Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.09.2013, Az. V ZB 187/12

V. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 2814

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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS

V ZB 187/12
vom
12. September 2013
in dem Rechtsstreit

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Der V. Zivilsenat des [X.] hat am
12. September 2013 durch
die Vorsitzende Richterin [X.], den Richter [X.], die Richterinnen
Dr. Brückner und Weinland und den Richter [X.]
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerinnen wird der [X.] des [X.]

27. Zivilsenat

vom 26.
Juni 2012 aufgehoben.
Den Klägerinnen wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ge-währt.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungs-gericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt

Gründe:
I.
Mit den Klägerinnen am 23. Februar 2012 zugestelltem Urteil hat das Landgericht deren [X.] abgewiesen. Hiergegen legte die Prozessbevollmächtigte der Klägerinnen per Fax fristgerecht Berufung ein. Am 14.
Mai
2012 ging per Fax die Berufungsbegründung ein. Mit Verfügung vom 30.
April 2012, die laut [X.] am 23. Mai 2012 zugestellt worden 1

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war, hatte der Vorsitzende des [X.] unter Hinweis auf §
522 ZPO mitgeteilt, dass eine
Berufungsbegründung nicht vorliege.
Mit per Fax eingegangenem
Schriftsatz vom 31. Mai 2012 haben die Klägerinnen Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist beantragt und hierzu ausgeführt, ihre Prozessbevollmächtigte habe unter dem 14. April 2012 eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 23. April 2012 (rich-tig 23. Mai 2012) beantragt. Der Antrag sei von der Anwältin persönlich am 14.
April zur Post gebracht und dort in den Briefkasten geworfen worden. Die Absendung des Schreibens sei in der Akte vermerkt worden. Die Richtigkeit dieser Angaben werde anwaltlich versichert. Da bis zum Ablauf der regulären Begründungsfrist am 23.
April 2012 keine Ablehnung des Verlängerungsge-suchs eingegangen sei, habe die Prozessbevollmächtigte erwarten dürfen, dass dem Antrag entsprochen werde. Erst anlässlich eines am 23. Mai 2012 mit der Geschäftsstelle des Berufungsgerichts geführten Telefonats habe die Prozess-bevollmächtigte erfahren, dass der Verlängerungsantrag nicht bei Gericht ein-gegangen sei.
Das [X.] hat das Wiedereinsetzungsgesuch als unbegrün-det zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen [X.] sich die Klägerinnen mit der Rechtsbeschwerde. Der Beklagte beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
II.
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, es sei schon nicht glaubhaft gemacht, dass die Prozessbevollmächtigte den Verlängerungsantrag an einem Samstag persönlich zur Post gebracht habe, weil sämtliche vorherigen
Schriftsätze stets vorab per Fax versendet worden seien und durch Vorlage des Sendeberichts unschwer der Eingang hätte belegt werden können. Vor diesem Hintergrund genüge der bloße Vortrag des [X.] ohne nähere Erklä-2
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Grundsatz der freien Beweiswürdigung des gesamten Vorbringens vorliegend nicht (vgl. [X.], 29.
Aufl., §
294 ZPO, Rdnr.

r-gelegt noch glaubhaft gemacht, dass die Prozessbevollmächtigte durch eine ordnungsgemäße Organisation der [X.] gegen Frist-versäumungen getroffen
habe. Nach dem Vortrag der Prozessbevollmächtigten sei lediglich das Absenden des Schreibens in der Akte vermerkt worden und erst anlässlich eines am 23. Mai 2012 mit der Geschäftsstelle geführten
Telefo-nats bekannt geworden, dass der Verlängerungsantrag nicht eingegangen sei. Es hätte aber durch organisatorische Maßnahmen sichergestellt werden müs-sen, dass vor dem beantragten Fristablauf das wirkliche Ende der Frist

ggf. durch Rückfrage bei Gericht

hätte festgestellt werden können. Bei einer [X.] hätte

nachdem eine Reaktion des Berufungsgerichts bis zum Ablauf der Berufungsbegründungsfrist ausgeblieben, bei üblichem Post-
und Büroablauf jedoch zu erwarten gewesen sei
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Veranlassung zu einer Rück-frage bestanden, die den
fehlenden Eingang des [X.] und die Möglichkeit zu einer erneuten rechtzeitigen Antragstellung gegeben hätte.

III.
Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. §
522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere liegt die besondere Zulässigkeitsvoraussetzung des § 574 Abs. 2 ZPO vor, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] erfordert. Das Berufungsgericht hat den Klägerinnen den Zugang zu dem von der Zivilprozessordnung eingeräumten Instanzenzug in unzumutbarer, aus [X.] nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert. Zum einen stützt es seine Zweifel an der Richtigkeit der anwaltlichen Versicherung der Prozess-bevollmächtigten der Klägerinnen
auf das Fehlen zusätzlicher Angaben zu dem Versand per Telefax, obwohl dazu von Rechts wegen kein Vortrag erforderlich 5

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war (dazu näher unten IV.1.). Zum anderen nimmt es zu Unrecht an, der [X.] stehe ein nicht ausgeräumtes Organisationsverschulden entge-gen (unten [X.]). Beides verletzt den Anspruch der Klägerinnen auf Gewäh-rung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechts-staatsprinzip, vgl. [X.] 77, 275, 284; [X.], NJW 2013, 592 f. [X.]) und eröffnet die Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO (Senat, [X.] vom 23. Oktober 2003 -
V [X.], [X.], 367, 368; vom 6.
Oktober 2011 -
V [X.], NJW-RR 2012, 82 Rn. 8; vom 10. Mai 2012

V
ZB 242/11, [X.], 334, 335; Beschluss vom 19. Juni 2013

[X.], juris Rn.
5;
jeweils [X.]).
IV.
Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
1. Rechtsfehlerhaft nimmt das
Berufungsgericht an, der Postversand des [X.] sei nicht ausreichend glaubhaft gemacht; es fehle eine nähere Erklärung
dazu, warum nicht

wie stets zuvor

der Weg des [X.] gewählt worden sei.

a) Allerdings legt es -
wh-(Zöller/[X.], ZPO, 29.
Aufl., §
295 Rn.
6) belegt
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der Sache nach
zutreffend zugrunde, dass eine Tatsache schon dann nach §
294 ZPO glaubhaft gemacht ist, wenn eine über-wiegende Wahrscheinlichkeit für ihr Vorliegen besteht
(vgl. nur Senat, [X.] vom
19. Juni 2013

[X.], juris Rn.
12; [X.], Beschluss vom 11. September 2003 -
IX ZB 37/03, [X.]Z 156, 139, 143), wenn also
bei der erforderlichen umfassenden Würdigung der Gesamtumstände ([X.], Beschluss vom 21. Dezember 2006

[X.], NJW-RR 2007, 776, 777 Rn.
12) mehr für das Vorliegen der in Rede stehenden Behauptung spricht als dagegen (Se-6
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nat, Beschluss vom 21. Oktober 2010 -
V [X.], NJW-RR 2011, 136 Rn. 7
[X.]).
b) Das Berufungsgericht überspannt indessen die Anforderungen, die nach §
236 Abs. 2 Satz 1 ZPO an die Darlegung und Glaubhaftmachung der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen
zu stellen sind.
Erforderlich ist eine aus sich heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Ab-läufe, aus denen sich ergibt, auf welchen konkreten Umständen die Fristver-säumnis beruht. Diesen Vorgaben genügt das Wiedereinsetzungsgesuch. Eine Versendung des [X.] per Post am 14. April 2012 war [X.], um den Eingang bei Gericht innerhalb der erst am 23. April 2012 [X.] Frist zu gewährleisten. Eine [X.] darf grundsätzlich darauf [X.], dass im [X.] werktags aufgegebene Postsendungen am folgen-den Werktag ausgeliefert werden. Geht eine Sendung verloren oder wird sie verspätet ausgeliefert, darf dies der [X.] nicht als Verschulden angerechnet werden
(vgl. Senat, Beschluss vom 13. Mai 2004 -
V [X.], NJW-RR 2004, 1217, 1218; [X.], Beschluss vom 21. Oktober 2010 -
IX [X.], NJW 2011, 458 Rn. 15; Beschluss vom 20. Mai 2009 -
IV ZB 2/08, [X.], 2379 Rn. 8 [X.]). Weitere Vorkehrungen müssen nicht ergriffen werden. Insbesondere ist eine [X.] nicht gehalten, Schriftsätze vorab
per Telefax zu übersenden
([X.], Beschluss vom 19. Juni 2013

[X.], juris Rn.
7 [X.]).
Vor diesem Hintergrund führt
der Umstand, dass sich ein Rechtsanwalt entschließt, von der bisherigen Versandpraxis generell oder im Einzelfall abzusehen, nicht ohne weiteres zur [X.] dieser Entschließung. Davon abgesehen ist die Wahl eines anderen gängigen
und
zur Fristwahrung tauglichen Versand-weges

auch wenn dieser von der bisherigen Handhabung abweicht

nicht oh-ne Hinzutreten weiterer aussagekräftiger Umstände geeignet, den Beweiswert einer bei isolierter Betrachtung zur Glaubhaftmachung ausreichenden anwaltli-chen Versicherung in Zweifel zu ziehen.

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2. Ebenfalls zu beanstanden ist die Erwägung des Berufungsgerichts,
die Wiedereinsetzung sei zudem mit Blick auf ein den Klägerinnen nach §
85 Abs.
2 ZPO zuzurechnendes Organisationsverschulden ihrer Prozessbevoll-mächtigten zu versagen. Die Angaben zur erforderlichen
Fristenkontrolle sind zwar außerordentlich dürftig, wenn es in dem Wiedereinsetzungsgesuch ledig-lich heißt,
die Absendung des [X.] sei in der Akte vermerkt worden. Ob und ggf. welche organisatorischen Vorkehrungen zur Fristenkon-trolle getroffen worden sind, geht daraus nicht hervor. Ein [X.] wird
dadurch nicht ausgeräumt. Das Berufungsgericht verkennt aber, dass dieses nicht ursächlich geworden ist für die Fristversäumung.

a) Nach der neueren Rechtsprechung des [X.]
(vgl. [X.] vom 5. Juni 2012

[X.], [X.], 1056 Rn.
9
f. [X.]), die im Lichte verfassungsgerichtlicher Vorgaben (dazu [X.] 42, 120, 126 f.; [X.], NJW 1992, 38, 39) zu sehen ist, kommt eine
Verpflichtung des Pro-zessbevollmächtigten, sich vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist über eine Verlängerung dieser Frist durch Nachfrage bei Gericht zu vergewissern, nur noch ausnahmsweise in Betracht. Erforderlich hierfür ist ein konkreter Anlass, der nicht schon dann besteht, wenn der Anwalt in der noch laufenden [X.]sbegründungsfrist keine auf seinen Schriftsatz bezogene Verfügung des Gerichts erhält. Vielmehr wird eine Erkundigungspflicht erst durch eine solche Mitteilung des Gerichts ausgelöst, die unzweideutig ergibt, dass etwas fehlge-laufen ist ([X.], aaO, Rn.
10). Gemessen daran war die [X.] der Klägerinnen
nicht verpflichtet, sich innerhalb der bis zum 23. April 2012 laufenden Berufungsbegründungsfrist danach zu erkundigen, ob der [X.] rechtzeitig eingegangen war.
b) Für die [X.] nach Ablauf der regulären Berufungsbegründungsfrist [X.] eine Verpflichtung zur Rückfrage zumindest deshalb nicht, weil die [X.] bereits am 14. Mai
2012 begründet wurde und der Prozessbevollmächtigte einer [X.] mit der beantragten Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist 11
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regelmäßig jedenfalls um einen Monat (vgl. §
520 Abs. 2 Satz 3
ZPO) rechnen darf, sofern es sich um den ersten Verlängerungsantrag handelt
und
ein erheb-licher Grund geltend gemacht wird
(vgl. nur
[X.], Beschluss vom 16. März 2010

[X.], NJW 2010, 1610, 1611 Rn.
7 [X.]). Da diese Vorausset-zungen hier vorliegen und keine besonderen Umstände ersichtlich sind, die [X.] zu Nachfragen hätten geben müssen, haben sich nicht ausgeräumte [X.] bei der [X.] nicht ausgewirkt
(zu diesem Erfor-dernis etwa [X.], Beschluss vom 27.
Januar 2011 -
III ZB 55/10, NJW 2011, 859, 860 Rn.
15).
3. Danach kann die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben. Die Sache ist zur Endentscheidung reif, weil es keiner weiteren Tatsachenfest-stellungen bedarf (§ 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO). Da es dem Senat auf der [X.] der obigen Erörterungen ([X.]) überwiegend wahrscheinlich erscheint, dass der Verlängerungsantrag am 14. April 2012 auf den Postweg gebracht worden ist, und auch die übrigen Voraussetzungen für die beantragte Wieder-einsetzung vorliegen, ist dem Wiedereinsetzungsgesuch stattzugeben. Soweit das Berufungsgericht zudem die Berufung als unzulässig verworfen hat, wird der Beschluss mit der Wiedereinsetzung gegenstandslos (Senat, Beschluss

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vom 19. Juni 2013

[X.], juris Rn.
15; [X.], Beschluss vom 9. Februar 2005 -
XII [X.], [X.], 791, 792). Seine Aufhebung erfolgt nur klarstellend auch ohne ausdrücklichen Antrag.

Stresemann

Roth

Brückner

Weinland

Kazele

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 09.02.2012 -
91 O 1812/11 -

OLG [X.], Entscheidung vom 26.06.2012 -
27 U 1083/12 -

Meta

V ZB 187/12

12.09.2013

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.09.2013, Az. V ZB 187/12 (REWIS RS 2013, 2814)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 2814

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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