Bundesgerichtshof, Urteil vom 19.10.2023, Az. IX ZR 249/22

9. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 7929

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Gegenstand

Kündigung eines Bauvertrages: Gläubigerbenachteiligung durch Herstellung einer Aufrechnungslage


Leitsatz

1. Führt eine vom Besteller ausgesprochene Kündigung eines Bauvertrags aus wichtigem Grund dazu, dass sich die Forderung des Schuldners auf Werklohn und eine Gegenforderung auf Schadensersatz wegen Fertigstellungsmehrkosten aus einem anderen Vertragsverhältnis aufrechenbar gegenüberstehen, ist die Herstellung der Aufrechnungslage gläubigerbenachteiligend.

2. Die Wirksamkeit der Kündigung steht der Anfechtbarkeit der Herstellung der Aufrechnungslage nicht entgegen.

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 29. Zivilsenats des [X.] vom 2. September 2022 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger ist Verwalter in dem auf Eigenantrag vom 6. Februar 2018 am 1. Mai 2018 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der [X.]       (im Folgenden: Schuldnerin). Die Beklagte beauftragte die Schuldnerin im August 2017 auf der Grundlage zweier Auftragsschreiben mit Metallbauarbeiten. Nachdem die Beklagte von dem Insolvenzantrag der Schuldnerin Kenntnis erlangt hatte, kündigte sie mit Schreiben vom 9. März 2018 unter anderem diese beiden Verträge gemäß § 8 Abs. 2 VOB/B außerordentlich fristlos und nahm am 21. März 2018 die bereits erbrachten Arbeiten ab. Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung restlichen [X.] für Metallbauarbeiten der Schuldnerin auf der Grundlage der beiden Auftragsschreiben gemäß zweier Schlussrechnungen vom 28. März 2018 in Höhe von insgesamt 182.464,43 € in Anspruch. Die Beklagte rechnet mit streitigen Schadensersatzansprüchen aus einem anderen, ebenfalls mit dem Schreiben vom 9. März 2018 gemäß § 8 Abs. 2 VOB/B außerordentlich fristlos gekündigten Bauvorhaben in Höhe von 383.103,55 € auf.

2

Das [X.] hat unter Berücksichtigung von Abzügen wegen nicht erbrachter Teilleistungen der Klage in Höhe von 172.952,61 € stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hat nur insoweit Erfolg gehabt, als hinsichtlich eines Betrags von 10.204,88 € eine Verurteilung Zug um Zug gegen Stellung von [X.] ausgesprochen wurde. Mit der vom Berufungsgericht für die Beklagte zugelassenen Revision verfolgt diese ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

3

Die Revision hat keinen Erfolg.

I.

4

Das Berufungsgericht hat, soweit für die Revision von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt, die Aufrechnung der Beklagten sei nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 [X.] in Verbindung mit § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] unzulässig, weil die Beklagte die Möglichkeit der Aufrechnung durch ihre in Kenntnis des [X.] erklärte Sonderkündigung erlangt habe. Aus der Wirksamkeit der Sonderkündigung folge nicht, dass der Auftraggeber mit seinem an diese anknüpfenden Mehrkostenerstattungsanspruch auch aufrechnen könne. Die Herbeiführung einer [X.] könne auch dann anfechtbar sein, wenn das Kündigungsrecht außer Frage stehe.

II.

5

Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.

6

1. Zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, dass gegenüber den in der Revisionsinstanz nicht mehr im Streit stehenden Vergütungsansprüchen der Schuldnerin die Aufrechnung gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3, § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] insolvenzrechtlich unzulässig ist.

7

a) Gegenstand der Anfechtung gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 [X.] ist das Herstellen der [X.] ([X.], Urteil vom 11. Dezember 2008 - [X.], [X.]Z 179, 137 Rn. 12). Da § 96 Abs. 1 Nr. 3 [X.] auf die allgemeinen Vorschriften über die Insolvenzanfechtung (§§ 129 ff [X.]) Bezug nimmt, müssen sämtliche Merkmale einer anfechtbaren Rechtshandlung erfüllt sein (vgl. [X.], Urteil vom 19. November 2013 - [X.], [X.], 114 Rn. 12). Als Rechtshandlung kommt jede Handlung in Betracht, die zum Entstehen der [X.] führt (vgl. [X.], Urteil vom 22. Oktober 2009 - [X.], [X.], 17 Rn. 14 f), insbesondere die Kündigung eines Vertrags ([X.], Urteil vom 7. Mai 2013 - [X.], [X.], 694 Rn. 6; [X.] in Kübler/[X.]/[X.], [X.], 2015, § 96 Rn. 58). Durch die in Kenntnis des Eröffnungsantrags der Schuldnerin erklärte, auf § 8 Abs. 2 (Nr. 1 Fall 2) VOB/B gestützte Kündigung vom 9. März 2018 hat die Beklagte eine [X.] mit etwaigen Gegenforderungen aus § 8 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 VOB/B hergestellt. Soweit die Revision in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat, dass die Gegenforderungen bereits vor der Kündigung entstanden seien, fehlt es an entsprechenden Feststellungen und hat die Revision keine Verfahrensrüge erhoben.

8

b) Ob das [X.] der [X.] eine kongruente oder inkongruente Deckung darstellte, kann dahinstehen; denn es liegen nach den zutreffenden Feststellungen des Berufungsgerichts in jedem Fall die Voraussetzungen des § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] vor. Als Auffangtatbestand erfasst die Regelung des § 130 [X.] auch inkongruente Deckungen ([X.], Urteil vom 19. Januar 2012 - [X.], [X.]Z 192, 221 Rn. 11; HK-[X.]/[X.], 11. Aufl., § 130 Rn. 12; MünchKomm-[X.]/[X.]/[X.], 4. Aufl., § 130 Rn. 6; [X.]/Ganter/Weinland, [X.], 20. Aufl., § 130 Rn. 2).

9

2. Die Revision meint, die streitgegenständliche [X.] sei nicht durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt. An einer Benachteiligung fehle es, weil die Einbeziehung des § 8 Abs. 2 VOB/B in den [X.] keine Vermögensnachteile auferlegt habe, die über die gesetzlichen und richterrechtlich anerkannten Folgen hinausgingen. Da im Übrigen eine Unausgewogenheit des [X.] nicht ersichtlich sei, scheide eine insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit aus.

a) Der Kläger macht indessen keine (Teil-)Anfechtung des [X.] geltend, sondern beruft sich auf die insolvenzrechtliche Unzulässigkeit der Aufrechnung. Die Wirksamkeit der insolvenzabhängigen Lösungsklausel des § 8 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 VOB/B und der Bestimmung des § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B in Bezug auf §§ 103, 119 [X.] (vgl. [X.], Urteil vom 7. April 2016 - [X.], [X.]Z 210, 1 Rn. 24; vom 27. Oktober 2022 - [X.], [X.]Z 235, 36 Rn. 18) sowie auf § 307 Abs. 1, 2 BGB ([X.], Urteil vom 7. April 2016, aaO Rn. 51) ist von der vorliegend zu entscheidenden Frage der Anfechtbarkeit der Herstellung der [X.] zu trennen. Die insolvenzrechtliche Unwirksamkeit ergreift nur die gläubigerbenachteiligende Wirkung der Herstellung der [X.], nicht jedoch das Grundgeschäft (hier: die Kündigung). Nach § 143 Abs. 1 [X.] ist nur dasjenige zur Insolvenzmasse zurück zu gewähren, was durch die anfechtbare Handlung aus dem Vermögen des Schuldners veräußert, weggegeben oder aufgegeben worden ist, also der eingetretene Erfolg als solcher. Besteht die objektive Gläubigerbenachteiligung nur in einer einzelnen, abtrennbaren Wirkung einer einheitlichen Rechtshandlung, darf deren Rückgewähr nicht mit der Begründung ausgeschlossen werden, dass die Handlung auch sonstige, für sich nicht anfechtbare Folgen ausgelöst habe. Einen Rechtsgrundsatz, dass mehrere Wirkungen einer Rechtshandlung nur ganz oder gar nicht anfechtbar seien, gibt es im Insolvenzrecht nicht ([X.], Urteil vom 7. Mai 2013 - [X.], [X.], 694 Rn. 8 mwN).

b) Die Erlangung der Aufrechnungsmöglichkeit durch eine anfechtbare Rechtshandlung wird genauso beurteilt, wie wenn das Insolvenzverfahren im Zeitpunkt des Erwerbs der Forderung bereits eröffnet gewesen wäre ([X.], Urteil vom 28. September 2006 - [X.], [X.]Z 169, 158 Rn. 13). Der Verwalter kann sich unmittelbar auf die Unwirksamkeit der Aufrechnung nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 [X.] berufen ([X.], Urteil vom 11. Dezember 2008 - [X.], [X.]Z 179, 137 Rn. 12). Auf diesem Wege kann der Insolvenzverwalter die Forderung der Masse, gegen die aufgerechnet worden ist, durchsetzen, als sei die Aufrechnung nicht erfolgt (MünchKomm-[X.]/[X.]/[X.], 4. Aufl., § 96 Rn. 42).

3. Ohne Erfolg rügt die Revision weiter, es fehle an einer objektiven Gläubigerbenachteiligung, weil die Kündigung Voraussetzung für die vom Kläger erhobene Restwerklohnforderung und zugleich für das Entstehen des Schadensersatzanspruchs wegen der Fertigstellungsmehrkosten gewesen sei.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats kann die gläubigerbenachteiligende Wirkung, die mit der Herstellung einer [X.] eintritt, selbständig angefochten werden (zur Konkursordnung bereits [X.], Urteil vom 5. April 2001 - [X.], [X.]Z 147, 233, 236; zur Insolvenzordnung [X.], Urteil vom 9. Juli 2009 - [X.], [X.], 1674 Rn. 30 ff; vom 22. Oktober 2009 - [X.], [X.], 2394 Rn. 11 ff; ebenso [X.], [X.], 181 Rn. 26 bis 29). Die gemäß § 129 Abs. 1 [X.] erforderliche Gläubigerbenachteiligung ist beim Herstellen der [X.] regelmäßig schon deshalb zu bejahen, weil die Forderung der Masse im Umfang der Aufrechnung zur Befriedigung einer einzelnen Insolvenzforderung verbraucht wird und insoweit nicht mehr für die Verteilung der Masse zur Verfügung steht. Der Masse entgeht dadurch die Differenz zwischen dem Nennwert der Forderung der Masse und der Quote auf die Gegenforderung des Insolvenzgläubigers ([X.], Urteil vom 9. Oktober 2003 - [X.], [X.], 82, 83; vom 19. November 2013 - [X.], [X.], 114 Rn. 14; MünchKomm-[X.]/[X.]/[X.], 4. Aufl., § 96 Rn. 46).

b) Eine Kündigung hat die Benachteiligung der Insolvenzgläubiger zur Folge, wenn sie - wie hier - zu der Möglichkeit der Aufrechnung führt, welche die Hauptforderung der Gesamtheit der Gläubiger entzog (vgl. [X.], Urteil vom 7. Mai 2013 - [X.], [X.], 694 Rn. 6). In der Möglichkeit der Befriedigung durch Aufrechnung, welche den üblicherweise eintretenden Zufluss des [X.] für die erbrachten Arbeiten an die haftende Masse ausschließt, wodurch die anderen Gläubiger benachteiligt werden, liegt eine objektive Gläubigerbenachteiligung (vgl. [X.], Urteil vom 30. Juni 2011 - [X.], [X.]Z 190, 201 Rn. 27). Eine Saldierung der Vor- und Nachteile findet im Insolvenzverfahren grundsätzlich nicht statt; eine Vorteilsausgleichung nach schadensersatzrechtlichen Grundsätzen ist im Insolvenzanfechtungsrecht grundsätzlich nicht zulässig. Vielmehr ist der Eintritt der Gläubigerbenachteiligung isoliert in Bezug auf die konkret bewirkte Minderung des Aktivvermögens oder die Vermehrung der Passiva des Schuldners zu beurteilen ([X.], Urteil vom 7. Mai 2013, aaO Rn. 7). Daher schließt es die Gläubigerbenachteiligung nicht aus, wenn die [X.], gegen die die Beklagte aufgerechnet hat, erst durch die angefochtene Rechtshandlung fällig geworden ist ([X.], Urteil vom 7. Mai 2013, aaO).

c) Dass die Rechtshandlung, welche die [X.] herbeiführt, der Masse auch Vorteile verschafft haben mag, steht einer Gläubigerbenachteiligung nicht entgegen. Zwar hat, wie die Revision zutreffend geltend macht, der [X.]. Zivilsenat noch zur Gesamtvollstreckungsordnung entschieden, dass es an einer Gläubigerbenachteiligung fehle, wenn die Kündigung des Bestellers dazu führe, dass dessen Schadensersatzanspruch durchsetzbar entstanden, sie andererseits aber auch notwendige Voraussetzung für die Fälligkeit der [X.] des Schuldners gewesen sei ([X.], Urteil vom 23. Juni 2005 - [X.] ZR 197/03, [X.]Z 163, 274, 281). Ob an dieser Rechtsprechung festzuhalten ist, kann dahinstehen. Sie betrifft jedenfalls nicht den Fall, dass die einander aufrechenbar gegenüberstehenden Forderungen aus unterschiedlichen Verträgen stammen. Im Streitfall folgen die Gegenforderungen aus einem anderen Vertragsverhältnis, dessen außerordentlich fristlose Kündigung auf die Fälligkeit der Hauptforderung des Schuldners keinen Einfluss hatte. Deshalb bedarf es auch keiner Anfrage des erkennenden Senats gemäß § 132 Abs. 3 GVG.

d) Das von der Revision außerdem angeführte, zu §§ 17, 26 KO ergangene Urteil des [X.]. Zivilsenats vom 5. Mai 1977 ([X.] ZR 85/76, [X.]Z 68, 379, 383) ist vorliegend schon deswegen nicht einschlägig, weil die Beklagte vor Verfahrenseröffnung die [X.] durch eine anfechtbare Rechtshandlung herbeigeführt hat.

Schoppmeyer     

      

[X.]     

      

Röhl   

      

Schultz     

      

Weinland     

      

Meta

IX ZR 249/22

19.10.2023

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Frankfurt, 2. September 2022, Az: 29 U 167/21

§ 96 Abs 1 Nr 3 InsO, § 129 Abs 1 InsO, § 130 Abs 1 S 1 Nr 2 InsO, § 8 Abs 2 Nr 2 VOB B

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 19.10.2023, Az. IX ZR 249/22 (REWIS RS 2023, 7929)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 7929

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