Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.01.2014, Az. AK 25/13

3. Strafsenat | REWIS RS 2014, 8442

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
_____________
AK 25/13
vom
23. Januar 2014
in dem Ermittlungsverfahren
gegen

wegen

Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung

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Der 3. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] sowie der Beschuldigten und ihres Verteidigers am 23. Januar 2014 gemäß §§
121, 122 StPO beschlossen:
Die Untersuchungshaft hat [X.].
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesge-richtshof findet in drei Monaten
statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach den [X.] Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.

Gründe:
Die Beschuldigte ist aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des [X.] vom 20. Juni 2013 -
6 [X.] -
am 26. Juni 2013 festgenommen worden und befindet sich seit diesem Tag in Untersuchungs-haft.
1. Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, die Beschuldigte habe sich seit Inkrafttreten des § 129b StGB am 30. August 2002 bis zu ihrer Fest-nahme als Mitglied der marxistisch-leninistischen Gruppierung [X.] und damit an einer Vereinigung im Ausland beteiligt, deren Zwecke und deren Tä-tigkeit darauf gerichtet sind, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen.
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Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
2. Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Geschehen auszugehen:
Die hierarchisch und zentralistisch aufgebaute Gruppierung [X.] das Ziel, durch "bewaffneten Kampf" einen Umsturz der politischen [X.] in der [X.] herbeizuführen und dort eine marxistisch-leninistisch ausgerichtete Gesellschaftsordnung unter ihrer Kontrolle zu errichten. Sie hat sich seit dem Jahre 1994 zu zahlreichen Brand-
und Sprengstoffanschlägen bekannt, die insbesondere gegen Repräsentanten des [X.], [X.] [X.] Justizbehörden und der [X.], aber auch gegen angebliche "Verräter" und zuletzt auch -
getreu ihrer Zielsetzung, den "[X.]" bekämpfen zu wollen -
gegen die [X.] Botschaft ge-richtet waren. Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten, die seit dem Jahr 2011 bis in das [X.] hinein zudem eine gegenüber den Vorjahren mit Blick auf die Häufigkeit und die Schwere der Straftaten gesteigerte Aktivität der Vereini-gung belegen, wird auf die Ausführungen in dem Haftbefehl des Ermittlungs-richters des [X.] Bezug genommen.
Die [X.] ist auch außerhalb der [X.], vor allem in Westeuropa, ak-tiv. Hier bestehen neben zentralen, direkt der Führung der [X.], wie etwa der Presseagentur "[X.]" in [X.], der [X.]führung der [X.] unterstehende, nach [X.], [X.] und Gebieten strukturierte Organisationseinheiten, die von Parteifunktionä-ren oder -komitees geleitet werden. Die Aufgabe dieser sog. Rückfront ist es insbesondere, finanzielle Mittel zu beschaffen und auf diese Weise die Bege-hung der terroristischen Anschläge in der [X.] zu unterstützen. Daneben 3
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werden in [X.] Kämpfer rekrutiert, was nicht zuletzt das Beispiel des bei dem Anschlag auf die US-Botschaft in [X.] im Februar 2013 gestorbenen Selbstmordattentäters

S.

zeigt; zudem wird für deren Ausstat-tung gesorgt sowie ein Rückzugsraum für Mitglieder der [X.].
Die Beschuldigte arbeitete seit dem [X.] bis zu ihrer Ausweisung aus [X.] am 26. April 2010 in der Presseagentur "[X.]", die als Kommunikationszentrum der [X.] in [X.] fungiert und zu deren [X.] es gehört, Erklärungen der [X.] im [X.] zu veröffentlichen, Onli-neausgaben mehrerer Parteizeitschriften und andere Publikationen der Verei-nigung zu verbreiten oder sie über ihre [X.]seite abrufbar zu machen. [X.] diesen offen ausgeführten Aktivitäten ist die Agentur aber auch für den Versand verschlüsselter Nachrichten über anonyme Computerverbindungen zuständig und koordiniert und verwaltet Sicherheitsmaßnahmen der Vereini-gung, wie Verschlüsselungsverfahren und Decknamen.
Unter mehreren Decknamen bildete die Beschuldigte mit zwei weiteren Frauen die Besetzung der Presseagentur. Sie kommunizierte verschlüsselt mit dem mutmaßlichen [X.]verantwortlichen der [X.],

[X.]

, ver-schickte und erhielt in [X.]cafes verschlüsselte Daten, kommunizierte über ein anonymes Mobiltelefon mittels verschlüsselter [X.] mit ausländischen Tele-fonanschlüssen und hielt Kontakt zu weiteren in die Herstellung und den [X.] der Parteizeitung "[X.]" involvierten Personen und Büros in [X.] und der [X.]. Daneben war sie in den Jahren 2006 bis 2009 auch für die Entgegennahme von [X.] zuständig und in der logistischen Zentrale der [X.] tätig.

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Nach ihrer Ausweisung aus [X.] am 26. April 2010 reiste die Beschuldigte wieder in die [X.] ein, wo sie über-wiegend im Raum [X.] -
teilweise unter dem Decknamen
"[X.]

" -
agierte und sich etwa in [X.], [X.], [X.] oder [X.] mit Kadern der [X.] traf, so mit dem späteren Selbstmordattentäter S.

, dem bereits rechtskräftig wegen Mitgliedschaft in der [X.] Verurteilten

E.

und den wegen dieses Vorwurfs gesondert Verfolgten M.

D.

und

[X.]

. Sie besuchte regelmäßig Tarnvereine der [X.], in demjeni-gen in [X.] hatte sie Schlüsselgewalt, war verantwortlich für die Mietzahlungen und anderen Vereinsmitgliedern gegenüber weisungsbefugt. Sie nahm an Kundgebungen und Veranstaltungen der Tarnvereine mit Bezug zur [X.] teil, die sie unter Mitnahme von Propagandamaterial aus den [X.]er Vereins-räumlichkeiten aufsuchte. Teilweise war sie in den Kartenvorverkauf und die Organisation von Veranstaltungen eingebunden und nahm im April 2012 an einer Feier zum Gründungstag der [X.] in [X.] und Ende März 2012 an einem mehrtägigen Treffen ranghoher Funktionäre der [X.] teil, zu denen unter anderem der spätere Selbstmordattentäter S.

, mit dem sie gemeinsam dort hinreiste, der mutmaßliche [X.]verantwortliche

[X.]

und die hochrangigen Kader

[X.]

, E.

D.

,

As.

und ihr Ehemann

De.

zählten.
Nachdem der Haftbefehl noch davon ausging, dass eine konkrete [X.] der Beschuldigten nicht belegt werden könne, hat die zwischenzeitlich vor-genommene Auswertung der bei ihrer Festnahme sichergestellten Beweismittel nunmehr den dringenden Verdacht ergeben, dass sie als Verantwortliche für die [X.]-Region [X.] tätig war und dabei insbesondere
für den [X.], das Verfassen von propagandistischen Artikeln, die Durchführung von Schulungs-
und Propagandamaßnahmen, aber auch die Or-9
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ganisation und Abrechnung gastronomischer Dienstleistungen bei Konzerten verantwortlich zeichnete. Diese Erkenntnisse sind vorliegend -
obwohl im Haft-befehl nicht erwähnt -
zu berücksichtigen, weil es sich um dieselbe prozessuale Tat handelt, die auch dem Haftbefehl zugrunde liegt.
3. Der dringende Tatverdacht ergibt sich hinsichtlich der Tätigkeiten der Beschuldigten in der Presseagentur "[X.]" aus Zeugenaussagen, Rechts-hilfeunterlagen und weiterer, im "[X.]"-Büro am 1. April 2004 sichergestell-ter Unterlagen. Wegen der Einzelheiten nimmt der Senat auf die Darstellung im Haftbefehl Bezug. Mit Blick auf die Tätigkeiten nach ihrer Wiedereinreise in die [X.] ab April 2010 beruht der dringende Tatverdacht auf den Ergebnissen verdeckt durchgeführter Ermittlungsmaßnahmen, nament-lich der Überwachung von Telefonanschlüssen und Observationen. Auch inso-weit verweist der Senat wegen der Einzelheiten auf den Haftbefehl. Die Aus-wertung von Speichermedien, die bei der Festnahme der Beschuldigten [X.] worden sind, hat zudem ihre intensivere Verstrickung in die [X.] ergeben, die die Annahme ihrer verantwortlichen Stellung auf [X.] der Region [X.] belegen.
4. Es besteht nach alledem der dringende Tatverdacht, dass sich die Beschuldigte nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 StGB strafbar gemacht hat. Die [X.] stellt auf der Grundlage des Ermittlungsergebnisses insge-samt eine ausländische terroristische Vereinigung im Sinne von § 129b Abs. 1 StGB dar (vgl. [X.], Beschluss vom 28.
September 2010 -
3 [X.], [X.]R StGB § 129b Vereinigung 1).
Allerdings sind die im Tatzeitraum bis zum 26. April 2010 in [X.] in [X.] begangenen Betätigungshandlungen der Beschuldigten im Zusammenhang mit der Presseagentur "[X.]" in der [X.] 11
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[X.] derzeit nicht verfolgbar. Die Verfolgungsermächtigung des [X.] vom 24. Januar 2011 bezieht sich allein auf Taten von Mitgliedern der [X.], soweit diese durch eine im räumlichen Geltungs-bereich des Strafgesetzbuches ausgeübte Tätigkeit begangen werden oder worden
sind. Dadurch ist sie auf die in [X.] begangenen Betätigungs-handlungen beschränkt: Nach § 77e StGB gelten die §§ 77 und 77d StGB ent-sprechend, so dass für die Verfolgungsermächtigung die Regeln über den Strafantrag anwendbar sind. Der Strafantrag ist nach allgemeiner Meinung be-schränkbar, in sachlicher Hinsicht auch auf einzelne Gesetzesverletzungen bei Vorliegen von Tateinheit oder auf Einzelakte innerhalb einer fortgesetzten Handlung ([X.], StGB, 12. Aufl., § 77 Rn. 19 f. mwN; [X.]/Kühl, StGB, 27. Aufl., § 77 Rn. 4; [X.]/[X.]/[X.], 39. [X.], § 77 Rn. 20). Nichts anderes kann für einzelne Betätigungshandlungen innerhalb einer tatbestandlichen Handlungseinheit gelten, wie sie ein [X.] im Sinne der §§ 129, 129a StGB, gegebenenfalls in Verbindung mit §
129b StGB darstellt. Infolge der Beschränkung der Ermächtigung auf [X.] in der [X.] fehlt es somit an einer Verfahrensvoraussetzung bezüglich der ausschließlich in [X.] vorgenommenen mitglied-schaftlichen Betätigungshandlungen der Beschuldigten. Da der dringende [X.] hinsichtlich der übrigen Teilakte, für die die Verfolgungsermächtigung vorliegt, jedoch insbesondere mit Blick auf die verantwortliche Tätigkeit der Be-schuldigten in der Region [X.] eine nicht unerhebliche Straferwartung rechtfertigt, gefährdet die teilweise fehlende Verfolgungsermächtigung den Be-stand des Haftbefehls derzeit nicht.
5. Angesichts des bestehenden Tatverdachts nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, §
129b Abs. 1 StGB besteht der Haftgrund der [X.], § 112 Abs. 3 StPO. Aus den [X.] Gründen des Haftbefehls, auf die der Senat zur 14
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Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt, besteht weiterhin jedenfalls der Haftgrund der Fluchtgefahr, § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Auch ohne die von der Verfolgungsermächtigung derzeit nicht erfassten Teilakte begründet die für die verbleibenden Betätigungshandlungen zu erwartende Strafe einen erhebli-chen Fluchtanreiz, der es wahrscheinlicher macht, dass sich die
Beschuldigte, die als langjähriges hochrangiges Mitglied einer international agierenden aus-ländischen terroristischen Vereinigung in der Lage war, eine Vielzahl von [X.] ins Ausland zu knüpfen, sich dem Strafverfahren entziehen wird, als dass sie sich ihm stellt. Dass sie ausländerrechtlichen Meldeauflagen nachge-kommen sein mag, lässt diesen Fluchtanreiz nicht entfallen; als Länder, in die die Beschuldigte fliehen könnte, kommen außer der [X.] und den [X.] zahlreiche weitere Länder, in denen
die [X.] Organisationseinheiten unterhält, in Betracht, so dass die diesbezüglichen Einwände der Verteidigung fehlgehen. Aus den für die Fluchtgefahr maßgeblichen Gründen sind weniger einschneidende Maßnahmen nach § 116 Abs. 1 StPO nicht geeignet, die Errei-chung des Zwecks der Untersuchungshaft zu gewährleisten.
6. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersu-chungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Der be-sondere Umfang der Ermittlungen und ihre -
nicht zuletzt in dem hohen Grad der Konspiration, mit dem die Beschuldigte agierte, begründete -
besondere Schwierigkeit haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen -
jeden-falls noch -
die Fortdauer der Untersuchungshaft. Bei der Verhaftung der Be-schuldigten wurden in ihrer Wohnung zahlreiche Gegenstände, darunter meh-rere Mobiltelefone und zahlreiche Speichermedien beschlagnahmt, deren Aus-wertung noch nicht abgeschlossen ist. Gleiches gilt für weitere Speicherme-dien, die am [X.] in dem von der Beschuldigten häufig [X.] [X.]er [X.]-Verein bzw. in einem auf diesen zugelassenen Pkw 15
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beschlagnahmt worden sind. Der [X.] hat zudem mitgeteilt, dass die Erhebung der Anklage nunmehr unmittelbar bevorsteht.
7. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu den gegen die Beschuldigte erhobenen Vorwürfen -
auch mit Blick auf die bislang von der [X.] nicht umfassten, ausschließlich in [X.] ausgeübten Betätigungshandlungen -
derzeit noch nicht außer Verhältnis (§
120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Becker [X.] Gericke

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Meta

AK 25/13

23.01.2014

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: False

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.01.2014, Az. AK 25/13 (REWIS RS 2014, 8442)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 8442

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3 StR 214/10

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