Bundessozialgericht, Urteil vom 16.08.2021, Az. B 1 KR 29/20 R

1. Senat | REWIS RS 2021, 3283

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Gegenstand

Krankenversicherung - Kostenerstattung - Teilnahme einer querschnittsgelähmten Versicherten am Trainingsprogramm "Project Walk" in den USA - grundrechtsorientierte Auslegung - wertungsmäßige Vergleichbarkeit einer Erkrankung mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung - Erfordernis einer notstandsähnlichen Extremsituation


Leitsatz

Die wertungsmäßige Vergleichbarkeit einer Erkrankung mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung erfordert eine notstandsähnliche Extremsituation, wie sie auch für eine nahe Lebensgefahr typisch ist und für die neben der Schwere der Erkrankung ein erheblicher Zeitdruck für einen bestehenden akuten Behandlungsbedarf kennzeichnend ist.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 22. November 2018 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die 1991 geborene, bei der beklagten Krankenkasse versicherte Klägerin begehrt Erstattung der Kosten in Höhe von 106 845 Euro, die sie für ihre Teilnahme am Trainingsprogramm "[X.]" in ([X.]) von Februar 2014 bis Mai 2015 aufgewendet hat.

2

Sie hatte sich 2006 bei einem Reitunfall einen Trümmerbruch des 4. und 5. [X.] zugezogen und ist seither querschnittsgelähmt. Neben Behandlungen in [X.] nahm sie mit dem Ziel der Verbesserung ihres körperlichen Zustands mehrmals auch an Maßnahmen in den [X.] teil, so etwa in dem hier verfahrensgegenständlichen "[X.]". Das dort absolvierte Trainingsprogramm verfolgt den Ansatz, das Gehen unter Nutzung der natürlichen Muskelkontraktion durch eine Kombination aus intensivem körperlichen Training und Elektrostimulation wieder zu erlernen. Nach einem Probeaufenthalt Ende 2013 reiste die Klägerin am [X.] wieder in die [X.], beantragte am 12.3.2014 Kostenübernahme für den weiteren Aufenthalt dort und legte eine Kostenaufstellung für die Monate März bis Oktober 2014 vor (monatlich 5201,09 Euro Therapiekosten, 1750 Euro Wohnungskosten, 2000 Euro Unterstützung, 1000 Euro Kfz-Kosten und Reisekosten). Die Beklagte erklärte sich mit Bescheid vom 14.4.2014 im Rahmen einer Einzelfallentscheidung zu einer Kostenbeteiligung iHv monatlich 800 Euro für die Zeit von März bis Oktober 2014 bereit. Den hiergegen, hinsichtlich der restlichen Kosten erhobenen Widerspruch wies sie zurück. Klage und Berufung hatten keinen Erfolg. Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch lasse sich nicht auf § 13 Abs 3a Satz 6 [X.]B V stützen, da es sich bei der in Anspruch genommenen Maßnahme um eine medizinische Rehabilitation handele, auf die die Vorschrift nicht anwendbar sei. Zudem sei die Klägerin auf die Durchführung der Behandlung im Ausland von Anfang an festgelegt gewesen und habe die Leistung mangels Beifügung einer ärztlichen Verordnung nicht genehmigungsfähig beantragt. Der Anspruch ergebe sich auch nicht aus § 18 Abs 1 und 2 [X.] Es spreche bereits viel dafür, dass kein Kausalzusammenhang zwischen dem ablehnenden Bescheid und den danach in Anspruch genommenen Behandlungen in den [X.] bestanden habe. Dies könne letztlich jedoch offenbleiben, da die Behandlung nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspreche, wie sich aus der Bewertung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung sowie dem vom [X.] eingeholten Sachverständigengutachten ergebe. Auch die Voraussetzungen einer grundrechtsorientierten Auslegung des [X.] seien nicht erfüllt. Denn es liege bereits keine lebensbedrohliche oder wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung vor. Hierfür sei eine notstandsähnliche Situation mit akuter Lebensgefahr oder dem drohenden Verlust einer wichtigen Körperfunktion erforderlich. Hier drohe der Verlust der Geh- und Bewegungsfähigkeit der Klägerin aber nicht mehr, sondern sei bereits eingetreten. Mit der beantragten Behandlung sollte die Querschnittslähmung nicht verhindert, sondern gebessert oder sogar geheilt werden. Dessen ungeachtet stehe im Fall der Klägerin eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung zur Verfügung. Schließlich sei auch der [X.] nach § 15 Abs 1 Satz 2 [X.]B V nicht eingehalten, da nicht erkennbar sei, dass die Behandlung in den [X.] in irgendeiner Form unter ärztlicher Verantwortung gestanden habe (Urteil vom 22.11.2018).

3

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung der §§ 12 und 18 [X.]B V sowie die Grundsätze der grundrechtsorientierten Auslegung des [X.]. Das [X.] sei von den Feststellungen des Gutachters W abgewichen. Es habe nicht beachtet, dass die Behandlung in den [X.] ein anderes Ziel als die in [X.] angebotenen Standardtherapien verfolgt habe. Eine vergleichbare Therapie sei in [X.] nicht möglich. Auch im Übrigen seien die Voraussetzungen der grundrechtsorientierten Auslegung erfüllt. Es sei zynisch, einem Versicherten, bei dem die wichtige Körperfunktion bereits ausgefallen sei, die Behandlung zu verweigern die ein Versicherter erhalten würde, dem der Ausfall der Körperfunktion erst noch drohe.

4

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des [X.] vom 22. November 2018 und des [X.] vom 12. Oktober 2016 sowie den Bescheid der Beklagten vom 14. April 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 106 845 Euro zu zahlen.

5

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

6

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Revision der [X.]lägerin ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 [X.]G). Das [X.] hat ihre Berufung gegen das klageabweisende Urteil des [X.] zu Recht zurückgewiesen. Der [X.]lägerin steht der geltend gemachte Anspruch auf Erstattung der [X.]osten für ihre Teilnahme an dem Trainingsprogramm "[X.]" nicht zu.

8

1. Die Voraussetzungen einer [X.]ostenerstattung aufgrund Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs 3a [X.]B V sind nicht erfüllt. Ein Versicherter, der schon vor Ablauf der Entscheidungsfrist auf die Selbstbeschaffung der beantragten Leistung vorfestgelegt ist, hat - wie der [X.] bereits entschieden hat - keinen Anspruch auf [X.]ostenerstattung gegen die [X.]rankenkasse aufgrund einer Genehmigungsfiktion (B[X.] vom 27.10.2020 - B 1 [X.]R 3/20 R - B[X.]E 131, 94 = [X.]-2500 § 13 [X.], RdNr 11 ff; B[X.] vom 25.3.2021 - B 1 [X.]R 22/20 R - juris Rd[X.] ff). Dies war nach den bindenden Feststellungen des [X.] hier der Fall. Danach hat die [X.]lägerin mit dem Trainingsprogramm "[X.]" schon vor der Antragstellung begonnen und sie war fest entschlossen, unabhängig vom Ausgang des Antragsverfahrens die Therapie für einen geraumen Zeitraum in Anspruch zu nehmen.

9

2. Die Voraussetzungen des danach in Betracht kommenden Anspruchs nach § 18 Abs 1 Satz 1 [X.]B V liegen ebenfalls nicht vor. Diese Regelung erlaubt es der [X.]rankenkasse im Fall einer Behandlung außerhalb des Geltungsbereichs des Vertrages zur Gründung der [X.] und des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum ausnahmsweise die [X.]osten der erforderlichen Behandlung einschließlich notwendiger Begleitleistungen ganz oder teilweise zu übernehmen, wenn eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung nur im Ausland möglich ist. Das [X.] hat ohne Rechtsfehler festgestellt, dass die von der [X.]lägerin in [X.] im "[X.]" in Anspruch genommene Behandlung jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt nicht dem allgemein anerkannten Stand der Wissenschaft entsprach. Abgesehen davon scheitert der Anspruch der [X.]lägerin an ihrer Vorfestlegung (siehe 1.).

3. Die Voraussetzungen des § 2 Abs 1a [X.]B V bzw einer grundrechtsorientierten Auslegung des § 18 Abs 1 [X.]B V lagen im Fall der [X.]lägerin - ungeachtet ihrer Vorfestlegung - aus weiteren Gründen ebenfalls nicht vor. Die [X.]lägerin litt nicht an einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung. Die bei ihr vorliegende Querschnittslähmung in Form einer inkompletten Tetraparese ist mit einer solchen Erkrankung auch nicht wertungsmäßig vergleichbar. Es fehlt an der hierfür erforderlichen notstandsähnlichen Extremsituation (dazu a). Der Anspruch scheitert zudem auch daran, dass die Therapie nicht unter ärztlicher Verantwortung erfolgte (dazu b).

a) Der Leistungsanspruch nach § 2 Abs 1a [X.]B V setzt - soweit hier von Interesse - eine "wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung" voraus.

aa) Die wertungsmäßige Vergleichbarkeit bezieht sich auf lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankungen. Die Vorschrift geht zurück auf den Beschluss des [X.] vom 6.12.2005 (1 BvR 347/98 - [X.]E 115, 25 = [X.]-2500 § 27 [X.] RdNr 17 ff - sog [X.]). Danach folgt aus den Grundrechten nach Art 2 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip und nach Art 2 Abs 2 GG ein Anspruch auf [X.]rankenversorgung in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung, wenn für sie eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht und die vom Versicherten gewählte andere Behandlungsmethode eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den [X.]rankheitsverlauf verspricht. Die grundrechtsorientierte Auslegung des [X.] knüpft an das Leben als Höchstwert innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung an (vgl [X.] vom 6.12.2005 - aaO RdNr 25). Ein Versicherter, der an einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung leidet, befindet sich in der "extremen Situation einer krankheitsbedingten Lebensgefahr", in der er zur Lebenserhaltung nach allen verfügbaren medizinischen Mitteln greifen muss (vgl [X.] vom 6.12.2005 - aaO Rd[X.]4). Durch die Irreversibilität des Todes entsteht hierbei ein Zeitdruck, den das [X.] als "notstandsähnliche Situation" umschrieben hat. Charakteristikum dieser notstandsähnlichen Extremsituation ist die unmittelbare und kurzfristige Behandlungsnotwendigkeit zur Lebenserhaltung (vgl zB [X.] <[X.]ammer> vom 11.4.2017 - 1 BvR 452/17 - [X.]-2500 § 137c [X.] RdNr 22; [X.] vom 10.11.2015 - 1 BvR 2056/12 - [X.]E 140, 229, 236 = [X.]-2500 § 92 [X.] RdNr 17 ff; vgl hierzu auch B[X.] vom 19.3.2020 - B 1 [X.]R 20/19 R - B[X.]E 130, 73 = [X.]-2500 § 12 [X.], RdNr 25).

Das B[X.] hat diese verfassungsrechtlichen Vorgaben in der Folge näher konkretisiert und dabei in die grundrechtsorientierte Auslegung auch Erkrankungen einbezogen, die mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung wertungsmäßig vergleichbar sind. Eine solche wertungsmäßige Vergleichbarkeit hat das B[X.] etwa im Fall des nicht kompensierbaren, in naher Zeit drohenden Verlusts eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen [X.]örperfunktion angenommen (vgl zB B[X.] vom [X.] - B 1 [X.]R 12/04 R - B[X.]E 96, 153 = [X.]-2500 § 27 [X.] Rd[X.]1-32; B[X.] vom [X.] [X.]R 30/06 R - juris RdNr 15; B[X.] vom [X.]/3 [X.]R 22/08 R - B[X.]E 106, 81 = [X.]-1500 § 109 [X.], Rd[X.]1; B[X.] vom 2.9.2014 - B 1 [X.]R 4/13 R - [X.]-2500 § 18 [X.] RdNr 13; B[X.] vom 11.9.2018 - B 1 [X.]R 36/17 R - juris Rd[X.] mwN; B[X.] vom 19.3.2020 - B 1 [X.]R 22/18 R - juris RdNr 21 ff mwN). Dem ist der Gesetzgeber mit der [X.]odifizierung des Anspruchs in § 2 Abs 1a [X.]B V gefolgt.

Die wertungsmäßige Vergleichbarkeit einer Erkrankung mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung erfordert eine notstandsähnliche Extremsituation, wie sie auch für eine nahe Lebensgefahr typisch ist. [X.]ennzeichnend dafür ist neben der Schwere der Erkrankung ein erheblicher Zeitdruck für einen bestehenden akuten Behandlungsbedarf. § 2 Abs 1a [X.]B V erfasst daher nur Behandlungen, die sich auf ein akutes [X.]rankheitsgeschehen beziehen, das von seiner Schwere und seinem Ausmaß mit lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankungen vergleichbar ist und bei dem eine unmittelbare und kurzfristige Interventionsnotwendigkeit besteht, um den Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen [X.]örperfunktion oder eine unmittelbar bevorstehende wesentliche Verschlechterung des akuten [X.]rankheitszustands zu verhindern. Erst in einer solchen notstandsähnlichen Extremsituation, für die - wie bei der Lebenserhaltung - ein erheblicher Zeitdruck typisch ist, ist es gerechtfertigt, eine Erkrankung einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung wertungsmäßig gleichzustellen. Denn der zentrale Anknüpfungspunkt des Anspruchs ist das Vorliegen einer durch nahe Lebensgefahr gekennzeichneten individuellen Notlage (vgl [X.] <[X.]ammer> vom 11.4.2017 - 1 BvR 452/17 - [X.]-2500 § 137c [X.] RdNr 22; [X.] vom 10.11.2015 - 1 BvR 2056/12 - [X.]E 140, 229, 236 = [X.]-2500 § 92 [X.] RdNr 17 ff). Insofern hat der [X.] bereits vor der gesetzlichen [X.]odifizierung des § 2 Abs 1a [X.]B V hervorgehoben, dass mit dem [X.]riterium der wertungsmäßigen Vergleichbarkeit eine strengere Voraussetzung umschrieben ist, als mit der für einen Off-Label-Use erforderlichen "schwerwiegenden" Erkrankung (vgl zB B[X.] vom [X.] - B 1 [X.]R 15/08 R - [X.]-2500 § 27 [X.] RdNr 15; vgl auch [X.] in [X.]/[X.], [X.]B V, [X.] § 2 Rd[X.]6e Stand November 2015).

Für diese Auslegung spricht auch die Entstehungsgeschichte. Die Intention des Gesetzgebers bestand darin, keine "neuen Leistungen" einzuführen, sondern die "bereits geltenden Anspruchsvoraussetzungen gemäß grundrechtskonformer Auslegung des [X.] ins Gesetz" zu übernehmen. Die Gesetzesmaterialien gehen eindeutig davon aus, dass sich das Merkmal der wertungsmäßigen Vergleichbarkeit nicht allein auf die Schwere der Erkrankung bezieht, sondern dass immer auch eine notstandsähnliche Situation vorliegen muss. In der Gesetzesbegründung heißt es insoweit: "Voraussetzung für diesen Anspruch ist, dass eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung oder zumindest wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung in einer notstandsähnlichen Situation vorliegt. Dies kann der Fall sein, wenn nach den konkreten Umständen des Einzelfalls droht, dass sich der tödliche [X.]rankheitsverlauf bzw. der nicht kompensierbare Verlust eines wichtigen [X.] oder einer herausgehobenen [X.]örperfunktion innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums wahrscheinlich verwirklichen wird" (vgl BT-Drucks 17/6906 [X.]).

bb) Für eine notstandsähnliche Extremsituation iS des § 2 Abs 1a [X.]B V sind eine individuelle Notstandslage mit einer nach allgemeinen rechtlichen Grundsätzen bestehenden gegenwärtigen Gefahr für ein individuelles Rechtsgut und zusätzlich ein bestehender Zeitdruck für deren Abwendung (vgl §§ 228, 904 BGB und §§ 34, 35 StGB) kennzeichnend. An einer solchen individuellen Notlage fehlte es hier. Die Verletzungsfolgen in Form der Querschnittslähmung waren bei der [X.]lägerin bereits acht Jahre vor Beginn der streitigen Therapie eingetreten. Dass eine weitere erhebliche Verschlimmerung drohte oder für die Therapie lediglich ein enges therapeutisches Zeitfenster bestand, hat das [X.] nicht festgestellt und ist auch sonst nicht ersichtlich.

b) Das [X.] ist zutreffend davon ausgegangen, dass auch ein Anspruch aus grundrechtsorientierter Auslegung des [X.] bzw nach § 2 Abs 1a [X.]B V die Einhaltung des [X.] nach § 15 [X.]B V und der Regeln der ärztlichen [X.]unst voraussetzt. Das gilt auch im Rahmen einer Auslandbehandlung nach § 18 Abs 1 Satz 1 [X.]B V. In gleicher Weise wie bei einer Behandlung im Inland muss dabei ein Arzt die Notwendigkeit der Behandlung festgestellt sowie die Einhaltung der medizinischen Standards gewährleistet und zumindest überwacht haben (vgl B[X.] vom 13.12.2005 - B 1 [X.]R 21/04 R - [X.]-2500 § 18 [X.] RdNr 19). Dies war nach den bindenden Feststellungen des [X.] nicht der Fall. Danach stand die Behandlung der [X.]lägerin in [X.] weder in irgendeiner Form unter ärztlicher Verantwortung, noch wurden hierfür ärztliche Verordnungen vorgelegt.

c) Auf den von der [X.]lägerin gerügten Verfahrensmangel des [X.], der sich auf die Verfügbarkeit einer allgemein anerkannten Standardtherapie bezieht, kann das angefochtene Urteil jedenfalls nicht beruhen, weil es sich aus den dargestellten Gründen in der Sache als richtig darstellt.

4. Die [X.]ostenentscheidung folgt aus § 193 [X.]G.

Meta

B 1 KR 29/20 R

16.08.2021

Bundessozialgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: KR

vorgehend SG München, 12. Oktober 2016, Az: S 29 KR 1177/14, Urteil

§ 2 Abs 1a SGB 5, § 13 Abs 3a SGB 5, § 15 Abs 1 S 2 SGB 5, § 18 Abs 1 S 1 SGB 5, Art 2 Abs 1 GG, Art 2 Abs 2 S 1 GG, Art 20 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 16.08.2021, Az. B 1 KR 29/20 R (REWIS RS 2021, 3283)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 3283

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1 BvR 347/98

1 BvR 452/17

1 BvR 2056/12

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