Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.05.2013, Az. IX ZR 191/12

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 6075

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
IX ZR 191/12

Verkündet am:

7. Mai 2013

Preuß

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
[X.] §§ 94, 96 Abs. 1 Nr. 3, § 130; HGB § 89b
Kündigt der Unternehmer den Vertragshändlervertrag, weil der Vertragshändler die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen beantragt hat, ist die nach der Eröffnung erklärte Aufrechnung mit Insolvenzforderungen gegen den [X.] bei Vorliegen der Anfechtungsvoraussetzungen insolvenzrechtlich unwirksam.

[X.], Urteil vom 7. Mai 2013 -
IX ZR 191/12 -
O[X.]

[X.]

-
2
-
Der IX.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 7. Mai 2013 durch
die Richter
Vill, [X.], die Richterin [X.], den Richter [X.] und die Richterin Möhring

für Recht erkannt:

Die Revision gegen das Urteil des 2. Zivilsenats des [X.] vom 20. Juli 2012 wird auf Kosten der [X.] zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger ist Verwalter in dem
am 1.
Dezember 2007
eröffneten
Insol-venzverfahren über das Vermögen der M.

GmbH
& Co. KG (Schuld-nerin). Die Schuldnerin war [X.] der Beklagten. Nachdem sie am 4.
Oktober 2007 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen [X.] hatte, kündigte die Beklagte am 12.
Oktober 2007 den [X.].
Am 2.
Oktober 2008 machte der Kläger den Anspruch auf angemesse-nen Ausgleich
analog § 89b HGB geltend. Grund und
Höhe dieses Anspruchs von 128.998,46

stehen
außer Streit. Die Beklagte
erklärte die [X.] mit vor der Eröffnung entstandenen, ebenfalls nach Grund und Höhe unstreitigen
Gegenansprüchen aus dem Vertragsverhältnis in Höhe von insge-samt
83.054,94

; den Restbetrag von 45.943,52

1
-
3
-

Der Kläger hält die Aufrechnung für insolvenzrechtlich unwirksam. Er hat Zahlung der 83.054,94

zur Insolvenzmasse
verlangt. Das [X.] hat die
Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Beklagte
unter Berücksichti-gung eines Abzugs von 2.975

n-denkartei
zur Zahlung von 80.079,94

nebst Zinsen und Kosten verurteilt. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision will die Beklagte die [X.] des landgerichtlichen Urteils erreichen.

Entscheidungsgründe:

Die Revision
bleibt ohne Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt
(vgl. [X.], 1872
mit krit. [X.]. [X.],
EWiR 2012, 737): [X.] sei nach §
96 Abs.
1 Nr.
3 iVm §
130 Abs.
1 Satz
1 Nr.
2 [X.]
insolvenzrechtlich unwirksam,
weil der [X.] der Insolvenzantrag im Zeitpunkt der Kündigung des [X.] bekannt gewesen sei.
Gegenstand
der Anfechtung
sei die Herstellung der Aufrechnungslage. Die Gläubigerbenachteiligung folge daraus, dass der [X.] nicht mehr für die Gesamtheit der Gläubiger zur Verfügung stehe.
Dass der Ausgleichsanspruch ohne die Kündigung nicht entstanden wä-re, sei nicht von Belang; eine Vorteilsausgleichung finde grundsätzlich nicht statt.
Rechtsfolge der Anfechtbarkeit
sei die Unwirksamkeit der Aufrechnung und damit der Fortbestand des andernfalls durch die Aufrechnung erloschenen Ausgleichsanspruchs.
2
3
4
-
4
-

II.

Diese Ausführungen
halten
einer
rechtlichen Überprüfung stand.
Nach Grund und Höhe steht der Anspruch des [X.] auf Zahlung eines Ausgleichs analog §
89b HGB außer Streit. Die von der Beklagten erklärten Aufrechnungen sind gemäß §
96 Abs.
1 Nr.
3 [X.] insolvenzrechtlich unwirksam.

1.
Die
Beklagte hat die Aufrechnungslage durch die fristlose Kündigung des [X.] am 12.
Oktober 2007 herbeigeführt. Sie wusste dabei von dem am 4.
Oktober 2007 gestellten Insolvenzantrag. Die Kündigung stellte eine Rechtshandlung im Sinne von §
129 Abs.
1 [X.] dar.
Unter einer Rechtshandlung im Sinne der §§
129 ff [X.] ist jedes von einem Willen getra-gene Handeln zu verstehen, das eine rechtliche Wirkung auslöst und das Ver-mögen des Schuldners zum Nachteil der Insolvenzgläubiger verändern kann ([X.], Urteil vom 12.
Februar 2004 -
IX
ZR 98/03, [X.], 666, 667; vom 14.
Dezember 2006 -
IX
ZR 102/03, [X.]Z 170, 196 Rn.
10; vom 9.
Juli 2009 -
IX
ZR 86/08, [X.], 644 Rn.
21).
Darauf, ob die rechtliche Wirkung auf dem
Willen des Handelnden beruht oder -
wie hier
-
kraft Gesetzes eintritt (§
89b HGB in entsprechender Anwendung; vgl. hierzu [X.], Urteil vom 6.
Oktober 2010 -
VIII
ZR 209/07, [X.], 2350 Rn.
24), kommt es entgegen der Ansicht der Revision nicht an.
Die
Kündigung
hatte eine
Benachteiligung der Insolvenzgläubiger
zur Folge, weil sie
zu der
Möglichkeit der Aufrechnung führte, welche
den Ausgleichsanspruch
der Gesamtheit der Gläubiger entzog.

2.
Entgegen der Ansicht der Revision ist eine Gläubigerbenachteiligung nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Ausgleichsanspruch, gegen den die Beklagte aufgerechnet hat, erst durch die angefochtene Rechtshandlung -
die 5
6
7
-
5
-
Kündigung
-
entstanden
und fällig geworden
ist
(vgl. hierzu [X.], Urteil vom 6.
August 1997 -
VIII ZR
92/96, [X.], 1839, 1844). Dass die Rechtshand-lung, welche die Aufrechnungslage herbeiführt, der Masse auch
Vorteile ver-schafft, steht einer Gläubigerbenachteiligung nicht entgegen. Eine Saldierung der Vor-
und Nachteile findet
im Insolvenzverfahren grundsätzlich
nicht statt;
eine Vorteilsausgleichung nach schadensersatzrechtlichen Grundsätzen ist im Insolvenzanfechtungsrecht grundsätzlich nicht
zulässig. Vielmehr ist der Eintritt der Gläubigerbenachteiligung isoliert in Bezug auf die konkret bewirkte
Minde-rung des [X.] oder der Vermehrung der Passiva des Schuldners zu beurteilen
(vgl. [X.], Urteil vom 9.
Juli 2009 -
IX
ZR 86/08, [X.], 644
Rn.
26
f; vom 26.
April 2012 -
IX
ZR 146/11, [X.], 1183 Rn.
30
ff).

3.
Die insolvenzrechtliche Unwirksamkeit ergreift nur die gläubigerbe-nachteiligende Wirkung der Herstellung der Aufrechnungslage, nicht jedoch das Grundgeschäft (hier: die Kündigung).
Nach §
143 Abs.
1 [X.] ist (nur) dasjeni-ge zur Insolvenzmasse zurückzugewähren, was durch die anfechtbare Hand-lung aus dem Vermögen des Schuldners veräußert, weggegeben oder aufge-geben worden ist, also der eingetretene Erfolg als solcher. Besteht die objektive Gläubigerbenachteiligung nur in einer einzelnen,
abtrennbaren
Wirkung einer einheitlichen Rechtshandlung, darf deren Rückgewähr nicht mit der [X.] ausgeschlossen werden, dass die Handlung auch sonstige, für sich nicht anfechtbare Folgen ausgelöst habe. Einen Rechtsgrundsatz, dass mehrere Wirkungen einer Rechtshandlung nur ganz oder gar nicht anfechtbar seien, gibt es im Insolvenzrecht nicht ([X.], Urteil vom 5. April 2001 -
IX
ZR 216/98, [X.]Z 147, 233, 236;
vom 9.
Juli
2009, aaO
Rn. 32;
vom 11. März 2010 -
IX
ZR 104/09, [X.], 414
Rn. 10).

8
-
6
-

4.
Vergeblich wendet die Revision schließlich ein, dass der [X.] gemäß oder entsprechend §
89b HGB schon bei Abschluss des [X.] in [X.] angelegt sei, so dass gemäß
§§ 94, 95 [X.] mit Insolvenzforderungen gegen ihn aufgerechnet werden
könne, ohne dass §
96 Abs. 1 Nr.
3 [X.] eingreife.

Im vorliegenden Fall geht es um einen vor der Eröffnung entstandenen und fällig gewordenen Ausgleichsanspruch. Bei ihm ist die sonst nach §
94
[X.] mögliche Aufrechnung nach §
96 Abs. 1 Nr.
3 [X.] unwirksam.

Der behauptete Wertungswiderspruch zu §
95 [X.] besteht
nicht, weil die Beklagte auch dann nicht mit ihren Insolvenzforderungen gegen den [X.] aufrechnen könnte, wenn sie den Vertragshändlervertrag erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gekündigt hätte. Die Vorschrift des § 95 Abs. 1 [X.], nach welcher ein Insolvenzgläubiger auch mit einer im Zeit-punkt der Eröffnung aufschiebend bedingten oder noch nicht fälligen Forderung aufrechnen kann, sobald die Aufrechnungsvoraussetzungen eingetreten sind, erfasst
zwar
auch Fälle, in denen eine gesetzliche Voraussetzung für das Ent-stehen der Forderung fehlt. Voraussetzung ist dann aber, dass die Forderung in [X.] aufgrund gesetzlicher Bestimmungen oder vertraglicher Vereinbarungen bereits gesichert ist und fällig wird, ohne dass es einer weite-ren Rechtshandlung
bedarf ([X.], Urteil vom 29.
Juni 2004 -
IX
ZR 147/03, [X.]Z 160, 1, 4; vom 8.
Januar 2009 -
IX
ZR 217/07, [X.], 380 Rn. 32; MünchKomm-[X.]/[X.], 2. Aufl., § 95 Rn. 10; HK-[X.]/[X.], 6. Aufl., §
95 Rn. 15; anders noch [X.], Urteil vom 27. Mai 2003 -
IX ZR 51/02, [X.]Z 155, 87, 93
f
zu §
15 KO: es sei unerheblich, dass ein Rückzahlungsanspruch erst nach Ausübung des Rücktrittsrechts entstehe).
Diese
Voraussetzungen 9
10
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-
7
-
sind
in der Insolvenz des Handelsvertreters oder [X.] nicht erfüllt. Gemäß §
108 Abs.
1 Satz 1 [X.] besteht der Handelsvertreter-
oder Vertrags-händlervertrag mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort ([X.] [X.], 105 f; [X.]/von [X.], 3. Aufl., § 89b Rn. 40;
Emde/Kelm, [X.] 2004, 382; Stumpf/Ströbl, [X.], 1209, 1211;
Wag-ner/[X.], [X.] 2010, 2454, 2455;
dies., [X.] 2011, 519, 520;
vgl. zum umgekehrten Fall der Insolvenz des Geschäftsherrn, die gem. §§ 116, 115 In-sO, früher § 23 KO,
zum Erlöschen des Auftragsverhältnisses führt, [X.], Urteil vom 10. Dezember 2002 -
X
ZR 193/99, [X.], 216, 217).
Auch nach der Eröffnung hätte der Vertrag folglich gekündigt werden müssen, damit der [X.] entsteht und fällig wird. Die Voraussetzungen des § 95 [X.] wären auch in dieser Fallgestaltung nicht erfüllt gewesen.
-
8
-

5.
Soweit der Senat im Beschluss vom 25. September 2008 (IX
ZR 223/05, [X.], Rn. 2) die Kündigung eines [X.] nicht für in-solvenzrechtlich anfechtbar gehalten hat, hält er an dieser Ansicht nicht mehr fest.

Vill
[X.]
[X.]

Pape
Möhring

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 29.09.2011 -
21 [X.]/11 -

O[X.], Entscheidung vom 20.07.2012 -
2 U 132/11 -

12

Meta

IX ZR 191/12

07.05.2013

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.05.2013, Az. IX ZR 191/12 (REWIS RS 2013, 6075)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 6075

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Wird zitiert von

XI R 44/20

Zitiert

IX ZR 191/12

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