Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.02.2019, Az. VII ZB 2/18

7. Zivilsenat | REWIS RS 2019, 10614

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Gegenstand

Zwangsvollstreckungssache: Pfändbarkeit einer wegen eines Arbeitsunfalles in der DDR gezahlten Rente


Leitsatz

Eine wegen eines Arbeitsunfalls in der DDR nach § 23 RentenVO (DDR) seit dem Jahr 1980 gezahlte Unfallrente, welche aufgrund der Überleitungsvorschriften der § 215 Abs. 1, Abs. 6 SGB VII und § 1150 Abs. 2, § 1154 RVO seit dem 1. Januar 1992 als Verletztenrente im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung gezahlt wird, kann als laufende Geldleistung wie Arbeitseinkommen gepfändet werden.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Schuldners gegen den Beschluss der 3. Zivilkammer des [X.] vom 23. November 2017 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Die Gläubigerin betreibt gegen den Schuldner wegen einer Forderung in Höhe von 792,31 € nebst [X.] die Zwangsvollstreckung.

2

Der Schuldner erhält von der Drittschuldnerin zu 1 eine Altersrente und von der Drittschuldnerin zu 2 eine Unfallrente. Die Unfallrente beruht auf einem am 19. Dezember 1980 erlittenen Unfall des Schuldners, der mit Bescheid der [X.] der Sozialversicherung der ehemaligen [X.] (im Folgenden: [X.]) vom 8. Januar 1981 als Arbeitsunfall gemäß § 220 des [X.] der [X.] anerkannt wurde. Durch Unfallrentenbescheid des [X.] der Verwaltung der Sozialversicherung vom 7. Juli 1981 wurde dem Schuldner eine Unfallrente in Höhe von [X.]/[X.] pro Monat bewilligt. Gegenwärtig wird sie in Höhe von 471,30 € pro Monat von der Drittschuldnerin zu 2 geleistet.

3

Am 23. September 2015 hat das Amtsgericht - Vollstreckungsgericht - einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erlassen, mit dem die Zusammenrechnung der beiden Renten angeordnet und der aus dem zusammengerechneten Betrag pfändbare Teil der Einkommensforderung des Schuldners gegen die [X.] gepfändet und der Gläubigerin überwiesen wurde.

4

Die hiergegen eingelegte Erinnerung des Schuldners sowie seine sofortige Beschwerde, mit denen er jeweils geltend gemacht hat, die Unfallrente sei unpfändbar, sind erfolglos geblieben.

5

Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde wendet sich der Schuldner weiter gegen die Pfändung seines Anspruchs gegen die Drittschuldnerin zu 2.

II.

6

Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

7

1. Das Beschwerdegericht hat im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

8

Für die Pfändbarkeit von Sozialleistungen sei grundsätzlich die Regelung des § 54 SGB I maßgebend. Sofern nicht die Voraussetzungen des § 54 Abs. 1, 2 und 3 SGB I gegeben seien, seien laufende Geldleistungen als Sozialleistungen gemäß § 54 Abs. 4 SGB I wie Arbeitseinkommen pfändbar.

9

Die gepfändete Unfallrente sei entgegen der Auffassung des Schuldners insbesondere nicht gemäß § 54 Abs. 3 Nr. 3 SGB I unpfändbar. Nach dieser Vorschrift seien Geldleistungen unpfändbar, die dafür bestimmt seien, den durch einen Körper- oder Gesundheitsschaden bedingten Mehraufwand auszugleichen. Nach der Rechtsprechung des [X.] unterfalle eine aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach §§ 56 ff. [X.] zu zahlende Verletztenrente nicht der Regelung des § 54 Abs. 3 Nr. 3 SGB I, weil sie [X.] habe und nicht dem Ausgleich von Mehraufwand diene.

Dies gelte auch für eine im Gebiet der [X.] wegen eines Arbeitsunfalls gemäß § 23 der Verordnung über die Gewährung und Berechnung von Renten der Sozialpflichtversicherung vom 23. November 1979 (im Folgenden: [X.] oder [X.]) gewährte Rente. Maßgeblich für die Frage der Pfändbarkeit sei die rechtliche Qualifikation der Sozialleistung zum Zeitpunkt der Entscheidung des [X.] als letzter Tatsacheninstanz. Der Schuldner erhalte nach dem Bescheid des [X.] der Sozialversicherung seit dem 1. Mai 1981 eine Unfallrente nach § 23 [X.]. Mit dem [X.] [X.] zur [X.] und den aus diesem Anlass erlassenen Rechtsvorschriften sei diese Unfallrente in die gesetzliche Unfallversicherung nach den Bestimmungen der [X.] und später des [X.] überführt worden. Nach § 215 Abs. 1 [X.] gelte für die Übernahme der vor dem 1. Januar 1992 eingetretenen Unfälle und Krankheiten als Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung die Vorschrift des § 1150 Abs. 2 und 3 [X.] weiter. Gemäß § 1150 Abs. 2 [X.] gälten Arbeitsunfälle, die vor dem 1. Januar 1992 eingetreten und nach den im Beitrittsgebiet geltenden Vorschriften anerkannt worden seien, als Arbeitsunfälle im Sinne des Dritten Buchs der [X.]. Dies bedeute, dass die vorgenannten Unfälle in den Geltungsbereich der [X.] übernommen und weiter entschädigt worden seien. Die Übernahme bedeute auch, dass für die vorgenannten Unfälle nicht mehr die Leistungen nach der [X.] gewährt worden seien, sondern nach § 1154 [X.] eine Verletztenrente festzustellen gewesen sei. Hierfür spreche auch, dass nach den Bestimmungen des [X.] die [X.] nur bis zum 31. Dezember 1991 in [X.] gewesen sei.

Nach alledem sei die dem Schuldner gewährte Rente nunmehr als Verletztenrente gemäß §§ 56 ff. [X.] aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu qualifizieren, die gemäß § 54 Abs. 4 SGB I wie Arbeitseinkommen pfändbar sei.

2. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.

Zutreffend ist das Beschwerdegericht davon ausgegangen, dass die streitbefangene Unfallrente eine laufende Geldleistung darstellt, die gemäß § 54 Abs. 4 SGB I wie Arbeitseinkommen gepfändet werden kann. Die hiergegen gerichteten Beschwerdeangriffe gehen fehl.

a) Die Rechtsbeschwerde ist der Auffassung, die von der Pfändung betroffene Unfallrente des Schuldners sei nicht als eine nach § 54 Abs. 4 SGB I wie Arbeitseinkommen pfändbare Verletztenrente gemäß §§ 56 ff. [X.] anzusehen, sondern vielmehr nach der Vorschrift des § 54 Abs. 3 Nr. 3 SGB I unpfändbar. Die Unfallrente habe nach der Konzeption des Arbeits- und Sozialrechts der [X.] keine [X.] gehabt, sondern allein dem Ausgleich der Nachteile des eines im Umfang abstrakt bestimmten [X.] im Allgemeinen gedient. Die Überleitung in das System der gesetzlichen Unfallversicherung ändere an der Einordnung der Unfallrente als Geldleistung im Sinne von § 54 Abs. 3 Nr. 3 SGB I nichts. Durch die Vorschriften des § 215 [X.] sowie der § 1150 Abs. 2, § 1154 [X.] habe lediglich eine Besitzstandswahrung bewirkt werden sollen. Die Natur der Sozialleistung und die Zweckbestimmung der Unfallrente nach § 23 [X.] seien dadurch nicht geändert worden.

b) Hiermit kann die Rechtsbeschwerde nicht durchdringen.

aa) Es kann dahinstehen, welchem Zweck die gepfändete Unfallrente nach der Konzeption des [X.] und der [X.] der [X.] ursprünglich diente. Denn hierauf kommt es nach der heute maßgeblichen Rechtslage nicht (mehr) an. Das Beschwerdegericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass es für die Beurteilung der Pfändbarkeit einer Forderung auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung ankommt (vgl. MünchKommZPO/[X.]/Brinkmann, 5. Aufl., § 766 Rn. 50 m.w.[X.]). Selbst wenn daher nach der Konzeption des damaligen § 23 [X.] mit der danach gewährten Unfallrente seinerzeit ein unfallbedingter Mehraufwand ausgeglichen werden sollte, kann hieraus nach der heute geltenden Rechtslage nicht die Unpfändbarkeit gemäß § 850i Abs. 3 ZPO, § 54 Abs. 3 Nr. 3 SGB I hergeleitet werden.

(1) [X.] zu 2 zahlt dem Schuldner die streitgegenständliche Rente seit dem 1. Januar 1992 als Verletztenrente im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung. Das Beschwerdegericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Unfallrente des Schuldners nach § 23 [X.] aufgrund der Überleitungsvorschriften des § 215 Abs. 1 und Abs. 6 [X.] und der § 1150 Abs. 2, § 1154 [X.] seit dem 1. Januar 1992 als Verletztenrente gemäß § 581 [X.] a.F. beziehungsweise nunmehr gemäß § 56 [X.] geleistet wird.

Dies ergibt sich bereits daraus, dass nach dem Wortlaut des § 1150 Abs. 2 Satz 1 [X.] Unfälle, die nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht Arbeitsunfälle der Sozialversicherung waren, als Arbeitsunfälle (vgl. § 7 Abs. 1 und § 8 [X.]) im Sinne des Rechts der Unfallversicherung gelten, und dass nach § 1154 Abs. 1 [X.] der der im Beitrittsgebiet festgestellten Rente zugrunde gelegte Grad des [X.] als Minderung der Erwerbsfähigkeit und mithin als der maßgebliche Bemessungsfaktor für § 581 [X.] a.F. beziehungsweise § 56 [X.] gilt.

(2) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist mit dem Außerkrafttreten der [X.] der [X.] am 1. Januar 1992 (vgl. Art. 9 Abs. 2 Einigungsvertrag in Verbindung mit Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet F Abschnitt III Nr. 6) die frühere Rechtsgrundlage für die Rentengewährung weggefallen. An ihre Stelle sind die Vorschriften der gesetzlichen Unfallversicherung mit der Maßgabe getreten, dass eine Überprüfung der der früheren Rentenbestimmung zu Grunde liegenden Feststellungen aus Vertrauensschutzgründen nicht erfolgt (vgl. BT-Drucks. 12/405, [X.], 156; Ricke in [X.], 101. EL September 2018, [X.] § 215 Rn. 4; [X.] in [X.]/[X.], [X.], Stand: September 2017, § 2015 [X.] Rn. 7; vgl. auch BSG, Urteil vom 17. Dezember 2015 - [X.] U 17/14 Rn. 17 ff., BeckRS 2016, 68103).

Auf die Zielstellung der Rentengewährung in der [X.] kommt es damit nicht mehr an. Durch das Rentenüberleitungsgesetz sind alle Unfälle und Krankheiten, die vor dem 1. Januar 1992 eingetreten und nach dem Sozialversicherungsrecht des [X.] versichert waren, in die gesetzliche Unfallversicherung der [X.] überführt worden, wobei hinzunehmen war, dass sich der vormalige Charakter der Versicherungsleistung hierbei möglicherweise verändert hat (vgl. [X.] 104, 126, juris Rn. 63).

bb) Ob die Verletztenrente pfändbar ist, bestimmt sich daher ausschließlich nach ihrer heutigen rechtlichen Einordnung. Die von der Drittschuldnerin zu 2 geleistete gesetzliche Unfallrente ist als Verletztenrente im Sinne der §§ 56 ff. [X.] gemäß § 54 Abs. 4 SGB I wie Arbeitseinkommen pfändbar. Der diesbezüglichen rechtlichen Bewertung durch den [X.]. Zivilsenat des [X.] (Beschluss vom 20. Oktober 2016 - [X.] ZB 66/15 Rn. 8, [X.], 959), gegen die als solche auch die Rechtsbeschwerde nichts erinnert, tritt der erkennende Senat bei.

III.

Die Entscheidung wegen der Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

[X.]     

      

[X.]     

      

Graßnack

      

Sacher     

      

Borris     

      

Meta

VII ZB 2/18

06.02.2019

Bundesgerichtshof 7. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Chemnitz, 23. November 2017, Az: 3 T 278/17

§ 54 SGB 1, § 56 SGB 7, § 215 Abs 1 SGB 7, § 215 Abs 6 SGB 7, § 1150 Abs 2 RVO, § 1154 RVO, § 850i Abs 3 ZPO, § 23 SozPflVRV

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.02.2019, Az. VII ZB 2/18 (REWIS RS 2019, 10614)

Papier­fundstellen: MDR 2019, 503-504 WM2019,591 REWIS RS 2019, 10614

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