Bundesfinanzhof, Beschluss vom 27.02.2018, Az. XI B 97/17

11. Senat | REWIS RS 2018, 13295

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Gegenstand

Verkehrspsychologische Behandlung zur Wiedererlangung der Fahrerlaubnis ("MPU-Vorbereitung") nicht generell umsatzsteuerfrei


Leitsatz

1. NV: Eine verkehrspsychologische Behandlung durch einen Heilpraktiker und approbierten Psychotherapeuten ist nur dann als ambulante Heilbehandlung umsatzsteuerfrei, wenn Hauptzweck der Behandlung der Schutz der Gesundheit ist. Dies ist nicht der Fall, wenn die Behandlung vorrangig einem anderen Zweck (z.B. der Erhaltung oder Wiedererlangung der Fahrerlaubnis) dient .

2. NV: Ob eine verkehrspsychologische Behandlung dem Schutz der Gesundheit oder einem anderen Zweck dient, ist Tatfrage .

Tenor

Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des [X.] vom 12. September 2017 15 K 3562/14 U wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), ein Heilpraktiker und approbierter Psychotherapeut, führte im Rahmen seiner psychotherapeutischen Leistungen in den Streitjahren (2010 bis 2012) u.a. auch verkehrspsychologische Behandlungen durch.

2

Nach Durchführung einer Außenprüfung vertrat der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) in den [X.] für die Streitjahre vom 6. Mai 2014 die Auffassung, die genannten Leistungen seien von Personen in Anspruch genommen worden, denen aufgrund von Verkehrsdelikten (z.B. Fahren unter Alkohol- oder Drogeneinfluss, Tempo- und/ oder Abstandsverstöße etc.) ihre Fahrerlaubnis entzogen worden sei, und die sich zur Wiedererlangung der Fahrerlaubnis einer medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU) i.S. des § 2 Abs. 8 des [X.] (StVG) hätten unterziehen müssen. Die genannten Leistungen seien keine Heilbehandlungen i.S. des § 4 Nr. 14 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes (UStG), sondern als Hilfe im Bereich der persönlichen Lebensführung steuerpflichtig. Eine Tätigkeit, deren Hauptziel nicht der Schutz der Gesundheit sei, sei nicht gemäß § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG steuerfrei. Die primäre Motivation der Klienten des [X.], dessen Leistungen in Anspruch zu nehmen, bestehe darin, ihre Fahrerlaubnis wiederzuerlangen. Der Einspruch des [X.] blieb erfolglos.

3

Das Finanzgericht ([X.]) wies die Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte ([X.]) 2017, 1763 veröffentlichten Urteil ab und ließ die Revision nicht zu. Es führte unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] ([X.]) und des [X.] ([X.]) aus, das [X.] habe die verkehrstherapeutischen Leistungen des [X.] zu Recht nicht als steuerfreie Heilbehandlungsleistungen i.S. des § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG angesehen.

4

Keine Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin seien "ärztliche Leistungen", "Behandlungen" oder "medizinische Eingriffe", die zu anderen als medizinischen Zwecken erfolgen. Werde eine ärztliche Leistung in einem Zusammenhang erbracht, der die Feststellung zulasse, dass ihr Hauptziel nicht der Schutz der Gesundheit ist, sind § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG und Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/[X.] vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) auf diese Leistung nicht anzuwenden.

5

Nach diesen Grundsätzen handele es sich bei Leistungen des [X.] nicht um Heilbehandlungen. Das [X.] verkenne nicht, dass der Kläger auf der Grundlage eines psychotherapeutischen Konzepts arbeite und vollwertige psychotherapeutische Arbeit leiste. Es sei aber der Auffassung, dass das Hauptziel der Verkehrstherapie nicht die Behandlung von Krankheiten bzw. Gesundheitsstörungen sei. Motivation der Patienten für die Inanspruchnahme der Leistungen sei vorrangig die Wiedererlangung bzw. das Erhalten der Fahrerlaubnis.

6

Mit seiner Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision macht der Kläger geltend, die Revision sei zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung wegen Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--) zuzulassen.

Entscheidungsgründe

II.

7

Die Beschwerde ist unbegründet. Die vom Kläger geltend gemachte Divergenz liegt nicht vor.

8

1. Eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O wegen Divergenz setzt voraus, dass das [X.] bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Auffassung vertritt als der [X.], der [X.], das [X.], der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des [X.], ein anderes oberstes [X.]gericht oder ein anderes [X.]; das [X.] muss seiner Entscheidung einen tragenden abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit den ebenfalls tragenden Rechtsausführungen in der Divergenzentscheidung des anderen Gerichts nicht übereinstimmt (vgl. [X.]-Beschlüsse vom 22. Juli 2014 XI B 29/14, [X.]/NV 2014, 1780, Rz 10; vom 18. Juli 2017 XI B 24/17, [X.]/NV 2018, 60, Rz 15).

9

Eine solche zur Zulassung wegen Divergenz führende Nichtübereinstimmung im [X.] liegt jedoch nicht vor, wenn das [X.] einen Sachverhalt lediglich abweichend würdigt (vgl. [X.]-Beschluss vom 11. Mai 2007 V B 49/06, [X.]/NV 2007, 1683, unter [X.], Rz 12) oder wenn das [X.] von den Rechtsgrundsätzen der [X.]-Rechtsprechung ausgeht und diese lediglich unzutreffend auf den Einzelfall anwendet (vgl. [X.]-Beschluss vom 7. Februar 2017 V B 48/16, [X.]/NV 2017, 629, Rz 11).

2. Gemessen daran weicht die Vorentscheidung nicht --wie der Kläger meint-- vom [X.]-Urteil [X.]P. vom 8. Juni 2006 [X.]/05 ([X.]:[X.], [X.], 464) und dem [X.]-Urteil vom 18. August 2011 V R 27/10 ([X.]E 235, 58, [X.]/NV 2011, 2214) ab.

a) Es trifft zwar zu, dass danach die therapeutische Zweckbestimmtheit einer Heilbehandlung nicht in einem besonders engen Sinne zu verstehen ist.

b) Die Annahme des [X.], dass eine steuerfreie Heilbehandlung voraussetzt, dass ihr Hauptziel der Schutz der Gesundheit ist, entspricht jedoch der ständigen Rechtsprechung des [X.] (vgl. [X.]-Urteile vom 30. Juni 2005 V R 1/02, [X.]E 210, 188, [X.] 2005, 675; vom 4. Dezember 2014 V R 16/12, [X.]E 248, 416, [X.]/NV 2015, 645, Rz 13; [X.], [X.]E 248, 424, [X.]/NV 2015, 648, Rz 15). Keine Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin sind "ärztliche Leistungen", "Maßnahmen" oder "medizinische Eingriffe", die zu anderen Zwecken erfolgen (vgl. [X.]-Urteile vom 26. August 2014 XI R 19/12, [X.]E 247, 276, [X.] 2015, 310, Rz 23; vom 29. Juli 2015 XI R 23/13, [X.]E 251, 86, [X.] 2017, 733, Rz 23; vom 9. September 2015 XI R 31/13, [X.]/NV 2016, 249, Rz 16). Wird eine ärztliche Leistung in einem Zusammenhang erbracht, der die Feststellung zulässt, dass ihr Hauptziel nicht der Schutz der Gesundheit ist, sind § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG a.F. und Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der [X.]/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern auf diese Leistung nicht anzuwenden (vgl. [X.]-Beschluss vom 8. April 2014 V B 38/13, [X.]/NV 2014, 1106, Rz 5, m.w.N.; [X.]-Urteile Unterpertinger vom 20. November 2003 [X.]/01, [X.]:C:2003:625, [X.] 2004, 70, Rz 42; [X.] und [X.] vom 20. November 2003 C-307/01, [X.]:[X.], [X.] 2004, 75, Rz 60).

c) Soweit der Beschwerde der Vortrag entnommen werden könnte, das [X.] habe diese Rechtsprechung unzutreffend auf den Streitfall angewandt, hängt die Beantwortung der Frage, ob die Leistung therapeutischen oder anderen Zwecken dient, von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. [X.]-Beschlüsse vom 29. Oktober 2013 V B 58/13, [X.]/NV 2014, 192; vom 11. Dezember 2014 XI B 49/14, [X.]/NV 2015, 363, Rz 8) und begründet daher nach der unter [X.] genannten Rechtsprechung keine Divergenz.

3. Auch die gerügte Divergenz vom Urteil des [X.] Berlin-Brandenburg vom 5. Oktober 2017  5 K 5044/15 (nicht veröffentlicht) liegt nicht vor.

a) Dieses Urteil ist zu berücksichtigen, obwohl es erst nach der angefochtenen Vorentscheidung ergangen ist; denn für die Frage, ob eine Divergenz vorliegt, kommt es auf den Stand der Rechtsprechung im Zeitpunkt der Entscheidung über die Zulassung der Revision an (vgl. [X.]-Beschluss in [X.]/NV 2014, 1780, Rz 11, m.w.N.).

b) Allerdings liegt auch insoweit die gerügte Divergenz, also eine Nichtübereinstimmung im [X.], nicht vor.

aa) Das [X.] Berlin-Brandenburg hat vielmehr selbst --in Abgrenzung zu den Urteilen des [X.] Hamburg vom 24. Februar 2009  6 K 122/07 (E[X.] 2009, 1161) und des [X.] Münster vom 9. August 2011  15 K 812/10 U (E[X.] 2012, 466), auf die sich die Vorinstanz gestützt [X.] darauf hingewiesen, dass es sich bei der Beurteilung des Hauptziels um eine reine Tatsachenfrage handele und dass das von ihm gefundene abweichende Ergebnis allein auf Unterschieden in der festgestellten Tätigkeit des jeweiligen Klägers, nicht jedoch in grundsätzlichen Rechtsfragen beruhe.

bb) Im Übrigen liegt dem Fall des [X.] Berlin-Brandenburg ein anders gelagerter Sachverhalt zugrunde. Im Fall des [X.] Berlin-Brandenburg hatte der dortige Kläger, ein heilkundlicher Verkehrstherapeut, mit den Klienten eine Therapievereinbarung getroffen, wonach u.a. der [X.] nicht das Ziel der Therapie sei. Kam der dortige Kläger im Erstgespräch zu der Auffassung, dass kein Krankheitsbild vorliege, führte er keine Therapie durch, sondern verwies die Verkehrsteilnehmer an einen "MPU-Vorbereiter".

4. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]O).

Meta

XI B 97/17

27.02.2018

Bundesfinanzhof 11. Senat

Beschluss

vorgehend FG Münster, 12. September 2017, Az: 15 K 3562/14 U, Urteil

§ 4 Nr 14 Buchst a UStG 2005, Art 132 Abs 1 Buchst c EGRL 112/2006, § 115 Abs 2 Nr 2 FGO, § 2 Abs 8 StVG, UStG VZ 2010, UStG VZ 2011, UStG VZ 2012, § 118 Abs 2 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 27.02.2018, Az. XI B 97/17 (REWIS RS 2018, 13295)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 13295

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