Bundesfinanzhof, Beschluss vom 11.05.2012, Az. V B 106/11

5. Senat | REWIS RS 2012, 6495

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Gegenstand

(Umsatzsteuerfreiheit von Heilbehandlungsleistungen - Auslegung von § 4 Nr. 14 UStG - Darlegung und Vorliegen einer Divergenz - Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch Überraschungsentscheidung)


Leitsatz

NV: Eine die Rechtseinheit gefährdende Abweichung des zur Umsatzsteuerfreiheit von Heilbehandlungsleistungen ergangenen FG-Urteils von Entscheidungen des Bundesfinanzhofs über die Ähnlichkeit eines Heilhilfsberufs mit einem Katalogberuf nach § 18 des Einkommensteuergesetzes liegt nicht vor, da § 4 Nr. 14 UStG unter Berücksichtigung des Unionsrechts und nicht nach einkommensteuerrechtlichen Grundsätzen auszulegen ist .

Gründe

1

Die Beschwerde ist unbegründet.

2

Nach § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) ist die Beschwerde u.a. zuzulassen, wenn die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] ([X.]) erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 [X.]O) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O). In der Beschwerdebegründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 [X.]O dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O).

3

1. Die Revision ist nicht nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O wegen Divergenz des Urteils des Finanzgerichts ([X.]) zu dem [X.]-Beschluss vom 20. März 2003 [X.]/00 ([X.]E 202, 160, [X.] 2003, 480) und dem [X.]-Urteil vom 28. August 2003 [X.]/00 ([X.]E 203, 429, [X.] 2004, 954) zuzulassen. Eine Divergenz ist weder hinreichend dargelegt worden noch liegt die gerügte Abweichung tatsächlich vor:

4

a) Zur Darlegung einer Divergenz muss der Beschwerdeführer tragende und abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen [X.]-Urteil einerseits und aus der behaupteten [X.] andererseits herausarbeiten und einander gegenüberstellen, um so eine Abweichung zu verdeutlichen ([X.]-Beschlüsse vom 29. Mai 2006 [X.], [X.]/NV 2006, 1892, und vom 22. März 2007 [X.], [X.]/NV 2007, 1719). Dabei ist insbesondere auszuführen, dass es sich im Streitfall um einen vergleichbaren Sachverhalt und um eine identische Rechtsfrage handelt ([X.]-Beschlüsse vom 17. Januar 2006 [X.]/05, [X.]/NV 2006, 799; vom 1. Dezember 2006 [X.], [X.]/NV 2007, 40). Die bloße Behauptung der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), die Entscheidung des [X.] sei mit den Entscheidungen des [X.] in [X.]E 202, 160, [X.] 2003, 480 und in [X.]E 203, 429, [X.] 2004, 954 nicht vereinbar, genügt diesen Anforderungen nicht. Mit ihrem Vortrag, das [X.] habe eine Gesamtbetrachtung hinsichtlich einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit unterlassen und auch nicht gewürdigt, dass die Klägerin über eine umfangreiche Ausbildung als Therapeutin sowie eine Zulassung des [X.] verfüge, macht die Klägerin lediglich das Vorliegen von Rechtsfehlern des [X.] geltend. Ein [X.] kann jedoch allenfalls unter dem Gesichtspunkt des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O zur Zulassung der Revision führen, wenn er von erheblichem Gewicht im Sinne einer willkürlichen oder greifbar gesetzeswidrigen Entscheidung ist (vgl. [X.]-Beschluss vom 1. Juni 2010 [X.], [X.]/NV 2010, 2084, m.w.N.). Das Vorliegen eines derartigen Fehlers wird im Streitfall nicht substantiiert dargetan.

5

b) Abgesehen davon liegt eine zur Zulassung führende Divergenz auch nicht vor. Eine die Rechtseinheit gefährdende Abweichung setzt voraus, dass dieselbe Rechtsfrage in dem Urteil des [X.] und in der [X.] unterschiedlich beantwortet wurde. Eine Divergenz kann zwar auch dann vorliegen, wenn ein in verschiedenen Gesetzen verwendeter gleicher Rechtsbegriff unterschiedlich ausgelegt wird. Zu prüfen sind dann jedoch der jeweilige Normzweck und der [X.], in dem die Vorschriften stehen ([X.]-Beschlüsse vom 11. Februar 2003 [X.]/02, [X.]/NV 2003, 833; vom 25. Februar 1999 [X.], [X.]/NV 1999, 1086; Ruban in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 58).

6

Nach diesen Grundsätzen weicht das angefochtene Urteil des [X.] nicht von dem [X.]-Beschluss in [X.]E 202, 160, [X.] 2003, 480 und dem [X.]-Urteil in [X.]E 203, 429, [X.] 2004, 954 ab. Denn die behaupteten [X.]en sind zur Ähnlichkeit eines Heilhilfsberufs mit dem Katalogberuf des Krankengymnasten nach § 18 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ergangen. Auf die ertragsteuerliche Auslegung des § 18 EStG durch den IV. Senat des [X.] kommt es jedoch für die Frage der [X.] nach § 4 Nr. 14 des Umsatzsteuergesetzes 1999/2005 (UStG) nicht an, da diese Norm unter Berücksichtigung der [X.] vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/[X.] (vgl. [X.]-Urteil vom 30. April 2009 [X.], [X.]E 225, 248, [X.] 2009, 679, unter [X.]) und damit nicht nach einkommensteuerrechtlichen Grundsätzen auszulegen ist.

7

2. Eine Zulassung der Revision kommt auch nicht zur Rechtsfortbildung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 [X.]O "im Verhältnis von Ertragsteuer- zum Umsatzsteuerrecht" in Betracht.

8

a) Für diesen [X.] ist [X.] wie für den [X.] wegen grundsätzlicher Bedeutung-- erforderlich, dass die als ungeklärt oder nicht abschließend geklärte Rechtsfrage im konkreten Streitfall klärungsbedürftig und im Fall einer Revisionszulassung klärungsfähig ist ([X.]-Beschlüsse vom 18. Juli 2011 [X.]/10, nicht veröffentlicht, und vom 11. Februar 2011 [X.]/09, [X.]/NV 2011, 963).

9

b) Es ist durch die bisherige Rechtsprechung des Senats bereits geklärt, dass für die Umsatzsteuerbefreiung nicht die Grundsätze des Einkommensteuerrechts maßgeblich sind, da § 4 Nr. 14 UStG umsatzsteuerrechtlich unter Berücksichtigung des Gemeinschaftsrechts, nicht aber nach einkommensteuerrechtlichen Grundsätzen ausgelegt wird ([X.]-Beschluss vom 14. Oktober 2010 [X.]/09, [X.]/NV 2011, 326; [X.]-Urteil in [X.]E 225, 248, [X.] 2009, 679, unter [X.]).

3. Die Revision ist auch nicht wegen Verfahrensfehlern nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O zuzulassen.

a) Die Rüge der Klägerin, das [X.] habe den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 [X.]O) verletzt, weil es erstmals in der mündlichen Verhandlung den europarechtlichen Bezug des Umsatzsteuerrechts hervorgehoben habe, ist schon nicht hinreichend dargelegt.

Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch eine Überraschungsentscheidung liegt nur vor, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis seine Entscheidung auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt, der weder im Besteuerungsverfahren noch im gerichtlichen Verfahren zur Sprache gekommen ist und mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger [X.] selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte ([X.]-Beschlüsse vom 3. Mai 2010 [X.], [X.]/NV 2010, 1474; vom 21. Juni 2010 IX B 1/10, [X.]/NV 2010, 2032; vom 7. Dezember 2005 [X.], [X.]/NV 2006, 601). Da die Klägerin nach ihrem eigenen Vortrag in der mündlichen Verhandlung auf den --einem kundigen Prozessbeteiligten nicht fernliegenden-- europarechtlichen Bezug des Umsatzsteuerrechts hingewiesen worden ist, war die unionskonforme Auslegung von § 4 Nr. 14 UStG im angefochtenen Urteil nicht geeignet, die Klägerin zu überraschen. Dass ihr insoweit keine Gelegenheit zur Äußerung gewährt und ihre Ausführungen und Anträge nicht zur Kenntnis genommen und bei der Entscheidung in Erwägung gezogen wurden ([X.]-Beschlüsse in [X.]/NV 2006, 601; vom 29. Dezember 2006 [X.], [X.]/NV 2007, 1084; vom 14. Oktober 2009 [X.]/09, [X.]/NV 2010, 222), hat sie nicht behauptet.

b) Soweit die Klägerin eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 [X.]O) rügt, hat sie den damit behaupteten Verfahrensmangel nicht in einer den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Weise dargelegt. Sie hat insbesondere nicht vorgetragen, welche Tatsachen aufgeklärt oder welche Beweise hätten erhoben werden müssen, aus welchen Gründen sich die Beweiserhebung auch ohne Antrag hätte aufdrängen müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei weiterer Aufklärung oder Beweisaufnahme voraussichtlich ergeben hätten und inwiefern sich daraus auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des [X.] eine andere Entscheidung hätte ergeben können ([X.]-Beschlüsse vom 26. Juni 2003 [X.]/01, [X.]/NV 2003, 1437, und in [X.]/NV 2006, 1892).

Meta

V B 106/11

11.05.2012

Bundesfinanzhof 5. Senat

Beschluss

vorgehend FG Düsseldorf, 7. Oktober 2011, Az: 1 K 939/10 U, Urteil

Art 103 Abs 1 GG, § 115 Abs 2 Nr 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 116 Abs 3 Abs 3 FGO, § 96 Abs 2 FGO, § 4 Nr 14 UStG 1999, § 4 Nr 14 UStG 2005, § 18 EStG 1997, § 18 EStG 2002, Art 13 Teil A Abs 1 Buchst c EWGRL 388/77

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 11.05.2012, Az. V B 106/11 (REWIS RS 2012, 6495)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 6495

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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