

Das [X.] musste auch nicht der beantragten neurologischen Begutachtung zur Gesamtbeurteilung der [X.] der Klägerin nachgehen. Es lagen keine Anhaltspunkte für eine widersprüchliche Einschätzung der [X.] seitens der Sachverständigen vor. Insbesondere der von der Klägerin beauftragte Gutachter Prof. Dr. M. hat - worauf das [X.] zutreffend hingewiesen hat - seine Einschätzung der Gehfähigkeit korrigiert, nachdem er unter Auswertung des auf seinen Vorschlag eingeholten internistisch-kardiologischen Gutachtens von [X.] konstatierte, dass "auf [X.] Gebiet [X.]" bestand (ergänzende Stellungnahme vom [X.]). Die Sachverständige Dr. [X.] hat diese Einschätzung unter Berücksichtigung der von ihr bestätigten neurologischen Gangstörung (spastische Paraparese der Beine) geteilt. Ferner bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass Dr. [X.] als Fachärztin für Orthopädie und Unfallchirurgie das Gehvermögen der Klägerin aufgrund eigener Sachkompetenz nicht einzuschätzen vermochte. Die Beurteilung der ausreichenden [X.] hat sie schließlich anhand der ausgeprägten Beinmuskulatur und der signifikanten Fußbeschwielung geschlussfolgert; Befunde, die bei mangelnder Gehfähigkeit nicht vorgelegen hätten. Zusammenfassend hat das [X.] herausgestellt, dass keine Diskrepanzen in der Beurteilung des Leistungsvermögens seitens der Sachverständigen vorlagen, allenfalls zwischen den von der Klägerin subjektiv geschilderten Leistungseinschränkungen und dem medizinisch objektivierten Leistungsvermögen.

Soweit die Klägerin meint, das [X.] hätte erneut eine ergänzende gutachterliche Stellungnahme von Prof. Dr. M. gemäß § 109 SGG einholen müssen, kann diese Rüge der Nichtzulassungsbeschwerde von vornherein nicht zum Erfolg verhelfen. Gemäß § 160 Abs 2 [X.] Halbs 2 SGG kann ein Verfahrensfehler nicht auf die Verletzung von § 109 SGG (Anhörung eines bestimmten Arztes) gestützt werden. Der Ausschluss einer Rüge der fehlerhaften Anwendung von § 109 SGG im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde gilt umfassend und unabhängig davon, worauf der Verfahrensmangel im Einzelnen beruht ([X.] [X.] 1500 § 160 [X.]4 S 31; [X.] vom 21.4.1995 - 2 BU 35/95 - Juris RdNr 7; [X.] vom 15.12.2005 - [X.] V 14/05 B - Juris Rd[X.]; [X.] [X.] 4-1500 § 160 [X.] RdNr 4; [X.]sbeschluss vom [X.] R 585/09 B - Juris Rd[X.]; ebenso [X.] vom 12.4.1989 - [X.] 1500 § 160 [X.]9 S 76).

2. Soweit die Klägerin mit ihrem weiteren, hilfsweise gestellten Beweisantrag Ermittlungen in berufskundlicher Sicht beantragt hat, ist die Beschwerde zulässig und begründet. Der gerügte [X.] liegt vor.

Die Klägerin hat die Verletzung von § 103 SGG hinreichend bezeichnet; die Rüge trifft auch zu. Das [X.] ist dem von der Klägerin in der mündlichen Berufungsverhandlung gestellten Beweisantrag zu Unrecht nicht gefolgt. Die Klägerin hat beantragt,

        

"2) zu ihrer betrieblichen Einsetzbarkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, insbesondere für Tätigkeiten wie Packen, Sortieren, Montieren, im Hinblick auf die Vielzahl, Besonderheiten und Schwere der krankheitsbedingten qualitativen Leistungsbeschränkungen, die die Sachverständigen Dr. [X.], [X.], Dr. M. und Prof. Dr. M. in ihren Gutachten in körperlicher und psychomentaler Hinsicht festgestellt haben, ein berufskundliches Sachverständigengutachten einzuholen."

Hierbei handelt es sich um einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag, der den Beweisgegenstand bzw das Beweisthema ausreichend bezeichnet hat. Die Klägerin hat dem [X.] damit in der mündlichen Verhandlung hinreichend deutlich vor Augen geführt, dass sie die gerichtliche Aufklärungspflicht in diesem Punkt noch nicht als erfüllt angesehen hat (sog Warnfunktion, vgl [X.] [X.] 3-1500 § 160 [X.] S 21).

Das [X.] ist dem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt. Es hätte sich gedrängt sehen müssen aufzuklären, ob das qualitative Restleistungsvermögen die genannten körperlichen Verrichtungen (insbesondere Packen, Sortieren, Montieren) noch erlaubt, um ernste Zweifel auszuschließen, ob die Klägerin noch in einem Betrieb einsetzbar ist.

Auf diesem Verfahrensmangel kann die Entscheidung des [X.] beruhen. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht nach weiteren Ermittlungen und Feststellungen zur betrieblichen Einsetzbarkeit der Versicherten zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.

Das [X.] durfte den Beweisantrag der Klägerin nicht mit der Begründung übergehen, dass die qualitativen Einschränkungen, denen bei der Auswahl der in Betracht kommenden Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt begegnet werden könne, noch nicht als "schwere spezifische Leistungseinschränkungen" bzw als "Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen" (Hinweis auf [X.]E 80, 24 = [X.] 3-2600 § 44 [X.] und [X.]surteil vom [X.] - [X.] 4-2600 § 43 [X.]) die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit erforderten; die Klägerin verkenne den Begriff "der üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes" iS von § 43 [X.]; die Frage der betrieblichen Einsetzbarkeit der Klägerin betreffe angesichts des weiten Feldes der Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes allein die - hier noch nicht relevanten - Fragestellungen der notwendigen Benennung von [X.] ([X.] Abs 2 Entscheidungsgründe [X.]).

Worauf die Klägerin zu Recht hinweist, fehlt dem angefochtenen Berufungsurteil jede Feststellung der qualitativen Leistungseinschränkungen. Obwohl die jeweiligen Sachverständigen hierzu ausführlich Stellung bezogen haben, hat das [X.] nicht festgestellt, welche qualitativen Leistungseinschränkungen aus den im Tatbestand aufgezählten Gesundheitsstörungen abzuleiten sind. Hierfür reicht es nicht aus, sich allgemein der Gesamtleistungsbeurteilung der Sachverständigen Dr. [X.] anzuschließen, weil nicht deutlich wird, von welcher Anzahl, Art und Schwere der qualitativen Leistungseinschränkungen das [X.] ausgeht.

Dr. [X.] hat in ihrem Gutachten ausgeführt, bei der Ausübung der Erwerbstätigkeit seien bei der Klägerin im Detail folgende qualitative Leistungseinschränkungen zu berücksichtigen: Keine häufigen Überkopfarbeiten; bis zu etwa 5 bis 10 Minuten seien Arbeiten mit angehobenen Armen ca [X.] pro Arbeitsschicht zumutbar, kein häufiges Bücken, keine Tätigkeiten mit Rüttlungen und Stauchungen der Wirbelsäule, keine Tätigkeiten mit einseitigen körperlichen Belastungen, kein häufiges Heben und Tragen von Lasten über 10 kg aus der Vorbeuge heraus, keine Arbeiten in [X.], keine Arbeiten auf Leitern und Gerüsten; das gelegentliche Ersteigen einer Leiter mit 3 bis 5 Stufen sei zumutbar, keine Arbeiten mit häufigem Hocken und Knien, keine Tätigkeiten mit wiederholten kräftigen Unterarmumwendebewegungen rechts. Arbeiten unter besonderem Zeitdruck, wie Akkord- und Fließbandarbeit, bzw Tätigkeiten mit erhöhter Stressbelastbarkeit sowie an laufenden/gefährlichen Maschinen seien nicht zuzumuten. Anhaltender Einfluss von [X.], Gas, Dampf, [X.], Hitze, Kälte, starken Temperaturschwankungen, Nässe und Zugluft könnten nicht zugemutet werden. Arbeiten unter Lärmeinwirkungen seien unter Berücksichtigung der verminderten Stressbelastbarkeit nicht zu empfehlen.

Auch eine Mehrzahl von qualitativen Leistungseinschränkungen, die jeweils nur einzelne Verrichtungen oder Arbeitsbedingungen betreffen, können zusammengenommen das noch mögliche Arbeitsfeld in erheblichem Umfang zusätzlich einengen. Es ist aber Aufgabe des Tatsachengerichts bei der Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt, die im Einzelfall vorliegenden qualitativen Leistungseinschränkungen insgesamt in ihrer konkreten Bedeutung für die Einsetzbarkeit des Versicherten auf dem Arbeitsmarkt abzuklären und zu bewerten (vgl [X.]surteil vom 19.8.1997 - [X.]E 81, 15, 18 f = [X.] 3-2200 § 1247 [X.] f sowie ergänzend [X.] vom [X.] - [X.] 3-2600 § 43 [X.] f).

Eine derartige Prüfung fehlt im angefochtenen Berufungsurteil völlig. Sie lässt sich nicht durch die reine Behauptung des [X.] ([X.] Abs 2 Entscheidungsgründe [X.]) ersetzen, die qualitativen Einschränkungen der Klägerin seien "noch nicht dergestalt, dass sie als 'schwere spezifische Leistungseinschränkungen' bzw als 'Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen' … die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit erfordern".

Zweifel an der Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt kann das [X.] dadurch ausräumen, wenn es die von der Klägerin hilfsweise beantragten berufskundlichen Ermittlungen durchführt. Bislang sind lediglich medizinische Sachverständige zur Beurteilung des Restleistungsvermögens herangezogen worden; Ermittlungen zur tatsächlichen betrieblichen Einsetzbarkeit der Klägerin unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes sind hingegen nicht erfolgt. Nach dem von der Klägerin zutreffend zitierten [X.]surteil (stRspr, [X.] [X.] 3-2600 § 43 [X.] f) können Zweifel an der oben beschriebenen Einsatzfähigkeit von Versicherten als Folge von qualitativen Leistungseinschränkungen beseitigt werden, indem zunächst geprüft und festgestellt wird, ob das Restleistungsvermögen dem Versicherten körperliche Verrichtungen wie zB Verpacken, Sortieren, Zusammensetzen von Teilen usw erlaubt, die in ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden ([X.]E 80, 24, 32 = [X.] 3-2600 § 44 [X.] S 25). In einem solchen Fall genügt die Benennung von "Arbeitsfeldern", von "Tätigkeiten der Art nach" oder von "geeigneten Tätigkeitsfeldern", die der Versicherte ausfüllen könnte (vgl ausführlich [X.]surteil vom 19.10.2011 - [X.] R 78/09 R - zur Veröffentlichung in [X.]E vorgesehen - unter Hinweis auf: [X.]E 80, 24, 31 = [X.] 3-2600 § 44 [X.] S 24; [X.]surteil vom 19.8.1997 - 13 [X.] 29/95 - [X.] 1998, 111 - Juris Rd[X.]0; [X.] [X.] 3-2600 § 43 [X.] f; vom [X.] - [X.] [X.] R - Juris RdNr 24; vom 14.7.1999 - [X.] [X.] R - Juris Rd[X.]2; [X.] 5. [X.] vom 24.2.1999 - [X.] 3-2600 § 44 [X.]; vom 10.12.2003 - [X.] 4-2600 § 44 [X.] RdNr 23).

Im zurückverwiesenen Verfahren wird das [X.] solche Feststellungen nachzuholen haben, um auf dieser Grundlage zu entscheiden, ob der Klägerin im Fall des [X.] von ernsten Zweifeln an ihrer Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Berücksichtigung ihrer individuellen qualitativen Leistungseinschränkungen mindestens eine konkrete Verweisungstätigkeit mit ihren typischen, das Anforderungsprofil bestimmenden Merkmalen (kein konkreter Arbeitsplatz) zum Ausschluss der Voraussetzungen des Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsminderung zu benennen ist (vgl [X.]E 80, 24, 34 = [X.] 3-2600 § 44 [X.] S 27).

Ob das [X.] hierzu eine berufskundliche Stellungnahme bzw ein Sachverständigengutachten oder ggf Ermittlungen anderer Art durchführen wird, steht in seinem Ermessen (vgl [X.]sbeschlüsse vom 29.8.2006 - [X.] R 104/06 B - Juris RdNr 7 f; vom 10.5.2001 - [X.] [X.] 273/00 B - Juris; [X.] [X.] 3-2200 § 1246 [X.] und [X.]3).

Der [X.] musste nicht mehr entscheiden, ob der von der Klägerin behauptete weitere Verfahrensmangel (Verletzung von § 136 Abs 1 [X.] SGG) zutreffend bezeichnet worden ist.

Zur Vermeidung weiterer Verfahrensverzögerung hat der [X.] die Sache im [X.] nach § 160a Abs 5 SGG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.

Meta

B 13 R 135/11 B

19.10.2011

Bundessozialgericht 13. Senat

Beschluss

Sachgebiet: R

vorgehend SG Potsdam, 25. Juni 2009, Az: S 10 R 671/08, Urteil

§ 103 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 5 SGG, § 43 SGB 6

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 19.10.2011, Az. B 13 R 135/11 B (REWIS RS 2011, 2176)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 2176

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