Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.11.2003, Az. 5 StR 376/03

5. Strafsenat | REWIS RS 2003, 750

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5 [X.]/03BUNDESGERICHTSHOFBESCHLUSSvom 13. November 2003in der [X.] gewerbsmäßiger Bandenhehlerei u.a.hier: Anfrage gemäß § 132 Abs. 3 [X.]- 2 -Der 5. Strafsenat des [X.] hat am 13. November 2003beschlossen:Der Senat beabsichtigt zu entscheiden:Das Revisionsgericht hat auf Sachrüge zu prüfen, ob einerechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung, die einekompensatorische Strafzumessung erforderlich macht,gegeben ist oder jedenfalls zu erörtern gewesen wäre; in-soweit stehen dem Revisionsgericht als Beurteilungs-grundlage die Urteilsgründe sowie diejenigen Umständeoffen, die es von Amts wegen zur Kenntnis nehmen muß(Anklage, [X.] fragt daher beim 1. und 3. Strafsenat an, ob ander entgegenstehenden Rechtsmeinung festgehalten wird.Er legt die Sache den anderen Strafsenaten mit der Fragevor, ob der beabsichtigten Entscheidung eigene Recht-sprechung entgegensteht und ob gegebenenfalls an ihrfestgehalten wird.[X.][X.] hat den Angeklagten [X.]wegen gewerbsmäßigerBandenhehlerei in sieben Fällen und wegen Beihilfe zum versuchten [X.] einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen wendetsich der Angeklagte mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision.- 3 -1. Nach den Feststellungen des [X.] hat der Angeklagte [X.] einer aus mindestens vier Personen bestehenden Gruppe zwischenJanuar 1995 und Anfang Juni 1998 durch Straftaten erworbene Pkws in ost-europäische Länder verkauft. Dem Angeklagten oblag in den ausgeurteiltensieben Fällen hauptsächlich der Transport dieser Autos nach Osteuropa. [X.], der nicht revidierende Mitangeklagte [X.], legte zeitnah [X.] Verhaftung am 19. Juni 1998 ein Geständnis ab und machte [X.] Angaben über seine Hintermänner und Mittäter. Gegen den Angeklagten[X.]erging bereits im Oktober 1998 wegen der hier zugrunde liegendenTaten Haftbefehl, der [X.] bis er im Januar 1999 außer Vollzug gesetzt wurde [X.]auch vollstreckt wurde.In dieser Sache hat die Staatsanwaltschaft am 6. Dezember 2001Anklage erhoben. Mit Beschluß vom 7. November 2002 hat das [X.] Hauptverfahren eröffnet und am 31. März 2003 mit der gegen vier Ange-klagte geführten Hauptverhandlung begonnen. Die dreitägige [X.] hat es mit Urteil vom 2. April 2003 abgeschlossen.2. Der Senat beabsichtigt, auf Sachrüge den Strafausspruch aufzu-heben, weil das [X.] nicht erörtert hat, ob eine gegen das Rechts-staatsgebot und Art. 6 Abs. 1 Satz 1 [X.] verstoßende [X.] vorliegt. Er sieht sich hieran durch gegenteilige Rechtsprechung [X.] und 3. Strafsenats gehindert.a) Die Frage, ob eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung imRevisionsverfahren nur auf eine Verfahrensrüge berücksichtigt werden kann,wird von den Strafsenaten des [X.] uneinheitlich beantwortet.Der 4. Strafsenat will einen solchen Verstoß auf Sachrüge dann berücksich-tigen, wenn der sich aus den Urteilsgründen ergebende Zeitablauf die Erörte-rung nahelegt, daß eine vom Angeklagten nicht zu vertretende rechtsstaats-widrige Verfahrensverzögerung gegeben sein könnte ([X.], 376 f.;- 4 -[X.], Beschluß vom 23. April 1998 [X.] 4 [X.]; in diesem Sinne wohlauch der 1. Strafsenat in [X.]R StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 7).Dagegen verlangen der 1. und 3. Strafsenat grundsätzlich die Erhebung [X.] Verfahrensrüge, mit der vom Angeklagten die zur Beurteilung eines Ver-stoßes gegen das allgemein als Beschleunigungsgebot bezeichnete Prinzipmaßgeblichen Tatsachen in einer Form vorzutragen sind, die der [X.] § 344 Abs. 2 Satz 2 [X.] genügt ([X.]St 45, 308, 310; [X.]R [X.]Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 9, 11 [X.] so auch [X.] [1. [X.]], Beschluß vom 3. August 2000 [X.] 1 StR 293/00).In der Praxis der Strafsenate des [X.] herrscht aller-dings insoweit Übereinstimmung, als eine Verfahrensrüge dann nicht erfor-derlich sein soll, wenn die Verfahrensverzögerung nach Ablauf der Begrün-dungsfrist für die Verfahrensrüge entstanden ist (vgl. [X.]R [X.] Art. 6Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 11). Diese im [X.] be-wirkten Verstöße gegen das rechtsstaatliche Gebot einer angemessenenFörderung des Strafverfahrens berücksichtigen die Strafsenate des Bundes-gerichtshofs durchgängig von Amts wegen, wobei regelmäßig durch das [X.] selbst ein dem Umfang der Verzögerung Rechnung tragenderStrafnachlaß gewährt wird ([X.]R StGB § 46 Abs. 2 [X.] 8, 10).b) Der Senat, der in einer früheren Entscheidung eine Verfahrensrü-ge grundsätzlich für erforderlich gehalten hat ([X.]R StGB § 46 Abs. 2 Ver-fahrensverzögerung 11 [X.] dort gleichwohl auf Sachrüge eine Verletzung [X.] angenommen hat), neigt im vorliegenden Fall mehr-heitlich dazu, die sachlichrechtliche Nachprüfung des Urteils auf [X.] darauf zu erstrecken, ob eine rechtsstaatswidrige [X.] gegeben ist.- 5 -aa) Eine von den Strafverfolgungsorganen zu verantwortende erheb-liche Verzögerung des Strafverfahrens verletzt den Beschuldigten in [X.] auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren ([X.] NJW 2003, [X.].[X.]) und zugleich die in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 [X.] niedergelegte Ge-währleistung, die eine Sachentscheidung innerhalb einer angemessenenDauer sichern soll ([X.], 371 ff.; zum [X.] vgl. [X.], 2856). Ob eine in diesem Sinne unange-messene Verfahrensdauer vorliegt, ist aufgrund einer umfassenden Ge-samtwürdigung festzustellen, die neben der Verzögerung durch die [X.] auch die Gesamtdauer des Verfahrens, die Schwere des [X.],den Umfang und die Schwierigkeit des Verfahrensgegenstands sowie die fürden Betroffenen damit verbundenen besonderen Belastungen berücksichti-gen muß ([X.] NJW 2003, 2225 ff.; 2228 f.).Liegt eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung vor, ist diesbei der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs in jeder Lage des Ver-fahrens von Amts wegen zu berücksichtigen. Der Tatrichter ist dann [X.] wegen zu einer sorgfältigen Prüfung verpflichtet, ob und mitwelchen Mitteln der Staat gegen den Betroffenen (noch) strafrechtlich vorge-hen kann. Dies setzt regelmäßig eine Prüfung in zweifacher Hinsicht voraus.Zum einen müssen Art und Umfang der Verletzung des [X.] ausdrücklich festgestellt werden. In einem zweiten Schritt hat der [X.] dann das Ausmaß der Berücksichtigung dieses Umstands auf [X.] konkret zu bestimmen. Einer rechtsstaatswidrigen [X.] kann dabei durch einen konkret zu bestimmenden [X.], aber auch im Rahmen der [X.] ([X.] NStZ 1992, 229;[X.], Beschluß vom 14. September 1993 [X.] 4 StR 521/93), der [X.] § 59 StGB oder einer Einstellung nach §§ 153 ff. [X.] Rechnung getra-gen werden ([X.]R [X.] Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 6; vgl.auch [X.] NJW 1993, 3254, 3255). In besonderen Ausnahmefällen ent-steht bei besonders gravierenden Verzögerungen ein Verfahrenshindernis,- 6 -das den Abbruch des Verfahrens rechtfertigen kann, wenn nicht die vom [X.] festzustellende [X.] eine Weiterführung des Prozesses [X.] macht ([X.]St 46, 159, 168 ff.; vgl. schon [X.]St 35, 137).Der Tatrichter muß diese Entscheidung aufgrund einer umfassendenWürdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls treffen. Die Begründung [X.] hat eine Auseinandersetzung damit erkennen zu lassen, ob [X.], in Art. 2 GG eingreifende Rechtsfolge angesichts der er-heblichen Verzögerung des Strafverfahrens noch mit dem Verhältnismäßig-keitsprinzip, an dem Strafen grundsätzlich zu messen sind, in Einklang steht(vgl. [X.] JZ 2003, 999, 1000 mit [X.] [X.]). Diese Erörterung hatregelmäßig in den Urteilsgründen stattzufinden. Sie rechtfertigt die [X.] Strafe unter verfassungsrechtlichen und menschenrechtlichen Gesichts-punkten. Deshalb sind [X.] falls eine rechtsstaatswidrige [X.] inmitten steht [X.] Ausführungen hierzu aus verfassungsrechtlichen Grün-den ein notwendiger Bestandteil der Urteilsbegründung.Der Tatrichter hat die Verfahrenstatsachen darauf zu untersuchen,ob eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung vorliegt und ggf. derenFolgen für den Rechtsfolgenausspruch zu bestimmen. Insoweit bezieht sichdiese Prüfung [X.] jedenfalls zum Zeitpunkt des Urteilserlasses [X.] auch nicht aufeine (dann mit der Verfahrensrüge anzugreifende) allein verfahrensrechtlicheFrage. Vielmehr erfordert sie im Hinblick auf das Beschleunigungsgebot dieWürdigung des gesamten bis zum Zeitpunkt des [X.], der zudem zu ausschließlich sachlichrechtlichen [X.] wie [X.] und Schuldumfang oder Schwierigkeit [X.] in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht in Beziehung zu setzen ist(vgl. [X.] NJW 1993, 3254, 3255). Dies berührt aber nicht punktuell denprozessualen Weg der Entscheidungsfindung, sondern stellt einen Subsum-tionsvorgang dar, innerhalb dessen neben sachlichrechtlichen Umständenauch ein Bündel von Verfahrenstatsachen in bezug auf die [X.] und des Beschleunigungsgebots der [X.] zu beurteilen sind. Ob der Tatrichter im Blick auf die ge-samte [X.] diesen Subsumtionsvorgang rechtsfehlerfreivorgenommen hat, betrifft in erster Linie die Rechtsfolgen der Tat. Eine män-gelbehaftete Subsumtion dort wirkt sich als Rechtsfehler in der Strafzumes-sung aus. Ein solcher Fehler ist ein Rechtsanwendungsfehler und mithin [X.] der Sachrüge zu prüfen.bb) Aus der Feststellung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensver-zögerung folgt zwangsläufig ein bestimmender Strafzumessungsgrund(§ 267 Abs. 3 Satz 1 [X.]). Nimmt der Tatrichter eine rechtsstaatswidrigeVerfahrensverzögerung an, dann reicht sogar die bloße Erwähnung [X.] in der Reihe der Strafmilderungsgründe nicht aus. Erforderlich istvielmehr, daß zugleich das Ausmaß der Berücksichtigung dieses Verstoßesnäher bestimmt wird. Dies betrifft grundsätzlich sämtliche Einzelstrafen, dievon dem Mangel betroffen sind. Eine entsprechende Kompensation muß sichaber auch auf die Gesamtstrafe auswirken; insoweit darf das Urteil [X.] offen lassen, daß die Berücksichtigung der rechtsstaatswidrigenVerfahrensverzögerung auch zu einer spürbaren Ermäßigung der Gesamt-strafe geführt hat ([X.] NStZ 2003, 601).Das besondere, aus seiner verfassungs- und konventionsrechtlichenVerankerung herzuleitende Gewicht dieses Strafzumessungsgrundes bedingtes, daß den Tatrichter insoweit auch besondere Darlegungspflichten treffen.Soweit sich aus den äußeren Daten, wie Tatzeit, Einleitung und [X.], Anklageerhebung, Eröffnung des [X.] sowie Beginn und Ende der Hauptverhandlung Anhaltspunkte für [X.] einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung ergeben [X.], wird zu erörtern sein, ob der Zeitablauf auf einer erheblichen Verletzungdes Beschleunigungsgebots durch die Strafverfolgungsbehörden beruht.Damit korrespondiert aber, daß das Revisionsgericht im Rahmen der ihm- 8 -obliegenden [X.] seinerseits zu überprüfen hat, ob der Tatrichterdieser ihn von Verfassungs wegen treffenden Erörterungspflicht genügt hat.Läßt der Tatrichter [X.] obwohl die erhebliche Verfahrensdauer hierzu gedrängthätte [X.] diese Frage in den Urteilsgründen unerwähnt, dann liegt darin ein aufdie Sachrüge zu beanstandender Rechtsfehler.Eine hiervon zu trennende Frage ist, inwieweit ein entsprechendersachlichrechtlicher Mangel für das Revisionsgericht erkennbar ist. [X.] dem Revisionsgericht als Erkenntnisquellen neben den [X.] auch diejenigen Umstände offen, die es von Amts wegen zur Kenntnisnehmen muß. Solche Verfahrensvoraussetzungen sind das Vorliegen einerwirksamen Anklageerhebung und eines Eröffnungsbeschlusses. Deren Zeit-punkte sind für das Revisionsgericht ebenso offenbar wie die sich aus [X.] selbst ergebenden Daten, insbesondere der Zeitpunkt [X.] sowie der Beginn und das Ende der Hauptverhandlung, wobei [X.] frühes Geständnis von Bedeutung sein kann. Häufig werden sich [X.] Zeitangaben zureichende Anhaltspunkte ergeben, die dem Revisi-onsgericht die Prüfung ermöglichen, ob hier nähere Ausführungen des [X.]s erforderlich gewesen wären. Anlaß hierzu wird insbesondere dannbestehen, wenn die jeweiligen Zeiträume innerhalb der einzelnen Verfah-rensabschnitte so lange bemessen sind, daß dies die Annahme einer rechts-staatswidrigen Verfahrensverzögerung nahelegt.cc) Das Erfordernis einer Verfahrensrüge würde insbesondere beischwerwiegenden Verfahrensverzögerungen zudem zu Wertungswidersprü-chen führen. Das Revisionsgericht hat den Verfahrensablauf nämlich dannvon Amts wegen zu prüfen, wenn die rechtsstaatswidrige [X.] ein Ausmaß erreicht hat, welches ein Verfahrenshindernis eintretenläßt. Eine solche Situation wird zwar nur in Ausnahmefällen in Betrachtkommen, wenn der Verstoß so schwer wiegt, daß eine angemessene Be-rücksichtigung bei einer umfassenden Gesamtwürdigung im Rahmen der- 9 -Sachentscheidung nicht mehr möglich ist (vgl. [X.]St 35, 137, 140 ff.). [X.] aber nie allein im Hinblick auf das Ausmaß der den Strafverfolgungsorga-nen zuzurechnenden Verzögerungen zu bestimmen. Vielmehr besteht immereine Wechselwirkung zwischen der Schuld des [X.] und dem Grad [X.]. Je größer der dem Beschuldigten zuzurechnendeSchuldumfang ist, desto höhere Anforderungen sind andererseits an [X.] der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung zu stellen, um [X.] annehmen zu können. Der Tatrichter hat sich mit dieserFrage in den Urteilsgründen auseinanderzusetzen. Dies verlangt [X.] zum Verfahrensgang, aber gleichzeitig auch zur Schuld des[X.]. Der Tatrichter hat dabei zugleich zu erörtern, ob der Verstoß durcheine Berücksichtigung im Rahmen der Strafzumessung [X.] gegebenenfallsunter Anwendung von § 59 StGB [X.] oder etwa durch eine Einstellung nach§§ 153, 153a [X.] hinreichend ausgeglichen werden kann ([X.]St 46,159, 175).Dies muß aber wiederum Auswirkungen auf die Beantwortung [X.] haben, wie das Revisionsgericht eine rechtsstaatswidrige Verfahrens-verzögerung zu berücksichtigen hat, die noch nicht ein solch außergewöhnli-ches Gewicht erreicht hat, das ein Verfahrenshindernis entstehen läßt. [X.] die vorgelagerten Formen, die noch über eine Einstellung nach§§ 153, 153a [X.] oder eine Anwendung des § 59 StGB aufgefangen wer-den können, verdeutlichen den Widerspruch, der aufträte, wenn das Revisi-onsgericht diesen Umstand nur im Falle einer den Anforderungen des § 344Abs. 2 Satz 2 [X.] genügenden Verfahrensrüge berücksichtigen könnensoll. Ohne formgerechte Verfahrensrüge wäre dem [X.] nämlich der Blick auf etwaige Auffanglösungen (§ 59 StGB, §§ 153,153a [X.]) versperrt, welche die Annahme eines Verfahrenshindernissesgerade umgehen sollen. Eine sachgerechte und in sich widerspruchsfreierevisionsgerichtliche Kontrolle muß aber auch die gravierenden Verfahrens-verzögerungen umfassen, die im Vorfeld des [X.] -Es ist nicht nachvollziehbar, warum eine rechtsstaatswidrige Verfahrensver-zögerung, die der Tatrichter unberücksichtigt gelassen hat, vom [X.] auch dann unbeachtet bleiben soll, wenn keine Verfahrensrüge erhobenwurde, obwohl die Verzögerung so schwerwiegend ist, daß nur mit einer An-wendung des § 59 StGB oder der §§ 153, 153a [X.] der Eintritt eines Ver-fahrenshindernisses abwendbar gewesen wäre.dd) Der Annahme eines nur mit der Verfahrensrüge geltend zu [X.] Mangels stehen auch die besonderen [X.] des§ 344 Abs. 2 Satz 2 [X.] entgegen, die für derart komplexe Verfahrensge-schehnisse nicht mehr handhabbar sind. Nach § 344 Abs. 2 Satz 2 [X.] hatder Revisionsführer sämtliche Umstände dem Revisionsgericht darzulegen,die für die Entscheidung des [X.] bedeutsam sein könnten.Dies kann auch sogenannte negative Tatsachen umfassen ([X.] NStZ 2000,49, 50 m.w.[X.]). Die lückenlose Aufarbeitung eines sich regelmäßig übermehrere Jahre hinweg erstreckenden Verfahrensablaufes, dessen Feststel-lung ohnehin dem Tatgericht obläge, ist dem Beschwerdeführer schlechthinnicht zumutbar. Ein entsprechender Revisionsvortrag würde im wesentlichenden gesamten Inhalt der Verfahrensakten betreffen, weil nahezu sämtlichedort dokumentierten Geschehnisse sich in irgendeiner Beziehung auf [X.] ausgewirkt haben könnten. Andererseits ist der Revisions-führer gehalten, dem Revisionsgericht nicht nur ein bloßes Aktenkonvolutvorzulegen, sondern dieses auch zu strukturieren ([X.] NStZ 1987, [X.]/[X.] NStZ 1987, 221). Kommt er dieser Pflicht, die [X.] eine gewisse Selektion des Tatsachenstoffes voraussetzt, mit der ihmzumutbaren Sorgfalt nach, so verbleibt dennoch für ihn ein nicht unerhebli-ches Restrisiko, daß sein Vortrag unvollständig bleibt, weil er [X.] jedenfalls [X.] des [X.] [X.] Umstände nicht mitgeteilt hat, die für die Be-urteilung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung Bedeutung er-langen [X.] diese nur schwerlich zu erfüllenden Anforderungen an einezulässige Verfahrensrüge belegen, daß das Erfordernis einer Verfahrensrügeder hier zu beurteilenden Problemstellung nicht gerecht würde. Der aus ver-fassungs- und menschenrechtlicher Sicht so bedeutsame Grundsatz [X.] in einer für ein rechtsstaatliches Verfahren angemes-senen Zeit wäre dadurch in seiner Wirkkraft erheblich entwertet, wenn derarthohe Zulässigkeitsschwellen vorausgesetzt werden sollten. Dies ließe [X.] mit der Funktion der Gewährleistung auch als institutioneller Garantievereinbaren, die mangels einer effektiven Sanktionierung durch derartigeZulässigkeitsanforderungen leerliefe, noch würde es dem Schutzzweck ge-recht, den diese Vorschrift im Hinblick auf das betroffene Individuum verfolgt.Insoweit wäre eine solche Auslegung auch im Blick auf das Rechtsstaats-prinzip verfassungsrechtlich problematisch. Eine Regelung, die dem [X.] in bezug auf den Zugang zur Rechtsmittelinstanz kaum aus-rechenbaren Darlegungsanforderungen unterwirft, steht mit dem [X.] nicht mehr im Einklang ([X.]E 49,148, 163 ff.).Die [X.] lassen sich auch nicht reduzieren. Jede ir-gendwie geartete Abschwächung hätte nämlich zur Folge, daß für den [X.] wiederum nicht abschätzbar wäre, welche Umstände er [X.] und welche er weglassen könnte. Es ist auch nicht erkennbar, [X.] solche Absenkung der [X.] sich abstrakt beschreibenlassen sollte. Anders als bei Verfahrensrügen, die regelmäßig nur ein punk-tuelles Geschehen betreffen, auf das die Vortragspflicht des § 344 Abs. 2Satz 2 [X.] zugeschnitten ist, wären hier schon die verfahrensbezogenenUmstände unübersichtlich, abgesehen von den noch hinzutretenden sach-lichrechtlichen Kriterien. Auch dieser Gesichtspunkt macht die systematischeNotwendigkeit deutlich, die Frage der rechtsstaatswidrigen [X.], die neben verfahrensrechtlichen auch wesentliche sachlichrechtliche- 12 -Elemente enthält, in der Revisionsinstanz auf Sachrüge einer [X.]) Die Überprüfung auf Sachrüge ergäbe hier einen durchgreifendenBegründungsmangel in den Urteilsgründen. Nach Auffassung des Senatshätte es im vorliegenden Fall einer Erörterung bedurft, ob eine rechtsstaats-widrige Verfahrensverzögerung eingetreten war. Mit dem sehr umfänglichenGeständnis des [X.] im Juni 1998, das bereits zu Beginn der Ermitt-lungen erfolgte und nach den Urteilsgründen die Tatabläufe und die Tatbetei-ligung weitgehend aufdeckte, waren die Taten im wesentlichen geklärt, zu-mal auch der weitere (nichtrevidierende) Mitangeklagte [X.]schon im [X.] geständig war. Der Angeklagte war [X.] jedenfalls [X.] mit seiner Inhaftierung im Oktober 1998 [X.] als Tatbeteiligter bekannt.Wieso es erst nach dreieinhalb Jahren, im Dezember 2001, zur Anklageer-hebung kam, hätte unter dem Gesichtspunkt der den [X.] zuzurechnenden Verfahrensverzögerung näherer Darlegung bedurft.Bei der Feststellung einer rechtsstaatswidrigen [X.] muß zwar immer auch die [X.] in Rechnung gestelltwerden, zumal durch besondere Beschleunigung in späteren Verfahrensab-schnitten Verzögerungen in anderen Verfahrensabschnitten kompensiertwerden können. Der Zeitraum zwischen Anklageerhebung und Urteilsspruch,der wiederum fast ein Jahr und fünf Monate in Anspruch genommen hat, isthier wiederum so lange, daß auch insoweit eine Darlegung der Ursachengeboten gewesen wäre. In der Zusammenschau beider Verfahrensabschnittegilt dies in besonderem Maße. Es wäre hier eine Gesamtwürdigung [X.] notwendig gewesen, warum trotz der frühzeitigen umfassenden [X.] das Verfahren insgesamt dennoch fast fünf Jahre bis zum erstin-stanzlichen Urteil gedauert [X.] -3. Der Senat sieht sich an einer abschließenden Sachentscheidunggehindert. Der vorliegende Fall nötigt deshalb zu einer Anfrage nach § 132Abs. 3 [X.]. Es liegt eine Abweichung von der vorgenannten Rechtspre-chung des 3. und des 1. Strafsenats vor. Diese besteht nach Auffassung desSenats auch, wenn die Feststellungen in den Urteilsgründen für sich ge-nommen tragfähig sein sollten, so daß sich schon auf ihrer Grundlage [X.] feststellen ließe. Zwar hat der [X.] in [X.] die Frage der Notwendigkeit der Erhebung einer Verfahrensrügedahinstehen lassen, wenn die maßgeblichen Umstände sich jedenfalls auchaus den Urteilsfeststellungen entnehmen lassen (vgl. [X.]St 47, 44, 47;[X.] [X.], 604, 605 jeweils zur vergleichbaren Problematik einesrechtsstaatswidrigen Lockspitzeleinsatzes). In diesen Fällen wurde jedoch[X.] anders als hier [X.] jedenfalls eine Verfahrensrüge erhoben, wenngleich anderen Zulässigkeit Bedenken bestanden haben mögen.Überdies ist [X.] soweit sich der [X.] aus den [X.] selbst ergibt [X.] das Meinungsbild in der Rechtsprechung des [X.] nicht eindeutig (vgl. [X.]R [X.] § 344 Abs. 2 Satz 2 Be-weiswürdigung 5; [X.] in Festschrift für [X.] 559 f.). Es istfraglich, ob die Feststellungen in den Urteilsgründen die formelle Erhebungeiner Verfahrensrüge entbehrlich machen können (vgl. [X.] in KK 5. Aufl.§ 337 Rdn. 27). Hält man nämlich grundsätzlich eine Verfahrensrüge für er-forderlich, bedeutet dies zwangsläufig, daß eine solche auch explizit erhobenwerden muß, weil die Rüge der Verletzung von Verfahrensnormen vollkom-men der Dispositionsfreiheit des Beschwerdeführers unterliegt, aber ande-rerseits für diese Rüge besondere Begründungserfordernisse gelten (vgl.[X.] in Festschrift für [X.] 559 f.). Eine solche ausdrücklicheEntscheidung des Beschwerdeführers, die Verletzung des Beschleunigungs-gebotes zu rügen, ist der Revisionsbegründung nicht zu entnehmen. Der [X.] sieht sich deshalb nicht in der Lage, hier ohne Anfrage nach § 132Abs. 3 [X.] in der Sache zu entscheiden. Dies würde im übrigen in [X.] gelten, wenn man für die revisionsrechtliche Prüfung, ob eine rechts-staatswidrige Verfahrensverzögerung vorliegt, die Erhebung einer Verfah-rensrüge für erforderlich hielte; denn auch dieser Rechtsansicht steht Recht-sprechung anderer Senate entgegen.[X.] Gerhardt Raum Ri[X.] Dr. Brauseist durch urlaubsbedingteAbwesenheit an [X.] gehindert.[X.]

Meta

5 StR 376/03

13.11.2003

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 13.11.2003, Az. 5 StR 376/03 (REWIS RS 2003, 750)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2003, 750

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