Bundessozialgericht, Urteil vom 04.07.2013, Az. B 2 U 11/12 R

2. Senat | REWIS RS 2013, 4398

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Gegenstand

Gesetzliche Unfallversicherung - Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 2109 - arbeitstechnische Voraussetzung - berufliche Einwirkung - unbestimmte Rechtsbegriffe: Auslegung anhand der Gesetzesmaterialien und des Merkblatts BK 2109 - langjähriges und regelmäßiges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter mit außergewöhnlicher Zwangshaltung der HWS - nicht erforderlich: tägliche Mindestbelastungszeit bzw Mindesttagesdosis pro Arbeitsschicht - keine starre Untergrenze der Belastungsdauer: zehn Berufsjahre - bandscheibenbedingte Erkrankung der Halswirbelsäule - Zimmerer


Leitsatz

Das regelmäßige Tragen schwerer Lasten auf der Schulter im Sinn der BK 2109 setzt voraus, dass die entsprechende Last in der ganz überwiegenden Anzahl der Arbeitsschichten getragen wurde, ohne dass eine Mindesttragezeit pro Arbeitsschicht zu fordern ist. Das Tragen schwerer Lasten muss mit einer nach vorn und seitwärts erzwungenen Haltung der Halswirbelsäule einhergehen.

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 20. September 2011 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Anerkennung einer Berufskrankheit ([X.]) nach [X.] 2109 der Anlage (seit [X.]) zur [X.] ([X.]V) und die Zahlung einer Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

2

Der Kläger arbeitete von März 1960 bis Oktober 2003 als Zimmerer bei der Firma [X.] in [X.] Seit 1998 befand er sich wegen schmerzhafter Bewegungseinschränkungen der Wirbelsäule in ambulanter orthopädischer Behandlung. Der Rentenversicherungsträger bescheinigte ihm im April 2003 eine [X.] Hals- und Lendenwirbelsäulenerkrankung.

3

Im Mai 2004 zeigte der Kläger der Beklagten an, dass er seit Jahren unter erheblichen Einschränkungen des Bewegungsapparates leide, und beantragte, seine Erkrankung als [X.] anzuerkennen. Mit Bescheid vom [X.] lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen aufgrund einer [X.] nach [X.] 2108 der Anlage zur [X.]V ([X.] 2108) sowie nach [X.] 2109 der Anlage zur [X.]V ([X.] 2109) ab, weil die Voraussetzungen dieser [X.]en nicht gegeben seien. Der Widerspruch des [X.] blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 27.4.2005).

4

Mit der zum [X.] erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt. Das [X.] hat den Rechtsstreit wegen Feststellung einer [X.] 2109 von dem Verfahren wegen Feststellung einer [X.] 2108 abgetrennt und das Verfahren betreffend die [X.] 2108 zum Ruhen gebracht. Nach arbeitstechnischen und medizinischen Ermittlungen hat das [X.] mit Urteil vom [X.] die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, bei dem Kläger eine [X.] 2109 anzuerkennen und ihm wegen der Folgen der [X.] Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um [X.] zu zahlen. Der Kläger sei im Rahmen der versicherten Beschäftigung als Zimmerer schädigenden Einwirkungen im Bereich der Halswirbelsäule (HWS) ausgesetzt gewesen. Die Betätigung als Zimmerer habe in besonderer Weise auf die HWS eingewirkt. Der Kläger leide unter Bandscheibenschäden im Bereich der HWS. Diese seien mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch das Tragen schwerer Lasten auf der Schulter in einer Vielzahl von Arbeitsschichten verursacht worden. Die dadurch verursachte MdE betrage [X.]. Die Beklagte habe dem Kläger eine entsprechende Rente zu zahlen.

5

Gegen das Urteil hat die Beklagte Berufung zum Hessischen L[X.] eingelegt. Das L[X.] hat nach Durchführung weiterer Ermittlungen das Urteil des [X.] aufgehoben und die Klagen abgewiesen. Die Voraussetzungen für die Anerkennung einer [X.] 2109 seien nicht erfüllt. Zur Begründung seines Urteils vom [X.] hat es ausgeführt, während seiner Tätigkeit als Zimmerer sei der Kläger nicht den erforderlichen beruflichen Einwirkungen ausgesetzt gewesen, die zur Anerkennung einer [X.] 2109 führen könnten. Der [X.]-Tatbestand erfordere anhand der Materialien und des vom [X.] herausgegebenen Merkblatts zur ärztlichen Begutachtung der [X.] eine berufliche Exposition im Rahmen einer mindestens zehnjährigen Tätigkeit mit dem Tragen von Lastgewichten von 50 kg und mehr auf der Schulter. Die Lasten müssten in einer gewissen Regelmäßigkeit und Häufigkeit in der überwiegenden Zahl der Arbeitsschichten getragen worden sein. Diese Voraussetzung sei nur gegeben, wenn pro Arbeitsschicht mindestens eine Stunde lang Lasten von 50 kg und mehr auf der Schulter getragen worden seien. Das Tragen der Lasten müsse zugleich mit einer nach vorn und seitwärts erzwungenen Zwangshaltung des Kopfes einhergehen. Diese Voraussetzungen beruhten auf den bei Aufnahme der [X.] 2109 in die [X.]V vorliegenden epidemiologischen Studien, nach denen neben der Schwere der Last auch eine nach vorne und seitwärts erzwungene Kopfbeugehaltung erforderlich sei. Da eine Zwangshaltung im Rahmen der Tätigkeit des [X.] nur für wenige Bewegungsabläufe beim Aufnehmen, Ablegen und Weiterreichen von Lasten auf der Schulter und mit einem ganz untergeordneten Anteil der Arbeitszeit bestanden habe, liege eine [X.] 2109 nicht vor.

6

Der Kläger hat die vom B[X.] zugelassene Revision eingelegt und vorgetragen, das Urteil des L[X.] beruhe auf einer unzutreffenden Auslegung und Anwendung des § 9 Abs 1 [X.]B VII iVm [X.] 2109 der Anlage 1 zur [X.]V. Das Berufungsgericht habe zu Unrecht die arbeitstechnischen Voraussetzungen der [X.] 2109 verneint. Insoweit habe es angenommen, für das Tragen von Lasten auf der Schulter sei eine gleichzeitig nach vorn und seitwärts erzwungene Kopfhaltung (Zwangshaltung) erforderlich. Diese Anforderung lasse sich dem Wortlaut des [X.]-Tatbestands nicht entnehmen. Auch soweit das L[X.] annehme, dass ein HWS-belastend tätiger Versicherter mindestens eine Stunde (netto) pro Arbeitsschicht Lasten von 50 kg und mehr auf der Schulter getragen haben müsse, lasse sich diese Anforderung weder dem Wortlaut des [X.]-Tatbestands noch dem Merkblatt für die ärztliche Untersuchung zur [X.] 2109 entnehmen.

7

Der Kläger beantragt,

        

das Urteil des [X.] vom 20. September 2011 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 6. Juli 2007 zurückzuweisen.

8

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

9

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des [X.] ist nicht begründet. Das [X.] hat zu Recht das Urteil des [X.] aufgehoben und die Klagen abgewiesen. Der Kläger hat keine Ansprüche auf Feststellung einer [X.] 2109, weil er nicht, wie dort vorausgesetzt, regelmäßig schwere Lasten unter [X.] des Kopfes getragen hat (1.). Deshalb steht ihm auch kein Anspruch auf Zahlung einer Verletztenrente nach § 56 [X.]B VII zu (2.). Die erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch (3.).

1. Ein Anspruch auf Feststellung einer Berufskrankheit nach [X.] 2109 der Anlage 1 zur [X.]V besteht nicht.

a) Nach § 9 Abs 1 Satz 1 [X.]B VII sind [X.]en nur diejenigen Krankheiten, die durch die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des [X.] als solche bezeichnet sind (sog Listen-[X.]) und die der Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 [X.]B VII begründenden Tätigkeit erleidet. Nach ständiger Rechtsprechung des [X.]s ist für die Feststellung einer Listen-[X.] erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und diese Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-[X.]. Dabei müssen die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" im Sinne des [X.] - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden [X.] genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße [X.]öglichkeit (B[X.] vom [X.] - [X.] U 30/07 R - B[X.]E 103, 45 = [X.]-5671 Anl 1 [X.] 3101 [X.] 4, Rd[X.] 16 mwN; B[X.] vom [X.] - [X.] U 9/08 R - B[X.]E 103, 59 = [X.]-2700 § 9 [X.] 14, Rd[X.] 9 mwN; zuletzt B[X.] vom 29.11.2011 - [X.] U 26/10 R - [X.] Aktuell 2012, 412; B[X.] vom 15.9.2011 - [X.] U 22/10 R - [X.] 2012, 151; B[X.] vom 15.9.2011 - [X.] U 25/10 R - [X.]-5671 Anl 1 [X.] 4111 [X.] 3).

In der Anlage 1 zur [X.]V ist durch die [X.] vom 18.12.1992 ([X.]) unter [X.] 2109 folgende [X.] eingefügt worden und dort aktuell noch wie folgt bezeichnet: "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Halswirbelsäule durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können."

Wie das [X.] zutreffend aufgezeigt hat, definiert der Tatbestand der [X.] 2109 die Tatbestandsmerkmale der erforderlichen beruflichen Einwirkungen nicht anhand exakter numerischer Einwirkungsgrößen. Er verwendet stattdessen unbestimmte Rechtsbegriffe wie "langjährig" oder "schwer" (vgl zu dem insoweit vergleichbaren Problem bei [X.] 2108 schon: B[X.] vom 18.11.2008 - [X.] U 14/08 R - [X.] Aktuell 2009, 287). Der [X.] hat allerdings klargestellt, dass der Umstand, dass Rechtsbegriffe in einer [X.]-Definition auslegungsbedürftig und -fähig sind, nicht das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot verletzt (so schon zur [X.] 2108: B[X.] vom 23.3.1999 - [X.] U 12/98 R - B[X.]E 84, 30 = [X.] 3-2200 § 551 [X.] 12; B[X.] vom 18.3.2003 - [X.] U 13/02 R - B[X.]E 91, 23 = [X.]-2700 § 9 [X.] 1; B[X.] vom 18.11.2008 - [X.] U 14/08 R - [X.] Aktuell 2009, 287). Vielmehr ist es Aufgabe der Versicherungsträger und Gerichte unter Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien (vgl zu den [X.]otiven bei der Aufnahme der [X.] 2109 in die [X.]V die amtliche Begründung: [X.], [X.]) sowie anhand der Vorgaben des vom [X.] herausgegebenen [X.]erkblatts für die ärztliche Untersuchung zur [X.] 2109 ([X.] 3/1993, [X.] - im Folgenden: [X.]erkblatt [X.] 2109), die für diese [X.] vorausgesetzten beruflichen Einwirkungen näher zu konkretisieren. Solchen [X.]erkblättern kommt zwar keine rechtliche Verbindlichkeit zu (B[X.] vom 12.4.2005 - [X.] U 6/04 R - [X.]-2700 § 9 [X.] 5), sie sind allerdings als Interpretationshilfe und zur Wiedergabe des bei seiner Herausgabe aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstands heranzuziehen (B[X.] vom 18.8.2004 - B 8 KN 1/03 U R - B[X.]E 93, 149, 154 = [X.]-5670 Anl 1 [X.] 2402 [X.] 1 mwN).

b) Die unbestimmten Rechtsbegriffe des [X.]-Tatbestands der [X.] 2109 sind so zu verstehen, dass eine versicherte Person zur Erfüllung der Voraussetzungen des Tatbestands der [X.] 2109 den nachfolgend aufgezeigten beruflichen Einwirkungen ausgesetzt gewesen sein muss (vgl zu dem insoweit vergleichbaren Problem bei [X.] 2108 auch B[X.] vom 18.11.2008 - [X.] U 14/08 R - [X.] Aktuell 2009, 287). Fehlt eine dieser Voraussetzungen, ist der Tatbestand der [X.] 2109 nicht erfüllt (zur Bestimmung des Ausmaßes der beruflichen Einwirkungen bei der [X.] 2108 vgl auch B[X.] vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - B[X.]E 99, 162 = [X.]-5671 Anl 1 [X.] 2108 [X.] 5, Rd[X.] 16 f):

        

1.    

[X.] auf der Schulter setzt [X.] von 50 kg und mehr voraus ([X.]erkblatt [X.] 2109, Abschnitt [X.]; Bayerisches [X.] vom 13.11.2007 - L 3 U 287/06; Sächsisches [X.] vom [X.]; [X.] Berlin-[X.] vom [X.] U 209/10; [X.]/[X.], [X.]V, Stand II/2001, [X.] 2109 [X.]; [X.]/[X.] in [X.], [X.], Stand 01/2006, § 9 [X.]B VII [X.] [X.], 2109 erg [X.] 5.b> mwN; aA "40 kg genügen" [X.] in [X.] et. al., Gesetzliche Unfallversicherung - Kommentar, § 9 - 288 zu [X.] [X.] 2109 [X.] 1).

        

2.    

Die Lasten müssen langjährig getragen worden sein. Langjährig bedeutet, dass zehn Berufsjahre als die im Durchschnitt untere Grenze der belastenden Tätigkeit zu fordern ist (so wörtlich das [X.]erkblatt 2109, Abschnitt [X.]). Danach muss die belastende Tätigkeit über einen Zeitraum von etwa zehn Jahren ausgeübt worden sein (zum [X.]erkmal langjährig auch: Römer in [X.]/[X.], [X.]B VII, [X.] § 9 Anl zu [X.]V [X.]-[X.] 2108 - 2110 Rd[X.] 7 mwN; aA "mindestens 10 Jahre" Ricke in [X.] Kommentar, Stand 10/2011, § 9 [X.]B VII Rd[X.] 42). Insoweit umschreibt das [X.]erkmal "langjährig" in der Norm nur eine aus Erfahrungswissen gewonnene Dauer der Belastung, die mit "etwa zehn Jahren" angenommen wird ([X.]/[X.], [X.]V, Stand II/2001, [X.] 2109 [X.] iVm [X.] 2108 [X.].2.2; "in der Regel 10 Jahre" [X.] Bremen vom 13.2.1997 - L 2 U 67/96 - [X.]-Info 1997, 1683). Es handelt sich nicht um eine starre Untergrenze. Geringe Unterschreitungen dieses Wertes schließen die Anwendung des [X.]-Tatbestands daher nicht von vornherein aus; dies gilt besonders in den Fällen, in denen Versicherte Lasten mit noch höherem Gewicht bewegt haben (ähnlich zur [X.] 2108 schon B[X.] vom 18.3.2003 - [X.] U 13/02 R - B[X.]E 91, 23, 27 f = [X.]-2700 § 9 [X.] 1; B[X.] vom 22.6.2004 - [X.] U 22/03 R - Juris Rd[X.] 25; [X.]/[X.] in [X.], [X.], Stand 01/2006, § 9 [X.] [X.], 2108 erg [X.] 6.a> mwN). Wird allerdings eine Belastungsdauer von acht Jahren nicht erreicht, ist die [X.] 2109 ausgeschlossen (keine konkrete Untergrenze nannte der [X.] bisher zur [X.] 2108, ließ aber [X.] und neun [X.]onate als möglicherweise ausreichende Belastung genügen: B[X.] vom 22.6.2004 - [X.] U 22/03 R - Juris Rd[X.] 25; [X.], [X.]b 2001, 488, 492, der [X.] als Untergrenze vorschlägt). Bei Belastungen mit einer Dauer von weniger als zehn Jahren ist aber die haftungsbegründende Kausalität sorgfältig zu prüfen.

        

3.    

Erforderlich ist eine Regelmäßigkeit des Tragens schwerer Lasten auf der Schulter, wobei das Tragen schwerer Lasten in der ganz überwiegenden Anzahl der Arbeitsschichten ausreicht, ohne dass eine genaue Zeitgrenze pro Arbeitsschicht genannt werden kann (vgl unter 1.d>). Wie bei der Belastungsdauer (Kriterium 2.) können geringere oder fehlende Einwirkungen in einer Arbeitsschicht durch stärkere oder länger dauernde Belastungen in anderen Schichten ausgeglichen werden. Insoweit lässt sich dem [X.]-Tatbestand, der Begründung des Verordnungsgebers und dem [X.]erkblatt nur das Erfordernis eines regelmäßigen Tragens nicht aber eines arbeitstäglichen Tragens von schweren Lasten auf der Schulter entnehmen (zum Verzicht auf eine [X.]indesttagesdosis bei [X.] 2108 auch B[X.] vom 30.10.2007 - B 2 U 4/06 R - B[X.]E 99, 162 = [X.]-5671 Anl 1 [X.] 2108 [X.] 5; Römer in [X.]/[X.], [X.]B VII, Stand 08/2012, [X.] § 9 Anl zu [X.]V [X.]-[X.] 2108 - 2110 Rd[X.] 11a).

        

4.    

[X.] muss mit einer nach vorn und seitwärts erzwungenen [X.] einhergehen (vgl dazu unten 1.c>).

        

5.    

Als Folge dieses Zwangs muss die Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit tatsächlich erfolgt sein, wie sich dem [X.]-Tatbestand unmittelbar entnehmen lässt.

c) Die soeben unter 1.b) als Nummer 4. bezeichnete Anforderung ergibt sich aus dem Willen des Verordnungsgebers, nur solche Gruppen von Versicherten in den [X.]-Tatbestand einbeziehen zu wollen, bei denen die außergewöhnliche Belastung der Wirbelsäule durch Heben und Tragen von Lasten mit einer nach vorn und seitwärts erzwungenen Kopfbeugehaltung und gleichzeitiger maximaler Anspannung der Nackenmuskulatur zu einer Hyperlordosierung und auch zu einer Verdrehung der HWS führte (vgl [X.], [X.]). Dies wurde bei Schaffung des [X.]-Tatbestands zB für die Berufsgruppe der [X.] sowie für Träger von Säcken mit entsprechendem Gewicht angenommen. Diese Voraussetzung einer [X.] erschließt sich auch aus dem [X.]erkblatt [X.] 2109 ([X.] 3/1993, [X.]), das in Abschnitt I als berufliche Gefahrenquelle "fortgesetztes Tragen schwerer Lasten auf der Schulter, einhergehend mit einer statischen Belastung der cervikalen Bewegungssegmente und außergewöhnlicher [X.] der HWS" bezeichnet. An anderer Stelle (Abschnitt [X.]) ist ausgeführt, für den begründeten Verdacht auf das Vorliegen einer bandscheibenbedingten Erkrankung der [X.] sei neben dem Ausschluss anderer Krankheitsursachen der Nachweis einer langjährigen, außergewöhnlich intensiven mechanischen Belastung der HWS erforderlich.

Es entspricht auch der herrschenden [X.]einung in Schrifttum und Rechtsprechung, dass die [X.] 2109 wegen der Einwirkung des Gewichts in Achsrichtung auf die Wirbelsäule einerseits höhere [X.] erfordert als die [X.] 2108, andererseits das bloße Tragen schwerer Lasten noch nicht zu den hier zu erfassenden Veränderungen der HWS führt. Vielmehr muss das Tragen schwerer Lasten mit einer [X.] der HWS einhergehen (vgl [X.] Berlin-[X.] vom [X.]; Sächsisches [X.] [X.] - Juris Rd[X.] 22; Hessisches [X.] vom 12.2.2008 - L 3 U 20/05; [X.] Baden-Württemberg vom [X.]; [X.] Nordrhein-Westfalen vom 21.1.1997 - L 2 U 231/95 - [X.] 1997, 578; aus der Literatur: Zeitschrift für die gesamte Hygiene und ihre Grenzgebiete, 17, 1971, 841; [X.]/[X.], [X.]V, Stand II/2001, [X.] 2109 [X.]; [X.] in [X.]/[X.], [X.]B VII, Stand 08/2012, [X.] § 9 Anl zu [X.]V [X.]-[X.] 2108 - 2110 Rd[X.] 13; [X.] et. al., Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl 2010, 495; [X.]/[X.] in [X.], [X.], Stand 01/2006, § 9 [X.]B VII [X.] [X.], 2109 erg [X.] 5.b>; [X.] in [X.] et. al., Gesetzliche Unfallversicherung - Kommentar, § 9 - 288 zu [X.] [X.] 2109 [X.] 1; [X.] , [X.]-Report 2/03, Wirbelsäulenerkrankungen, 32 f).

d) Der vom [X.] entwickelten Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe des Tatbestands der [X.] 2109 ist nur insoweit nicht zu folgen, als das [X.]erkmal einer gewissen Regelmäßigkeit und Häufigkeit des Tragens (Kriterium 3 oben unter 1.b > ) schwerer Lasten nur erfüllt werden könne, wenn der Versicherte täglich pro Arbeitsschicht mindestens eine Stunde lang schwere Lasten im Sinne der [X.] 2109 in [X.] auf der Schulter getragen habe. Eine solche [X.]indestbelastungszeit pro Arbeitsschicht lässt sich weder den [X.]aterialien noch dem [X.]erkblatt zur [X.] 2109 noch sonstigen Hinweisen zur Auslegung des Tatbestands der [X.] 2109 entnehmen.

Der [X.] verkennt dabei nicht, dass in der Literatur abweichend von der hier vertretenen Auffassung ein einschlägig belastender Anteil des Tragens schwerer Lasten von [X.] der Arbeitszeit einer Schicht gefordert wird (vgl Grosser/Seide, Berufsbedingte Erkrankungen der Wirbelsäule in Trauma und Berufskrankheit, 2001, 143; Sächsisches [X.] vom [X.] - Juris Rd[X.] 23). Andere Autoren wollen eine geringere Tragezeit pro Arbeitsschicht genügen lassen (Schäfer et. al., [X.] 2008, 82; auf die Anzahl von Hüben je Arbeitsschicht stellt ab: [X.]/[X.], [X.]V, Stand II/2001, [X.] 2109 [X.]). Da aber in den [X.]aterialien und dem [X.]erkblatt für die Bestimmung einer konkreten Einwirkungszeit pro Arbeitsschicht keinerlei [X.]altspunkte enthalten sind, ist die Anforderung einer täglichen [X.]indestarbeitszeit mit dem Tragen schwerer Lasten auf der Schulter nicht begründbar (so auch [X.]/[X.] in [X.], [X.], Stand 01/2006, § 9 [X.]B VII [X.] [X.], 2109 erg [X.] 5.b>).

Erforderlich ist aber eine Regelmäßigkeit des Tragens schwerer Lasten auf der Schulter mit [X.], wobei die Einwirkung in der ganz überwiegenden Anzahl der Arbeitsschichten stattfinden muss, auch wenn eine genaue Zeitgrenze pro Arbeitsschicht nicht hergeleitet werden kann.

e) Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass beim Kläger die Anforderungen an die berufliche Exposition iS der [X.] 2109 nicht erfüllt sind, weil es an der Voraussetzung des regelmäßigen Tragens schwerer Lasten in [X.] fehlt (Kriterien [X.] 3 und 4 oben unter 1.b>).

Der Kläger hat zwar nach den verstreuten, aber noch hinreichend klaren und nachvollziehbaren Feststellungen des [X.] (§ 163 [X.]G) in einer den Voraussetzungen der [X.] 2109 entsprechenden Dauer und Häufigkeit schwere Lasten (über 50 kg) auf der Schulter bewegt (vgl insoweit die Kriterien [X.] 1 - 3 oben unter 1.b>).

Das Tragen der Lasten ging aber nicht regelmäßig, sondern nur in ganz geringem zeitlichen Umfang mit einer außergewöhnlichen Belastung der HWS im Sinne einer [X.] des Kopfes einher. Das [X.] hat insoweit, da Verfahrensrügen insoweit nicht erhoben worden sind, für den [X.] bindend festgestellt (§ 163 [X.]G), dass der Kläger nur mit einem sehr untergeordneten Anteil der Arbeitszeit als Zimmerer beim Tragen der schweren Lasten eine [X.] der HWS einnehmen musste. Dies war aber nicht regelmäßig, sondern allenfalls dann der Fall, wenn der Kläger im Rahmen seiner Tätigkeit Lasten (insbesondere Balken) aufnehmen, ablegen oder weiterreichen musste. An anderer Stelle des Urteils ist festgestellt, dass die [X.] des Kopfes beim Kläger in Bezug auf die ausgeübte Tätigkeit des Zimmerers "äußerst kurzzeitig" war und keineswegs das [X.] prägte. Ausgehend von diesen Feststellungen (§ 163 [X.]G) war der Kläger den nach [X.] 2109 erforderlichen beruflichen Einwirkungen im Sinne eines regelmäßigen Tragens schwerer Lasten bei bestehender [X.] der HWS nicht in hinreichendem [X.]aße ausgesetzt.

Das [X.] hat es deshalb im Ergebnis zu Recht abgelehnt, beim Kläger das Vorliegen einer [X.] 2109 anzuerkennen.

2. Da der Kläger keinen Anspruch auf Feststellung einer [X.] 2109 hat, kann die Beklagte auch nicht verurteilt werden, ihm wegen des Versicherungsfalls "[X.] 2109" Verletztenrente (§ 56 [X.]B VII) zu zahlen. Aufgrund der Trennung der Rechtsstreite hat der [X.] im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits nur zu entscheiden, ob infolge des Versicherungsfalls der [X.] 2109 ein Anspruch auf Rente besteht.

3. Die Verfahrensrügen des [X.] greifen nicht durch. Der [X.] hat oben (unter 1.d>) im Einzelnen begründet, dass dem Tatbestand der [X.] 2109 nicht entnommen werden kann, dass der Versicherte täglich pro Arbeitsschicht mindestens eine Stunde lang schwere Lasten getragen haben muss. Da die vom [X.] angesetzte Stundengrenze pro Arbeitsschicht mithin nicht maßgeblich ist, kommt es auf die gegen die Feststellungen des [X.] zu diesem Punkt erhobene Verfahrensrüge nicht mehr an.

Soweit der Kläger daneben eine Sachaufklärungsrüge wegen der Verneinung der medizinischen Voraussetzungen der [X.] 2109 erhoben hat, ist auch diese Rüge unbeachtlich, weil seine Ansprüche nicht erst an den medizinischen Voraussetzungen scheitern. Lediglich beiläufig ist darauf hinzuweisen, dass [X.]aßstab für die objektive Kausalitätsbeurteilung der neueste anerkannte Stand des [X.] ist (vgl hierzu zuletzt auch B[X.] vom 15.9.2011 - [X.] U 25/10 R - [X.]-5671 Anl 1 [X.] 4111 [X.] 3 - Rd[X.] 23 f "in der Regel 100 Feinstaubjahre"). Die medizinische Aussage des [X.], dass für eine Anerkennung der [X.] 2109 oberhalb der [X.] 5/[X.] 6 bis zu [X.] 2/[X.] 3 degenerative Veränderungen zu fordern sind, könnte sich allerdings auf Abschnitt II des [X.]erkblatts [X.] 2109 stützen. Dort wird ausgeführt, die vor der Aufnahme der [X.] 2109 in die [X.]V erstellten epidemiologischen Studien hätten gezeigt, dass bei bestimmten Personengruppen wie zB [X.]n insbesondere oberhalb von [X.] 5/[X.] 6 bis zu [X.] 2/[X.] 3 degenerative Veränderungen beobachtet wurden, die bei der Allgemeinbevölkerung weniger häufig anzutreffen waren (vgl auch [X.] Nordrhein-Westfalen vom [X.] - L 2 KN 32/03 U). Hierzu wurde weder geltend gemacht und ist auch nicht ersichtlich, dass dieses dem [X.]erkblatt zugrunde liegende Erfahrungswissen inzwischen überholt sein könnte.

4. [X.] beruht auf §§ 183, 193 [X.]G.

Meta

B 2 U 11/12 R

04.07.2013

Bundessozialgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: U

vorgehend SG Gießen, 6. Juli 2007, Az: S 1 U 168/05, Urteil

Anl 1 Nr 2109 BKV, § 9 Abs 1 S 1 SGB 7

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 04.07.2013, Az. B 2 U 11/12 R (REWIS RS 2013, 4398)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 4398

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