Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.05.2004, Az. 2 ARs 33/04

2. Strafsenat | REWIS RS 2004, 3015

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[X.] vom 26. Mai 2004 in der Strafsache gegen

wegen gewerbsmäßiger Bandenhehlerei u.a.

hier: [X.] vom 13. November 2003

- 5 [X.]

- 2 - Der 2. Strafsenat des [X.] hat am 26. Mai 2004 gemäß § 132 Abs. 3 [X.] beschlossen: Der [X.] hält für die Prüfung, ob eine rechtsstaatswidrige Ver-fahrensverzögerung vorliegt, die eine kompensatorische Strafzu-messung erforderlich macht, grundsätzlich die Erhebung einer zu-lässigen Verfahrensrüge für erforderlich.

Gründe: Der 5. Strafsenat beabsichtigt zu entscheiden: "Das Revisionsgericht hat auf Sachrüge zu prüfen, ob eine rechts-staatswidrige Verfahrensverzögerung, die eine kompensatorische Straf-zumessung erforderlich macht, gegeben ist oder jedenfalls zu erörtern gewesen wäre; insoweit stehen dem Revisionsgericht als Beurteilungs-grundlage die Urteilsgründe, sowie diejenigen Umstände offen, die es von Amts wegen zur Kenntnis nehmen muß (Anklage, Eröffnungs-beschluß)." Mit Beschluß vom 13. November 2003 - 5 [X.] - hat der 5. [X.] daher beim 1. und 3. Strafsenat angefragt, ob an der entgegenstehenden Rechtsmeinung festgehalten wird. Den anderen Strafsenaten hat er die Sache mit der Frage vorgelegt, ob der beabsichtigten Entscheidung eigene Recht-sprechung entgegensteht und ob gegebenenfalls an ihr festgehalten wird. - 3 - Der 2. Strafsenat hat in mehreren Entscheidungen eindeutig zum Aus-druck gebracht, daß er für die Beanstandung einer rechtsstaatswidrigen Ver-fahrensverzögerung grundsätzlich die Erhebung einer zulässigen Verfahrens-rüge für erforderlich hält (vgl. u.a. Beschluß vom 17. August 2001 - 2 StR 267/01; Beschluß vom 26. April 2002 - 2 StR 55/02 und Urteil vom 19. Juni 2002 - 2 StR 43/02). An dieser Rechtsprechung hält der [X.] fest (nachfolgend [X.]). In weni-gen Ausnahmefällen erachtet der [X.] jedoch die Erhebung allein der Sach-rüge zur Prüfung für ausreichend (nachfolgend I[X.]). [X.] Der [X.] hält an seiner Rechtsprechung fest. 1. Die Erhebung allein der Sachrüge verpflichtet das Revisionsgericht grundsätzlich nicht zur Prüfung, ob eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzö-gerung vorliegt, die eine kompensatorische Strafzumessung erforderlich macht. Ein materiell-rechtlicher Fehler des angefochtenen Urteils liegt dann vor, wenn ein nach den sonstigen Urteilsgründen nahe liegender wesentlicher Ge-sichtspunkt vom Tatrichter nicht erörtert wird, das heißt, wenn die Umstände zu einer Auseinandersetzung damit drängen.
Die Auffassung des 5. Strafsenates würde daher zutreffen, wenn der Umstand, daß zwischen Tat und Aburteilung ein langer (wie lange?) Zeitraum liegt, das Vorliegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung nahe-legt. Bei der Frage, ob eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung vor-liegt, sind aber insbesondere die Art und Schwere des [X.], die Art und Weise der Ermittlungen, die Komplexität des Sachverhalts, das Verhalten des Beschuldigten sowie die durch das Verfahren entstehenden Belastungen für - 4 - den Beschuldigten zu berücksichtigen (vgl. u.a. [X.], 140). Nach der Rechtsprechung des [X.] und des [X.] (vgl. u.a. [X.] in [X.], 371 f., 379; [X.] in [X.], 299 f., 301 = aus-zugsweise in NJW 2002, 2856 f.; [X.] NJW 1993, 3254, 3255; NJW 2003, 2225 f. und 2228 f.; [X.] JZ 2003, 999 ff. und [X.], Beschluß vom 21. Januar 2004 - 2 BvR 1471/03) sind Faktoren, die regelmäßig von Bedeutung sind, insbesondere der durch die Verzögerungen der [X.] verursachte Zeitraum der Verfahrensverlängerung, die Gesamtdauer des Verfahrens, die Schwere des [X.], der Umfang und die Schwierigkeit des [X.] sowie das Ausmaß der mit der Dauer des schwebenden Verfah-rens für den Betroffenen verbundenen besonderen Belastungen. Keine Be-rücksichtigung finden hingegen [X.], die der Beschuldig-te selbst verursacht hat. Entscheidend ist hierbei auch, ob die Sache insge-samt in angemessener Frist verhandelt worden ist, wobei eine gewisse Untä-tigkeit innerhalb einzelner Verfahrensabschnitte dann nicht zu einer Verletzung von Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 [X.] führt, wenn dadurch die Gesamtdauer des Verfahrens nicht unangemessen lang wird. Bei der Bestimmung des Zeit-punkts, mit dem die Frist beginnt, innerhalb welcher ein Verfahren in angemes-sener Dauer durchgeführt werden muß, ist für das verfassungsrechtliche Be-schleunigungsgebot darauf abzustellen, wann eine zusätzlich fühlbare Belas-tung des Beschuldigten tatsächlich eintritt (vgl. u.a. [X.] NJW 1993, 3254). Dabei beginnt die "angemessene Frist" im Sinne der Konvention, wenn der Be-schuldigte von den Ermittlungen in Kenntnis gesetzt wird (vgl. u.a. [X.] NJW 2003, 2228; [X.], 140, 143).
Diese zahlreichen Voraussetzungen, die zur Bejahung eines Verstoßes wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung zu prüfen sind, erschöpfen - 5 - sich daher keineswegs in der Feststellung, daß zwischen Tat und Aburteilung ein langer Zeitraum liegt, sondern zeigen, daß die Verzögerung grundsätzlich nicht unabhängig von ihrer Ursache zu beurteilen ist. Der reine Zeitablauf ist ein selbständiger Strafmilderungsgrund und legt ohne weitere begründete [X.] nicht nahe, daß eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung gegeben und zu erörtern ist.
In der Regel fehlen in den schriftlichen Urteilsgründen (weil ansonsten unerheblich) unter anderem folgende zur Beurteilung eines Verstoßes gegen Artikel 6 [X.] erforderliche Feststellungen:

Zeitpunkt der Kenntnis des Beschuldigten von den gegen ihn gerichteten Ermittlungen (= Fristbeginn), Beweisanträge im Ermittlungsverfahren, Richter-ablehnungen, Beschwerden an das [X.], Ablehnung der Eröff-nung, Klageerzwingungsverfahren, ob der Angeklagte sich ins Ausland abge-setzt hatte, ob der Angeklagte geladen werden konnte, ob Zeugenermittlungen oder Zeugenladungen sich schwierig gestalteten, ob [X.] sich verzögert haben, ob Anklagepunkte, die umfangreiche Ermittlungen erforderlich machten, nach §§ 153 a, 154, 154 a StPO erledigt wurden (vgl. [X.]surteil vom 19. Juni 2002 - 2 StR 43/02), ob etwaige [X.]en in anderen Verfahrensabschnitten kompensiert wurden, ob und wann ein Mittäter oder der Angeklagte geständig war, wenn ein glaubhaftes Ges-tändnis des Angeklagten in der Hauptverhandlung vorliegt, ob und wie die [X.] den Angeklagten belastet hat; dies kann nur dieser selbst vortragen. Manchmal ergibt sich aus dem Urteil auch nicht, ob und wann der Ange-klagte in Untersuchungshaft gesessen hat oder in Strafhaft in anderer Sache. - 6 - Die meisten dieser Voraussetzungen sind in der Regel auch nicht der Anklage zu entnehmen. Ohnehin bestehen grundsätzliche Bedenken, die Anklage dafür heran-zuziehen, ob das Urteil materiell-rechtliche Fehler enthält. Häufig sind in der Anklage die Vorstrafen dargestellt, so daß sich daraus mitunter auch ein sach-lich-rechtlicher Fehler bei der Gesamtstrafenbildung besorgen ließe oder ein Verstoß gegen §§ 56 f, 58 StGB (Anrechnung bezahlter Bewährungsauflagen) usw. Der Umstand, daß eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung im Extremfall ein Verfahrenshindernis zu begründen vermag (vgl. [X.]surteil BGHSt 46, 159 ff.), rechtfertigt nicht in den Regelfällen die allgemeine Rechts-dogmatik zu durchbrechen. Dies gilt auch für die seltenen Fälle, in denen das Revisionsgericht von Amts wegen einen Verstoß gegen Artikel 6 [X.] zu be-rücksichtigen hat, der nach Verkündung des angefochtenen Urteils eingetreten ist (vgl. [X.]sbeschlüsse vom 5. Juli 1995 - 2 StR 219 und 220/94; vom 16. Juli 1997 - 2 StR 286/97; 18. Dezember 1998 - 2 [X.] und vom 19. Januar 2000 - 2 [X.]). Letzteres zeigt vielmehr, daß es sich insoweit gerade nicht um einen materiell-rechtlichen Fehler handelt; denn der Tatrichter hat keinen sachlich-rechtlichen Fehler im angefochtenen Urteil begangen. Im übrigen sollte die Bedeutung des Verstoßes gegen Artikel 6 [X.] auch nicht überbewertet werden. Aus § 338 StPO ergibt sich, daß auch schwerwiegendere Verfahrensverstöße nur aufgrund einer (formgerecht erho-benen) Verfahrensrüge zu beachten sind. 2. Es ist nahe liegend, daß [X.], [X.] darstellen und deshalb mit der Verfahrensrüge zu beanstanden sind. - 7 - Daß ein Verfahrensfehler sich materiell-rechtlich (bei der Strafzumessung) auswirken kann, führt nicht dazu, daß es sich nicht mehr um einen Verfahrens-fehler handelt. Auch bei sachlich-rechtlich fehlerhaft unterlassener Gesamtstra-fenbildung, für die sich aus dem Urteil aber nichts ergibt, muß zunächst eine formgerechte Aufklärungsrüge erhoben werden, die dann für das materielle Recht Auswirkungen hat. Ein Verfahrensfehler wird nicht dadurch zum materiel-len Recht, daß er sachlich-rechtlich zu erörtern ist. Auch ein anderer Verstoß gegen Artikel 6 [X.] (Tatprovokation durch V-Mann), der ebenfalls einen wesentlichen Strafzumessungsgrund darstellt, kann nur mit der Verfahrensrüge geltend gemacht werden, wenn sich aus den [X.] hierzu nichts ergibt. Problematisch wäre auch, wenn zur Prüfung einer [X.] in der Hauptverhandlung eine in der Hauptverhandlung stattgefundene Beweiserhebung ihrerseits wieder zum Gegenstand des tatrichterlichen [X.] gemacht werden müßte (vgl. hierzu auch BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 1 Unzulässigkeit 12). Hinzu kommt folgendes: Hat der Tatrichter in der Hauptverhandlung keine Feststellungen zu den Voraussetzungen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung ge-troffen, darf er derartige Umstände dem Urteil nicht zugrundelegen und sich in den Urteilsgründen damit nicht befassen. Der Vorwurf ist dann nicht materiell-rechtlicher Art, sondern geht dahin, daß er die Umstände nicht festgestellt hat. Das heißt, es muß eine Aufklärungsrüge (= Verfahrensrüge) erhoben werden (so zutreffend [X.] Artikel 6 [X.] Rdn. 9 c). Dem Tatrichter kann nicht als sachlich-rechtlicher Fehler vorgeworfen werden, etwas nicht erörtert - 8 - zu haben, was er (weil nicht Gegenstand der Hauptverhandlung) gar nicht [X.]. Fehlerhaft ist, die sich aufdrängende Aufklärung unterlassen zu haben; das ist aber ein [X.], der mit einer Verfahrensrüge geltend zu ma-chen ist. Auch wenn nach Auffassung des Angeklagten die vom Tatrichter im Ur-teil getroffenen Feststellungen zu Artikel 6 [X.] unzutreffend sind, kann er - wenn überhaupt - hiergegen nur mit einer Verfahrensrüge angehen. 3. Sollten die Anforderungen gemäß §§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO an eine Verfahrensrüge zu hoch sein, wird man diese - wie sonst auch - sinnvoll sen-ken müssen. Das Argument, dies sei schwierig, kann nicht dazu führen das Erfordernis einer Verfahrensrüge fallen zu lassen. I[X.] In wenigen Ausnahmefällen erachtet der [X.] jedoch die Erhebung allein der Sachrüge zur Prüfung für ausreichend. 1. Dies wird zu erwägen sein, wenn sich aus den Urteilsgründen alles zur Beurteilung eines Verstoßes gegen Artikel 6 [X.] entnehmen läßt. In [X.] tracht der oben ([X.] 1.) mitgeteilten zahlreichen Umständen, die zur Beurteilung erforderlich sind, wird es sich jedoch um einen seltenen Ausnahmefall handeln. Dieser wäre allenfalls dann gegeben, wenn alles erforderliche festgestellt ist und es nur um die Überprüfung der Wertung des Tatrichters geht. 2. Allein auf die Sachrüge ist einzugreifen, wenn nur die Höhe der [X.] (rechtsfehlerhaft) nicht exakt bestimmt wurde (vgl. auch [X.]sbe-schlüsse vom 20. Dezember 2002 - 2 StR 381/02 und vom 19. März 2003 - 2 StR 23/03). - 9 - 3. Auch ein Prozeßurteil, durch welches ein Verfahren wegen eines Ver-stoßes gegen Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 [X.] in Verbindung mit dem [X.] eingestellt wurde (vgl. hierzu [X.]surteil vom 6. März 2002 - 2 StR 530/01), kann von der Staatsanwaltschaft (allein) mit der Sachrüge an-gegriffen werden. Reichen die tatrichterlichen Feststellungen nicht für ein Ein-stellungsurteil aus, ist dieses auf Sachrüge aufzuheben. [X.] Rothfuß

Fischer

Roggenbuck

Meta

2 ARs 33/04

26.05.2004

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: ARs

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.05.2004, Az. 2 ARs 33/04 (REWIS RS 2004, 3015)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2004, 3015

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