Bundesgerichtshof, Urteil vom 07.05.2013, Az. IX ZR 191/12

9. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 6078

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Gegenstand

Insolvenz des Vertragshändlers: Wirksamkeit der Aufrechnung mit Insolvenzforderungen des Unternehmers gegen den Ausgleichsanspruch des Schuldners nach der Kündigung des Vertragshändlervertrags


Leitsatz

Kündigt der Unternehmer den Vertragshändlervertrag, weil der Vertragshändler die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen beantragt hat, ist die nach der Eröffnung erklärte Aufrechnung mit Insolvenzforderungen gegen den Ausgleichsanspruch bei Vorliegen der Anfechtungsvoraussetzungen insolvenzrechtlich unwirksam.

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 2. Zivilsenats des [X.] vom 20. Juli 2012 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger ist Verwalter in dem am 1. Dezember 2007 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der [X.] (Schuldnerin). Die Schuldnerin war [X.] der Beklagten. Nachdem sie am 4. Oktober 2007 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen beantragt hatte, kündigte die Beklagte am 12. Oktober 2007 den [X.]. Am 2. Oktober 2008 machte der Kläger den Anspruch auf angemessenen Ausgleich analog § 89b HGB geltend. Grund und Höhe dieses Anspruchs von 128.998,46 € (brutto) stehen außer Streit. Die Beklagte erklärte die Aufrechnung mit vor der Eröffnung entstandenen, ebenfalls nach Grund und Höhe unstreitigen Gegenansprüchen aus dem Vertragsverhältnis in Höhe von insgesamt 83.054,94 €; den Restbetrag von 45.943,52 € zahlte sie an den Kläger.

2

Der Kläger hält die Aufrechnung für insolvenzrechtlich unwirksam. Er hat Zahlung der 83.054,94 € zur Insolvenzmasse verlangt. Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Beklagte unter Berücksichtigung eines Abzugs von 2.975 € für den Erlös aus der Veräußerung der Kundenkartei zur Zahlung von 80.079,94 € nebst Zinsen und Kosten verurteilt. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision will die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils erreichen.

Entscheidungsgründe

3

Die Revision bleibt ohne Erfolg.

I.

4

Das Berufungsgericht hat ausgeführt (vgl. [X.], 1872 mit krit. [X.]. [X.], EWiR 2012, 737): [X.] sei nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 iVm § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] insolvenzrechtlich unwirksam, weil der Beklagten der Insolvenzantrag im Zeitpunkt der Kündigung des [X.] bekannt gewesen sei. Gegenstand der Anfechtung sei die Herstellung der Aufrechnungslage. Die Gläubigerbenachteiligung folge daraus, dass der Ausgleichsanspruch nicht mehr für die Gesamtheit der Gläubiger zur Verfügung stehe. Dass der Ausgleichsanspruch ohne die Kündigung nicht entstanden wäre, sei nicht von Belang; eine Vorteilsausgleichung finde grundsätzlich nicht statt. Rechtsfolge der Anfechtbarkeit sei die Unwirksamkeit der Aufrechnung und damit der Fortbestand des andernfalls durch die Aufrechnung erloschenen Ausgleichsanspruchs.

II.

5

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung stand. Nach Grund und Höhe steht der Anspruch des [X.] auf Zahlung eines Ausgleichs analog § 89b HGB außer Streit. Die von der Beklagten erklärten Aufrechnungen sind gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 [X.] insolvenzrechtlich unwirksam.

6

1. Die Beklagte hat die Aufrechnungslage durch die fristlose Kündigung des [X.] am 12. Oktober 2007 herbeigeführt. Sie wusste dabei von dem am 4. Oktober 2007 gestellten Insolvenzantrag. Die Kündigung stellte eine Rechtshandlung im Sinne von § 129 Abs. 1 [X.] dar. Unter einer Rechtshandlung im Sinne der §§ 129 ff [X.] ist jedes von einem Willen getragene Handeln zu verstehen, das eine rechtliche Wirkung auslöst und das Vermögen des Schuldners zum Nachteil der Insolvenzgläubiger verändern kann ([X.], Urteil vom 12. Februar 2004 - [X.], [X.], 666, 667; vom 14. Dezember 2006 - [X.], [X.]Z 170, 196 Rn. 10; vom 9. Juli 2009 - [X.], [X.], 644 Rn. 21). Darauf, ob die rechtliche Wirkung auf dem Willen des Handelnden beruht oder - wie hier - kraft Gesetzes eintritt (§ 89b HGB in entsprechender Anwendung; vgl. hierzu [X.], Urteil vom 6. Oktober 2010 - [X.], [X.], 2350 Rn. 24), kommt es entgegen der Ansicht der Revision nicht an. Die Kündigung hatte eine Benachteiligung der Insolvenzgläubiger zur Folge, weil sie zu der Möglichkeit der Aufrechnung führte, welche den Ausgleichsanspruch der Gesamtheit der Gläubiger entzog.

7

2. Entgegen der Ansicht der Revision ist eine Gläubigerbenachteiligung nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Ausgleichsanspruch, gegen den die Beklagte aufgerechnet hat, erst durch die angefochtene Rechtshandlung - die Kündigung - entstanden und fällig geworden ist (vgl. hierzu [X.], Urteil vom 6. August 1997 - [X.], [X.], 1839, 1844). Dass die Rechtshandlung, welche die Aufrechnungslage herbeiführt, der Masse auch Vorteile verschafft, steht einer Gläubigerbenachteiligung nicht entgegen. Eine Saldierung der Vor- und Nachteile findet im Insolvenzverfahren grundsätzlich nicht statt; eine Vorteilsausgleichung nach schadensersatzrechtlichen Grundsätzen ist im Insolvenzanfechtungsrecht grundsätzlich nicht zulässig. Vielmehr ist der Eintritt der Gläubigerbenachteiligung isoliert in Bezug auf die konkret bewirkte Minderung des Aktivvermögens oder der Vermehrung der Passiva des Schuldners zu beurteilen (vgl. [X.], Urteil vom 9. Juli 2009 - [X.], [X.], 644 Rn. 26 f; vom 26. April 2012 - [X.], [X.], 1183 Rn. 30 ff).

8

3. Die insolvenzrechtliche Unwirksamkeit ergreift nur die gläubigerbenachteiligende Wirkung der Herstellung der Aufrechnungslage, nicht jedoch das Grundgeschäft (hier: die Kündigung). Nach § 143 Abs. 1 [X.] ist (nur) dasjenige zur Insolvenzmasse zurückzugewähren, was durch die anfechtbare Handlung aus dem Vermögen des Schuldners veräußert, weggegeben oder aufgegeben worden ist, also der eingetretene Erfolg als solcher. Besteht die objektive Gläubigerbenachteiligung nur in einer einzelnen, abtrennbaren Wirkung einer einheitlichen Rechtshandlung, darf deren Rückgewähr nicht mit der Begründung ausgeschlossen werden, dass die Handlung auch sonstige, für sich nicht anfechtbare Folgen ausgelöst habe. Einen Rechtsgrundsatz, dass mehrere Wirkungen einer Rechtshandlung nur ganz oder gar nicht anfechtbar seien, gibt es im Insolvenzrecht nicht ([X.], Urteil vom 5. April 2001 - [X.], [X.]Z 147, 233, 236; vom 9. Juli 2009, aaO Rn. 32; vom 11. März 2010 - [X.], [X.], 414 Rn. 10).

9

4. Vergeblich wendet die Revision schließlich ein, dass der Ausgleichsanspruch gemäß oder entsprechend § 89b HGB schon bei Abschluss des [X.] in [X.] angelegt sei, so dass gemäß §§ 94, 95 [X.] mit Insolvenzforderungen gegen ihn aufgerechnet werden könne, ohne dass § 96 Abs. 1 Nr. 3 [X.] eingreife.

Im vorliegenden Fall geht es um einen vor der Eröffnung entstandenen und fällig gewordenen Ausgleichsanspruch. Bei ihm ist die sonst nach § 94 [X.] mögliche Aufrechnung nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 [X.] unwirksam.

Der behauptete Wertungswiderspruch zu § 95 [X.] besteht nicht, weil die Beklagte auch dann nicht mit ihren Insolvenzforderungen gegen den Ausgleichsanspruch aufrechnen könnte, wenn sie den Vertragshändlervertrag erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gekündigt hätte. Die Vorschrift des § 95 Abs. 1 [X.], nach welcher ein Insolvenzgläubiger auch mit einer im Zeitpunkt der Eröffnung aufschiebend bedingten oder noch nicht fälligen Forderung aufrechnen kann, sobald die Aufrechnungsvoraussetzungen eingetreten sind, erfasst zwar auch Fälle, in denen eine gesetzliche Voraussetzung für das Entstehen der Forderung fehlt. Voraussetzung ist dann aber, dass die Forderung in [X.] aufgrund gesetzlicher Bestimmungen oder vertraglicher Vereinbarungen bereits gesichert ist und fällig wird, ohne dass es einer weiteren Rechtshandlung bedarf ([X.], Urteil vom 29. Juni 2004 - [X.], [X.]Z 160, 1, 4; vom 8. Januar 2009 - [X.], [X.], 380 Rn. 32; MünchKomm-[X.]/[X.], 2. Aufl., § 95 Rn. 10; HK-[X.]/[X.], 6. Aufl., § 95 Rn. 15; anders noch [X.], Urteil vom 27. Mai 2003 - [X.], [X.]Z 155, 87, 93 f zu § 15 KO: es sei unerheblich, dass ein Rückzahlungsanspruch erst nach Ausübung des Rücktrittsrechts entstehe). Diese Voraussetzungen sind in der Insolvenz des Handelsvertreters oder [X.] nicht erfüllt. Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 [X.] besteht der Handelsvertreter- oder Vertragshändlervertrag mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort ([X.] [X.], 105 f; [X.]/von [X.], 3. Aufl., § 89b Rn. 40; [X.]/[X.], [X.] 2004, 382; Stumpf/Ströbl, [X.], 1209, 1211; Wagner/[X.], [X.] 2010, 2454, 2455; dies., [X.] 2011, 519, 520; vgl. zum umgekehrten Fall der Insolvenz des Geschäftsherrn, die gem. §§ 116, 115 [X.], früher § 23 KO, zum Erlöschen des Auftragsverhältnisses führt, [X.], Urteil vom 10. Dezember 2002 - [X.], [X.], 216, 217). Auch nach der Eröffnung hätte der Vertrag folglich gekündigt werden müssen, damit der Ausgleichsanspruch entsteht und fällig wird. Die Voraussetzungen des § 95 [X.] wären auch in dieser Fallgestaltung nicht erfüllt gewesen.

5. Soweit der Senat im Beschluss vom 25. September 2008 ([X.], [X.], Rn. 2) die Kündigung eines [X.] nicht für insolvenzrechtlich anfechtbar gehalten hat, hält er an dieser Ansicht nicht mehr fest.

Vill                        Raebel                           Lohmann

             Pape                         Möhring

Meta

IX ZR 191/12

07.05.2013

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Braunschweig, 20. Juli 2012, Az: 2 U 132/11

§ 94 InsO, § 96 Abs 1 Nr 3 InsO, § 130 Abs 1 S 1 Nr 2 InsO, § 89b HGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 07.05.2013, Az. IX ZR 191/12 (REWIS RS 2013, 6078)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 6078

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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